JEFF BECK: Live +

Ein Pflichtkauf für Fans, aber genauso für Freunde gepflegter, zeitloser Rockmusik.

Vorgestern an der roten Ampel, nicht zum ersten Mal, aber sinnbildlich: Die Scheibe vom Nachbarauto geht auf Ey Alta, was´n das Cooles, das kenn ich nicht, muss ich haben! So geht es halt oft, wenn man JEFF BECK hört. Hörst Du ERIC CLAPTON oder LED ZEPPELIN, das erkennt jeder. Auch wenn BECK unter Kennern in einem Zuge mit CLAPTON oder Jimmy Page genannt wird und unter Musikern immer noch als einer der experimentellsten und ausgefallensten Gitarristen gilt, stand er trotzdem nie in der allerersten Reihe. Echte Rockfans sehen das natürlich ganz anders, auch wenn der Engländer bei uns nie mit wirklichen Superhits präsent war, hat er immerhin 50 Jahre Rockmusik geschrieben. Mitte der 60er mit den YARDBIRDS, nachdem er auf eine Empfehlung von Jimmy Page Eric Clapton ersetzte – da schließt sich auch wieder der Kreis der drei Gitarrenlegenden. Zumindest Shapes Of Things hat jeder schon mal gehört. Es folgt die JEFF BECK GROUP mit Ron Wood (FACES, ROLLING STONES) und ROD STEWARD, der fast-Einstieg bei PINK FLOYD, ein viel zu kurzer Auftritt der Supergroup BECK, BOGERT & APPICE mit nur einem Album und einer erst viel später bei uns erhältliche Live-Scheibe aus Japan. Gemeinsam mit Tim Bogert (u.a. ROD STEWARD, RICK DILLINGER) und Carmine Appice (u.a. OZZY, TED NUGENT, BLUE MURDER und viele mehr), in den 70ern gemeinsam mit BECK bei VANILLA FUDGE und ohne ihn bei CACTUS, entstand gemeinsam mit STEVIE WONDER dessen Hit Superstition. Die entsprechende Version von BECK, BOGERT & APPICE war der größte Hit der kurzlebigen Supergroup. Seit 1975 ist JEFF BECK solo unterwegs, mal mehr, mal weniger aktiv oder als Gast bei anderen Musikern, hat ein paar Grammys einkassiert, und will es mit seinen 70 Jahren anscheinend nochmal wissen, und das ist gut so. Nach der starken DVD Live In Japan gibt es nun eine Zusammenfassung von Aufnahmen der Tour Ende letzten Jahres gemeinsam mit ZZ TOP. Und Live + zeigt nicht nur, wie groß JEFF BECK heute noch ist, es präsentiert auch noch zwei brandneue Studiosongs. Die machen Lust auf das schon lange versprochene neue Studioalbum, das warum auch immer schon lange zurückgehalten wird.
 
Hier nun also gibt es BECK alt und neu, nichts klingt nach altem Mann, der halt noch mal eine Platte rausbringt, weil das sein Job ist. Überraschend fett startet die Show, das kurze Instrumental Loaded kommt bedrohlich und unheilvoll aus den Boxen, kraftvoller Sound ist angesagt, nix mit Rentner-Rock. Den 68er Oldie Morning Dew kennen auch Menschen, die mit BECK bisher nichts zu tun hatten, den gibt es auf zahllosen Classic/Biker-Rock-Samplern. Spätestens mit dem verspielten You Know You Know weiß man wieder, warum JEFF BECK zu den ganz Großen zählt, wenn es um herausragende Gitarristen geht. Ebenso bleibt kein Zweifel offen, dass er eine fantastische Band an seiner Seite hat, man weiß gar nicht, wem man nun gezielt zuhören soll. Ich hab mich wieder mal für Lady Smith am Bass entschieden, obwohl sich auch Jonathan Joseph mit verrückten Drumeinlagen oft nach vorn schiebt und Nicolas Meier an der Gitarre die perfekte Ergänzung ist für den Chef. Das funky daherkommende Why Give It Away knallt ohne Ende, Tanzalarm! Herrlich soulig und richtig groß die ausgedehnte Version des SAM COOKE-Klassikers A Change Is Gonna Come, hier wird wieder deutlich – wie auf dem ganzen Livealbum – wie flexible und gut Sänger Jimmy Hall ist und warum BECK eben ihn in seiner starken Band hat.

Bereits kurz nachdem STEVIE WONDER seinen Hit Superstition 1972 herausbrachte, hatte BECK dieses Groovemonster ja erfolgreich durch den Rockwolf gedreht. Und auch heute kracht der Song ohne Ende, man zappelt unvermeidbar mit. HENDRIX´ Little Wings, Gänsehaut, JEFF BECK hat es immer geschafft, selbst Weltklassesongs noch seinen Stempel aufzudrücken. Die reinen Instrumentalsongs wie A Day In The Life, das hart rockende Hammerhead oder die verträumte Interpretation des Traditional Danny Boy sind reine Wellness-Oasen, laden immer wieder dazu ein, BECK´s Gitarrenspiel genau zu verfolgen. Oder man lässt sich von der gesamten Band plattspielen wie bei Big Block, man weiß gar nicht, wem man denn nun zuhören muss. Mit dem Rock`n´Roll-Klassiker Rollin´ And Tumblin´ und dem harten Going Down endet ein fantastisches Livealbum, das einen Ausnahmegitarristen mit starker Band im modernen, kraftvollen Sound präsentiert. Unfassbar, was der alte Mann hier abliefert, er hat uns sicher noch einiges zu bieten.

Das belegen auch die beiden neuen Studiotracks. Für Tribal hat BECK die Sängerinnen Ruth Lorenzo eingespannt, welche 2008 in der englischen X-Faktor-Staffel unter den besten Fünf landete, im letzten Jahr für Spanien beim Eurovision Song Contest teilnahm. Mit einer schönen Stimme gesegnet, darf sie hier im zappelig rockenden Song nur hauptsächlich ein paar Hintergrund-Yeah´s beitragen. Ein simpler, lauter, aber packend hypnotischer Song, dem Ruth im Hintergrund eine Portion feurige Energie verpasst, passend zu BECK´s energischem Gitarrenspiel. My Tiled White Floor startet eher zurückhaltend, steigert sich zu einem Hochglanz-Pop-Rocker. Veronica Bellino hat eine beschwörende Stimme, hat als hauptamtliche Schlagzeugerin auch die Drums für beide Songs beigesteuert. Diese sind beim ersten Durchlauf keine Superhits, wer braucht das schon bei JEFF BECK, sondern Songs die ihre Größe erst nach und nach zeigen, um dann hartnäckig im Kopf festzuhängen. Wenn das ein Hinweis auf das neue Studioalbum ist, dann darf das bitte endlich kommen, ist jetzt für Ende des Jahres angesagt. Aber mit einem Album wie Live + im Player fällt das Warten leicht, mit so einem Hammer hätte ich definitiv nicht gerechnet. Statt routinierter Pflichtarbeit alternder Musiker gibt es hier eine frische, kraftvolle Ladung zeitloser Rockmusik und nebenbei eine Lehrstunde für Gitarristen und andere Musiker. Das Booklet ist etwas mager, Credits, Tourcrew, ein paar Bilder, vielleicht ist man auch langsam einfach zu verwöhnt von anderen (Re-)Releases, die da mehr vorlegen.

Ich geb´s zu: ich hätte nie gedacht, dass JEFF BECK mich noch mal so wachrütteln würde. Die beiden Live-Releases sind eine direkte Aufforderung, sich mit dem zu beschäftigen, was ich die letzten Jahre ignoriert habe. Live + ist ein fantastisches Live-Album, das mit den beiden neuen Studiosongs durchgehend Spaß macht und zeigt, warum sich so viele große Gitarristen vor dem Engländer immer noch verbeugen. Ein Pflichtkauf für Fans, aber genauso für Freunde gepflegter, zeitloser Rockmusik. Und ohne Zweifel sollte man dann auch gleich die ebenso starke DVD/Blu-Ray Live In Japan dazu packen für ein stimmiges Rundum Wohlfühl-Paket.

Veröffentlichungstermin: 15.05.2015

Spielzeit: 71:37 Min.

Line-Up:
Jeff Beck – Guitar
Jimmy Hall – Vocals
Nicolas Meier – Guitar
Rhonda Smith – Bass, Vocals
Jonathan Joseph – Drums

Produziert von Jeff Beck
Label: ATCO Records / Warner Music

Homepage: http://www.jeffbeckofficial.com

Mehr im Netz: https://www.facebook.com/jeffbeck

Tracklist:
1. Loaded
2. Morning Dew
3. You Know You Know
4. Why Give It Away
5. A Change Is Gonna Come
6. A Day In The Life
7. Superstition
8. Hammerhead
9. Little Wing
10. Big Block
11. Where Were You
12. Danny Boy
13. Rollin´ And Tumblin´
14. Going Down
15. Tribal*
16. My Tiled White Floor*
*new studio recordings

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