king-apathy-wounds-cover

KING APATHY: Wounds

Melancholischer Hardcore und ich, das wird nichts mehr in diesem Leben. Wenn dann auch noch Politik hinzukommt, die mich triggert, sind zwei A4-Seiten schnell mal voll. Trotzdem ein gutes Album, irgendwie.

“Civilization kills: This is the opening track of KING APATHYs third record and there is no way around this frightening and sobering conclusion. Mankind is ruthlessly exploiting the earth. The downfall of our society is just a matter of time, because the planets’ resources are finite. Wether humanity as a species will survive the end of civilization as we know it is questionable. Will we destroy this world and make it uninhabitable for all life or can we find the strength to unlearn our destructive behaviours?”

So steht’s im Promoblatt zu “Wounds”, dem neuen Album von ex-THRÄNENKIND, jetzt KING APATHY, und so schön der alte Name war, so hässlich ist der neue. Schade, aber eine Nebensache gegen das, was mich an diesem Text so ärgert. An dem stimmt nämlich lediglich eins: Die Menschheit als Ganze ist durch von Menschen ausgelöste Klimaerwärmung in ihrer Existenz bedroht. Verantwortlich gemacht werden dafür aber gleich mehrere Konstrukte, die so nie und nimmer als solche dafür verantwortlich sein können: 1. “Die Zivilisation” (die ist älter als der Kapitalismus), 2. “Die Menschheit” als handelndes Subjekt (eine sinnlose Abstraktion) und 3. “Wir” („Ich höre immer wir. Wer is’n das – wir? Sie und ich? Und der Herr da – und die Dame da – und der alte Mann da? Also wir machen das Geschäft? Mensch… das glauben Sie doch selber nicht!” – aus Bertolt Brechts “Kuhle Wampe”; die Szene kann man hier nachlesen und hier als Sample in einem schönen Lied einer politisch wie musikalisch hervorragenden Hardcore-Band anhören). KING APATHY behaupten nun, “die Menschheit” verhalte sich einfach “apathisch”, und dadurch gehe der Planet den Bach runter.

Durch ihre fehlerhafte Analyse erzeugen KING APATHY das Problem, das sie beklagen, selber mit

So einfach ist es aber nicht. “Wir” leben in einer Welt bürgerlich-kapitalistischer Staaten. In dieser gibt es kein Subjekt “die Menschheit”, sondern Staatsbürgerinnen und -bürger, die wiederum durch ihr Eigentum in verschiedene Klassen von Menschen aufgeteilt sind und somit verschiedene Voraussetzungen und Interessen haben, verschiedene gegeneinander stehende Interessen auch noch. Durch die Behauptung eines abstrakten Menschheitssubjekts wird also Ohnmacht und Hilflosigkeit erzeugt, denn gäbe es das, könnte man als Einzelner und selbst als kleine Gruppe ja tatsächlich herzlich wenig ausrichten gegen die ganze Menschheit; ein wunderbarer Nährboden für Apathie und Depression.

Insofern ein zutreffender Bandname: Durch ihre fehlerhafte Analyse erzeugen KING APATHY das Problem, das sie beklagen, selber mit. Wenn sie wirklich etwas gegen den Kapitalismus tun bzw. sich mit ihm beschäftigen wollten – und das wollen sie, wenn ich das Promoblatt weiterlese und das Bandfoto mit dem Anarchie-Button auf der Jeanskutte anschaue, erklärtermaßen -, müssten sie von derart abstrakten Behauptungen Abstand nehmen und stattdessen analysieren, was Staat und Kapital tatsächlich tun und welche Interessen sie verfolgen. Ein Gedanke dazu: Kapitalismus ist ein System, das auf permanentem Wirtschaftswachstum (durch Konkurrenz privater Kapitale) basiert, und permanentes Wirtschaftswachstum schert sich zwangsläufig einen Scheißdreck um den Planeten als Ganzen; denn wenn das Kapital den dauerhaften Drang hat zu expandieren und darin von den Staaten, in denen sie Steuern zahlen, gefördert wird, entsteht ein Wettstreit dieser Kapitale und ihrer Staaten gegeneinander. Dabei geht es um Ressourcen und Absatzmärkte. Das heißt, solange der eigene Staat genug Ressourcen und polit-ökonomische Machtmittel hat, um wirtschaftlich zu wachsen, können die anderen gerne so weit den Bach runtergehen, bis fast gar nichts mehr aus ihnen rauszupressen ist (und dann gibt’s “Entwicklungshilfe”). Es ist ein einziges Hauen und Stechen, ja, aber eines, in dem ziemlich wenige sehr mächtige Menschen ziemlich unter sich sind und die meisten anderen Menschen sehr darunter leiden.

Nicht die Ursache, sondern das Opfer

Emanzipation und Ermächtigung, gegen die Ohnmacht, setzt voraus, die eigene Position in diesem System verstanden zu haben: Als lohnabhängiger Mensch bist du eben nicht der Verursacher des drohenden Weltuntergangs, sondern eines seiner Opfer. Dein “ökologischer Fußbabdruck” ist ein lächerlicher Fliegenschiss gegenüber dem, was Staat und Kapital durch Produktion und Militär den ganzen Tag in die Atmosphäre und die Weltmeere pusten – von den Menschen, die sie ganz altmodisch einfach so umbringen, mal ganz zu schweigen. Das einzige, was man dir vorhalten kann, ist, dass du dich nicht mit anderen lohnabhängigen Menschen zusammentust, um dir Klarheit darüber zu verschaffen und dann evtl. etwas daran zu ändern. Wie aber sollst du auf so eine Idee kommen, wenn dir depressive Metalcore-Bands ständig erzählen, dass “die Menschheit” als Ganze verkackt hätte und du deshalb halt nichts anderes tun könntest als jetzt mal gefälligst endlich anzufangen, dich vegan zu ernähren und Bäume zu besetzen?

Du kommst ja stattdessen evtl. sogar auf ganz andere Ideen – auf die z.B., dass die anderen lohnabhängigen Menschen total scheiße sind, weil sie sich anders ernähren als du, mehr Plastik verbrauchen als du, weniger Bäume umarmen als du, kurz gesagt: Du und deine Freunde, ihr seid die einzigen guten Menschen, und eigentlich haben die ganzen anderen ihren Tod auch echt mal verdient. Es ist – anders als beim traditionellen naturverbundenen Black Metal, der Politik einfach klar ablehnt – eine unappetitliche Attitüde, die vorgibt, die Welt verbessern zu wollen, sich aber letztlich eben in einer “Wir sind alle scheiße”-Mentalität verliert und damit genau das ist, was sie nicht sein will: politisch kontraproduktiv, die Apathie verstärkend. Diese Tendenz, tatsächliche politische Inhalte entweder als “zu schwer”, “zu langweilig”, “veraltet” oder “sinnlos” abzulehnen und stattdessen moralistisch-elitäre Zirkel zu gründen, in denen man sich in szenekompatibler Geheimsprache ständig gegenseitig der eigenen Enttäuschung über die geteilten Ideale versichert, ist in der vermeintlich politischen Hardcore-Szene schon seit langem zu beobachten.

Irgendwie links-politisch, gar anarchistisch, ist das dann jedoch nicht mehr. Es ist Elitendenken mit Hang zur Misanthropie, mithin im schlimmsten Fall anschlussfähig an die Neue Rechte, im besten auf direktem Wege in die grüne Parteipolitik, wo dann – die klimastreikenden Schüler*innen machen es vor – unterm Strich nur mehr zweierlei übrig bleibt: der hilflose Appell an “die Politiker”, “endlich mal was zu unternehmen” (Warum sollten sie etwas für einen Zweck unternehmen, der ihnen untergeschoben wird? Die haben ganz andere Sachen vor), und der ständige Verdacht gegen sich und seine Mitmenschen, nicht klimafreundlich genug zu leben.

“Wounds” ist trotz allem ein hervorragendes Stück melancholischer Hardcore

Nun geht es zum Glück auch anders, z.B., indem man das von der Musik vermittelte Gefühl eben einer rationalen Prüfung unterzieht und den Verstand regelmäßig durch politische Bildung und Debatte schärft; so kann man Musik (und Kunst generell) dann nutzen als Folie für eine sinnvolle Reflexion über Musik und die Weltlage. Und apropos Musik: “Wounds” ist ein Musikalbum – ist es denn ein gutes?

Schon irgendwie. Es taugt nämlich im Prinzip durchaus dafür, das Gefühl der Melancholie und des Weltschmerzes, das sich eben selbst bei den wackersten Revolutionärinnen angesichts der bedrückenden politischen Weltlage hin und wieder einstellen wird, in Lieder zu gießen. Zwar kranken KING APATHY wie so viele vor ihnen an dem Missverständnis, dass Hardcore und Metal irgendwie miteinander in Einklag zu bringen wären, aber die Atmosphäre bleibt zunächst erhaben genug, um den Hörer tatsächlich im Wald und nicht etwa in einem kalten Bunker mit stimmungsvoller Wandtapete stehen zu lassen. Je länger das Album dann dauert, desto stärker kommt der Hardcore-Anteil zum Tragen, auch doomet es sich gut durch die Gegend, und spätestens bei “He Missed The Stars” befinden wir uns dann doch mitten im Bunker, und alles ist voller Crust-Kutten. Das Album endet dann nach einer Stippvisite bei der hymnischen Romantik wieder auf einer erhaben-melancholischen Note. Es wird vielen Menschen gefallen, denn musikalisch machen KING APATHY für Freundinnen und Freunde dieses Stils eigentlich alles richtig. Auch die Produktion spendiert ihnen dafür das passende trockene, aber ungemein wuchtige Schlagzeug und den dramatischen Gitarrensound, die Growls können sich mit den Besten des Genres messen lassen, und die Songs sind effektiv aufgebaut.

Ich verstehe sie nur leider nicht – weder die musikalische (wenn zwei Sachen nicht zusammenpassen in meiner Welt, dann Melancholie und Metalcore) noch die inhaltliche Herangehensweise. Aber ich muss ja auch nicht alles verstehen. Bin dann mal im Wald…

Veröffentlicht am 22.2.2019 bei Lifeforce Records
King Apathy auf Bandcamp

Spielzeit: 45:39 Min.

KING APATHY – “Wounds” – Tracklist

1. Civilization Kills
2. The Scars Of The Land
3. Cleansing
4. Great Depression
5. Revelation Time
6. He Missed The Stars
7. Reverence
8. Wounds
9. Earthmother Rising

Total
0
Shares
WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner