blank

NEBELKRÄHE: ephemer

Auf ihrem Drittwerk “ephemer” denken NEBELKRÄHE den Post Black Metal ohne Scheuklappen neu und schaffen sich so in einem zeitweise überlaufenen Subgenre eine ganz eigene Nische.

Verfolgt man das Werk von Literaturnobelpreisträger Kazuo Ishiguro, landet man über kurz oder lang stets bei dieser einen ungemein bedeutenden Frage: Was genau macht eine erfüllte menschliche Existenz aus? Die Antwort sucht der Autor dabei meist in der Vergangenheit seiner Protagonist:innen: Ist die Zukunft ungewiss oder gar unwahrscheinlich, bleibt den Charakteren oftmals nur der Blick zurück. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergänglichkeit ist dabei eine potenziell schmerzhafte Herausforderung, der sich auch NEBELKRÄHE nach rund zehn Jahren Funkstille auf ihrem dritten Studioalbum stellen. „Ephemer“ trägt es ja bereits im Titel, das unausweichliche Schicksal, welches sich atmosphärisch und inhaltlich wie ein roter Faden durch die sieben Stücke zieht.

Sich diesen Themen zu stellen, zeugt von Mut und prägt auch die bedrückende Grundstimmung der Platte, wo Lichtblicke trotz der vielfältigen Instrumentierung rar gesät sind. Vielmehr werfen uns die deutschsprachigen Texte in Extremsituationen, berichten vom harten Tagwerk in der Bergbau-Industrie oder diskutieren vor dem Hintergrund allzu realer Gräuel kriegerischer Auseinandersetzung die Folgen menschengemachter Grenzen für das Leben des Einzelnen. Das gelingt insbesondere, weil Sänger Umbra die bedacht formulierten Zeilen mit Überzeugung zu intonieren weiß. So wechselt der Frontmann regelmäßig zwischen garstigen Screams, verbittertem Knurren und bedrohlichem Flüstern, ohne ein gewisses Maß an Melodramatik zu vernachlässigen.

NEBELKRÄHE überwinden auf “ephemer” die starren Konventionen des Genres

Das Transportieren der richtigen Gefühlslage ist ohnehin eine der größten Stärken NEBELKRÄHEs, deren eigenwilliger Ansatz durchaus ein paar Durchläufe benötigen kann, um sich gänzlich zu entfalten. Tatsächlich scheint das Quintett mit ihrem Post Black Metal nämlich das vorangestellte Präfix ernst zu nehmen: „ephemer“ setzt beim Songwriting nicht einfach nur auf Überlänge oder breitgetretene Blackgaze-Momente, sondern erweitert das schwarzmetallische Fundament um eigentlich untypische Instrumente wie Hackbrett, Trompete oder Cello.

Die starren Konventionen des Genres zu überwinden, ist beileibe kein Selbstläufer, weshalb NEBELKRÄHE großes Augenmerk auf die organische Einbindung dieser Elemente legen: So eröffnet ein leicht wehmütiges Akkordeon das getragene „Dornbusch (Im Norden kein Westen)“, wo es in Verbindung mit der begleitenden Leadgitarre ein fast schon romantisiertes Bild zeichnet. Der Unbarmherzigkeit des Schlachtfelds wiederum setzt die Band in „Nielandsmann“ geradezu warme Blechbläser entgegen, während das zunächst massive „Über Menschen Unter Tage“ alsbald in einem feinfühlig mit zusätzlichem Cello instrumentierten Mittelteil mündet. Hier arbeiten NEBELKRÄHE zudem mit nostalgisch angehauchten Sprachsamples, um den furiosen Ausbruch im Finale um so mitreißender wirken zu lassen.

NEBELKRÄHE regen mit “ephemer” zum Träumen und Sinnieren an

Dass „ephemer“ über gut 50 Minuten vergleichsweise selten das Tempo anzieht, ist fast etwas schade, da ein paar zusätzliche Eruptionen und Blasts dem stilistischen Spektrum des Albums sicher nicht geschadet hätten. Andererseits bleibt das klassische Genre-Vokabular im Titeltrack oder dem vergleichsweise melodischen Finale „Die Strandbar von Scheria“ genau deshalb im Gedächtnis, weil NEBELKRÄHE so bedachtsam damit umgehen. Und das kommt schlussendlich wiederum dem lyrischen Konzept zugute, das in seiner Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit eine gewisse Schwermut offenbart.

Natürlich blitzt auf der Suche nach einer Antwort zwischen Melancholie und Nostalgie ab und an ein wenig Wut hervor, am Ende des Tages richtet „ephemer“ aber den Blick nach innen, lädt zum Träumen und Sinnieren ein. Was wir daraus mitnehmen, entscheiden wir allerdings selbst: Ähnlich wie ein gewisser renommierter Schriftsteller nutzen NEBELKRÄHE den Blick zurück nicht, um mahnend den Zeigefinger zu heben, sondern um uns angesichts fundamentaler Fragestellungen zu eigenen Rückschlüssen anzuregen – was einer erfüllten menschliche Existenz letzten Endes im Weg steht, ist nur eine davon.

Veröffentlichungstermin: 27.10.2023

Spielzeit: 50:24

Line-Up

Umbra – Vocals
Morg – Gitarre
Miserere – Gitarre
Nys – Bass
Latrodectus – Drums

Produziert von NEBELKRÄHE und V. Santura (Mix und Mastering)

Label: Crawling Chaos Records

Homepage: https://nebelkraehe.bandcamp.com/
Facebook: https://www.facebook.com/nebelkraeheofficial

NEBELKRÄHE “ephemer” Tracklist

1. Tumult auf Claim Abendland
2. Nielandsmann – feat. Noise (Video bei NoCleanSinging)
3. ephemer
4. Dornbusch (Im Norden kein Westen) – feat. sG
5. Über Menschen unter Tage
6. Kranichträume – feat. Markus Stock (Video bei YouTube)
7. Die Strandbar von Scheria

Cookie Consent mit Real Cookie Banner