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CRYPTA: Shades of Sorrow

Mit ihrem Zweitwerk „Shades of Sorrow“ ballern CRYPTA einen ordentlichen Brocken Old School Death Metal mit hohem technischen Anspruch auf den Markt. Dabei klingen die vier Frauen um Fernanda Lira kompakter, selbstbewusster und zugänglicher als auf ihrem Debüt. Vor allem die brachialmelodische Gitarrenarbeit sticht heraus – ein eindrucksvolles Statement der Death-Metal-Hoffnungsträgerinnen.

Viele Fans bedauern bis heute, dass Prika Amaral und Fernanda Lira ihre kultige Lärmcombo NERVOSA aufspalteten und fortan getrennte Wege gingen. Die ersten drei Alben waren eine Offenbarung für alle, die Death und Thrash Metal rau, roh und urwüchsig mochten, die Band schien kurz vor dem Durchbruch zu stehen. Doch so langsam wird klar, warum die Brasilianerinnen einen Neuanfang mit getrennten Projekten wagten. Während Amaral NERVOSA weiterführt und das Personalkarussell scheinbar im Minutentakt dreht -von der Besetzung des letzten Albums haben sich bis auf sie alle Musikerinnen wieder verabschiedet-, und dabei auf eine deutliche Thrash-Komponente setzt, hat sich die grundsympathische Fernanda Lira mit ihrer neuen Band CRYPTA ganz dem technischen Death Metal verschrieben. Und den musiziert sie auf beeindruckend hohem Niveau, wie man auf dem vorliegendem Album hören kann.

Während das CRYPTA-Debüt von 2021 zuweilen zusammengestückelt wirkte und unter einem etwas klinischen Sound litt, hat die Band die Kinderkrankheiten weitestgehend ausgemerzt. Kompakter kommt „Shades of Sorrow“ aus den Boxen, dynamischer und brutaler. Und dennoch hochmelodisch, denn die Stärken des Erstlings hat die Band gebündelt und verfeinert. Fernanda Lira faucht und grunzt für Death-Metal-Verhältnisse variabel und abwechslungsreich. Nicht selten wechseln sich tiefe Growls mit hohen giftigen Schreien ab, die den Songs zuweilen ein leichtes Black-Metal-Feeling geben. Die Breaks und Tempowechsel (von denen es hier reichlich gibt) wirken weit überlegter und sinnvoller gesetzt als auf dem Erstling. Fette Midtempo-Parts gehen in Blastbeat-Orgien über. Und da wäre noch das Gitarrenspiel herauszuheben, das brachiale Riffs und melodische Leads ineinander wirbelt, als würde man auf einem Taifun tanzen.

CRYPTA erkunden auf „Shades of Sorrow“ Extreme der Psyche

Die neue Kompaktheit spiegelt sich auch in den Texten wider. Die Klammer von „Shades of Sorrow“ bildet ein loses Konzept, in dem die Extreme der Psyche ausgelotet werden: Angst, Neurosen, Verzweiflung. Die Hölle, die ein Mensch für einen anderen Menschen sein kann. Schon das hebt die Platte positiv aus dem Einerlei vieler Death-Metal-Releases heraus, in denen es doch oft um die immergleiche Blutwurst-Schlachtplatte und okkulte Posen geht. Auch wenn man zugeben muss, dass die Texte selbst nicht immer ohne Klischees auskommen: Mauern, die einschließen, verblassendes Licht, innere Dämonen. Dennoch ist es ein willkommener Ansatz, das Skalpell mal nicht an der Oberfläche des Fleisches anzusetzen, sondern tiefer zu schneiden: Brutalität zu verinnerlichen.

Das Album eröffnet mit „The Aftermath“, einem stimmungsvollen und zugleich bedrohlichen Piano-Intro, das in einen spitzen Schrei übergeht, und ohne Vorwarnung prügelt der Opener „Dark Clouds“ los: Passend zum Text, das ein Sturmszenario skizziert, sinnbildlich für die Angst vor einer kommenden menschlichen Katastrophe. „Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken/ Kannst du den aufziehenden Sturm spüren?/ Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken/ Ich kann den Sturm nicht aufhalten!“ Ein unsichtbarer Feind kommt näher und näher, ermächtigt sich der sprechenden Person, „Ich würde lieber sterben, wenn dies das Leben ist“. Und schnell wird deutlich, welche Form des Death Metal wir hier geboten bekommen: eher die technische Variante, denn wenig später wird das Tempo wieder herausgenommen, um im brachialen Mid-Tempo zu grooven: um dann doch wieder loszubrechen, einen ruhigen Akustik-Part einzustreuen etc. Schneidende, sich teils überschlagende Riffs erinnern an Bands wie MONSTROSITY, PESTILENCE und manchmal gar an die flinken Harmonie-Orgien von DISSECTION.

Vielleicht kann man der Band insoweit vorwerfen, dass sie den Death Metal nicht neu erfindet: Man hat deutlich hörbar Anfang der 90er Jahre auf der Schulbank gesessen. Aber das Kind hat doch einen eigenen Charakterkopf, braut aus den Old-School-Zutaten sein eigenes Süppchen. „Poison Arrow“, der zweite Titel, kommt dann auch wieder mit melodisch-flinken Gitarrenwänden daher und verfügt über einen herrlich eingängigen Refrain: Momente, die auf dem Debüt noch ein wenig gefehlt haben. „Wie ein langsam wirkendes Gift/ Füttert Gleichgültigkeit meine Dunkelheit/ Betäubt den Schmerz/ Die Stille hallt wieder, wenn meine Seele bricht“: Depressionen kommen oft nicht als panikartige Attacken daher, sondern als lähmende Apathie. Beschrieben wird der Rückzug von der Welt, das erzwungene Verharren in Einsamkeit. Selten wurde dieses Thema so energiereich in einen Song gegossen. Gleichgültig klingt er jedenfalls ganz und gar nicht.

CRYPTA heben sich atmosphärisch von anderen Death-Metal-Bands ab

Dass sich dieses Album auch atmosphärisch von anderen Death-Metal-Alben unterscheidet, dazu tragen manch melodische Leadgitarre und manch dezenter Akustik-Part bei, die sich dem chaosgeschwängerten Gewitter aus brachialen Riffs, schweren Rhythmen und Tempowechseln entgegenstellen – und dem Album eine melancholische Stimmung verleihen. Hatte Bandleaderin Fernanda Lira das Debüt noch weitgehend allein komponiert, so wirkt nun auch Gitarristin Tainá Bergamaschi am Songwriting mit, was vielleicht erklärt, dass die Gitarren auf diesem Album besonders smaragden funkeln. Auch Neuzugang Jéssica Falchi ist in diesem Kontext hervorzuheben, die neben den melodischen Leads für die flinken Soli verantwortlich ist. Die 23jährige Gitarristin, ursprünglich als Aushilfe für die Tour eingeplant, ersetzt die ausgeschiedene Sonia Anubis gleichwertig, was als großes Kompliment gemeint ist: schon in meiner Rezension zum Debüt hatte ich die Leadgitarren euphorisch gelobt. Grundsätzlich präsentieren sich die vier Frauen als bestens eingespielte Einheit, auch Schlagzeugerin Luana Dametto macht einen sensationellen Job: präzise, wuchtig und komplex das Fundament legend. Früher als drittes Mitglied bei NERVOSA tätig, darf man vermuten, dass die Drummerin dort unterfordert gewesen ist.

Auch der dritte Song „The Outsider“ ist ein melodisch-brachialer Brecher, der etwas straighter als viele andere Titel des Albums aus den Boxen keifert. Das infernalische Gekreische, das den Song dominiert, wird auch Black-Metal-Aficinados zusagen. Das folgende „Stronghold“ verneigt sich mit seinen Leads in Richtung Göteborg-Sound und frühe PARADISE LOST, während melodische Akustik-Parts erneut Akzente setzen (Höre ich hier auch frühe OPETH raus?). Ein eher getragener, doomig angehauchter Song mit schleppendem Mittelteil. Wie auch der Opener wird hier die erzwungene Isolation in einer psychischen Krise beschrieben, was von der Grundstimmung gut einfangen wird: „Festung/ Gefesselt von Angst, meiner einzigen Begleitung“. Gegen Ende des Songs baut sich eine beeindruckende Gitarrenwand auf, die auch leichte Reminiszenzen an Post-Hardcore erkennen lässt.

Weil auch in der zweiten Hälfte des Albums wenig Füllmaterial zu finden ist, stattdessen weitere Highlights, dürfen CRYPTA nun endlich zu Champions-League-Anwärtern des Death Metal gezählt werden. Die Single „Trail of Traitors“ ist ein herrlich fieser Nackenbrecher, der erneut zwischen kosmischem Chaos und Melodik balanciert, mit leicht disharmonisch gestreuten Gitarren und brachialen Riffs. Fast unmenschlich kreischt Lira im Mittelteil, CRADLE-OF-FILTH-Momente inklusive. Die gespenstische Heimsuchung „Lullaby for the Forsaken“ ist ein kraftvoll groovender Midtempo-Song mit schreitenden Rhythmen, der die in den Texten besungenen Alptraum-Momente gut einfängt. „Sei still nun/ Unsichtbar wandere ich umher/ Sei still nun/ Betrete den Pfad der Einsamkeit/ um heim zu mir selbst zu finden“. Die wuchtige und transparente Produktion hat diesmal Daniel Bergstrand zu verantworten, bekannt für seine Arbeit mit Bands wie MESHUGGAH, IN FLAMES oder BEHEMOTH.

Und ja, das muss man vielleicht erwähnen: Einigen könnten diese Songs erneut zu sperrig sein, zu technisch, zu viele Haken schlagen. Auch wenn, wie bereits erwähnt, dieses Album zugänglicher ist als der Erstling. Es ist ein Album, das Zeit braucht, von den Details lebt, von den technischen Raffinessen. Von flink geschredderten Soli und einer Vielzahl an Riffs und Rhythmen. Es ist kein einfaches Album. Doch wer simplen Death Metal will, der kann ja immer noch zur neuen OBITUARY greifen.

Veröffentlicht am: 04. August 2023

Spielzeit: 51:50 Min.

Lineup:
Fernanda Lira – Bass, Vocals
Jéssica di Falchi – Guitar
Tainá Bergamaschi – Guitar
Luana Dametto – Drums

Label: Napalm Records

Homepage: http://www.cryptaofficial.com/
Mehr im Web: https://www.instagram.com/cryptadeath

Shades of Sorrow Tracklisting:

1 The Aftermath
2 Dark Clouds
3 Poisonous Apathy
4 The Outsider
5 Stronghold
6 The Other Side of Anger (Offizielles Video bei Youtube)
7 The Limbo
8 Trial of Traitors (Offizielles Video bei Youtube)
9 Lullaby for the Forsaken
10 Agents of Chaos
11 Lift the Blindfold
12 Lord of Ruins
13 The Closure

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