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NICHOLAS LENS: L.I.T.A.N.I.E.S

„L.I.T.A.N.I.E.S“ ist eines dieser Alben, die man gerne in seiner Plattensammlung stehen haben möchte. NICHOLAS LENS steht mit seinem neoklassischem „L.I.T.A.N.I.E.S.“ für sich selbst und sollte einfach nur daran gemessen werden, was es ist: ein sehr besonderer, musikalischer Genuss mit Texten von Nick Cave.

Es steckt eine gewisse Gefahr darin, ein Album aus dem neoklassischen Genre zu besprechen, wenn man mit dessen Protagonisten nur sehr punktuell vertraut ist und auch sonst nur einen eingeschränkten musiktheoretischen Hintergrund dazu besitzt.

Nicholas Lens macht es da einem mit seinem neuen Album „L.I.T.A.N.I.E.S“ zunächst sehr einfach. Die ersten wenigen Töne lassen keine andere Option zu, als den Vergleich zum großen estnischen Meister Arvo Pärt heranzuziehen.  Im Gegensatz zum Vorgänger „Shell Shock“, eine moderne Opernproduktion, rückt Lens nun also deutlich näher an seine Hörer heran und präsentiert intime Musik im Stile der Neuen Einfachheit.

Auf “L.I.T.A.N.I.E.S.” bilden Musik, Stimmung und die Texte von Nick Cave eine Einheit

„L.I.T.A.N.I.E.S.“ stellt sich somit primär sehr reduziert dar und man mag Lens bei der ersten Erkundung des Albums beinahe jedes „mehr“ und jedes Zugeständnis in Richtung leichter zugänglicher Melodielinien übelnehmen. Selbst die eher zurückgenommene, zerbrechliche und wirklich sehr schöne Stimme von Lens‘ Tochter Clara-Lane – kein Operngesang – empfindet man während dieser frühen Begegnung als unnötig und laut. Sehr schnell wird man bei den Texten dann auf die vielen repetitiven Momente aufmerksam, man beginnt die Verschmelzung von Instrumenten und Gesang zu verstehen und zu mögen. Immer öfter treten die Vergleiche mit der Musik von Pärt in den Hintergrund und Assoziationen mit Philipp Glass kommen in den Sinn – ein dezenter Geruch von Pop-Musik schwebt im Raum. Es wird endlich Zeit den anderen Namen zu nennen: bei „L.I.T.A.N.I.E.S“ handelt es sich um die zweite Kooperation zwischen dem belgischen Komponisten und NICK CAVE. Cave tritt hier ausschließlich als Texter in Erscheinung und zeigt dabei seine große Kunstfertigkeit. Ganz im Einklang mit dem auf das wesentliche beschränkte musikalischen Ansatz, sind auch die Texte über weite Teile auf wenige, sich vielfach wiederholende Verse reduziert. Wenige Worte eröffnen Welten – Cave hat hier großartige Arbeit geleistet. Texte, Musik, Stimmung bilden eine Einheit.

Hoffnungsfrohe Melodien lassen lichte Entspannung zu, doch wird die Atmosphäre schwerer und schwerer

Die emotionale Grundstimmung von „L.I.T.A.N.I.E.S“ ist zunächst tieftraurig. Ein Werk der Einkehr und spiritueller Auseinandersetzung. Die repetitiven Gesänge im Sinne des Albumtitels schlagen wieder den Bogen zur geistlichen Musik und der Ausrichtung von Pärt’s Schaffen. Hoffnungsfrohe Melodien lassen in kurzen Passagen lichte Entspannung zu, und doch wird die Atmosphäre über die erste Hälfte des Albums hinweg schwerer und schwerer. Bei „Litany of the Yearning“ tritt dann zum ersten Mal auch Sänger Nicholas L. Noorenberg auf, der in der Verzweiflung des Songs sowohl an Cave, etwas mehr aber noch an David Bowie erinnert. Den Höhepunkt der Schwermütigkeit findet „L.I..T.A.N.I.E.S.“ dann mit dem von sakralen Tenor-Gesang (Denzil Delaere) getragenen „Litany of Fragmentation“, um dann sehr unerwartet mit „Litany of the Forsaken“ eine Auflösung in eine melancholische Leichtigkeit zu erfahren. Der kinderliedartige Refrain „O wondrous world, o wondrous world, oh I have seen it plain and know“ leitet die zweite, leichtere Hälfte des Albums ein, in der der Pop-Einfluss deutlicher in den Vordergrund tritt. Mit „Litany of Gathering Up“ gerät Lens fast schon in Gefahr, in songschreiberische Belanglosigkeit abzudriften, doch so weit kommt es nicht. Die neoklassisch geprägte instrumentale Akzentuierung lässt trotz kurzzeitiger Tendenzen ein heimeliges Einkuscheln in Wohlgefälligkeit nicht zu.

NICHOLAS LENS lässt den Hörer etwas erschöpft zurück, entfaltet dennoch die Freude auf erneutes Hören

„Litany of Divine Presence“ schließt am Ende des Albums den Kreis, knüpft nochmal an die Eröffnung an und führt durch die tragenden Themen von „L.I.T.A.N.I.E.S“. Lens lässt den Hörer etwas erschöpft zurück, kleine Längen im zweiten Teil haben ihre Spuren hinterlassen. Emotional wurde man in eine eigene Welt geführt, aus der man nicht ohne eine gewisse Regenerationsphase wieder heraustreten kann. Gleichzeitig hat das Album seine Sogwirkung entfaltet und die Freude auf das erneute Hören verdrängt die Sattheit. Auf Vinyl spiegelt die Songaufteilung auf die vier Seiten (45 RPM) die Struktur des Werks leider nicht ganz wider, eröffnet aber dennoch die Möglichkeit des gezielten Hörgenusses nach Stimmungslage.

„L.I.T.A.N.I.E.S“ ist eines dieser Alben, die man gerne in seiner Plattensammlung stehen haben möchte. Das schlichte und zur Musik passende Coverartwork erhöht den Reiz, das Album in die Hand zu nehmen und in der richtigen Stimmung aufzulegen. Schon beim zweiten Durchlauf will man Vergleiche mit Pärt oder Glass nicht mehr bemühen. „L.I.T.A.N.I.E.S.“ steht für sich selbst und sollte einfach nur daran gemessen werden, was es ist: ein sehr besonderer, musikalischer Genuss.

Veröffentlichungsdatum: 04.12.2020

Spieldauer: 62:41

Label: Deutsche Grammophon

Website: http://www.nicholaslens.com/

Line Up:
Alain Cremers  – Fagott
Amy Norrington – Cello
Midori Mori – Klarinette, Bassklarinette
Maaike Cottyn – Flöte, Alt-Flöte
Clara-Lane Lens – Keyboards, Gesang
Nicholas Lens – Keyboards
Jack Pinger – Schlagzeug
Joe Kina – Schlagzeug
Rhonny Ventat  – Saxophon
Maryna Lepiasevich  – Bratsche
Gudrun Vercampt – Violine
Claron McFadden – Gesang
Denzil Delaere – Gesang
Nicholas L. Noorenbergh – Gesang

 

Tracklist von NICHOLAS LENS “L.I.T.A.N.I.E.S”:

1. Litany Of Divine Absence
2. Litany Of The First Encounter
3. Litany Of Blooming
4. Litany Of The Sleeping Dream
5. Litany Of The Yearning
6. Litany Of Fragmentation
7. Litany Of The Forsaken
8. Litany Of Gathering Up
9. Litany Of Transformation
10. Litany Of Godly Love
11. Litany Of The Unnamed
12. Litany Of Divine Presence

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