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DAWN RAY’D: Behold Sedition Plainsong

Der Umgang der Metal-Szene mit faschistoiden, rassistischen, antisemitischen oder die NS-Zeit verherrlichenden Einstellungen beschäftigt wohl alle, die mit ihr jemals zu tun hatten. Das ist kein Wunder, ist Metal doch eine Kunstform, die sich zu großen Teilen wesentlich mit Gewalt und Krieg beschäftigt und daher auch jene Menschen einlädt, die diese Themen von rechts mit Inhalt füllen wollen. Im Black Metal kommen dann noch Weltschmerz, Misanthropie und ein radikaler Individualismus hinzu, was Offenheit für Rechtsextremismus mindestens begünstigt. Aktuelles Beispiel ist ein Deaf-Forever-Interview mit einem Musiker von MGLA, in welchem dieser seine Geschäftsbeziehung zum von einem erklärten Antisemiten und Faschisten geführten Label “Northern Heritage” verteidigt, indem er die persönliche Freundschaft mit ihm und eben Misanthropie und Individualismus als höchste Werte in Stellung bringt.

Das ist keine Randerscheinung mehr, das ist ein Problem, das tiefer geht: Es gibt Gründe für den Aufstieg der Rechten in Europa und der Welt, und einer davon ist die Oberflächlichkeit des staatlich verordneten Antifaschismus in bürgerlichen Demokratien bzw. ihr Unvermögen, Faschisten in ihrem Kern – der Verteidigung von Kapitalismus und Nationalstaat – zu treffen; denn genau diese Verteidigung ist auch der Kern der bürgerlichen Demokratie. Demokraten und Faschisten sind beide Idealisten von Individualismus und Nation, in ihren Mitteln jedoch unterscheiden sie sich. Wer in der Kritik Form über Inhalt stellt, zieht der Kritik so die Zähne – und davon können bürgerliche Antifaschisten innerhalb und außerhalb der Metal-Szene eine Menge Liedchen singen. (Man denke nur an den Schlagersänger Grönemeyer, der neulich in seinem empörten Antifaschismus Inhalt durch Lautstärke zu ersetzen versuchte und dieses Manöver als Bumerang umgehend zurück bekam: Wie Goebbels habe er geklungen!)

Umso besser, dass es inzwischen sogar in der Black-Metal-Szene radikale Antifaschisten gibt, die sich nicht mit Parolen, Romantik oder Weltschmerz zufrieden geben, sondern tatsächlich politische Texte schreiben: über den Horror von Staatengrenzen, die jährlich zigtausende Tote fordern; über das Leid, das 50 Jahre Lohnarbeitsmühle für die meisten Menschen bedeutet; über das Elend des Demokratieidealisten, der alle vier Jahre immer wieder hofft, das durch ein Kreuzchen bei einer Wahl sich endlich alles besser wird, obwohl der tatsächliche Gang des politischen Geschäfts ihm klar deutlich das Gegenteil vor Augen führt: Er müsste ihn sich bloß halt mal angucken.

Klassenkampf und Stonehenge – für DAWN RAY’D kein Widerspruch

DAWN RAY’D verarbeiten all das und noch mehr in ihren Liedern, und sie vergessen nicht, dabei Hoffnung und Zuversicht zu vermitteln: Wir mögen zwar häufig scheitern, aber wenn wir uns nicht überschätzen, sehen wir auch unsere Erfolge, und wenn alle Stricke reißen, haben wir immer noch uns, und das ist auch nicht wenig (und, übrigens, auch kontinuierlicher Auftrag: Bildung und Selbstreflektion!). Gleichzeitig wissen sie um die Beschränktheit des Mediums, laden anarchistische Infoprojekte und Büchertische zu ihren Shows ein und geben unermüdlich ein Interview nach dem anderen, um ihre Mission zu erläutern, ohne dabei ein Blatt vor den Mund zu nehmen.

Trotz deutlicher Verortung in der linksradikalen Szene also haben sie es geschafft, aus ihr heraus für Aufmerksamkeit in der Metal-Szene zu sorgen, mithin an einem Ort, der sich sonst einen Dreck um politische Inhalte schert, solange alles nur schön frei und gleich zugeht. Das ist schon ganz geil, und diese Geilheit zeigt sich auch ästhetisch: DAWN RAY’D lieben Metal, das sieht man ihnen an, und dank DAWN RAY’D habe ich mittlerweile tatsächlich ein Shirt in meiner Sammlung, das keltische Symbole, Stonehenge und Fraktur-Schrift mit Klassenkampf verbindet, und allein dafür muss ich sie lieben.

Irgendwie fehlt was auf “Behold Sedition Plainsong”

Musikalisch, nun ja, habe ich schon ein bisschen was zu meckern: Erstens ist ihr zweites Album “Behold Sedition Plainsong” nichts anderes als eine etwas poliertere Version des Debüts (in der Quoten-Folk-Ballade klingt der Sänger nun selbstbewusster, die Violine leiert nicht mehr, und die Texte sind sowohl poetischer als auch pointierter); zweitens hatte das Debüt trotzdem die deutlich besseren Songs (irgendwie bleibt diesmal kaum was hängen). Und drittens, oh je, haben sie immer noch keinen Bass. Das wäre nicht schlimm, wenn DAWN RAY’D ihren Black Metal atmosphärisch oder “urban” avantgardistisch gestalten würden, aber das tun sie nicht, sie sind eine klassische, im Punk und Folk verwurzelte Metal-Band, auch wenn sie noch so oft von Medien als “atmospheric” betitelt werden; sie wollen wütend sein, aufwühlen, zum Kampf aufrufen, und dafür fehlt es einfach an etwas. Ich mein, klar klirrt es in einer Schlacht, aber vorher wummert es doch auch? Ich denke an Pauken, Marschgeräusche, irgendwas, was dem Geklirre ein bisschen Grund verpasst! Die Bassdrum reicht da einfach nicht, zumal sie auch noch ziemlich in den Hintergrund gemischt wurde.

Ihre Stärken jedoch spielen DAWN RAY’D durchaus aus: kraftvolles, nahezu perfektes Gekreische voller Wut und Leidenschaft, klirrende Gitarren zwischen Punk-Keller und Epik, Blast-Beats und Geballer. Wer darauf steht, findet hier, was er sucht, ich bleibe aber doch lieber beim Debüt.

Spielzeit: 41:16 Min.
Veröffentlicht am 25.10.2019 auf Prosthetic Records
DAWN RAY’D auf Bandcamp

Tracklist “Behold Sedition Plainsong”

1. 1. Raise The Flails (Video bei YouTube)
2. The Smell Of Ancient Dust
3. Like Smoke Into Fog (Video bei YouTube)
4. To All, To All, To All! (Video bei YouTube)
5. A Time For Courage At The Borderlands
6. Songs In The Key Of Compromise
7. Until The Forge Goes Cold
8. A Stone´s Throw
9. Soon Will Be The Age of Lessons Learnt
10. Salvation Rite
11. The Curse, The Dappled Light

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