blank

JESU: Jesu

Atemberaubend schöner Ambient Doom.

Wer sie noch kennt, wird allein beim Aussprechen ihres Namens Gänsehaut bekommen: GODFLESH. Einige Jahre sind seit dem – mehr oder weniger – Auseinanderbrechen der Band ins Land gezogen, manch einer wird sich gefragt haben was wohl die Musiker heute machen. Fronter und Gitarrist Justin Broadrick – schon immer ein kleiner Tausendsassa – hat trotz einiger Techno- und Hip Hop-Projekte wieder eine Gitarre umhängen und entführt den Hörer zusammen mit GODFLESH-Trommler Ted Parsons mit seiner neuen Maschinerie in bisher unbekannte Sphären – um Gänsehaut zu erzeugen, wie man sie nur selten erlebt.

JESU zu kategorisieren fällt auf den ersten Blick leichter, als man glauben möchte. Schlicht und ergreifend extremer Doom wird dargeboten, doch Anhänger von KHANATE sollten nicht zu früh jubeln. Denn was die Band abhebt, ist die wunderschöne Atmosphäre, die kleine Wunder bewirkt. Klingen der verzerrte Bass, der so sehr in der Magengrube wildert, dass einem Übel werden kann und die Gitarrenriffs finster und nihilistisch, so wird man durch die geschickt eingesetzten Samples und Synthies aus der Lethargie gerissen. Es ist einfach wunderschön, was JESU auffahren, selbst wenn es schmerzt. Doch das Licht überwiegt der Dunkelheit, auch wenn stellenweise anders wirkt.

Ebenfalls großen Anteil an der positiven Ausstrahlung der Musik hat der eigentlich todtraurige klare Gesang von Justin Broadrick, der durch seine schlichte Melodieführung das Gesamtbild wunderbar melancholisch wirken lässt. Dies in Verbindung mit der Elektronik erschafft nicht nur eine sperrige Eigenständigkeit. Es erschafft vor allem Tränen, die einem – ob man es will oder nicht – die Wangen herunterkullern. Vor Trauer und vor Freude. Die acht Stücke auf Jesu sind majestätisch wie stolz, und vor allem Tired of Me und Sun Day könnte man perfekt zur Untermalung eines Historiesfilms verweden, wenn der König gerade sein Leben aushaucht.

Also nichts mit futuristisch, trotz des Einsatzes von vielen elektronischen Elementen wirkt das Debütalbum von JESU sehr bodenständig. Soundscapes ja, überladene Kompositionen nein. Und trotz der schönen, sich daraus ergebenden Ausrichtung sorgen JESU für den schwersten Angriff auf das Zentralnervensystem seit Times of Grace von NEUROSIS: Man/Woman kriecht im Schneckentempo dahin, klingt noch am ehesten nach GODFLESH, wie eine Maschine, die unaufhörlich stampft. Der Hörer wird zerdrückt von der Wucht, der Intensität, der Wut, dem Schmerz. Das alles wird erschaffen mittels ein paar gebrüllten Worten, mit ein paar Riffs, mit einem langsamen Beat. Das ist Kunst. Pure Kunst. Zum Glück entlässt Jusin Broadrick den Hörer nicht mit diesem Lied, es hätte schlimme Auswirkungen. Guardian Angel entführt den Hörer nach diesem Schock in gewohnter Ruhe.

Obwohl dieses Album deutliche Überlänge und die Songs sehr lang und minimalistisch gehalten sind wirkt es sehr kurzweilig. Fast schon zu kurzweilig. Dieser Trip durch die Gedankenwelt des Justin Broadrick ist schlicht und ergreifend faszinierend, verstörend und wunderschön. Man kann eigentlich nicht genug davon kriegen, doch die Erschöpfung steht dem Hörer danach ins Gesicht geschrieben. Diese Scheibe fordert verdammt viel und sie gibt dem Hörer etwas zurück. Geborgenheit, Wärme und ein neues Erleben von Grenzerfahrungen. JESU kann man nicht nebenbei konsumieren, schon gar nicht zu jeder Tageszeit. Dennoch sollte man als aufgeschlossener Hörer von extremer Musik dieses Meisterwerk nicht missen. Pardon, man DARF es nicht missen. Und da dieses Gefühl, diese Intensität, die von diesem Album ausgeht eigentlich gar nicht beschrieben werden kann und dies auch nur ein kläglicher Versuch meinerseits war, schließe ich mit den Worten: Atemberaubend schön.

Veröffentlichungstermin: 18. April 2005

Spielzeit: 74:29 Min.

Line-Up:
Justin K. Broadrick – Guitars, Vocals, Bass, Programming

Ted Parsons – Drums, Percussion

Diarmuid Dalton – Bass (Songs 1, 3, 4, 8)

Paul Nerville – Guitars (Song 7)

Produziert von Justin K. Broadrick
Label: Hydra Head Industries

Homepage: http://www.avalancheinc.co.uk

Tracklist:
1. Your Path to Divinity

2. Friends are Evil

3. Tired of Me

4. We All Faulter

5. Walk on Water

6. Sun Day

7. Man / Woman

8. Guardian Angel

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner