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DIE HEITERKEIT: Schwarze Magie

Mit ihrem fünften Album „Schwarze Magie“ zeigt sich DIE HEITERKEIT gereift und experimentierfreudig: Ihre Herangehensweise an das „Great American Songbook“ erschafft große Momente, die im deutschen Pop Seltenheitswert besitzen.

„Auch das hier wird vorübergehen“, singt Stella Sommer im gleichnamigen Song und hey, das will der Verfasser doch schwer hoffen, am dreizehnten Tag, der seine Tochter ans Krankenhaus bindet. Das Mantra, wenn der Verfasser aus dem Krankenhaus mit seinem kleinen Sohn nach Hause fährt, um dort zu schlafen, nur um eine Nacht später wieder zu tauschen. „Auch das hier wird man überstehen“. Natürlich. Was sind schon zwei Wochen? Also nicht Augen zu und durch, sondern es zulassen, den Schmerz, die Erschöpfung, die Überforderung. Es scheint, als bräuchte man dafür schon eine Art Zauberkraft. Und DIE HEITERKEIT schenken ihm diese, hier kokett „Schwarze Magie“ genannt.

In den gut vier Wochen, seit der Verfasser im Rabbit Hole der HEITERKEIT gefangen ist, wurden diese dreizehn Songs zu guten Freunden, zu treuen Begleitern. Dabei meidet er Deutschpop normalerweise, wie es der Teufel mit dem Weihwasser tut, aber vielleicht sind wir – Teufel und Verfasser – eben ganz Team „Schwarze Magie“. Stella Sommer, das einzig feste Mitglied der HEITERKEIT im Jahr 2025 geht dabei ein Wagnis ein, das die Gen Z in ein Meme namens „Deutsche Great American Songbook“ verwandeln könnte. Zugegeben, das klingt nicht so richtig einladend, eine Stella Sommer, die von Post Punk, Gothpop, Indie, Hamburger Schule hin zu Americana und Folk schon alles gemacht hat, weiß aber, was sie tut, und wie sollte sie in der Folge scheitern? Zuletzt zeigte sie das unter ihrem eigenen Namen mit dem epischen Singer-Songwriter-Album „Silence Wore A Silver Coat“, das qualitativ einer LANA DEL REY in nichts nachsteht.

Nach sechs Jahren und zwei Soloalben ist Stella Sommer wieder als DIE HEITERKEIT aktiv: „Schwarze Magie“ ist stilistisch und kompositorisch gereift.

Nun also die „Schwarze Magie“ mit seinen zahlreichen (Pop-)kulturellen Reminiszenzen. Beginnend vom NICK CAVE AND THE BAD SEEDS und NICK DRAKE inspirierten Artwork, zeigt sich DIE HEITERKEIT als Formation, die ihre Hausaufgaben gründlich gemacht hat. Das „Great American Songbook“, mit Songs aus der US-Prä-Pop-Era, von HENRY MANCINI bis DUKE ELLINGTON und NAT KING COLE umfasst Proto-Pop, Jazz und Americana als musikalische und lyrische Vorlage. Diese 13 Songs sind von ebenjener Zeitlosigkeit durchdrungen, aber Stella Sommer ist erfahren genug, um dadurch nicht ihre Essenz verwässern zu lassen. Die Dunkelheit von „Läute die Glöcken“, die einer Beschwörung gleich aus den Lautsprechern sickert, ist so zart wie präsent, mit einer wahnsinnig direkten Strophe und einem unheimlichen Chorus. Hierüber trennen DIE HEITERKEIT sofort die Spreu vom Weizen: Entweder man liebt dieses Album, oder man kann es nicht nachvollziehen, auch wegen Sommers einzigartiger, dunkler Charakterstimme, die diese melodiöse Chanson-Qualität hat – besonders deutlich wird das auch im sinnlichen „Alles, was ich je geträumt hab“, das über der Verzweifelung eines ELVIS PRESLEY meditiert.

DIE HEITERKEIT waren schon immer eine polarisierende Band, doch verglichen mit ihrem Debüt „Herz aus Gold“, oder auch dem epischen „Pop & Tod I+II“, ist „Schwarze Magie“ aber ein sehr reifes Album. Eine der wenigen Indie-Wurzeln ist dabei in „Wir erholten uns vom Fieber“ erfühlbar, ein treibendes Stück mit einem gewitzten „Come As You Are“-Zitat, das sehr erfrischend klingt. Davon abgesehen wird deutlich, wie DIE HEITERKEIT die klassische Songwriting-Kunst der 1930er bis 1960er in ihren Bandkontext überführen und sich damit neu definieren, ohne aber stumpf zu kopieren. So entstehen folkige Stücke, die eine Faulkner’sche Düsternis atmen, wie „Dunkle Gewitter“, „Teufelsberg“ und „Santa Ana“, die hypnotisch pulsieren und grooven, unheimliche Chöre und dadurch Epik auffahren, aber gleichzeitig kurz, prägnant und catchy sind. Sie strahlen ein gefährliches, ungezügeltes Flair aus, obwohl sie sich nicht so geben. Hier steckt der Teufel im Detail und er lauert unter der Oberfläche. Gleichzeitig ist im Titelsong ein wenig Augenzwinkern zu erkennen: Alternative Country-Gitarre, Clapping, ein Text, der eine Lanze für die „Schwarze Magie“ bricht – ironisch, wo doch viele dieser Interpreten sehr christliche Werte vertreten.

Die Kunst des Songwritings des „Great American Songbook“ passt zu deutschen Lyrics – zumindest dann, wenn man so sattelfest ist wie DIE HEITERKEIT auf „Schwarze Magie“.

DIE HEITERKEIT hatten schon immer etwas Düsteres und Zynisches an sich, beweisen anno 2025 feine Ironie und Humor, aber nur dort, wo es angebracht ist. Sind die oben genannten Stücke schon mitunter sensationell gut, steckt die eigentliche Stärke von „Schwarze Magie“ aber in der Melancholie und den mitfühlenden Momenten. „Wenn etwas Schönes stirbt“ heißt der erste Song, der durch seine Zartheit und Direktheit unter die Haut geht. Diese dreieinhalb Minuten feiern den leisen Abschied und fordern auf, dort hinzusehen, wo ansonsten weggeschaut wird. „Im kalten Februar Regen“ speist sich aus „November Rain“ und „Kentucky Rain“, ist aber keine Verbindung aus GUNS ‘N‘ ROSES und ELVIS PRESLEY, über den Stella Sommer vermutlich aus dem Stegreif eine Dissertation verfassen könnte, sondern nimmt dies nur als Ausgangspunkt, um ein sehnsüchtiges Lied über die Suche nach Zauber in einer grauen Welt und der Sehnsucht nach großen Gefühlen. Ein zu Tränen rührender Song, gerade dann wenn die triste Normalität die Oberhand hat.

„Schwarze Magie“ spart nicht mit weiteren Songs in diesem Stil. „Wie stehen die Chancen“ zaubert ein Lächeln, indem es alltägliche Sinnfragen und Krisen thematisiert. „Wie stehen die Chancen, für dich und mich, für uns alle. Ich fürchte fast, wir sitzen alle in der Falle.“ Identifikationswert: 10 von 10, und gerade deshalb so empathisch. Tröstender als in „Die Welt war jung, die Ängste alt“ und „Wie man ein Gespenst heilt“, wird es dann nicht mehr. Erstgenanntes Stück startet mit leisem Picking und einer bildschönen Gesangsmelodie, auf der ein schweres, warmes Klavier gelegt wird, das Akzente setzt und sich ganz sanft aufbaut, mit leisen Synthesizern, Violine und einem zum Sterben schönen Chorus. Eines der Lieder, das so viele Bedeutungen in sich trägt und dadurch im Unterbewusstsein volle Wirkung erzieht. In der abschließenden Ballade „Wie man ein Gespenst heilt“ schwebt Stella Sommers dunkel-rauchige Stimme über dem Piano und wirkt wie eine Umarmung, wenn der Schmerz übergroß zu werden droht und setzt auf Integration statt Abspaltung. Was für ein wundervolles Finale!

Am besten wird „Schwarze Magie“ dann, wenn die Songs das Herz tief berühren: DIE HEITERKEIT verzichten hier vollständig auf die Ironie oder Sarkasmus der frühen Jahre.

Warum DIE HEITERKEIT so sehr das Herz berühren wird gerade bei diesen beiden Stücken deutlich: Es tut gleichzeitig weh und so gut. EMILY JANE WHITEs „Ode To Sentience“ und „Blood / Lines“, die vor zehn, fünfzehn Jahren diese Art des Songwritings ins Herz des Verfassers gespült haben und DIE HEITERKEIT sind hier die Schwestern im Geiste und genauso intensiv. „Schwarze Magie“ ist also, nach zwei Soloalben und einer neuen Art des Gesangs, nach dem elegischen Pop von „Was passiert ist“ (2019), eine Neudefinition von DIE HEITERKEIT, wodurch sich zwei Seiten von Stella Sommer verbinden. Großen Anteil hieran hat die punktgenaue Instrumentierung, die einerseits recht sparsam ist, aber durch viele kleine Details auch eine beachtliche Tiefe erreicht.

Produzent Moses Schneider ist es zu verdanken, dass der Sound so warm und reichhaltig ist, aber gleichzeitig diese Detailtiefe erreicht, obwohl es sich auch irgendwie roh anhört – eine unglaublich gut gelungene Produktion. Als langjähriger Sparringspartner von Stella Sommer, weiß er genau, welchen Klang diese Songs brauchen und führt die verschiedenen Genres, die DIE HEITERKEIT bedienen zusammen. Und wenn da die perlenden LoFi-Synthesizer in „Auch das hier wird vorübergehen“ dem brummenden Kontrabass gegenüberstehen, wird das Klangbild so wunderbar vollmundig. Dass Stella Sommer als Instrumentalistin und Sängerin hier ganz im Dienst ihrer Songs steht und ihnen gibt, was sie brauchen, ja dem Album an sich gibt, was es braucht, ist die logische Conclusio. Darüberhinaus hat „Schwarze Magie“ eine exzellente Dramaturgie und jeder Song ergänzt und vervollständigt den vorherigen, ohne dass auf die notwendigen Sprünge in Dynamik und Stimmung verzichtet wird.

DIE HEITERKEIT lassen die eleganteste Düsternis im deutschen Pop entstehen: „Schwarze Magie“ verbindet verschiedene Facetten kongenial mittels einer perfekten Dramaturgie.

Die besten Rabbit Holes kommen völlig unverhofft. Ebenso unverhofft, wie die Tatsache, dass es in Deutschland eine Musikerin von internationalem Format gibt, die viel größeren Erfolg verdient hätte. Schließlich hat sich nach den ersten Tönen die samtige und weiche Stimme von Stella Sommer in den Gehörgang gefräst und eine Verbindung erstellt. „Schwarze Magie“ strahlt eine zeitlose Eleganz aus, eine Simplizität, die bei näherer Betrachtung gar nicht so simpel sind, wie auch die Lyrics, deren Tiefe sich nach und nach entfalten und sich mit jedem Hören mehr erschließen, oder vielleicht sogar verändern. Diese langsame Entfaltung spiegelt sich auf dem Artwork wieder: Stellas Sommers Portrait auf dem Artwork zeigt etwas anderes, als die Fotos im Booklet, auf denen sie sich weniger grimmig gibt. Auch hier ist eine schöne Entfaltung hin zur Versöhnung zu sehen.

„Schwarze Magie“ ist, damit man die volle Erfahrung hat, und aus Gründen der digitalen Verramschung von Musik und Kunst, nicht über die üblichen Streaming-Plattformen zu hören, sondern kann nur als Tonträger gekauft werden, auch über Bandcamp, oder den Bandshop. Und das sollte dringend unterstützt werden: Der HEITERKEIT ist mit „Schwarze Magie“ ein Album gelungen, das der deutsche Pop so dringend braucht: Mit Ernsthaftigkeit, subtiler Leidenschaft, feinen Spuren von Humor, Melancholie und viel Wärme suchen diese vierzig Minuten ihresgleichen. Vier Wochen intensives Hören, und noch immer hat sich dieses Album nicht abgenutzt. Was ist das für ein Glücksfall, so ein Album zu entdecken? Dieses Album ist einer der Gründe, warum der Verfasser es nach all den Jahren immer noch liebt, neue Musik zu entdecken.

Wertung: 13 von 13 Zaubersprüche

VÖ: 21. März 2025

Spielzeit: 39:56

Line-Up:
Stella Sommer – Gesang, Gitarre, Klavier, Synthesizer, Bass (Track 10)
Jannis Kleiß – Schlagzeug, Percussion
Martha Rowsell – Violine, Querflöte
Moses Schneider – Bass (Tracks 1, 2, 5, 12)
Johannes Weber – Kontrabass

Produziert von Moses Schneider

Label: Buback Tonträger

DIE HEITERKEIT „Schwarze Magie“ Tracklist:

1. Läute die Glocken
2. Wir erholten uns vom Fieber
3. Alles was ich je geträumt hab
4. Dunkle Gewitter
5. Teufelsberg (Official Audio bei Youtube)
6. Wenn etwas Schönes stirbt (Official Audio bei Youtube)
7. Wie stehen die Chancen
8. Schwarze Magie (Official Audio bei Youtube)
9. Im kalten Februar Regen (Official Audio bei Youtube)
10. Santa Ana
11. Die Welt war jung, die Ängste alt
12. Auch das hier wird vorübergehen
13. Wie man ein Gespenst heilt

Mehr im Netz:

http://dieheiterkeit.de/
https://shop.dieheiterkeit.de
https://dieheiterkeitofficial.bandcamp.com/
https://www.facebook.com/dieheiterkeit
https://www.instagram.com/die_heiterkeit/

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