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FLOTSAM AND JETSAM: Blood In The Water

35 Jahre nach ihrem Debüt liefern die Thrash-Dinos FLOTSAM AND JETSAM mit „Blood In The Water“ ein bombenstarkes Album ab, das ordentlich die Krallen zeigt. So hungrig und bissig klangen sie vielleicht seit „No Place for Disgrace“ nicht mehr. Wer die Band aus den Augen verloren hatte, sollte sie schnellstens wieder auf die Karte setzen. Ich lege mich fest: ein Thrash-Highlight des Jahres!

Hallo, liebe Metal-Heads! Wir müssen mal reden. Seit 40 Jahren treibt da draußen eine Band ihr Unwesen, die jede Beachtung verdient hätte. Die definitiv zu den lebenden Legenden des Thrash Metal zählt, zu den Mitbegründern des Genres. Und ich weiß ja: Die haben nicht immer nur Knaller-Alben veröffentlicht, auch so einige Durststrecken hinter sich. Magere Zeiten, in denen sie sich durch schlechte Verkaufszahlen und leere Konzerthallen kämpfen musste. Aber dass diese Band immer noch da ist, kann wirklich kein Zufall sein. Das spricht für Hunger, Leidenschaft: und Qualität. Sucht noch jemand einen Anwärter für das Thrash-Highlight des Jahres? Voilà! FLOTSAM AND JETSAM liefern mit „Blood In The Water“ ihr vielleicht bestes Album seit 30 Jahren ab.

Nein, die Metal-Geschichtsschreibung meinte es nicht immer gut mit den Jungs aus Arizona. Die, okay: Jetzt auch schon eher Opas sind. 56 Jahre alt ist Sänger Erik A.K. Knutson, neben Gitarrist Michael Gilbert einziges Mitglied, das auf dem Debüt von 1986 schon zu hören war. Wohl ewig werden FLOTSAM AND JETSAM als die Band wahrgenommen, die Jason Newsted nach dem Debüt verlassen hat, bevor er sich METALLICA anschloss. Es ist müßig zu spekulieren, ob die Karriere der Band anders verlaufen wäre, wenn Newsted geblieben wäre. Erfolgreicher, strahlender. Ihm wäre es immerhin erspart geblieben, als Sandsack von James Hetfield und Lars Ulrich zu enden. Und mit „…And Justice for All“ auf einem Album Bass zu spielen, auf dem definitiv kein Bass zu hören ist.

FLOTSAM AN JETSAM klingen wieder verdammt hungrig

Aber es geht hier nicht um die Vergangenheit: speziell die Nullerjahre, als FLOTSAM AND JETSAM nur ein Schatten ihrer selbst waren und kaum noch jemand einen Pfifferling auf die Band setzen wollte. Spätestens seit dem selbstbetitelten Album von 2016 zeigt die Formkurve der widerspenstigen Recken wieder steil nach oben. Bereits der Vorgänger „The End Of Chaos“ von 2019 erhielt hervorragende Kritiken – und auch die Verkaufszahlen, so wird in Szenekreisen berichtet, stimmen wieder. Also anschnallen, denn der jüngste Output legt fast noch eine Schippe drauf.

Bereits der titelgebende Opener „Blood In The Water“ prescht mit galoppierenden Gitarren nach vorn, als gelte es, verlorengegangenes Terrain überfallartig zurückzuerobern. Ein furioser Ritt, unterbrochen durch melodische Leads und hart schneidende Soli. So hart klangen sie lange nicht. Aber es war schon immer eine Stärke der Band, ihren Thrash mit Harmonien zu spicken, immer wieder in Richtung Power Metal zu schielen. Das gelingt ihnen auch deshalb, weil Knutson ein verdammt guter Sänger ist, der giftig bellen und shouten kann – aber auch hohe Tonlagen sicher meistert, die er klar und kraftvoll intoniert. Ja: Das kann er auch mit 56 Jahren noch. Und so werfe ich mal meinen Handschuh in den Ring: Durchaus kann man sich im melodischen Refrain an den seligen Warrel Dane von NEVERMORE erinnert fühlen – oder gar an Geoff Tate zu QUEENSRYCHE-Zeiten? Ganz starker Einstieg.

Furios geht es weiter. „Burn the Sky“ ist auch ein Nackenbrecher vor dem Herrn. Die Leads überschlagen sich, das Tempo bleibt im Anschlag: auch wenn der Gesang hier eher an OVERKILLS Blitz erinnert. Im Video sehen wir brennende Wälder, eine Anti-Kriegs-Hymne, Knutson keift leidenschaftlich und anklagend. „Wer bist du, dass du entscheidest, wer lebt, wer brennt und wer stirbt?/ Du bist nicht kühn genug Entscheidungen zu treffen, die nur Gott treffen sollte/ Brenne den Himmel nieder/ Du bist zum Sterben geboren!“, schreit der graubärtige Frontmann. Überhaupt kann das Thrash-Revival zum Teil auch darin begründet sein, weil die apokalyptischen und -ja- mitunter politischen Texte der späten 80er so aktuell sind wie selten zuvor. Der Planet brennt, Demokratien kippen: Da braucht es Hymnen für (oder gegen) die Zerstörung.

Auch die ruhigeren Songs überzeugen

Um das gleich vorweg zu nehmen: Mit dieser hohen Schlagzahl geht es nicht durchgehend weiter. Ist ja auch kein Wunder: Wer mit den Gegebenheiten des modernen Fußballs vertraut ist (Ich muss jetzt mal hier den Stammtisch-Trainer geben), der weiß, dass es nicht über die volle Distanz hohes Pressing und volle Attacke geben kann. Da werden die Beine müde, kommt die Mannschaft an ihre körperlichen Grenzen: Hansi Flick sei mein Zeuge. Und so nehmen auch FLOTSAM AND JETSAM im weiteren Verlauf gelegentlich das Tempo raus, überlassen dem Gegner den Ball: Schielen mehr in Richtung Power Metal und präsentieren sogar Halbballaden. Aber das ist alles kein Problem, solange das Songwriting stimmt. Spoiler: Ja, das funktioniert hier sehr gut. Auch wenn nicht alle Kritiker*innen überzeugt sein mögen.

Song Numero drei, ebenfalls eine früh ausgekoppelte Single: „Brace For The Impact“, ist noch so eine schneidende, nach vorn peitschende Thrash-Hymne. Giftig, voller Energie. Knutson erwartet den Aufprall angesichts einer Welt, in der es einen hohen Preis kostet, sich nicht anzupassen und den eigenen Weg zu gehen. „Der Terror trifft dich vor dem Willen zu überleben“, heißt es in der Strophe. Slogan, die es Wert sind, an Häuserwände gesprüht zu werden. Aber bereits hier gibt es eine melodische Bridge, in der FLOTSAM ausspielen, was sie früher schon ausgezeichnet hat. Sind die Songs auch recht simpel gebaut: Strophe-Refrain-Strophe, so gibt es zwischendrin progessive Spielereien, die zeigen, dass wir es hier mit sehr kompetenten Musikern zu tun haben. IRON MAIDEN stehen bei manch melodischer Lead-Gitarre Spalier. Und so mischen sich in die einfach gebauten Songs immer wieder filigrane Momente: kleine Kunststückchen, die auch Fans der Eisernen Jungfrauen und Co. viel Respekt absondern sollten. Nein, das Wort “Jazz” habe ich nicht gebraucht.

Eine harmonieverliebte Mannschaft

Man muss es ja sagen: FLOTSAM AND JETSAM haben anno 2021 eine sehr kompetente, nun ja: spielfreudige Mannschaft zusammen. Der zweite Gitarrist Steve Conley, ein glühender Verehrer von YNGWIE MALMSTEEN, ergänzt sich ganz wunderbar mit Urgestein Michael Gilbert. Er liebt die Melodien, will sich nicht einfach mit shreddernden Thrash-Songs zufrieden geben. Virtuose Leads und Harmonien sind gefragt. Bestes Beispiel: die im Midtempo groovende Power-Metal-Hymne „The Walls“, die NEVERMORE wirklich gut zu Gesicht stünde.

Schon nach wenigen Sekunden setzt eine melodieverliebte Harmonie-Gitarre ein. Es ist eine Hommage an Jake E. Lee, wie Conley ohne Zaudern im Pressetext eingesteht: Jener Virtuose, der unter anderem die Hardrock-Legenden BADLANDS mit seinem Gitarrenspiel veredelte. Und natürlich OZZY OSBOURNE auf „Bark at the Moon“ oder „Ultimate Sin“. Gitarren-Hero, eher aus der zweiten Reihe. Aber einer, der nicht genug gewürdigt werden kann. Schlagzeuger Ken Mary hat sich seine Sporen schon bei ALICE COOPER und den HOUSE OF LORDS verdient. HOUSE WHO? Sehr amtliche Melodic-Rock-Band, die Ende der 80er Jahre mit mächtigen Power-Balladen wie „Love Don’t Lie“ oder „It Ain’t Love“ glänzen konnten. Fragt mal die Föhnwellen mit Spandex-Hosen. Die wissen viel Gutes darüber zu berichten.

Die zweite Überraschung folgt umgehend: die Halbballade „Cry for the Dead“. Damit haben FLOTSAM AND JETSAM ihre Erlebnisse in Zeiten der Corona-Pandemie verarbeitet, wie die Band im Pressetext berichtet. Ein persönlicher Song: „Für die Freunde, die wir im letzten Jahr verloren haben“, heißt es da. Und man weiß nicht, ob diejenigen verstorben sind: oder in Lockdown-Zeiten einfach nicht da waren. Vieles spricht für die dramatischere Version. FLOTSAM AND JETSAM gehören – ihrem Alter entsprechend – ja auch eher zur Risikogruppe. Gute Nummer mit catchy Refrain. Der Bassist: Jason Ward, ist übrigens auch schon seit 1991 dabei. Und einer der interessanteren Vertreter des Genres, unter anderem auch auf Solo-Alben von JUDAS PRIEST-Shouter Rob Halford aktiv.

Also eine Mannschaft, die -trotz überschaubarer Verkaufszahlen- locker in der Champions League bestehen kann. Und hier so hungrig und siegesgewiss musiziert wie selten zuvor. Diese Mischung aus Thrash und Power Metal -eingängige Banger, dezentes Virtuosentum- beherrscht kaum eine Band so überzeugend wie FLOTSAM AND JETSAM anno 2021. An der Klasse dieses Albums können sich viele Newcomer und etablierte Veteranen ein Beispiel nehmen. Klar: Die moderne Produktion von VOLBEAT-Hausproduzent Jacob Hansen (der zuletzt auch EVERGREY oder DESTRUCTION veredelte), könnte erneut für Diskussionen sorgen. Ist natürlich Quatsch: Der Sound klingt druckvoller und transparenter als die frühen FLOTSAM-Klassiker aus den 80er Jahren, die eben doch auch etwas rumpelig daher kamen.

Keine Sorge: Kraftvolle Thrash-Nummern gibt es auch im zweiten Teil der Platte. Das flott groovende, einige progressive Wendungen nehmende „Wicked Hour“, das ebenfalls im flotten Galopp nach vorn prescht: ein Song, der headbangend genossen werden muss. Oder „Dragon“, das gleichsam selbstbewusst die Attacke reitet: Das Album klingt frisch, kraftvoll, kreativ, selbstbewusst. Und mit eingängigen Refrains versehen. Der Pre-Chorus von „Dragon“ lädt sogar zum Mitsingen ein: Vernehme ich da eine kleine Prise Stadion-Rock? Der nächste Nackenbrecher kommt garantiert: „Reaggression“. Hooks und Hunger lassen auch diesen Song souverän durch die Wand brettern. Oder das abschließende “Seven Seconds”: Das ist schon wieder so eine geile, satt rockende Nummer!

FAZIT: Glaubt niemand, der Euch dieses Album schlecht reden will. Manche Review in Konkurrenz-Magazinen fiel nicht ganz so überzeugend aus: Aber ich bitte hiermit jeden Rezensent in den Ring, der auch nur ein Haar in der Suppe zu finden vermag. Ein gutes, kraftvolles und hungriges Thrash-Metal-Album: und ein Favorit in den Jahrespolls. Absolut State of the Art. Viel besser kann Thrash anno 2021 nicht klingen.

Label: AFM Records

Veröffentlichungstermin: 04. Juni 2021
Mehr im Internet: http://www.flotstildeath.com/

FLOTSAM AND JETSAM: “Blood In The Water” Tracklist

01 Blood In The Water (Lyrics-Video bei YouTube)
02 Burn The Sky (Video bei YouTube)
03 Brace For Impact (Video bei Youtube)
04 A Place To Die
05 The Walls
06 Cry For The Dead
07 The Wicked Hour
08 Too Many Lives
09 Grey Dragon
10 Reaggression
11 Undone
12 Seven Seconds ‘Til The End Of The World

Aktuelle Besetzung:

Gesang: Eric A.K.
Gitarre: Steve Conley
Gitarre: Michael Gilbert
Bass: Jason Ward
Schlagzeug: Ken Mary

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