THERAPY: A Brief Crack Of Light

Warten auf Niemand?

Die Rangos des Alternative-Punk-Noise-Rock sind wieder zurück. A Brief Crack Of Light ist bereits das 13. Studioalbum der Band mit dem Fragezeichen – jedenfalls wenn man die Minialben Babyteeth und Pleasure Death dazuzählt, die zusammen auch unter dem Banner Caucasian Psychosis veröffentlicht wurden. Ob den Iren die 13. nun Glück, Unglück oder Frühstück ans Bett bringt, kann ich nicht sagen. Mir zimmert die neue Scheibe jedenfalls mit jedem weiteren Hördurchgang ein noch breiteres Grinsen in die Visage.

THERAPY? waren immer in Bewegung. Gerade mit den besonders abrupten Farbwechseln im Laufe ihrer Karriere haben sie es sich nicht gerade leicht gemacht. Das Künstlerkollektiv um Bandherz und Kreativschaltzentrale Andy Cairns zählt zu den Wenigen ihrer Zunft, die einfach nicht anders können als regelmäßig vor den Kopf zu stoßen… eine Band zum Liebhaben.
So ließen THERAPY? beispielsweise 1995 dem nur ein Jahr zuvor erschienen, vor Hits strotzenden und wohl auf immer und ewig erfolgreichsten Output der Bandhistorie Troublegum (Pflichtkauf!), mal eben ein düster-melancholisches Meisterwerk (Infernal Love) folgen. Damals soll sie der leibhaftige Pop geritten haben. Nur wenige Jahre später lautete die Anklage auf unverhältnismäßig schwere Klangkost. Angefressen von Label-Querelen, die dem formidablen Infernal Love-Nachfolger Semi-Detached (1998) und seinen Erschaffern mächtig Sand ins Karriere-Getriebe schaufelten, meldeten sich THERAPY? kurz vor der Jahrtausendwende mit Suicide Pact-You First zurück. Ein schräger Knall von einem Album. Sperrig, noisig, vielseitig wie nie zuvor und mit einer schwer-beeindruckenden Fuck-Off-Attitüde, pflügte man sich schonungslos durch das weite, fruchtbare Feld der Emotionen und erntete so einen weiteren Band-/Genre-Klassiker. Waren sie nicht wunderbar, die 90er?

Auch alle THERAPY?-Veröffentlichungen vor und nach dieser besonders glanzvollen Schaffenszeit zwischen 1994 und 1999 verdienen wenigstens das Prädikat wertvoll. THERAPY? sind einfach eine Bank. Eine auf der man auch 2012 bedenkenlos Platz nehmen kann. Denn im 23 bzw. 24. Jahr ihres Bestehens – 1990 gefällt ihnen wohl besser als 1989 – sind die Koryphäen ihres Metiers für eine dicke Überraschung gut. Das müssen die Insulaner auch. Schließlich gilt es sich bei Laune zu halten, um den selbst gesteckten Ansprüchen auch adäquat nachkommen zu können: WE ARE THERAPY? HELPING THE AFFLICTED SINCE 1990. So steht es in großen Lettern auf der offiziellen Bandhomepage geschrieben.

Dann wollen wir mal reinschauen in die neueste Wundertüte. Nachdem sich der so verkopft wie rhythmuslastige Vorgänger Crooked Timber (2009) als nur mit viel Hingabe zu zähmendes Biest präsentierte (…die sich nur langsam zeigende Schöne erwies sich dafür als umso schöner), nahm ich naiv an, dass mich mal wieder, zumindest etwas, leichtere Kost erwartet. So ein Klotz konnte schließlich nicht schon wieder kommen. Außerdem war es nach den Troublegum+ more-Shows 2010 doch zumindest vorstellbar, dass Andy Cairns mal wieder ein paar poppigere Songs schreibt. Mittlerweile weiß ich, dass er diese speziellen Jubiläums-Gigs als gute Gelegenheit dafür gesehen hat, ein paar der poppigen Klassiker vorübergehend in Live-Rente zu schicken. Ich sag´s ja. Naiv.

Hanging on to hope and a handful of chances / Because if you take away the future / Then the present collapses (Living In The Shadow Of The Terrible Thing)

Was der recht straight nach vorne rockende Albumvorbote Living In The Shadow Of The Terrible Thing lediglich erahnen ließ, tritt im weiteren Programmablauf immer deutlicher zu Tage. Das neue Werk will wie schon Crooked Timber gebändigt werden. Neben den enormen Grower-Qualitäten die einem nach getaner Arbeit, sprich der intensiven Auseinandersetzung, abermals in Entzückung versetzen (können) und der (noch) gedrückte(re)n Atmosphäre, teilen die beiden Alben auch den Umstand jeweils zehn Songs auf sich zu versammeln. 

The life that we lived has moved on / The people we were then are gone / But the fire that we carry flames on / It still burns but in a different way (Plague Bell)

Im Grunde genommen machen THERAPY? auf A Brief Crack Of Light genau da weiter wo sie drei Jahre zuvor mit Crooked Timber aufgehört haben, erinnern sich aber noch deutlicher als schon zuletzt an die Qualitäten des Vor-vor-vor-Gängers Never Apologise Never Explain (2004) (Why Turbulence?) – die trotzige Big-Balls-00er-Jahre-Adaption der noisigen Anfangstage und in der Timeline das räudigste Werk nach Suicide Pact-You First (1999), welches bei den Drei ??? auch weiterhin (Stark Raving Sane) hoch im Kurs steht. Et voilà, die Referenz-Alben zur musikalischen Verortung der neuen THERAPY?.
     
Nachdem das von energetischem Drumming getriebene Plague Bell den Opener mit seinen verspielten Haken und Ösen locker in die linke Noise-Tasche gesteckt hat, bewegt man sich auch mit fortschreitender Spielzeit immer schön weiter entlang der Abseitslinie konventioneller Songwritingpfade. Das skurill-fröhliche Quasi-Instrumental Marlow platzt  rein wie ein gern gesehener Gast den man nicht eingeladen hat und rollt Before You, With You, After You den Teppich aus. Ich bin wahrlich nicht der größte Freund von Vocodern, aber bei diesem Song passt das einfach hervorragend. Ein Ohrwurmrefrain, der sehr viel minimalistischer nicht sein könnte, entfaltet hier seine volle Wirkung. Sollte es noch eine Singleauskopplung geben… ach die machen eh was sie wollen. 

Novels unfinished / Records unplayed / Words just paper / Music just noise (Before You, With You, After You)

Mit The Buzzing wird den Lauschenden rechtzeitig zur Halbzeitpause eine fordernde wie spannende Noise-Abenteuergeschichte erzählt. Ein Gedicht von einem Song. Das sphärisch-dubbige Get Your Dead Hand Off My Shoulder hat da mit seinen  flimmernden Gitarren, Michael McKeegans smoothen Basslines und den abermals klug gesetzten Pausen  vergleichsweise den Effekt einer Klangschalenmassage. Das clever ausgetüftelte Songarrangement steht durchaus exemplarisch für das an allen Ecken und Enden aufblitzende, enorme musikalische Können  der experimentierfreudigen Band mit dem unvergleichlichen Sound. THERAPY? klingen eben einfach nur nach…. na ja, THERAPY? eben. Wieviele Bands können das schon von sich behaupten? 

The happiness industry / With its bland panaceas / Has done nothing to me (The Buzzing)

Ghost Trio ist sowas, wie die extreme Fortsetzung von The Head That Tries To Strangle Itself (Opener von Crooked Timber). Im Zentrum des Geschehens steht eine Rhythmusfigur, die Mr. Cairns mit minimalen Variationen über die gesamte Laufzeit von über fünf Minuten gebetsmühlenartig auf seiner Klampfe wiederholt. Die Spitze des Mount Monotonie wird erklommen, indem er dabei ausnahmslos auf ein und demselben Ton verweilt. Klingt langweilig, ist es aber nicht. McKeegan und Cooper spielen schließlich auch noch mit… in dem Fall drauf, dran und drum herum. Klasse. Das ryhthmische Rollenspiel kommt wie auch der Rest der Platte noch viel besser über Kopfhörer – die Eintrittskarte  zur Entdeckung liebevoll eingeflechteter Details.

Big black hooded perambulator / Birth was the death of me / Big black hooded perambulator / Running red lights to the cemetery (Why Turbulence?)

Andy Cairns Vorliebe für das künstlerische Schaffen seines berühmten, mit Warten auf Godot zu Litaraturnobelpreisehren gekommenen, Landsmanns Samuel Beckett (1906 -1989) scheint sich immer weiter zu manifestieren – Becketts Hauptthema war die Absurdität des menschlichen Dasein, die er im Gegensatz zu Camus oder Sartre als unveränderbare Gegebenheit ansah. Der Big black hooded perambulator im Refrain von Why Turbulence? stammt aus dem bekettschen Theaterstück Krapp’s Last Tape und Ghost Trio wurde sicherlich auch nicht ganz zufällig nach einem Fernsehspiel desselben Autors benannt. Die Auseinandersetzung des belesenen Melancholikers Cairns mit unser aller tragik-komischen Existenz durchzieht A Brief Crack Of Light jedenfalls wie ein roter Faden.

Das ruhige Ecclesiastes lässt A Brief Crack Of Light mit seinem fast mantraartig vorgetragenen Refrain (…auch der zweite Vocoder-Einsatz ist gelungen) nach gut 41 Minuten schließlich in bester THERAPY?-Manier ausklingen: Mit einer Überraschung. Und schon beginnt das Warten auf die nächste Platte wieder von vorne. Das (Fan-)Dasein ist schon absurd…

Veröffentlichungstermin: 24.02.2012

Spielzeit: 41:17 Min.

Line-Up:

Andy Cairns – Guitar, Vocals
Michael McKeegan – Bass
Neil Cooper – Drums

Label: Blast Records

Homepage: http://http://www.therapyquestionmark.co.uk

Mehr im Netz: http://www.myspace.com/therapyquestionmark

Tracklist:

1. Living In The Shadow Of The Terrible Thing
2. Plague Bell
3. Marlow
4. Before You, With You, After You
5. The Buzzing
6. Get Your Dead Hand Off My Shoulder
7. Ghost Trio
8. Why Turbulence?
9. Stark Raving Sane
10. Ecclesiastes

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