Ein bisschen pink könne in der heutigen Zeit nicht schaden, ließ AVANTASIA-Mastermind Tobias Sammet vergangenen Herbst in einem Statement via Social Media (Link zu Facebook) wissen. Dass aus anfänglichen Überlegungen zum richtigen Schuhwerk sodann ein Plädoyer für das Miteinander wurde, erscheint nur folgerichtig, wenn wir uns vor den Toren des Münchner Zenith umschauen. Dort, wo die Symphonic / Power Metal-Supergroup heute ihr neues Album „Here Be Dragons“ (2025) vorstellen wird, tummelt sich am frühen Abend ein bunter Querschnitt der Metalszene.
Tatsächlich machen wir Vertreter:innen so ziemlich jeder Alterskohorte aus, die mal stilgetreu in Kutte, mal im gewöhnlichen Bandshirt den Sicherheitscheck passieren. Dass die Prozedur erstaunlich entspannt abläuft, liegt nicht allein am gut aufgelegten Sicherheitspersonal: Der schwarze Vorhang, der das letzte Drittel der geräumigen Werkshalle vom Rest trennt, verrät uns beim Durchschreiten der Tore schon, dass die volle Kapazität der 6000er Halle heute nicht ausgereizt wird.
AVANTASIA-Frontmann Tobias Sammet lädt höchstpersönlich zur „Creepshow“
Eine geduldig wartende Fanschar steht dennoch schon um Viertel nach sechs am Wellenbrecher bereit, um die erst anderthalb Stunden später startende Sause in vorderster Front miterleben zu dürfen. Spannung schürt dabei auch das hochgezogene Leintuch, das bis zuletzt den Blick auf das wohl opulente Bühnendesign verdeckt: Erst als uns Bandkopf Tobias Sammet höchstpersönlich zur „Creepshow“ Willkommen heißt, fällt der Vorhang und macht die Vorfreude der Münchner:innen binnen weniger Augenblicke bezahlt.
Was sich uns nämlich offenbart, ist ein liebevoll gestaltetes Set, dessen Herzstück ein von Mauerwerk eingerahmter Zaun im viktorianischen Stil darstellt. Zwischen Friedhof und noblem Herrenhaus möchten wir die Szenerie verorten, die durch Laternen schick ausgeleuchtet wird und im Laufe des Konzerts mittels voluminöser CO2-Kanonen und Flammenwerfer sogar ein wenig in die Effektkiste greift.
KAMELOT-Sänger Tommy Karevik macht auch auf der AVANTASIA-Bühne eine gute Figur
Dennoch ist die Kulisse, deren Hintergrundprojektionen von Song zu Song wechseln, eigentlich nur Beiwerk für die Allstar-Show, die Tobias Sammet zusammengestellt hat. Bestreitet der Frontmann den Opener noch solo, geben sich im Folgenden die Gäste wie gehabt die Klinke in die Hand. Ob die gesangliche Unterstützung nun aber Ronnie Atkins (PRETTY MAIDS), Herbie Langhans (u.a. SINBREED) oder Tommy Karevik (KAMELOT) heißt, ist dem Münchner Publikum fast einerlei: In ohrenbetäubender Lautstärke begrüßen die Anhänger:innen tatsächlich jede Personalie.
Und doch scheint es dem Oberhaupt selbst nicht genug des Einsatzes zu sein: „Jeder versagt mal!“, schiebt Sammet grinsend hinterher, als ihm die Reaktion auf das brandneue Material nicht überschwänglich genug ausfällt. Dass es die bayerische Landeshaupt, welcher der Sänger im Verlaufe des Abends des Öfteren die Liebe erklärt, besser kann, dürfen wir sogleich selbst miterleben. Die angeordnete Euphorie entlohnen AVANTASIA mit dem „Here Be Dragons“-Hitsong „The Witch“, wo Neuzugang Karevik unter der Kapuze erstaunlich viel Gefühl in die Performance legt.
Das abwechslungsreiche Set krönen AVANTASIA mit so mancher Rarität
Überhaupt fügt sich der Schwede hervorragend in das Kollektiv ein, als er später nochmal für den Titeltrack des aktuellen Werks zurückkehren und sich in „The Wicked Symphony“ gegen den aufgedrehten Kenny Leckremo behaupten darf. Gerade Letzteres ist kein einfaches Unterfangen, offenbart der H.E.A.T.-Sänger doch schon in „Against The Wind“ eine beeindruckende Stimmgewalt, die sich in einer unbändigen Spielfreude spiegelt. Nicht nur auf den Brettern gibt Leckremo alles, auch neben der Bühne begleitet der Musiker die Darbietung seiner Kollegen mit großen Gesten, Air-Drumming und einer unverkennbaren Leidenschaft, die er durch Blickkontakt und Animationsversuche bis in die seitlichen Ausläufer des Publikums trägt.
Dass Veteranen wir Eric Martin (MR. BIG) im umjubelt aufgenommenen „Dying For An Angel“ oder Herbie Langhans im überraschenden Deep Cut „Devil In The Belfry“ nichts anbrennen lassen, versteht sich ohnehin von selbst: Deren Konstanz ist schließlich eine der tragenden Säulen des AVANTASIA-Live-Konzepts. Eine Weitere bildet das Songmaterial selbst, das am heutigen Abend natürlich den einen oder anderen Evergreen umfasst, aber auch zu überraschen weiß. Zwar wandert nicht jeder Hit ins Set, während die letzten beiden Alben unerwarteterweise sogar komplett übergangen werden, letzten Endes sei dies aber „zu unserem Besten“, wie Tobias Sammet versichert.
Bei der Lichtuntermalung könnten AVANTASIA noch eins drauflegen
Er verstehe zwar, dass man für gewöhnlich die Klassiker hören möge – ihm ergehe es bei IRON MAIDEN auch nicht anders -, frisch bleibt es aber nur, wenn man das eigene Programm auch mal umkrempelt: Daher gibt es eben statt „Mystery Of A Blood Red Rose“ einen neuen Track wie „Phantasmagoria“ und einem Klassiker wie „Let The Storm Descend Upon You“ sowie dem doch irgendwie alternativlosen „The Scarecrow“ wird kurzerhand die Rarität „The Toy Master“ entgegengesetzt. Hierfür nimmt Tobias Sammet zunächst auf einem geflügelten Thron Platz, aus dessen Rückenlehne Flammenbälle emporschießen.
Es ist eines der wenigen Showelemente, die uns wirklich staunen lassen und von deren Qualität wir gerne mehr gesehen hätten. Denn obwohl es im Laufe des rund 155 Minuten langen Sets nicht langatmig wird, hätte dem Bühnenbild eine kleine Entwicklung gutgetan, zumal die Lichtuntermalung selbst eher solide und zweckmäßig bleibt. Bewegung auf der Bühne findet darüber hinaus vorwiegend im Zentrum statt: Gerade die Instrumente bleiben die meiste Zeit wie angewurzelt, was aber durchaus der Sorge um die eigene Gesundheit geschuldet sein kann. Das Risiko, von Tobias Sammets Mikroständer erfasst zu werden, ist beim Weg ans andere Bühnenende wohl durchaus kalkulierbar.
Auch gestandene Sänger:innen steuern bei AVANTASIA bereitwillig Background-Gesang bei
Weniger vorhersehbar hingegen sind die kleineren technischen Probleme, die Herbie Langhans in „Shelter From The Rain“ plagen. Während sich Mastermind Sammet eine wohlverdiente Pause genehmigt, streikt das Mikrofon des Sängers, dem aber Kollege Kenny Leckremo sogleich zu Hilfe eilt: Der Duett-Partner bietet kurzerhand sein eigenes an, so dass die Performance nahzu ohne zu stottern weiterlaufen kann.
Dieses kleine Detail am Rande sagt jedoch viel über das große Ganze aus, das AVANTASIA dieser Tage verkörpert. Statt Ego-Trips gewinnt das Miteinander: Als fast schon familiär möchten wir das Treiben auf der Bühne umschreiben, wo jeder noch so gestandene Frontmann und jede noch so talentierte Sängerin ohne Murren auch mal in der zweiten Reihe den Begleitgesang stemmt.
Bandkopf Tobias Sammet trägt selbstverständlich auch 2025 noch das Rockstar-Gen in sich
Im Scheinwerferlicht glänzen darf im Laufe der ausladenden Show schließlich nicht nur Tobias Sammets pinkes Schuhwerk, sondern die komplette Gastriege bis hin zu Sängerin Adrienne Cowan, die besonders im folkig angehauchten „Avalon“ glänzt, wo sie ihre ganze Stimmgewalt präsentieren darf.
Selbstverständlich gelten alle diese Attribute auch für den Initiator des gesamten Unterfangens: Dass Tobias Sammet, der selbstverständlich auch im Jahr 2025 noch in jeder Faser seines Körpers das Rockstar-Gen trägt, zwischendurch die Bühne räumt, mag angesichts der ausufernden Spieldauer nicht ganz uneigennützig sein. Gleichzeitig aber präsentiert sich der Mann mit dem Zylinder zwischen den Stücken publikumsnah und durchaus authentisch, während er seine allseits gefürchteten Monologe auf ein durchaus erträgliches Maß reduziert.
AVANTASIA zelebrieren in München ein Fest der Musik und sogar ein kleines bisschen mehr als das
Auf diese Weise fühlen auch wir uns schnell abgeholt und bestens unterhalten, als gegen Viertel nach zehn mit dem stampfenden „Sign Of The Cross“ und dem angehängten „The Seven Angels“-Finale der Vorhang fällt. Natürlich war es zuvorderst ein Fest der Musik, das AVANTASIA in München zelebrieren wollten. Doch wie der als Kollektiv vorgetragene Schlussrefrain nahelegt, repräsentiert eine Show dieser Supergroup zugleich ein kleines bisschen mehr als das: Sie ist eben auch ein Zufluchtsort für all jene, die einfach einen Abend lang sie selbst sein wollen.
Das mag sich überspitzt kitschig anhören, spiegelt sich jedoch im bunt gemischten Publikum, wo wirklich alle ihren Platz finden – und das ungeachtet des eigenen Hintergrunds. Zugegeben, die pinken Schuhe braucht es für so eine Realität nicht zwingend, ein bisschen schillernde Farbe können wir dieser Tage aber allemal gut gebrauchen.
AVANTASIA Setlist – ca. 155 Min.
1. Creepshow
2. Reach Out For The Light
3. The Witch
4. Devil In The Belfry
5. Phantasmagoria
6. What’s Left Of Me
7. Dying For An Angel
8. Against The Wind
9. Here Be Dragons
10. Avalon
11. Let The Storm Descend Upon You
12. Promised Land
13. The Toy Master
14. Twisted Mind
15. The Wicked Symphony
16. Shelter From The Rain
17. Farewell
18. The Scarecrow
19. Death Is Just A Feeling
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20. Lucifer
21. Lost In Space
22. Sign Of The Cross / The Seven Angels
Fotogalerie: AVANTASIA



































Fotos: Tatjana Braun (https://www.instagram.com/tbraun_photography/)