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DREAM THEATER: Black Clouds & Silver Linings

Wie der Titel sagt: schwarze Wolken und (ganz vereinzelt) Lichtblicke.

Noch vor zehn Jahren herrschten im Progressive Metal geordnete Verhältnisse: DREAM THEATER waren gefallene Götter. Mit SHADOW GALLERY, SPIRAL ARCHITECT, PAIN OF SALVATION und POWER OF OMENS gab es musikalische Alternativen, die allerdings nur in der Szene selbst bekannt waren. Sicherlich gibt es auch heute noch ambitionierte Bands, die die Grenzen des Metal ausloten. Nur gab es früher eben einen gemeinsamen Nenner, der die unterschiedlichsten Gruppen stilistisch miteinander verband. Fans von FATES WARNING und WATCHTOWER wussten intuitiv, dass eine Band wie VAUXDVIHL sie begeistern würde. Dabei haben alle drei Bands ihren ganz eigenen Stil.

In den folgenden Jahren zerstreute sich das Genre. Wer PORCUPINE TREE, TOOL und THE MARS VOLTA für sich entdeckte, kümmerte sich meist wenig um eine SIEGES EVEN-Reunion oder ein Lebenszeichen von JOHN ARCH. Das Publikum von SYMPHONY X, MESHUGGAH und KORN überlappt sich vermutlich nur wenig. DREAM THEATER profitieren davon, dass sie Fans aus allen Lagern ein Stück weit ansprechen. Nostalgiker bekommen beim Anblick des Bandnamens immer noch glasige Augen, während junge Musiker und Musikfreunde auf der Suche nach spieltechnischen Helden immer wieder bei DREAM THEATER landen. Denn in dieser Hinsicht sind die Herren Petrucci, Portnoy, Myung und Rudess klar Weltspitzenklasse. Da können Kritiker noch so sehr darüber schimpfen, Mike Portnoy könne keinen einfühlsamen Jazz-Groove spielen, selbst wenn sein Leben davon abhängen würde.

Wer Spielkultur auf höchstem Niveau erleben will, bekommt auf Black Clouds & Silver Linings einmal mehr das volle Programm geliefert. Wer sich die 3-CD-Version zulegt, kann dem Treiben auch ohne ablenkenden Gesang von James LaBrie lauschen. Der Kanadier ist zwar gewohnt gut bei Stimme, aber wie schon auf den letzten Alben wurde sein Beitrag schlecht ins Gesamtbild integriert. Sporadisch steuert Mike Portnoy auch wieder seine Krümelmonster-Stimme bei. Gesangliche Schwächen sind im Progressive Metal sicher nichts Ungewöhnliches. Nur erstaunt es mich nach all den Jahren immer noch, dass die erfolgreichste Band des Genres ihren Frontmann wie einen Gastmusiker behandelt und sich mit technisch tadellosem, aber im höchsten Maße unmotiviertem Gesang zufrieden gibt. Im Refrain von The Count Of Tuscany etwa bekundet LaBrie nüchtern, er wolle noch nicht sterben. Ein richtiger Sänger würde hier flehen, würde einen Unterton der Verzweiflung in seiner Stimme haben, würde seinen innersten Überlebensinstinkt nach außen kehren.

DREAM THEATER haben aber nicht nur ein (kleines) Sängerproblem; sie haben auch ein Liedtextproblem – und zwar ein großes. Dass Liedtexte über Autounfälle nichts zwangsläufig uninspiriert wirken müssen, haben SPOCK´S BEARD mit The Ballet Of The Impact gezeigt. Gegen eine derart grazile Lyrik wirkt A Nightmare To Remember wie die blutige Variante einer ersten Fahr- bzw. Schreibstunde. Wenn Portnoy gegen Ende mit Möchte-gern-Death Metal-Gesang knurrt, dass dank Gottes Gnade alle Beteiligten überlebt hätten, muss ich unweigerlich lachen. Auch die restlichen Songs bieten lediglich eindimensionale Langeweile, die ihren traurigen Tiefpunkt bei The Count Of Tuscany erreicht. Die grottigen Reime und die hanebüchene Handlung lösen bestenfalls ein ungewolltes Schmunzeln aus und unterbieten sogar die Vampir-Lyrik von Systematic Chaos. Für viele Hörer spielen die Texte freilich eine untergeordnete Rolle. Ich finde es dennoch höchst bedauerlich, dass hier so geschludert wurde. Schließlich machen außergewöhnliche Texte definitiv einen Teils des Reizes von Bands wie RUSH, PSYCHOTIC WALTZ und FATES WARNING aus. Dazu kommt, dass die Gesangsmelodien auf Black Clouds & Silver Linings unausgegoren und fragmentarisch wirken.

Musikalisch setzen DREAM THEATER auf das bewährte Rezept der Vorgängeralben, die zwischendurch auch immer wieder mal direkt zitiert werden. Neu sind die verbissen fiesen Black Metal-Harmonien beim Opener (inkl. Double-Bass-Inferno und Blast-Speed-Attacke) und ein paar Klangtüfteleien von Tastenzauberer Jordan Rudess. Den Hauptbestandteil macht aber natürlich harter Progressive Metal aus, der immer wieder durch ruhigere Elemente und RUSH-Einflüsse aufgelockert wird. Die Riffs sollen brutal und dreckig klingen. Profis wie MACHINE HEAD oder SLAYER können das natürlich besser und sind dabei auch ungleich konsequenter.

Ein Rezept ist freilich mehr als die bloße Auflistung von Zutaten. Es kommt auf die Kombination an. Das Material für Black Clouds & Silver Linings haben DREAM THEATER einmal mehr direkt im Studio ausgekocht. Die Zeiten, in denen Stücke im Proberaum reifen und auf der Bühne vorab getestet konnten, sind längst vorbei. Die Stücke wirken nicht mehr so flüssig, nicht mehr so organisch wie in den Anfangstagen. Die komplexeren Passagen wirken gekünstelt, während die geradlinigen Parts penetrant oft wiederholt werden. Besonders deutlich wird dieses Manko bei A Rite Of Passage, dessen Leitmotiv (eine blasse Kopie der Ytse Jam-Hookline) bis zum Abwinken bzw. Weiterskippen wiederholt wird. Melodielinien werden nicht mehr ausreichend miteinander verwoben. Wo einst die Instrumente gemeinsam Achterbahn fuhren, bieten Gitarre und Keyboard Einzelaktionen, die unnötig in die Länge gezogen werden. Die Hintergrundbegleitung wirkt dabei meist monoton und undynamisch.

Wenn es darum geht, die Spannung langsam zu steigern, blitzt das alte Talent für packende Arrangements manchmal durch. In diesen Momenten findet die Band ihre ursprüngliche Identität. Ansonsten geben Petrucci und Portnoy klar den Ton an. Bassist John Myung lässt untenrum nichts anbrennen, agiert jedoch die meiste Zeit über unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. Die Rolle der Keyboards ist unklar. Jordan Rudess wirkt nicht wie ein integraler Bestandteil der Band. Viel zu passiv verhält er sich, setzt scheinbar nur Akzente, wenn die Bandchefs ihm vorher schriftlich die Erlaubnis dazu erteilt haben. Die im Albumtitel erwähnten Lichtblicke gibt es auch hier, aber die schwarzen Wolken sind eindeutig in der Überzahl.

Als Gesamteindruck herrscht somit ein laues Gemisch aus Enttäuschung, erfüllten Erwartungen, Langeweile, Respekt und verblichenen Nostalgiegefühle, die der Bandname unweigerlich auslöst. Technisch gesehen haben DREAM THEATER erneut ein Meisterwerk abgeliefert, bei dem Fans der letzten fünf Alben blind zugreifen können. Emotional gesehen fehlt jedoch die Magie und die klangliche Schönheit der Vielschichtigkeit, welche Traum und Wirklichkeit miteinander verschmelzen lassen wie damals.

Veröffentlichungstermin: 19.06.2009

Spielzeit: 75:22 Min.

Line-Up:
James LaBrie: Gesang
John Petrucci: Gitarre
John Myung: Bass
Mike Portnoy: Schlagzeug, Gesang
Jordan Rudess: Keyboard

Produziert von John Petrucci und Mike Portnoy
Label: Roadrunner

Homepage: http://www.dreamtheater.net

MySpace: http://www.myspace.com/dreamtheater

Tracklist:
1. A Nightmare To Remember
2. A Rite Of Passage
3. Wither
4. The Shattered Fortress
5. The Best Of Times
6. The Count Of Tuscany

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