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DREAM THEATER: Octavarium

Lässt keine Zweifel an der Perfektion aufkommen.

Egal, wieviel man vor dem Release eines neuen DREAM THEATER-Albums darüber zu wissen meint, letztendlich wird jede aufgesogene Newsmeldung, jedes Mini-Sample und die erheiternden Diskussionen im Mike Portnoy-Forum über das Cover (ist das Seil an der rechten Kugel zu kurz?) an dem Punkt zur Makulatur, wenn es darauf ankommt, sich auf die Musik zu konzentrieren. So braucht die Verifizierung der Meldung, wonach die New Yorker auf ihrem neuen Album wieder mehr an Vielseitigkeit zugelegt haben wollen, erstmal einige Zeit.

Octavarium fängt nämlich dort an, wo Train Of Thought endete. Im Opener The Root Of All Evil (Alkohol!) wird neben Zitaten aus This Dying Soul auch die musikalische Linie des harten 2004er Outputs fortgesetzt. Mit The Answer Lies Within folgt dann aber eine waschechte Ballade, bei der sich James Labrie hörbar wohl fühlt. Wesentlich spektakulärer ist das darauf folgende These Walls, das sich durch meisterhaft geglättete Wogen aus Härte, Harmonie und Ruhe auszeichnet.

Zur weiteren Einlösung des Versprechens an Vielseitigkeit gewinnen zu wollen, trägt das poppig arrangierte I Walk Beside You bei. Da werden einige Erinnerungen an You Not Me (FII) wach. Genauso wie dieser Song zu seiner Zeit (1997) durch Sounds aus der Grunge-Rock Ära geprägt und in ein radiotaugliches Format gebracht wurde, versteht sich I Walk Beside You darin, ein simples wie effektvolles Gitarrenriff zu betonen und es mit dem kraftvollen Refrain – ganz im Zeitgeist – zu seinem Markenzeichen werden zu lassen.

Noch bevor irgendjemand fragen kann, wo die Komplexität bleibt, folgt Panic Attack. Hektische Gitarrenriffs mit Kellerstimmung, atemberaubendes Tempo, eine ausgedehnte Instrumentalpassage und nahezu apokalyptische Harmonien – eine klasse Song, der zur ausgiebigen Analyse einlädt. Ebenso Never Enough. Beide Tracks rauschen am Hörer vorbei, ohne, dass erstmal auch nur der Ansatz einer differenzierten Wahrnehmung gelingt. Doch der Punkt, der über das Schicksal dieses Albums entscheiden soll, kommt erst jetzt. Die letzten beiden Songs, 35 von 75 Minuten, definieren Octavarium. Es ist wie das letzte Viertel in den NBA-Finals: Bulls oder Suns, Jordan oder Barkley?

Das zehnminütige Sacrificed Sons lässt die Crunch-Time gar behäbig beginnen. Vier Minuten zieht sich das balladeske Piano-Intro hin. Danach wird´s gewohnt und erwartet progressiv, jedoch ohne dabei die gewaltigen Harmoniebögen zu zerstören. Ein Hauch von Metropolis Pt. 2: Scenes from a Memory (1999).

Mit dem Titeltrack Octavarium begeben sich DREAM THEATER näher in Richtung des 70er-Prog-Rocks. Fragmente von PINK FLOYD sind im wieder überlangen Intro zu hören. John Myung`s Slap-Bass-Passage, die den Hauptteil von Octavarium einleitet, kommt einem Befreiungsschlag gleich. Die typischen Orgel-Sounds, denen sich Jordan Rudess im hektischen Mittelteil bedient, klingen, komponiert von DREAM THEATER, einfach nur umwerfend gut. Wem kommen da nicht die vielen kläglichen Neo-Prog-Werke in den Kopf, die Jahr für Jahr versuchen mit Orgel und Flöte die 70er wieder auferstehen zu lassen und daran kranken mit ihren Instrumenten fesselnde Harmoniebilder zu kreieren? Nicht so Octavarium. Man leiert herunter als wäre es eine Selbstverständlichkeit: mörderische Unisono-Linien, präzise Highspeed-Soli und perfekte Odd times – ausgeführt ohne harmonische Geschmacksverirrungen. Vielleicht ist dieser Song ein Hinweis darauf, wo die Zukunft dieser Band liegt. Andererseits könnte sie auch ganz woanders liegen.

Mission accomplished gilt auch für das neuste DREAM THEATER-Album. Wir haben alle angefangen mit dieser Band den progressiven Metal zu lieben und wir werden ihn erst hassen, wenn die Berklee-Absolventen beginnen, nur noch Sammelboxen und Sondereditionen herauszubringen. So lange gilt: Wir lieben diese Band. Wer das nicht zugibt, gehört entlarvt! Wen interessieren bei dieser Takt für Takt überragenden Qualität eigentlich ein paar zu lange Intros?

23, Bulls!

Veröffentlichungstermin: 06.06.2005

Spielzeit: 75:00 Min.

Line-Up:
Mike Portnoy – Drums

Jordan Rudess – Keyboards

John Myung – Bass

John Petrucci – Guitars
Label: Warner Music Germany

Homepage: http://www.dreamtheater.net

Tracklist:
1. The root of all evil

2. The answer lies within

3. These walls

4. I walk beside you

5. Panic attack

6. Never enough

7. Sacrificed sons

8. Octavarium

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