LINKIN PARK: Minutes to Midnight

Null Aggression und deswegen Langeweile vorprogrammiert? Gitarren zuhause vergessen? Nein: LINKIN PARK haben einen Stilwechsel und keinen Stilbruch begangen und liefern mit "Minutes to Midnight" ihr reifstes Album ab.

Keine schlechte CD, aber eben doch für LINKIN PARK, nicht mehr wie früher :-(, Kackmusik, reden wir da wirklich von LINKIN PARK?. Die Meinungen so mancher Möchtegern-Rezensenten auf Amazon.de scheinen Bände zu sprechen, was die Qualität des neuen Albums der umstrittenen Shooting-Stars um Chester Bennington und Co. anbelangt. Null Aggressivität… Langeweile garantiert! – eigentlich sollte man derartige geistige Ergüsse einfach ignorieren und sich am eigenen Überlegenheitsgefühl erfreuen, aber in diesem Falle juckt es mir in den Fingern und ich kann und will diese belanglosen Vorwürfe einfach nicht unkommentiert lassen.

Um Missverständnissen vorzubeugen: LINKIN PARK – richtig, wir sprechen von der Band, die anno 2000 mit Hybrid Theory den großen Durchbruch und gleichzeitig eine nette Verbindung aus Samples, Rap und Mosh-Parts schaffte – haben einen stilistischen Wandel vollzogen. Punkt. Es gibt leider viele Leute, die das nicht wahrhaben wollen und es als ein Qualitätsmerkmal ansehen, wenn eine Band ihrem Sound treu geblieben ist und sich im Grunde einfach nur wiederholt. Auf Meteora, dem zweiten Album der Kalifornier, hatte die Mission Selbstplagiat noch wunderbar funktioniert und man konnte den bandeigenen Stil, den man tatsächlich meist schon am ersten Ton ausmachen kann, weiter perfektionieren, um nicht zu sagen ausreizen. Ist es also an dieser Stelle nicht eher bewundernswert, dass die Band den Schritt wagt, ihren so charakteristischen und erfolgreichen Sound noch einmal von Grund auf zu ändern, obwohl man sich alles doch so viel einfacher machen könnte? Besonders unter Berücksichtung dessen, dass hinter LINKIN PARK mit Warner Music ein Majorlabel steckt, welches wegen einer angekündigten Live-DVD nicht einmal den ROCK AM RING-Auftritt in voller Länge auf MTV ausstrahlen ließ? Wenn man Kommentaren wie Mit LINKIN PARK hat das neue Album gar nichts zu tun glauben schenkt, sollte man vielleicht an dieser Stelle mit dem Lesen aufhören.

Nimmt es jedoch einfach einmal hin, dass sich die Musiker von ihrem alten Stil – die Möglichkeiten ihrer Musik sind irgendwann eben einfach mal erschöpft – größtenteils verabschiedet haben, dann erweist sich Minutes To Midnight zwar nicht als der große Meilenstein, für LINKIN PARK aber als ein besonders wichtiger Grundstein für eine (Weiter-)Entwicklung. Die Band agiert anno 2007 insgesamt gesehen einen ganzen Tacken ruhiger, die Rap-Elemente spielen keine große Rolle mehr, manche Songs kommen sogar ohne Einsatz von E-Gitarren aus und dennoch gibt es mit dem Opener Given Up und No More Sorrow zwei Tracks, bei denen bisher ungewohnte Härtegrade erreicht werden. Letzterer Titel ist für mich nicht zuletzt wegen seiner majestätischen, zugleich bedrohlichen und verzweifelten Atmosphäre und dem rasiermesserscharfen Gesang Benningtons jedenfalls das emotionalste und beste Stück Musik, das LINKIN PARK jemals geschaffen haben. Auch Ohrwurmpotenzial ist auf Album Numero drei durchaus vorhanden, wie zum Beispiel bei der ersten Singleauskopplung What I´ve Done, dem fetzigen und raplastigen Bleed it Out und dem balladesken, qualitativ leicht abfallenden Leave Out All the Rest. Der Rest der Platte erschließt sich dem Hörer erst nach mehreren Durchläufen: Völlig in sich gekehrt und im Grunde überhaupt nicht auf Hit getrimmt klingt beispielsweise In Between, bei dem Rapper (seit neustem auch zweiter Gitarrist) Mike Shinoda den Gesangspart übernimmt und dabei auf der ganzen Linie überzeugen kann. Schlusstrack The Little Things You Give Away ist schließlich ein Sechseinhalb-Minuten-Opus, den man der Truppe noch vor wenigen Jahren in dieser reifen Form sicher nicht zugetraut hätte.

LINKIN PARK haben auf Minutes to Midnight also nicht einfach nur, ich zitiere wieder einen Amazon-Kunden, ihre Gitarren zuhause vergessen, sie haben sie vielmehr bewusst moderat eingesetzt, sich ein ganzes Stück von ausgetretenen Nu-Metal-Pfaden wegbegeben und ihr Härtespektrum in beide Richtungen erweitert. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, dass die Band nun endlich ihr erstes Album mit einem roten Faden veröffentlicht hat – nicht einfach nur einen wahllos zusammengewürfelten Haufen einzelner Hits. Minutes to Midnight ist im Gegensatz zu seinen Vorgängern ein Album, das man sich auch daheim auf dem Sessel gut anhören kann und eben nicht nur als Hintergrundbeschallung bei Partys oder Saufgelagen. Es ist eben kein Tonträger, bei dem man sagen kann, Achtung: der nächste Amazon-User, mir gefallen zwei von zwölf Liedern – es lohnt sich vielmehr, die CD als Ganzes zu beurteilen, weil LINKIN PARK anno 2007 viel mehr auf Atmosphäre setzen und diese ist in diesem Falle eher trist, aber dennoch spannungsvoll. Schön, dass LINKIN PARK Gesicht gezeigt haben, mal schauen, welche Bands aus dem Rock-Pop-Sektor diesem Beispiel noch folgen werden…

Veröffentlichungstermin: 11.05.2007

Spielzeit: 43:51 Min.

Line-Up:
Chester Bennington – vocals
Rob Bourdon – drums, backing vocals
Brad Delson – guitars, backing vocals
Joseph Hahn – records, sampling, backing vocals
Mike Shinoda – vocals, beats, sampling, guitars, keyboards
Phoenix Farell – bass

Produziert von Rick Rubin
Label: Warner Music

Homepage: http://www.linkinpark.com

Tracklist:
01. Wake
02. Given Up
03. Leave Out All the Rest
04. Bleed It Out
05. Shadow of the Day
06. What I´ve Done
07. Hands Held High
08. No More Sorrow
09. Valentine´s Day
10. In Between
11. In Pieces
12. The Little Things You Give Away

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