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BLIND: Blind

Evolutionstheorie in einer Nussschale bzw. einer Rockband

Das Prinzip der Evolutionstheorie ist erstaunlich simpel: Es bedarf lediglich Replikatoren mit dem passenden Maß an Vererbung, Variation und Selektion. Einerseits werden bei der Fortpflanzung Eigenschaften (einschließlich der Eigenschaft diese Eigenschaften zu vererben) vererbt. Andererseits kommt es zu leichten (zufälligen) Variationen. Manche davon sind einer Vererbung eher hinderlich, andere förderlich. Replikatoren mit förderlichen Eigenschaften pflanzen sich eher (bzw. mehr) fort, wenn der Selektionsdruck wächst; andersherum sterben solche mit hinderlichen Eigenschaften tendenziell aus.

Während die Evolutionstheorie bei der Entstehung des Lebens von einer Fülle von Daten gestützt wird, ist es falsch, sie auf die Entstehung des Debüt-Albums von BLIND anzuwenden. Das Quartett hat in den letzten fünf Jahren allerlei Lieder gebastelt und diese einem Selektionsprozess ausgesetzt: Was beim Publikum ankam, wurde beibehalten, der Rest landete in der Mülltonne. Es wäre jedoch falsch anzunehmen, dass die Stücke allesamt Kinder und Kindeskinder der Mutter aller Rocksongs wären. Vielmehr scheinen mir Grunge- und gemäßigte Emo-Mucke die Ausgangsbasis gewesen zu sein. Weiterhin dürften die Variationen nicht rein zufällig, sondern kognitiv getrieben gewesen sein. Sonst hätte der Prozess vermutlich ein paar Millionen Jahre länger gedauert.

Obwohl die Erklärung mittels Evolutionsprozess hinkt, hilft sie doch, den Kern des Albums näher zu beleuchten: Durch die Selektion der beliebtesten (populärsten) Songs und stilistischen Elemente, verwandelte sich der druckvolle Gitarrenrock in Mainstream-Poprock. Die fette Produktion täuscht im ersten Moment darüber hinweg. Doch wenn man die sporadischen Brüll-Einlagen ausklammert, bleiben plötzlich völlig harmlose Liedchen übrig, die einfach nur ein bisschen spielen wollen. BLIND haben sich also selber an die Leine genommen und streifen beim soften You sogar BRYAN ADAMS-Territorium.

Im Endeffekt ist die CD durchaus unterhaltsam. Es fehlt ihr jedoch die penetrante Eingängigkeit, für die Popgrößen jeglicher Coleur geliebt und gleichzeitig gehasst werden. Wo NICKELBACK den Ohrwurm How You Remind Me hatten, mühen sich BLIND mit Break Away ab, wo es auf engstem Raum Pop-Klavier, Punkrock-Rhythmen und aggressive Schreie gibt. Melodisch passiert allerdings erschreckend wenig. Entsprechend arbeitet die Plattenfirma mit optischen Mitteln und medialer Massenpräsenz für den Erfolg des Songs. Wer auf (die inzwischen aufgelösten) LAW steht, sollte sich von dem ganzen Brimborium nicht abschrecken lassen und die Band antesten. Vom BLIND-Blindkauf rate ich aber ab. Denn ich habe Zweifel, dass die Musik an sich dem Selektionsdruck des Markts gewachsen ist. Gelegenheitshörer werden das Interesse verlieren, sobald das nächste große Ding (mit catchigerem Material) – oder auch einfach nur das zweite SUNRISE AVENUE-Album – kommt, und Musikinteressierte haben auch so schon genügend ordentliche Alben im Schrank stehen, auf denen sich langsam aber sicher eine Staubschicht bildet.

Veröffentlichungstermin: 25.01.2008

Spielzeit: 45:49 Min.

Line-Up:
Steve Joachim: Gesang
Fabian Zimmermann: Gitarre
Guido Schwab: Bass
Gunnar Ritter: Schlagzeug

Produziert von Vincent Sorg
Label: EMI

Homepage: http://www.blindpage.de

Tracklist:
1. Jesus Only Knows
2. Break Away
3. We Can Stay
4. Save Me Now
5. You
6. People
7. Today I Break Loose
8. Love Is Gone
9. Triple X
10. Ordinary Day
11. Every You Every Me
12. These Are The Days
13. Wake Me Up

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