MAR DE GRISES: Draining The Waterheart

Fragt mich jemand nach meiner Scheibe des Jahres 2008? Die läuft gerade und wird nur schwer zu toppen sein.

Es gibt Promos, die hört man immer wieder, fast täglich, und schafft es nicht, eine Review zu schreiben. So auch beim Zweitwerk der Chilenen MAR DE GRISES, welches einen bei jedem Durchgang dermaßen umwebt und gefangen nimmt, dass eine Existenz abseits dieser Klänge nicht möglich ist. Die Tastatur entweicht in weiteste Ferne, unerreichbar verschlungen von der grauen Tiefe des Meeres. Entlässt einen Draining the waterheart in die Stille, dann herrscht Leere auf dem Bildschirm, während Emotionen ungehindert Kopf und Seele ausfüllen.

Aber irgendwann erwischt es auch diese CD, statt besinnlich zur Abendstunde muss sie halt mal tagsüber ran, da sollte sie nicht ganz so leichtes Spiel haben. Aber wer das fantastische Debüt The tatterdemalion express im Kopf hat oder gar den beeindruckenden Auftritt von MAR DE GRISES beim DOOM SHALL RISE III, wo unzählige kleine Latinos auf der Bühne die Chapel mit ganz großem Kino verzauberten, der weiß, dass der Sound dieser Exoten eh schwer in Worte zu fassen ist.

Sicher, als Grundelement stehen kalter bis melancholischer Doom-Death Richtung MY DYING BRIDE, MORGION, SHAPE OF DESPAIR und Co. und romantischer Avantgarde-Metal mit einigen ANATHEMA-Anleihen. Sicher wird man auch hier und da etwas an OPETH erinnert. Aber selbst diese Großmeister dürften Schwierigkeiten haben, eine derart intensive, packende Atmosphäre aufzubauen wie MAR DE GRISES, denn die Chilenen arbeiten nicht einfach mit den Elementen Schön und Böse, mit Schwarz und Weiß, sie spielen passend zum Bandnamen mit grauen Schatten, verwischen die üblichen Zutaten dieser Musik und kreieren etwas ganz Eigenes. Wie in die unendliche graue Tiefe des Meeres wird man herabgezogen, nicht Platsch und weg, sondern ganz langsam. Wie im 11-Minuten-Monster Kilómetros de nada, das einen erst leicht treibend gefangen nimmt, einem unbequeme Schauer über den Rücken jagt und dann zusammenbricht. So muss es sich anfühlen, wenn der Held der Titanic die Hand seiner Geliebten loslässt und nun ganz langsam in die eisigen Tiefen des Meeres versinkt. Mit jedem Meter des Versinkens schwindet mehr Kraft, mehr Energie, es wird einem schwindelig, man sieht wirre Bilder vor dem weit geöffneten Auge. Was erwartet uns dort unten? Ist dies das Ende? Was kommt dann? Wie wird es sein? Einfach nur aus die Maus? Eine göttliche Begegnung? Nimmt Mutter Erde uns in Empfang oder ein grimmiger Meeresgott? Oder nur ein paar hungrige Meeresbewohner, die uns schon sehnsüchtig zum Lunch erwarten? Werden wir es erfahren?

Ganz andere Gefühle weckt One possessed, mit wunderschöner ANATHEMA-Atmosphäre und den eindringlichen Flüstervocals jagen einem wohlig kalte Schauer über den Rücken und Tränen der Erleichterung versuchen zu entweichen – wie trostlos wäre diese Welt ohne Musik. Ähnlich eindringlich geht es über eine Stunde zu, mal mit überraschend derben Einlagen, schaurig kalten Soundspielereien und einem Klangbild aus einem Guss. Alles fließt ineinander wie die Wogen des weiten Meeres, selbst die Vocals sind nur ein Teil des Ganzen. Diese sind im Vergleich zum Vorgängeralbum deutlich gereift, Joan Escobar bringt seine Growls, die cleanen Vocals und vor allem die Flüsterstimmen noch eindringlicher und vor allem sauberer als Vorgänger Marcelo Rodriguez. Auch die musikalische Umsetzung wirkt noch runder, noch ausgefeilter, ohne dabei berechnend zu klingen. Metal wird ja nicht wirklich oft mit Kunst verbunden, dies hier ist ganz klar Kunst im Namen des Doom. Fragt mich jemand nach meiner Scheibe des Jahres 2008? Die läuft gerade und wird nur schwer zu toppen sein. Kaufen!

Veröffentlichungstermin: 16.05.2008

Spielzeit: 64:14 Min.

Line-Up:
Joan Escobar – Vocals, Keyboards
Sergio Alvarez – Guitar
Rodrigo Morris – Guitar
Rodrigo Gálvez – Bass
Alejandro Arce – Drums

Produziert von Joan Escobar, Rodrigo Gálvez und Rodrigo Morris
Label: Firebox Records

Homepage: http://www.mardegrises.com

MySpace: http://www.myspace.com/mardegrises2

Tracklist:
1. Sleep just one dawn
2. Kilómetros de nada
3. Deep-seeded hope avant-garde
4. Fantasia
5. Wooden woodpecker conversion
6. One possessed
7. Summon me
8. Liturgia: Convite y prefiguración / Purgatoria / Diálogo infierno

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