„Ich kann gar nicht glauben, dass wir nicht drüben im Backstage sind.“ Sonst sei man bislang bei den wenigen Europaterminen immer im hiesigen Kulturzentrum gewesen, erklärt Jeremy DePoyster zum Ende des Abends. Was für den Gitarrist und Sänger überraschend kommt, ist für die zahlreichen Anhänger:innen in der Münchner Muffathalle nur die logische Konsequenz: Beobachten konnte man es ja bereits im Vorjahr, als THE DEVIL WEARS PRADA im Vorprogramm von LANDMVRKS gefeiert wurden wie der Main Act selbst. Dass man also die zunächst gebuchte Backstage Halle als kleineren Club zeitig ausverkaufen würde, war abzusehen; das Venue-Upgrade die fast unausweichliche Folge.
Von der hohen Nachfrage profitieren kann indes nicht nur der Headliner: Im Schlepptau haben die US-Amerikaner nicht weniger als drei weitere Bands, die noch dazu stilistisch breiter aufgestellt sind, als wir es von Szene-Shows gewohnt sind. Zum Modern Metalcore von KINGDOM OF GIANTS gesellen sich die Alternative-Sounds SENNAs sowie der groovende Nu Metal der Australier OCEAN GROVE, die kurzfristig die abgesprungenen SEEYOUSPACECOWBOY ersetzen durften.
SENNA
Dass es zunächst vergleichsweise gemächlich losgeht, erweist sich für uns als Glücksgriff. Denn während sich die Location allmählich füllt, sorgt der melodisch-getragene Ansatz SENNAs für einen stressfreien Auftakt. Nicht mit dem Kopf durch die Wand, sondern mit Gefühl und einem Feinsinn für Harmonie heißen uns „Lavender“ und „Rain“ Willkommen. Kleinere Eruptionen gehören selbstverständlich dazu, der Fokus liegt allerdings auf den unverkrampften Arrangements, die glücklicherweise dem etwas zu dominanten Bass trotzen können.
Sympathisch und souverän führt Frontmann Simon durch das halbstündige Set, wobei er abseits des sauberen Klargesang in „High Note“ und „Blackout“ sogar mittels einiger gut platzierter Screams überrascht. Es ist nur eine kleine Facette im Gesamtbild SENNAs, das sich zwischendurch tanzbar präsentiert, doch auch viel fürs Herz bereithält. Deshalb dürfen die Münchner:innen während „Drunk Dial Anthem“ die Halle weiträumig mit ihren Smartphone-Leuchten erhellen, während uns Shouter Simon immer wieder um ein paar beruhigende Worte bittet: „Tell me it’s fine!“, heißt es im Refrain. Die Antwort selbst sparen wir uns, denn ein Blick auf die zufriedenen Gesichter im Publikum sollte den Mannheimern diesbezüglich eigentlich genügen.
SENNA – ca. 30 Min.
1. Lavender
2. Rain
3. Blackout
4. Hurricane
5. High Note
6. Drunk Dial Anthem
7. Rosehip
Fotogalerie: SENNA














OCEAN GROVE
Dass sie an diesem Dienstagabend auf der Bühne der Muffathalle stehen würden, hatten OCEAN GROVE noch vor ein paar Wochen nicht zu träumen gewagt. Da aber die eigentlich vorgesehenen SEEYOUSPACECOWBOY aufgrund interner Probleme ihre Teilnahme an der Europatournee kurzfristig absagen mussten, heißt es für die Australier nun Daunenjacke statt Hawaiihemd.
Wobei zumindest die Temperaturen in der gut gefüllten Location an die weit entfernte Heimat erinnern dürften. Kuschelig ist es mittlerweile geworden, als das Quartett auf geradezu euphorische Weise den Startschuss setzt. Insbesondere Frontmann Dale Tanner grinst bis über beide Ohren, während er in regelmäßigen Abständen zu fast schon akrobatischen Sprüngen ansetzt.
Man kann OCEAN GROVE die Freude an ihrem Auftritt richtig ansehen
Die positiven Vibes, die der Rapper mit sich bringt, stecken schnell an: Unmittelbar vor der Bühne findet sich schnell ein motivierter Kern, der sich vom Nu-Metal-Groove der Band treiben lässt. Als OCEAN GROVE in „Stratosphere Love“ noch ein wenig Hardcore-Flair beimischen, ist der folgende Moshpit quasi unausweichlich. Da es zudem auch auf den Brettern ständig wuselt und Tannner beispielsweise für „Raindrop“ mit Bassist Twiggy die Rollen tauscht, finden auch wir zusehends Gefallen am packenden Auftritt der Band.
Verdient ist die Wall of Death im abschließenden „Junkie$“ dadurch allemal, immerhin haben OCEAN GROVE uns zeitweise sogar vergessen lassen, dass gerade eigentlich eine stilistisch völlig andere und unsererseits durchaus herbeigesehnte Formation vor uns stehen sollte.
OCEAN GROVE Setlist – ca. 30 Min.
1. Fly Away
2. CELL DIVISION
3. Stratosphere Love
4. Raindrop
5. Guys From The Gord
6. LAST DANCE
7. My Disaster
8. Junkie$
Fotogalerie: OCEAN GROVE

















KINGDOM OF GIANTS
Was viele moderne Metalcore-Bands auszeichnet, sind für gewöhnlich ihre Live-Qualitäten. Davon sind auch KINGDOM OF GIANTS nicht ausgenommen, die zwar auf ein Backdrop verzichten und heute deshalb unter dem Banner OCEAN GROVEs auf die Bühne spazieren, ansonsten jedoch ihr ganzes Herzblut in die Performance legen. Das gekünstelt harte Image legt Shouter Dana witzigerweise schon nach dem ersten Song ab: Es ist schlicht nicht nötig, um die begeisterungsfähigen Müncher:innen anzustacheln.
Die Stimmung ist von Beginn an ausgezeichnet, der Pit wächst in „Wasted Space“ zu ordentlicher Größe an und selbst eine respektable Wall of Death lassen sich die Fans in „Smoke“ nicht nehmen. Von Circle Pit („Scorpion“) bis Crowdsurfer („Wayfinder“) ist alles dabei, so dass schlussendlich auch wir unsere Meinung über die US-Amerikaner überdenken müssen.
Bei KINGDOM OF GIANTS stimmen sowohl Dynamik als auch Durschlagskraft
Ein wenig generisch ist der im Trend liegende Stil zwar immer noch, dank des cleanen Sounds und der kraftvollen Performance, die Bassist Jon mit einer überzeugenden Gesangsleistung krönen darf, packt uns das kurzweilige Set dennoch in Windeseile. Anders als auf den überproduzierten Platten stimmt heute nämlich auch die Dynamik und damit die Durchschlagskraft – gerne wieder!
KINGDOM OF GIANTS Setlist – ca. 40 Min.
1. Asphalt
2. Night Shift
3. Wasted Space
4. Blue Dream
5. Smoke
6. Scorpion
7. Bleach
8. Sync
9. Wayfinder
Fotogalerie: KINGDOM OF GIANTS




















THE DEVIL WEARS PRADA
Nach so viel Abwechslung hätten wir beinahe den eigentlichen Anlass vergessen. Glücklicherweise erinnert uns das Intro umgehend an das Motto und damit auch den eigenen Anspruch der diesjährigen Headline-Tour: THE DEVIL WEARS PRADA seien ewig, versichert uns eine Stimme aus dem Off, nur um sich das Szepter dann unvermittelt aus der Hand reißen zu lassen.
Fast anderthalb Dekaden in die Vergangenheit geht es zum Auftakt, als „Mammoth“ mit ungemeinem Drive über uns hereinbricht. Die Energie des Songs spiegelt sich dabei im Geschehen auf der Bühne, wo es in allen Ecken regelrecht drunter und drüber geht, weil weder Shouter Mike Hranica auch nur für einen Augenblick stillhalten kann noch in der zweiten Reihe Wert auf Maß und Ordnung gelegt wird. So muss Keyboarder Jonathan Gering augenscheinlich seine ganze Disziplin aufbringen, um sich auf dem Posten hinter den Synthesizern zu halten.
Sowohl die aggressive als auch die sanftere Seite THE DEVIL WEARS PRADAs findet großen Anklang
Die mitreißende Performance des Sextetts überträgt sich folglich im Handumdrehen auf die Münchner:innen, die das aggressive Material à la „Danger: Wildman“ oder „Watchtower“ zum Anlass nehmen, den Circle Pit im Zentrum ein weiteres Mal zu befeuern. Doch auch die softe Seite der Band findet in der Muffathalle großen Anklang. Als Frontmann Mike Hranica für „Salt“ selbst zur Gitarre greift, um eine Auswahl aktueller Stücke einzuleiten, sind die Fans sofort Feuer und Flamme.
Zum nachdenklichen „Broken“ und bis weit ins hektische „Ritual“ hinein segeln die Crowdsurfer in Massen durch die Halle, wohingegen „Noise“ erfolgreich nach stimmlicher Beteiligung verlangt. Die Gitarren scheinen uns im Audiomix in diesem Block etwas zu sehr in den Hintergrund zu treten, melden sich aber spätestens für die Finalstrecke der Show wieder in alter Stärke zurück.
Gitarrist Jeremy DePoyster findet sogar Zeit für einen Ausflug an die Bar
Während seine Kollegen also in “Termination“ die Daumenschrauben anziehen, schlendert Gitarrist Jeremy DePoyster fast schon entspannt durch das Publikum ans andere Ende der Location, um sich an der dortigen Bar ein frisches Kaltgetränk zu sichern. Kurios, aber durchaus mit selbstlosem Motiv, denn als DePoyster im Anschluss seine Mitmusiker vorstellt, dürfen alle auch mal vom Aperol Spritz probieren – bis auf Shouter Mike Hranica, denn der habe scheinbar eine tiefe Abneigung gegen das Mixgetränk.
Vielleicht ist das ohnehin besser so, denn beim folgenden „Escape“ von der althergebrachten „Zombie“-EP (2010) brauchen wir den Sänger in bester Verfassung. Eine Verschnaufpause gönnen uns THE DEVIL WEARS PRADA erst wieder mit dem introspektiven „Chemical“, das die Münchner:innen mit zahllosen Lichtern begleiten und Jeremy DePoyster noch einmal zum Nachdenken verleiten. Zu selten habe man in den letzten Jahren in Europa getourt und wie viel man dabei verpasst habe, könne er eben an Ort und Stelle vor sich sehen – auch wenn es trotzdem schwer zu glauben sei, dass man heute nicht im altbekannten Backstage spiele.
Zum Schluss reisen THE DEVIL WEARS PRADA noch einmal in die Vergangenheit
Hüben wie drüben jedenfalls hätten sich die Anhänger:innen auf ein Finale einstellen dürfen, das es durchaus in sich hat. Vor dem Breakdown in „Sacrifice“ beschenkt die Muffathalle ihre Helden mit einer knackigen Wall of Death, woraufhin es im Gegenzug noch einmal weit zurück bis ins Jahr 2007 geht: „Hey John, What’s Your Name Again?“ zieht einen Schlussstrich unter ein packendes Set, das förmlich nach Wiederholung schreit. Am besten nicht erst in zehn Jahren und wegen uns gerne wieder im Kulturzentrum: Denn so schick die Muffathalle an sich sein mag, ein Genre-Konzert wie dieses lässt sich im kompakter wirkenden Backstage Werk sicherlich noch intensiver miterleben.
THE DEVIL WEARS PRADA Setlist – ca. 70 Min.
1. Mammoth
2. Watchtower
3. Danger: Wildman
4. Born To Lose
5. Salt
6. Broken
7. Ritual
8. Reasons
9. Noise
10. Termination
11. Escape
12. Dez Moines
13. Chemical
14. Sacrifice
15. Hey John, What’s Your Name Again?
Fotogalerie: THE DEVIL WEARS PRADA






















Fotos: Tatjana Braun (https://www.instagram.com/tbraun_photography/)