KALL: Brand

2020 ist kein gutes Jahr; zum Glück gibt es jedoch traurige Musik. KALL aus Schweden z.B. rufen mit ihrem Zweitwerk “Brand” nun “dazu auf Leiden zu überwinden, indem man ihnen direkt die Stirn bietet”, so ihr Label Prophecy Productions; ein sympathisches Motto, das ich nur zu gern unterstütze. Der Hauptsongwriter der Vorgängerband LIFELOVER starb 2011, wohl an einer Überdosis Benzodiazepine, also als Folge einer psychischen Erkrankung. Das Thema Mental Health wird in unseren Kreisen ja viel zu selten mal wirklich auf einer Meta-Ebene diskutiert (Leser*innen, die des Englischen mächtig sind, sei die hervorragende Interview-Reihe bei Angry Metal Guy dazu empfohlen) – eigentlich erstaunlich bei einem Genre, in dem so sehr gelitten und verzweifelt wird an dieser Welt wie nirgends sonst.

Ein spannender psychedelischer Genre-Mix mit Längen

KALL machen in diesem Sinne genau da weiter wo LIFELOVER aufgehört haben und präsentieren uns einen spannenden Mix aus z.B. Doom, Sludge, Black Metal und psychedelischem Jazz. Szenekonventionen werden bewusst gebrochen, und die explizit positive Botschaft des Albums – “Brand” soll für die kathartische Kraft eines reinigenden Feuers stehen – steht im Vordergrund. Das heißt nicht, dass hier irgendetwas fröhlich anmuten würde. Der herrlich trockene Sound gibt den Verzweiflungsschreien des Sängers und nicht zuletzt dem wunderbar klagenden Saxophon (!) genau den Raum, den sie brauchen; das Schlagzeug ist eine Wonne der Natürlichkeit, sowieso klingt die ganze Band, als wäre sie direkt vor dir, und die Gitarren untermalen die staubige Tristesse mit Klängen und Riffs direkt aus dem nächsten Crystal-Meth-Keller.

Ein Höhepunkt dieses an beeindruckenden Werken mal wieder nicht unbedingt armen Jahres ist “Brand” dennoch für mich nicht. Das liegt vor allem an den wenigen Hooks und an den Längen, die sich, bedingt durch ein ausuferndes Songwriting, immer wieder einschleichen. Wir haben es hier mit sechs Stücken in sechzig Minuten zu tun, und es gibt lange atmosphärische Saxophon- und Frickel-Passagen, die das konzentrierte Hören im stillen Kämmerlein zu einer regelrechten Meditationsübung werden lassen. Das muss nicht schlecht sein, und wahrscheinlich sollte ich es mal wieder üben, ein Album einfach nur im Dunkeln auf mich wirken zu lassen, aber für mich taugt ein solches Werk heute meist nur noch zur Untermalung eines Spaziergangs oder der deprimierenden Zeitungslektüre. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, sollte ein Ohr riskieren.

Spielzeit: 59:41 Min.
Veröffentlichung am 19.6.2020 auf Prophecy Productions

KALL – “Brand” – TRACKLIST

1. Rise (Audio bei YouTube)
2. Fervour
3. Eld
4. Fukta din Aska
5. Hide below
6. Fall

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