blank

BULLET FOR MY VALENTINE, JINJER, ATREYU: Konzertbericht – Zenith, München – 08.02.2023

Die Briten BULLET FOR MY VALENTINE stellen endlich ihr selbstbetiteltes Album vor, das mit seiner aggressiven Grundausrichtung durchaus für die Live-Erfahrung wirbt: Obendrauf bekommen wir ein Best-Of-Set, einen Nostalgie-Trip in unsere Jugend und ein starkes Vorprogramm mit JINJER sowie ATREYU.

Es ist noch gar nicht so lange her, da waren Veranstaltungen in der Größenordnung des Zenith quasi undenkbar; als kleine Konzerte mit begrenzter Kapazität das höchste der Gefühle waren. Und nun, im Winter 2023, sind wir fast schon Stammgast in Münchens zweitgrößter Konzert-Lokalität: ARCHITECTS waren da, BRING ME THE HORIZON haben sich angekündigt, bald spielen LAMB OF GOD mit KREATOR, kurz darauf HEAVEN SHALL BURN und TRIVIUM, im März dann GOJIRA sowie BEARTOOTH.

Noch gar nicht genannt haben wir derweil den Grund für unseren heutigen Abstecher an die Lilienthalallee: Die Briten BULLET FOR MY VALENTINE stellen endlich ihr selbstbetiteltes Album vor, das mit seiner aggressiven Grundausrichtung durchaus für die Live-Erfahrung wirbt. Dass im Vorprogramm neben den erfahrenen ATREYU die ukrainischen Durchstarter JINJER für zusätzliche Impulse sorgen dürfen, krönt offenbar nicht nur für uns das Line-Up, wie die stattliche Anzahl an T-Shirts mit dem markanten Bandschriftzug vermuten lässt.


ATREYU

blank

Los geht es allerdings um kurz vor sieben mit den US-Amerikanern von ATREYU, deren stattliches Backdrop mehr über die Band verrät, als man annehmen könnte: Jedenfalls ist die Post Hardcore / Alternative Metal-Band in ihrem Heimatland ein ungleich größerer Fisch, weshalb das Quintett in der Rolle des Anheizers eigentlich verheizt ist. Die Musiker selbst aber nehmen es sportlich, wie wir kurz darauf feststellen dürfen: Nach dem a cappella vorgetragenen Intro „Strange Powers Of Prophecy“ nämlich dauert es nicht lange, bis sie das Publikum auf ihrer Seite haben.

Ein lautes „Fists up in the air” genügt und die Menge vor der Bühne tut exakt das, was Frontmann Brandon Saller verlangt. Dabei zeigen sich ATREYU nicht nur als motivierte Showmänner, sondern gleichzeitig überraschend publikumsnah. Nachdem Bassist Porter das folgende „The Time Is Now“ in (nahezu) einwandfreiem Deutsch angekündigt hat – „Die Zeit ist jetzt, können Sie singen mit?“ -, reiben wir uns keine halbe Minute später verwundert die Augen, als Saller persönlich vor unserer Nase vorbeispaziert, um sich einen Weg ins Publikum zu bahnen.

ATREYU-Frontmann Brandon Saller geht im zweiten Song auf Tuchfühlung

blank

Einmal quer durch auf die andere Seite geht es für den engagierten Frontmann, während man die radiotaugliche Hymne gemeinsam singt. Den Einsatz entlohnen ATREYU anschließend mit dem Klassiker „Ex’s and Oh’s“ samt Einladung zum Circle Pit. Im Prinzip ist es ja ganz egal, welche Ansage von der Bühne kommt, die Münchner:innen machen schon am frühen Abend bereitwillig das komplette Animationsprogramm mit. Eigentlich auch verständlich, denn die Energie, mit der Gitarrist Dan Jacobs und Bassist Porter über die Bühne fegen, kann durchaus ansteckend wirken. So legt Letzterer für das drückende „Battle Drums“ mit seinen Dubstep-Anleihen sogar kurzzeitig den Bass zur Seite, um mit harschen Vocals voll und ganz den Metal-Frontmann zu mimen.

Dass die dröhnenden Subwoofer-Samples dabei alle anderen Instrumente komplett ersticken, kann der guten Stimmung indes nichts anhaben. Im Gegenteil, Sänger Brandon Saller lässt sich kurz vor Schluss sogar zu einem kleinen Gag hinreißen, indem er mit dem Publikum als vermeintlichen Rausschmeißer QUEENs „Somebody To Love“ anstimmt. Am Ende wird’s dann doch das rockige „Blow“, nicht jedoch ohne dem Frontmann das Versprechen zu entlocken, auf der nächsten Headliner-Tour den kompletten Track als Cover-Version darzubieten.

blank

ATREYU Setlist – ca. 30 Minuten

1. Strange Powers Of Prophecy
2. Becoming The Bull
3. The Time Is Now
4. Ex’s And Oh’s
5. Drowning
6. Save Us
7. Battle Drums
8. Blow

Fotogalerie: ATREYU


JINJER

blank

Nach dem recht unverkrampften Auftakt dürften so manche Besucher:innen eine halbe Stunde später erstmals kräftig schlucken: Im heutigen Line-up fallen JINJER mit ihrem modernen und vertrackten Progressive Death / Nu Metal-Verschnitt doch deutlich aus der Reihe. Tief gestimmte Gitarren, Djent-Anleihen und bitterböse Growls verschlagen einem Großteil des Publikums schon im eröffnenden „Who Is Gonna Be The One?“ die Sprache, während Frontfrau Tatiana Shmayluk auf der Bühne einmal mehr alle Blicke auf sich zieht.

Natürlich liegt das zum Teil in der abermals starken Gesangsperformance begründet, die zwischen tiefem Growling und kraftvollem Klargesang auch heute alle Extreme abdeckt. Das deutlichere Argument ist in der Zwischenzeit kaum zu übersehen: Im hautengen Catsuit samt hell leuchtendem Glow-in-the-dark-Muster – und mit passendem Make-up versehen – strahlt die Sängerin selbst dann im wahrsten Sinne des Wortes, wenn die dynamische Lichtshow gerade nicht das Spotlight auf sie wirft.

JINJER halten die Intensität am Anschlag

blank

Der Fokus auf Shmayluk ist natürlich gewollt: Nicht nur ist die Fronterin eine begnadete Performerin, die unermüdlich über die Bretter stürmt und mit ausdrucksstarker Gestik ihren Textzeilen Nachdruck verleiht. Auch ihre Kollegen können sich so entspannt ihren Instrumenten widmen, was einmal mehr in einer absolut tighten Performance resultiert. So verlässst Bassist Eugene Kostyuk einzig im starken „Perennial“ für ein paar Momente seinen Platz am Rand in Richtung Mitte, während Gitarrist Roman Ibramkhalilov nur sporadisch unter seinem tief ins Gesicht gezogenen Hut hervorlugt.

Der kraftvollen Show tut dies jedoch keinen Abbruch, eben weil die Frau am Mikro offenbar auch die großen Bühnen mit Leichtigkeit zu dominieren weiß; und weil JINJER in diesen 50 Minuten die Intensität durchgehend am Anschlag halten: keine großen Ansagen, keine langen Pausen und mit der Halbballade „Wallflower“ nur einen kleinen Ruhepol vorm Finale. Interessant und erfrischend ist dabei auch, dass sich die Ukrainer:innen bei der Songauswahl keineswegs auf ihre Hits verlassen: Zwar gibt es mit „Pit Of Consciousness“ sowie „Judgement (& Punishment)“ durchaus bewährtes Live-Material, dem viralen Durchbruch-Track „Pisces“ gönnt man aber genauso eine Pause wie den Lead-Singles der letzten beiden Studioalben.

Die Musik JINJERs mag nicht überall gleichermaßen Anklang finden, doch das Publikum haben sie am Ende doch auf ihrer Seite

blank

 

Dass man bei Teilen des Publikums mit dem mitgebrachten Material einen schweren Stand hat, ist aufgrund der Außenseiterposition im Line-up und den stets schwierigen Soundverhältnissen im Zenith verständlich. Und doch: Einige Anhänger:innen scheinen primär wegen des Quartetts angereist zu sein, wie die ukrainische Landesflagge in den vorderen Reihen unschwer erkennen lässt. Ein Symbol, das dieser Tage umso mehr Gewicht hat: Schon früh im Set verknüpfen JINJER aufgrund des Kriegs in der Heimat ihren Song „Home Back“ mit dem Wunsch nach Frieden. Und auch wenn der folgende Applaus weder die schreckliche Situation lösen noch die Wunden heilen kann – das Münchner Publikum hat die Formation nach diesem souveränen Auftritt ganz bestimmt auf ihrer Seite.

blank

JINJER Setlist – ca. 50 Minuten

1. Who’s Gonna Be The One
2. Copycat
3. Home Back
4. Judgement (& Punishment)
5. Pit Of Consciousness
6. Perennial
7. Dead Hands Feel No Pain
8. Colossus
9. Wallflower
10. Call Me A Symbol

Fotogalerie: JINJER


BULLET FOR MY VALENTINE

blank

Auf die enthusiastische Unterstützung der Zuschauerschaft können BULLET FOR MY VALENTINE als Headliner sowieso zählen. Als um Viertel nach neun die Lichter ausgehen, erfüllt ein ohrenbetäubender Aufschrei das Zenith. Spätestens jetzt bestehen keine Zweifel mehr daran, weshalb die grob geschätzt 4500-5000 Anhänger:innen heute angereist sind. Entsprechend starten die Waliser mit einem regelrechten Paukenschlag in ihr aktuelles Set: „Knives“ dreht schon zu Beginn kräftig an der Härte-Schraube, bevor mit „Over It“ und „Piece Of Me“ weiter die jüngere Diskografie bedient wird. Dass in Ersterem zunächst die Lead-Gitarre zu leise ist, hält die vorderen Reihen keineswegs davon ab, ausgelassen auf und ab zu springen.

Ein guter Start also, den das folgende „4 Words (To Choke Upon)“ vom Debüt „The Poison“ (2005) allerdings spielend in den Schatten stellt. Begleitet von spontan ausbrechendem Jubel, klatschen selbst im Mittelfeld der langen Konzerthalle die Fans noch begeistert das Intro mit. Ehrensache für BULLET FOR MY VALENTINE diesen Schwung mitzunehmen: Den Refrain der eingängigen Hitsingle „You Want A Battle? (Here’s A War)“ singt Bassist Jamie Mathias mit stimmgewaltiger Unterstützung des Publikums, während die Security im Fotograben die ersten Crowdsurfer entgegennimmt.

Ihre Wertschätzung zeigen BULLET FOR MY VALENTINE mit dem lange nicht gespielten “Hearts Burst Into Fire”

blank

Viel tun muss das Quartett aus Bridgend ganz offenbar nicht: Das absolut sauber vorgetragene Material allein reicht schon, um die Halle in Bewegung zu versetzen. Was selbstredend nicht heißen soll, dass BULLET FOR MY VALENTINE keine Lust hätten. Dass die Band die gemeinsame Show in vollen Zügen genießt, können wir an den Gesichtern der Musiker ablesen. Vor allem Drummer Jason Bowld grinst hinter seinem Drumkit von Ohr zu Ohr, wohingegen seine Kollegen in der ersten Reihe in der Zwischenzeit besonders viel Leidenschaft in die Performance legen. Was auf den Brettern an Bewegung fehlt – durch die geteilten Gesangsaufgaben sind die Briten natürlich meist in der unmittelbaren Peripherie ihrer Mikrofone zu finden -, macht indes die abwechslungsreiche und dynamische Lichtshow wett.

Ihre Wertschätzung drücken BULLET FOR MY VALENTINE kurz darauf mit dem seit rund sieben Jahren nicht mehr live gespielten „Hearts Burst Into Fire“ aus: Der Song sei der treuen Fangemeinde gewidmet, die sich das Stück in einem Online-Voting gewünscht haben, so Frontmann Matt Tuck. Entsprechend ekstatisch singt das Zenith dann auch die gefühlsbetonte Bridge mit, bis zum treibenden „The Last Fight“ direkt die Fäuste nach oben schnellen.

Mit einem perfekt getakteten Best-of-Set haben BULLET FOR MY VALENTINE das Publikum in der Hand

blank

Keine Frage, das Set ist perfekt getaktet: Schnelle Thrash-Brecher wie das unverwüstliche „Scream Aim Fire“ samt „fünfminütigem Circle Pit“ (Matt Tuck) wechseln sich mit Midtempo-Granaten à la „Shatter“ ab, wo die Münchner:innen kollektiv die eigene Nackenmuskulatur beanspruchen dürfen. An dieser Stelle wird besonders deutlich, wie gut sich das harte aktuelle Material mit dem melodischeren Einschlag des Frühwerks ergänzt. Da sorgt erst die Akustik-Gitarre zu Beginn von „All These Things I Hate (Revolve Around Me)“ für ein paar Momente der Intimität, bevor im hinteren Hallenbereich zu den modernen Klängen von „Don’t Need You“ die 2-Step-Tanzschritte verfeinert werden.

Als sich das Gespann wenig später mit dem starken „Death By A Thousand Cuts” und einem Circle Pit verabschiedet, ist uns freilich klar, dass es damit noch nicht getan ist. Eine BULLET FOR MY VALENTINE-Show ohne die beiden beliebtesten Singles? Nahezu unvorstellbar. Das weiß der Vierer genauso gut wie wir, weshalb es als Nachschlag mit „Your Betrayal“ und dem erst akustisch, dann regulär vorgetragenen „Tears Don’t Fall“ zum Ende nochmal eine kleine Reise in die Vergangenheit gibt. Dass das Publikum beide Tracks stimmlich geradezu inbrünstig begleitet, müssen wir wohl nicht extra erwähnen, schließlich ist vor allem Letzteres für viele der Anwesenden auch ein Stück Nostalgie. Ein Song, den man schon im Teenager-Alter rauf und runter gehört hat.

Bei “Tears Don’t Fall” dürfen sich selbst die Mitte-30er für ein paar Minuten wieder jung fühlen

blank

Vielleicht schießen auch deshalb plötzlich die Smartphones nach oben: Weil man ein Stück Kindheitserinnerung als Andenken mit nach Hause nehmen möchte. Verdenken können wir es niemandem, auch wenn wir selbst uns dazu entscheiden, dem Moment an sich unsere volle Aufmerksamkeit zu schenken. Das hat auch mit Eigennutz zu tun: Denn zur Krönung dieses Best-of-Sets dürfen selbst wir Mitte-30er uns für wenigstens ein paar Minuten wieder jung fühlen, bevor uns das aufpeitschende „Waking The Demon“ nach rund anderthalb Stunden mit einem gehörigen Tritt in den Allerwertesten zurück in die Realität befördert.

blank

BULLET FOR MY VALENTINE Setlist – ca. 90 Minuten

1. Knives
2. Over It
3. Piece Of Me
4. 4 Words (To Choke Upon)
5. You Want A Battle? (Here’s A War)
6. Hearts Burst Into Fire
7. The Last Fight
8. Shatter
9. All The Things I Hate (Revolve Around Me)
10. Scream Aim Fire
11. Suffocating Under Words Of Sorrow (What Can I Do)
12. Rainbow Veins
13. Don’t Need You
14. Death By A Thousand Cuts
——————————-
15. Your Betrayal
16. Tears Don’t Fall
17. Waking The Demon

Fotogalerie: BULLET FOR MY VALENTINE

Fotos: Tatjana Braun (https://www.instagram.com/tbraun_photography/)

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner