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ROLO TOMASSI: Was man davon hat, wenn eine Filmfigur der Band den Namen gibt

Sie haben einen weiten Weg hinter sich: ROLO TOMASSI begannen im Teenageralter der Protagonisten zwischen ADHS-Lärm, Mathcore und Casiokeyboards. Mittlerweile sind sie eine der gestandensten Bands zwischen modernem Progressive Metal und Post Metal und haben nun mit „Where Myth Becomes Memory“ den würdigen Nachfolger für den modernen Klassiker „Time Will Die And Love Will Bury It“ erschaffen. ROLO TOMASSI konnten die hohen Erwartungen locker erfüllen und zeigen sich als gradiose Songschreiber, die stets fest im Sattel sitzen, egal ob es gerade brutal oder sanft zugeht. Kein Wunder, dass wir unbedingt mit James Spence, Keyboarder und Gründungsmitglied der Engländer im Zoom plauschen wollen. Es geht um den kreativen Prozess, die Arbeit in der Pandemie, Hoffnung auf eine Tour, die sich mittlerweile zerschlagen hat, und Verwechslungsgefahr mit einem toxischen YouTuber.  

Hallo James, ich hoffe dir geht es gut! Ich muss gestehen, dass ich ROLO TOMASSI erst 2018 mit „Time Will Die And Love Will Bury It“ und „Grievances“ schätzen gelernt habe. „Where Myth Becomes Memory“ wächst noch, aber ich kann schon sagen, dass es ein angemessener Nachfolger ist, herzlichen Glückwunsch dazu.

Vielen Dank dafür!

Was mich zunächst überraschte war, dass ihr im Vorfeld bekannt gegeben habt, dass „Where Myth Becomes Memory“ der Abschluss einer unbeabsichtigten Trilogie ist. Wie sind die drei Alben miteinander verbunden?

Das basiert am ehesten auf den textlichen Themen. Wenn das Album fertig ist, schaut man als Musiker häufig auf das, was man aufgenommen und geschrieben hat, zurück und erkennt sich wiederholende Muster und Dinge. So ging es Eva auch, als sie am Ende des Aufnahmeprozesses die gesamte Arbeit der letzten Jahre überblicken konnte und manche Bedeutungen erkannte. Sie sah von Album zu Album eine thematische Entwicklung. Das gilt auch für die Musik. Jedes Album könnte ohne den Vorgänger nicht existieren. Die musikalische Evolution ist sehr deutlich. Wir hatten heuer viel Zeit darüber nachzudenken, was dieses Album für uns bedeutet – immerhin nahmen wir es schon im Januar auf. Wir warteten auf den richtigen Moment, um es zu veröffentlichen, auch wegen der Pandemie. Und so zog sich alles und wir erhielten eine größere Perspektive, als wir sie normalerweise bekommen.

Könnte es daher auch sein, dass sich die Trilogie in eine Tetralogie verwandelt?

(lacht) Es ist für uns ziemlich deutlich. Alles, was ab diesem Moment passiert, wird neu und anders werden. Aber gerade aus textlicher Sicht war es Eva wichtig, schon auf diesem Album auch neue Wege zu gehen. Ihrer Meinung nach hat sie auf dem letzten Album zu viel von sich preisgegeben. Das ist sicherlich ausgegraut, aber da ist immer viel Persönliches enthalten. Was wir in Zukunft schreiben werden, wird einen anderen Ansatz haben, gerade bei den Texten. Wir sind allerdings wirklich zufrieden mit „Where Myth Becomes Memory“, das Album rundet die letzten Platten gut ab. Bevor es wieder ans Songwriting geht, werden wir uns aber zusammensetzen und die weitere Ausrichtung überdenken. Mit diesem Album wollen wir aber wirklich den Moment genießen und warten ab, was es uns für die nächsten Jahre bringen wird.

Ein guter Plan. Wie ist das, ihr habt im Januar aufgenommen, für euch ist „Where Myth Becomes Memory“ wahrscheinlich nicht mehr so frisch wie für euer Publikum.

Ja, wir haben in den letzten Wochen einige Interviews gehabt und jetzt fühle ich wieder Begeisterung. Das ist eine schöne Art, um das Jahr zu beenden. Jetzt kommt der Enthusiasmus wieder, es fühlt sich an wie: „Oh mein Gott, ich spiele ja in dieser Band und wir bringen bald unser neues Album raus und werden Konzerte spielen.“ (lacht) Ich meine, ich habe nicht vergessen, dass wir „Where Myth Becomes Memory“ gemacht haben, aber wir legten es doch ein wenig zur Seite, weil sowieso klar war, dass es erst 2022 erscheinen würde. Immerhin gab es zwei Singles und es war schön, erst ein paar Teile Auszüge des neuen Albums zu veröffentlichen und auf die Reaktionen zu warten.

“Wenn ich mir das alte Material anhöre, fühle ich mich müde. Ich weiß gar nicht, ob ich das überhaupt noch spielen könnte.” – James Spence hat sich musikalisch und menschlich weiterentwickelt.

Aber der Zeitraum zwischen Studio und Veröffentlichung ist nun doch sehr lang, das sind 13 Monate. Hatte das mit eurer Labelsuche oder der Pandemie zu tun?

Das war nur die Pandemie. Wir wollten sicher sein, dass wir Shows spielen können, wenn das Album rauskommt, also haben wir uns mit dem Label auf Februar 2022 geeinigt. Wenn wir es 2021 wirklich hätten rausbringen wollen, hätten wir das auch getan. Die zusätzliche Zeit gab uns aber auch die Möglichkeit ein paar Videos zu drehen und die Möglichkeit zu planen, wie wir touren wollen. Es ist sicherlich frustrierend so lange zu warten, andererseits ist diese Zeit auch ein Luxus, der Druck rausnimmt. Es ist, was es ist. Die meisten Menschen haben in den letzten Jahren eh gelernt, geduldiger zu sein.

Ich glaube, das ist nicht das Schlechteste.

Das stimmt.

Ihr wart im Frühjahr 2020 ohne Deal, nachdem der Chef eures ehemaligen Labels des sexuellen Missbrauchs beschuldigt wurde und ihr den Vertrag daraufhin fristlos gekündigt habt. Wie lange dauerte es dann, bis ihr bei MNRK untergekommen seid?

Das kann ich nicht mehr genau sagen, aber MNRK waren an uns schon einige Jahre interessiert. Sie mochten „Time Will Die And Love Will Bury It“ sehr und kontaktierten in unregelmäßigen Abständen unseren Manager. Das war für uns also nur der nächste logische Schritt. Es fühlte sich passend an und wir kamen schnell auf einen Nenner. Und sie würden uns erlauben, auf unsere Art und Weise weiter zu arbeiten. Die Entscheidung war recht einfach.

Zu dem Thema eures alten Labels passt auch, dass ihr euch klar von sexueller Gewalt distanziert. Passend dazu: Ich lese gerade ein Buch über Antifeministen und darin kam ein antifeministischer YouTuber namens „Rollo Tomassi“ vor. Hast du von ihm gehört?

Oh Gott, ja, das habe ich. Wir werden ständig in den sozialen Medien von Leuten getaggt, die denken, dass wir er sind. Das ist wirklich frustrierend. Er repräsentiert nichts von dem, für das ich stehe. Das macht mich echt wütend. Wenn ich auf YouTube nach uns suche, tauchen zuerst seine Videos auf. Wenn unsere Hörer nach uns suchen, erkennen sie natürlich den Unterschied, aber es ist trotzdem eine Schande. Wie heißt das Buch?

Das heißt „Die letzten Männer des Westens“ und ist von einem deutschen Autor namens Tobias Ginsburg, der undercover in der Manosphere unterwegs war und so ins rechtsäußere politische Spektrum geriet.

Das klingt interessant. Ich habe den Eindruck, dass dieser andere Rollo Tomassi einfach nur eine riesige Menge an Ego und Arroganz an den Tag legt und die Menschen infiltriert, indem er an ihre negativen Qualitäten appelliert. Und sein Publikum liebt das. Aber wir können da auch nichts dagegen tun. Wer uns hört und ein Video von ihm sieht, wird sofort bemerken, dass wir nichts mit diesen Glaubenssätzen zu tun haben. Das kommt davon, wenn man sich den Bandnamen nach einer Figur aus einem Film aussucht.

Da kann man auch rein rechtlich nichts dagegen tun, oder?

Interessanterweise gab es eine amerikanische Band, die ROLLO TOMASI hieß und in den frühen 2000ern aktiv war. Als wir zum ersten Mal in den USA tourten, war die erste Mail, die wir nach der Landung erhielten von ihnen. Sie forderten, dass wir unseren Namen änderten und drohten uns rechtliche Konsequenzen an. Also mussten wir ihnen lange und ausführlich schreiben, dass das auch nicht ihr Name war, den sie erfunden haben, sondern dass er aus einem Film kommt, dass man sie anders schreibt und sie nicht mal mehr Shows spielen.

Einfach eine Masche, um Geld zu machen.

Das könnte sein. Es war wirklich enttäuschend, dass sie alle Domains kauften, die unseren Namen trug. Dabei kommen auch sie aus der Grunge- und Punk-Szene. Für Menschen, die in dieser Szene sind, ist das kein cooler Move, aber was kann man da schon machen?

 

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Jetzt zu etwas Erfreulicherem. Ich denke, dass ihr eine Band seid, mit der man wunderbar mitwachsen kann. Als ihr angefangen habt, war da dieser jugendliche, wilde Mathcore. Ihr wart ja damals auch echt jung.

Ja, ich war damals 16 und bin heute 33.

Ihr habt euch langsam in die Richtung entwickelt, in der ihr heute seid. Es ist immer noch heavy und progressiv, aber deutlich gereift. Kannst du dir vorstellen, dass ihr wieder zu dieser jugendlichen Leichtigkeit zurückkehren werdet?

(lacht) Wahrscheinlich nicht. Wenn ich mir das alte Material anhöre, fühle ich mich müde. Ich weiß gar nicht, ob ich das überhaupt noch spielen könnte, weil ich das auch gar nicht mehr übe. Wir wollten einfach immer die Musik spielen, die uns gefällt, und lassen uns von dem inspirieren, das uns gefällt. Als ich 16 war, fuhr ich wirklich total auf das ganze chaotische, energetische und mathy Zeug ab. Na ja, eigentlich mag ich das Wort „erwachsen“ nicht so sehr, aber das passt dann doch, weil ich als Mensch auch ruhiger geworden bin und meinen Musikgeschmack weiterentwickelt habe. Und ich möchte ja auch, dass unsere Musik immer auch das reflektiert, was ich mag. Das gilt für jedes Album, das wir schreiben, da gibt es immer eine Änderung.

Es ist wirklich schwer, ROLO TOMASSI stilistisch zu beschreiben, weil ihr immer noch heavy und teilweise auch chaotische Musik spielt, aber in den letzten Jahren auch Postrock einbringt. Es gibt so viele Klischees im Postrock, aber die vermeidet ihr gut. Gibt es aus dem Postrock-Spektrum einige Bands, die euch inspirieren?

Da geht es mir wie dir. Ich mag viele Postrock-Klischees nicht, das Genre ist auch echt übersättigt. Das finde ich persönlich oft langweilig, wenn die Violinen kommen und auf das Tremolo-Picking treffen. Ich glaube, Post Metal trifft bei uns eher ins Schwarze. Unser Gitarrist ist großer Fan von CULT OF LUNA, aber Post Rock ist nichts, das ich mir wirklich anhöre. Wenn es um den großen, cineastischen Klang im Post Hardcore und Post Metal geht, fallen mir ENVY ein, die machen das sehr gut. Vielleicht wäre es besser zu sagen, dass ROLO TOMASSI von Bands inspiriert wurden, die von Postrock inspiriert wurden.

„Closer“ und auch die anderen, leisen Momente auf „Where Myth Becomes Memory“ erinnern mich vom Klavier her ziemlich an SIGUR RÓS.

„Closer“ wurde auch als Klavierstück geschrieben, aber da hat mich eher elektronische Musik in Sachen Rhythmus und Struktur beeinflusst, zum Beispiel JON HOPKINS und ÓLAFUR ARNALDS. Ich meine, ich hatte da eine Idee, habe ein Stück geschrieben und dann wird das durch die Band gefiltert und so zu dem, was es schließlich endet. Ich denke, dass SIGUR RÓS aber ein guter Anhaltspunkt für ein paar Momente sein können, nur habe ich sie schon seit sehr langer Zeit nicht mehr gehört.

ÓLAFUR ARNALDS ist ein schöner Anhaltspunkt. Ich liebe seine Alben, vor allem sein Projekt KIASMOS.

Ich würde dafür sterben, ein weiteres KIASMOS-Album zu hören. Ihr Debüt ist für mich absolut perfekt. Der erste Song auf deren Album ist für mich einer der größten Einflüsse für die Ambient-Momente auf „Where Myth Becomes Memory“. Während der Produktion des Albums wollte ich immer, dass es wie KIASMOS klingt, wenn es droppt. „Almost Always“, der Opener von „Where Myth Becomes Memory“, wurde komplett verändert, weil es genau wie „Looped“ von KIASMOS klang. Es hörte sich definitiv gleich an, und das konnten wir nicht so lassen. (lacht)

Mich freut das gerade, ich kenne nicht viele Menschen, die dieses Album mögen.

Das ist definitiv ein Klassiker. Ich habe ÓLAFUR ARNALDS einige Male live gesehen, und sein Konzert 2019 in Brighton war wahrscheinlich das beste Konzert, auf dem ich jemals war. Ich habe niemals zuvor so eine emotionale Resonanz auf Musik gespürt, wie da. Das hat mich absolut gebrochen. Es war ein geradezu spiritueller Moment für mich.

“Aber auf der anderen Seite würde so ein Projekt auch bedeuten, dass es meinen Beitrag für ROLO TOMASSI verwässern würde. Ich habe viele Einflüsse aus dieser Richtung, da ist es für mich viel spannender, diese Einflüsse in unsere Musik einfließen zu lassen.” – Obwohl James Spence stark von Neoklassik und elektronischer Musik beeinflusst ist, steckt er seine kreative Energie lieber in ROLO TOMASSI.

Du klingst, als würdest du für solche Musik brennen. Als Keyboarder von ROLO TOMASSI hast du in dieser Richtung sicherlich einige Ideen. Hast du mal über ein Nebenprojekt nachgedacht?

Doch, darüber nachgedacht habe ich schon oft. Aber auf der anderen Seite würde so ein Projekt auch bedeuten, dass es meinen Beitrag für ROLO TOMASSI verwässern würde. Ich habe viele Einflüsse aus dieser Richtung, da ist es für mich viel spannender, diese Einflüsse in unsere Musik einfließen zu lassen. Wenn ich das aus ROLO TOMASSI rausnehmen und mein eigenes Projekt damit füllen würde, würden wir anders klingen. Für mich ist es viel interessanter, diese Ideen in unserer Musik zu integrieren. Und deshalb habe ich das auf „Where Myth Becomes Memory“ deutlich stärker ausgebaut. Das Klavier ist in acht von den zehn Songs zu hören, es gibt Breaks, in denen das Piano sehr zur Geltung kommt und das hilft dem Album insgesamt. Aber ja, überlegt habe ich mir sowas schon öfter. Ich würde auch wirklich gerne einen Soundtrack schreiben. Ich schreibe auch sehr konstant Musik und wenn die Zeit passt, würde ich niemals nie sagen.

Soundtrack ist ein gutes Stichwort. Eure letzten drei Alben haben ein sehr cineastisches Flair. Vor allem „Where Myth Becomes Memory“, das langsam und lang mit „Almost Always“ quasi als Intro beginnt. Dann startet die Reise, es wird heavy, es wird ruhiger bis „The End Of Eternity“ als Schlusspunkt. Hattet ihr so etwas im Kopf?

Ja, der erste und letzte Song standen von vornherein fest. Es machte viel Arbeit, die Songs dazwischen zu arrangieren, denn das Albums verlangte den richtigen Flow. Wir haben da ziemlich herumgeknobelt. Früher haben wir unsere Alben sequenziell geschrieben, da gab es eine ganz klare Vision, vor allem bei „Grievances“. Aber bei „Where Myth Becomes Memory“ haben wir uns auf die einzelnen Songs konzentriert und das Tracklisting auf später verschoben. Wir wussten, wie das Album beginnen und enden sollte. Dann ging es um die Spitzen und Täler und den Raum, um zwischendurch zu Atem zu kommen.

Das ist euch sehr gut gelungen. Und das ist auch etwas, das mich an euren letzten Alben so anspricht, wie ihr es schafft, die Balance zu halten. Es gibt immer wieder dunkle Momente, aber insgesamt spüre ich bei euch eine sehr positive Haltung. Vielleicht wirkt das auf mich aber auch nur so, weil ich viel Black Metal höre. Seht ihr euch als positive Menschen?

Na ja, wir versuchen es. Und gerade auf „Where Myth Becomes Memory“ gehen wir dem stärker nach. Das trifft gerade auf die Texte zu. Ich habe erst gestern mit Eva darüber gesprochen, sie sagte, dass „Time Will Die And Love Will Bury It“ aus einer sehr dunklen, schweren Ecke von ihr kam und dass das Schreiben und Performen für sie sehr emotional war. Das belastet, wenn man über Dinge schreibt, die einem viel bedeuten und das Abend für Abend neu durchleben muss. Also textlich ist das neue Material hoffnungsvoller und positiver. Das ist zwar schwierig zu artikulieren, wenn es über brutale, aggressive und stellenweise dunkle Musik gelegt wird, aber wie du schon sagst, wir haben die Dunkelheit dieses Mal etwas besser ausbalanciert und mehr melodische und positive Momente eingebaut. Dieses Album fühlt sich durchaus heller an und dafür haben wir uns auch bewusst entschieden. Also einerseits kam das über die Musik, die wir selbst gehört haben, als auch dass wir positiv eingestellte Menschen sein wollen.

Aber es gibt auch die dunklere und schwerere Seite auf „Where Myth Becomes Memory“. In der Vergangenheit waren diese Songs voller Chaos, jetzt ist da mehr Groove drin.

Wir haben einen neuen Drummer und er hat sich uns direkt vor den Touren zu „Time Will Die And Love Will Bury It“ angeschlossen. Al Pott, der jetzt bei uns spielt, ist ein unglaublicher Schlagzeuger, der aber nicht wirklich aus dem Metalbereich kommt und dauernd Blast Beats spielen will. Als wir mit dem Songwriting begannen, war es uns wichtig auch seine Stärken zu beachten. Und außerdem haben wir dieses Chaos mit Blasts und Tremolo-Gitarren auf den beiden Vorgängern zu genüge bedient, wir wollten also nicht unbedingt wieder dasselbe Spielfeld aufsuchen. Auch deshalb sollte es in eine andere Richtung gehen, und dazu passte eben der Stil von Al. Er mochte einfach keine Blast Beats, also war das so etwas wie sein Beitrag zur Musik. Er ist ein großartiger Drummer, das ist einfach nicht sein Stil. Wir schließen nicht kategorisch aus, jemals wieder Blasts zu verwenden, aber für dieses Album war es einfach nicht passend. Das kam also ganz natürlich.

In diese Szene der modernen, sehr erfolgreichen Metal-Bands mit Frauengesang wie JINJER und SPIRITBOX passt ihr gar nicht, obwohl ihr irgendwie sowas wie Pioniere seid. Ihr seid nach wie vor eher im Underground.

Ja, das ist okay für uns. Wir haben auch einen anderen Background. Ich verstehe diese Bands und freue mich für ihren Erfolg. Aber sie kommen eigentlich aus einer völlig anderen Szene. Wir finden uns gut, so wie wir sind. Ich finde es großartig, dass Jahr für Jahr mehr Frauen in der Metalszene präsent sind. Ich denke, die einzige Überschneidung zwischen dieser neuen Szene ist, dass wir eine Sängerin haben, die schreit und mit verzerrten Gitarren arbeiten.

OK, aber als ich zum ersten Mal „Where Myth Becomes Memory“ hörte, dachte ich: „Aha, mehr Groove, weniger Chaos, wollen ROLO TOMASSI Hörer aus dieser Szene gewinnen?“

Wir haben einfach selbst auch andere Musik gehört, die uns inspiriert hat, wie GOJIRA oder LOATHE. Generell ist aber diese Groove Metal-Szene nichts für mich. Da mag ich eher den klassischen Metalcore-Sound als das, was heute eher schon nach Nu Metal klingt. Da achte ich sehr drauf, das auf jeden Fall zu vermeiden.

Es gibt auf dem Album auch recht wilde Momente, wie in „Mutual Ruin“ mit diesem geilen CONVERGE-Riff und dem D-Beat-Drumming, die klar machen, wo ihr wirklich herkommt. Ich nehme an, du liebst sie auch?

Definitiv. CONVERGE ist einfach ein Klassiker. Seit unserer Bandgründung sind sie ein großer Einfluss für uns. Dieses D-Beat-Hardcore-Zeug, was man in „Mutual Ruin“ hören kann, liebe ich einfach und wir hatten das zuvor noch nie in unserer Musik, weil es nie wirklich die Gelegenheit gab. Aber dieser Song hat geradezu danach geschrien. Unser früherer Drummer mochte keinen punkigen Hardcore und Al hatte große Lust darauf.

Wie kann man das nicht mögen?

Ich verstehe es auch nicht. Al steht da sehr drauf und das Ergebnis ist sehr cool geworden, der Song hat viel Energie und großartigen Gesang.

Das wäre eine starke Single.

Das denke ich auch. Und von allen Songs des neuen Albums freue ich mich am meisten darauf, „Mutual Ruin“ live zu spielen.

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(c) Jake Gravbrot

Ich mag auch, wie „Mutual Ruin“ als Hardcore-Song beginnt und dann recht melancholisch endet. Das fließt ganz natürlich über. Wie schwierig gestaltete sich das Songwriting dieses Mal generell? Ihr lebt ja mittlerweile recht verstreut im vereinigten Königreich und den USA.

Das war dieses Mal wirklich anders. Wir waren darauf aber vorbereitet, weil Eva schon Ende 2018 in die USA zog. Wir wussten, dass die Arbeit an neuem Material anders werden würde. Aber wir lebten in den letzten fünf Jahren schon auf mindestens drei Städte verstreut. Das war also kein wirkliches Problem. Die größte Hürde war die Pandemie, da wir nicht reisen konnten. Wir haben also individuell viele Demos gemacht, zu Hause geübt und die Ideen per Mail hin und her geschickt. Als wir uns dann wirklich treffen konnten, waren die Ideen viel besser ausgeformt, als es normalerweise der Fall war. Daher waren wir viel organisierter. Danach änderte sich nicht viel. Wir schicken die Songs an Eva, damit sie so ihre Texte und Gesangslinien unabhängig von uns ausarbeiten kann. Das ist ihr schon immer am liebsten. Was jetzt unterschiedlich war, dass wir uns sonst im späteren Verlauf trafen und noch an Harmonien, am Timing und so weiter arbeiteten. Dieses Mal war es so, dass Eva für das neues Album alles über GarageBand aufnahm und es mir schickte. Ich versah es mit meinen Anmerkungen und sandte es zurück. Daher konnten wir den Details viel mehr Aufmerksamkeit widmen und als wir in das Studio gingen, waren wir besser vorbereitet als je zuvor.

Dort waren die Arbeitsbedingungen dann aber nicht mehr so verschieden, verglichen mit den früheren Aufenthalten?

Wir haben die Instrumente im selben Studio in Southampton aufgenommen, wo wir schon für die beiden Vorgänger waren. Das waren drei Wochen im Januar. Eva musste in New Jersey in einem Studio aufnehmen, weil sie wegen der Reisebeschränkungen nicht zu uns kommen konnte. Das war der große Unterschied. Als sie dann fertig war, ging ich wieder ins Studio, um meine Vocals aufzunehmen.

Der Sound ist aber doch etwas anders, verglichen mit den beiden Alben zuvor. Der Klang ist gesättigter und fetter und ich muss sagen, dass mir die beiden Vorgänger besser gefielen, weil sie organischer klangen. „Where Myth Becomes Memory“ ist aber glücklicherweise noch weit vom Clipping entfernt. Das ist interessant, weil sich instrumental gesehen beim Studio ja nichts geändert hat.

Ja, es war der gleiche Produzent und das gleiche Studio. Ich mag den Sound sehr, und ja es klingt anders. Aber wir wollten auch einen anderen Klang als vorher, es sollte ja nicht „Time Will Die And Love Will Bury It“ Teil 2 werden. Ich finde, dass die großen Unterschiede beim Gitarrensound zu finden sind, es gibt einige Songs, wo Chris (Cayford, Gitarrist – Anm. d. Verf.) und Nathan (Fairweather, Bassist – Anm. d. Verf) auf B gestimmt haben und nicht auf D, wie sonst bei uns üblich. Diese tiefer gestimmten Gitarren verlangen eher einen etwas moderneren, klaren Sound, als etwas Organisches. Das hat die Entscheidungen für den Sound bei den brutalen Songs beeinflusst. Aber es gibt eine gute Balance, das Piano klingt sehr natürlich. Das gilt auch für die Drums. Wir haben für das Drumming keine Samples verwendet, die wurden wirklich zu einhundert Prozent live eingespielt. Lewis unser Produzent hat da auch wirklich ein Problem damit, wenn echtes Schlagzeug durch Samples ersetzt wird.

Wir haben vorhin über die Singles gesprochen. „Cloak“ als erste Single klingt vertraut und nach gut-dass-ihr-wieder-da-seid. Dann kam „Drip“ als genaues Gegenteil davon mit seinem langen, noisigen Intro und der ausladenden Brutalität. Ich dachte dann, dass Generation Spotify, die nach weniger als 5 Sekunden auf Skip drückt, dieses Stück gar nicht hören wird. Das war also ein mutiger Schritt.

„Cloak“ war eine einfache Entscheidung und wir wussten, dass es in den Medien gut ankommen würde. Aber die Geschichte des Albums ist eine andere. Es ist progressiver und nicht immer leicht zugänglich. Also war es wichtig nach „Cloak“ zu zeigen, dass das ein eindeutiges ROLO TOMASSI-Album werden würde und wir uns nach wie vor fordern. Das Intro von „Drip“ ist für manche Hörer vielleicht wirklich etwas schwer zum Durchstehen, aber wenn der Song dann trifft, war es das wert. Die Leute sollten also wissen, dass es nicht nur Songs wie „Cloak“ geben wird. Ich finde es auch immer schwierig, Singles auszusuchen. Ich denke, das alles von uns im Kontext des gesamten Albums gesehen werden muss, und deshalb sollen auch Songs ausgekoppelt werden, die für das gesamte Spektrum des Albums sprechen. „Drip“ war also eine Seite des Albums, die wir mögen und die es wert ist, abseits vom Rest gezeigt zu werden. Aber ja, wir haben schon Bedenken, dass manche Leute das Lied skippen. Das ist dann aber deren Entscheidung. (lacht)

Ich musste mir den Song auch ein paar Mal anhören, bis er bei mir gezündet hat. Im Albumverbund wirkt er dann deutlich anders. Das Video ist übrigens auch cool. Habt ihr da eine eigene Crew?

Wir haben drei Videos gefilmt und die Crew war immer die gleiche. Sie haben auch einen Clip für das letzte Album gedreht, den wir wirklich mochten. Daher war es uns auch wichtig, dass die Qualität über die drei Videos hinweg gleich ist. Und wir wollten damit auch eine übergreifende Geschichte erzählen. Da waren sie sehr hilfreich, und haben uns kreativ begleitet. Es sollte eine Erweiterung zum Album und seiner Themen werden. Wenn man ein Video macht, sollte es auch eine Bedeutung haben und vermitteln, was man mit Musik und Texten aussagen will. Eben mehr als eine Band, die in einem Lagerhaus spielt. Wir wussten, dass die beiden Regisseure das verstanden. Es war toll, mit ihnen zu arbeiten.

“Es mag jetzt mehr Barrieren geben, aber die werden uns nicht aufhalten.” – ROLO TOMASSI lassen sich von so etwas wie dem Brexit nicht das Touren vermiesen.

Ihr plant Anfang 2022 auf Tour zu gehen. Glaubst du, dass es stattfinden kann?

Naja, wir verfolgen die Lage und ehrlich gesagt schaut es derzeit nicht gut aus. Alles was wir tun können, ist optimistisch zu bleiben und zu schauen, was die Regierungen sagen. Ich hoffe nach Weihnachten entspannt sich die Lage, also wird es sich im Januar zeigen, ob wir touren können. Wir drücken die Daumen.

Von der Pandemie abgesehen, was es für britische Bands derzeit nicht leichter macht, ist Brexit. Ein leidiges Thema, ich weiß. Wie hat sich die Arbeit für euch als Band seither verändert?

Wir sind noch nicht durch ein Post-Brexit-Europa getourt. Ich weiß, dass zusätzlicher Aufwand nötig sein wird. Wir haben mehr Papierkram zu erledigen und höhere Kosten, das ist logischerweise nicht ideal. Aber wir sind an einem Punkt in unserer Karriere, da wir diese Kosten stemmen können. Wir haben ein Publikum in Europa, das uns weiterhin unterstützt. Was wirklich enttäuschend ist, dass Steuern und Zölle für Merchandise anfallen können, aber das hält die Leute nicht davon ab, T-Shirts direkt von uns zu kaufen. Aber im Laufe des nächsten Tourjahrs werden wir lernen, wie wir mit alldem umgehen können. Insgesamt ist es natürlich enttäuschend und niemand von uns hat für den Brexit gestimmt. Wir werden jedenfalls nicht aufhören durch Europa zu touren. Wir lieben das viel zu sehr und Deutschland ist eines der Länder, in denen wir am liebsten spielen. Und das sage ich nicht nur, weil ich jetzt mit dir rede. (lacht) Wir werden dort immer sehr warmherzig aufgenommen, lieben die Gastfreundschaft und die identifizieren uns mit der Punkrock- und Hardcore-Szene dort. Die Erinnerungen sind viel zu gut, um damit aufzuhören. Es mag jetzt mehr Barrieren geben, aber die werden uns nicht aufhalten.

Diese Einstellung gefällt mir. Und auch, dass ihr eine klare Haltung in anderer Hinsicht habt. Die Shirts, die ihr über euren eigenen Kanal verkauft, sind mittlerweile alle Fairtrade.

Ja, alles, was wir drucken lassen, ist ethisch hergestellt, vegan und so weiter. Das ist uns wichtig.

Habt ihr da auch einen Einfluss auf euer Label? Dass sie euer Merch auch auf diese Weise herstellen lassen?

Das haben wir angesprochen. Wir machen da so viel, wie wir können. Aber andererseits ist eines der größeren unserer Umweltverbrechen, das wir begehen, Vinyl zu pressen. (Autsch – Anm. d. Verf) Wir versuchen natürlich, so viel im Nachhaltigkeitsbereich zu machen, wie es geht, und das schlagen wir auch unserem Label vor. Und als tourende Band ist unser CO2-Fußabdruck deutlich höher als der von einem durchschnittlichen Menschen. Aber wir können nicht über das Wasser wandeln und unser Equipment auf den Rücken durch den Kontinent tragen.

Ich habe noch eine Bonusfrage zum Abschied, die könnte aber blöd sein.

Los geht’s! (lacht)

Du hast die Band mit deiner Schwester in deiner Teenagerzeit gegründet und ihr seid die einzigen verbliebenen Gründungsmitglieder. Wie war es, deine Jugend mit deiner Schwester in dieser Band zu verleben.

Das war großartig! Wir standen uns schon immer nahe und hatten die gleichen Freunde in der Schule, hörten die gleiche Musik und hatten größtenteils gleiche Interessen. Ehrlich gesagt, werde ich das sogar oft gefragt. Und tatsächlich ist es so, dass ich die Alternative nicht kenne, ich kenne nur das Gefühl mit meiner Schwester in einer Band zu sein, und das seit echt langer Zeit. Ich finde es toll. Unsere Familie mag das auch sehr, unsere Mum kommt zu den Konzerten in Nordengland. Das ist etwas, das ich gegen nichts in der Welt eintauschen möchte.

Hattet ihr auch das entsprechende Familienumfeld, also ein musikalisches, offenes Elternhaus?

Da können wir uns sehr glücklich schätzen. Unsere Eltern haben uns immer ermutigt, Musik zu machen und Instrumente zu lernen. Ich glaube nicht, dass wir die Musik spielen, die Mum mag, aber als sie jünger war, hörte sie viel Progrock wie YES und PINK FLOYD. Da sind Elemente davon auch in dem enthalten, was wir machen, also wenn man die musikalische Lineologie verfolgt. Das versteht sie durchaus. Sie ist einfach glücklich, dass wir etwas tun, das wir lieben und das kreativ ist. Das ist genug für sie.

Cool. Ich habe mich das nur gefragt, weil ich Vater von einer bald Dreijährigen bin und im März unser Sohn zur Welt kommt. Ich dachte mir, was kann ich tun, um sie von Dingen wie Fußball und Drogen fern zu halten. Ich bin da vielleicht noch etwas früh dran.

Naja, man macht, was man kann. (lacht)

James, vielen Dank für deine Zeit! Ich hoffe, dass wir uns im Februar sehen können.

Danke für deine Fragen und bis bald!

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