DEAD KENNEDYS – Nürnberg, Hirsch – 11. Juni 2019

Der aus allen Nähten platzende Nürnberger Hirsch hat beschlossen, sich in dieser Nacht zu amüsieren und mit den DEAD KENNEDYS einen netten nostalgischen Punkrock-Rentnerabend zu verleben.

1982 waren sie zum letzten Mal in der Stadt, gastierten im unvergessenen Rührersaal in Reichelsdorf. Dem Vernehmen nach soll es ein legendäres Gastspiel gewesen sein. KinderwiedieZeitvergeht: Flotte 37 Jahre später kommen die DEAD KENNEDYS wieder auf Deutschlandtour – und legen erneut einen Zwischenstopp in Nürnberg ein. Das heißt: Was von den DEAD KENNEDYS übrig ist…

Zwar treten die ergrauten US-Polit-Punk-Pioniere aus San Francisco in Quasi-Originalbesetzung an, doch leider ohne ihren legendären Sänger Jello Biafra. Noch im letzten Jahrhundert entzweiten sich die Musiker, angeblich ging es um die Verwendung einer DEAD-KENNEDYS-Nummer in einem Werbespot für Markenjeans. Von endlosen Rechtsstreitereien und hässlichen Gerichtsverhandlungen war in der Alten Welt zu lesen, alles sehr unschön. Aber wenn sich schon die Guten auf diesem Erdball nicht grün sind, dann braucht man sich nicht zu wundern, dass die Bösen das Zepter weiter fest in der Hand halten.

Vier minus eins ergibt in diesem Fall jedoch leider nicht drei. „Die DEAD KENNEDYS ohne Biafra ist wie BLONDIE ohne Debbie Harry“, ätzten die Stuttgarter Nachrichten in ihrem Verriss über das Konzert am Vortag im LKA-Longhorn, und genau so kann (wahrscheinlich muss) man das sehen. Zumal der aufrechte, schwerstens kreative und künstlerisch nach wie vor relevante Biafra auch mit 61 Jahren immer noch ein viel zu mächtiger Aktivist ist, der als weit über die Punkszene hinaus verehrte Ikone seine ehemalige Band längst überstrahlt.

Somit treten die verbliebenen Originalmusiker East Bay Ray (Gitarre), Klaus Flouride (Bass) und D. H. Peligro (Schlagzeug) im Jahr 2019 als ihre eigene Coverband an – mit dem ehemaligen Wynona-Riders-Sänger Ron „Skip“ Greer als Biafra-Ersatz. Das ist suboptimal, aber näher wird man der Legende in diesem Leben nicht mehr kommen.

Live im aus allen Nähten platzenden Nürnberger Musikclub Hirsch feiert ein buntgemischtes Publikum zwischen 16 und 66 die Rückkehr einer Kapelle, die damals, als alles begann, alles richtig gemacht hat. Zu altersmilde-intonierten Punkrock-Evergreens wie „Police Truck“, „Chemical Warfare“, „Too Drunk to Fuck“, „Kill the Poor“, „Let’s Lynch the Landlord“, „Nazi Punks Fuck Off“ und „California über alles“ und dem immer noch herrlich-ironischen Elvis-Cover „Viva Las Vegas“ geht der Hirsch von jetzt auf gleich steil. An Band-Hits fehlt in dieser Nacht eigentlich nur „Drug Me“, mal abgesehen davon, dass die Truppe das letzten DEAD KENNEDYS-Studioalbum „Bedtime for Democracy“ komplett ignoriert.

Wie anachronistisch dieser Abend ist und wie steinalt und aus der Zeit gefallen die einstigen Wegbereiter im Jahr 2019 sind, zeigt indes der Gag, dass der DEAD KENNEDYS-Smasher „MTV get off the Air“ allen Ernstes zu „MP3 Get Off The Web“ umgedichtet wird. Auch die Frage ans Publikum, wer von den Anwesenden denn bei MySpace sei, zaubert im Auditorium die ein oder andere Stirn in Falten.

Doch Nürnberg hat beschlossen, sich in dieser Nacht zu amüsieren und gemeinsam einen netten nostalgischen Punkrock-Rentnerabend zu verleben. Und das ist ja immer auch ein Ansatz. Vor der Bühne tobt ein freundlicher Ü40-Moshpit, Sänger „Skip“ macht brav den Biafra, empfiehlt sich als nettes Großmaul und ist ständig im Publikum. Und überhaupt ist nach einem flotten Stündchen auch schon wieder alles vorbei – verklungen wie ein Echo aus einer anderen Zeit.

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