APOLLYON SUN: Sub

Die große Mehrheit wird "Sub" mit Freuden hassen und voll Inbrunst den tragischen Verlust einer weiteren Ikone – diesmal Tom Gabriel Fischer aka Tom Warrior – beklagen können, die "ihrer" Musik den Rücken gekehrt hat. Doch es lohnt sich, seinen Geist von klassischen Erwartungshaltungen und Genre-Denken zu befreien, um sich letztlich – so man denn stilistisch aufgeschlossen genug ist – ein ebenso eindringliches wie vielschichtiges Werk zu erschließen

Legenden haben’s schwer: Der übermächtige und allgegenwärtige Schatten der eigenen Vergangenheit mutiert nur allzu oft zum Damokles-Schwert übersteigerter Erwartungshaltungen und entsprechend scharfer Urteile, das im freien Fall jeden Hoffnungsschimmer kappt, seine Wertschätzung aus – und ausschließlich aus – dem gegenwärtigen Schaffen zu erfahren.

Wäre APOLLYON SUN nicht die Band eines Herren namens Tom Gabriel Fischer und wäre jener nicht einst als Tom Warrior kreativer Geist der Avantgarde-Metal-Institution CELTIC FROST gewesen, hätte “Sub” einen leichteren Stand. Zumal das Album mit großer Wahrscheinlichkeit von einschlägigen Heavy-Metal-Magazinen ignoriert und von den an sich zuständigen Szene-Publikationen nicht als wieder so ein Projekt von irgendeinem ex-Metaller, der die Nase voll hat von Geradeausstampstampfbumm eingestuft würde.

APOLLYON SUN schert sich einen feuchten Dreck um Konventionen und Kompromisshaltung

Zu welcher Gruppe man sich auch zählen mag: Es fällt fraglos schwer, sich APOLLYON SUN unvoreingenommen zu nähern. Doch es lohnt sich ebenso fraglos, seinen Geist von klassischen Erwartungshaltungen und Genre-Denken zu befreien, um sich letztlich – so man denn stilistisch aufgeschlossen genug ist – ein ebenso eindringliches wie vielschichtiges Werk zu erschließen, das zwar rein musikalisch mit CELTIC FROST nur wenig zu tun hat, aber den Geist dieser Legende immer noch atmet, indem es sich einen feuchten Dreck um Konventionen und Kompromisshaltung schert.

Genau diese Haltung allerdings hat schon viele Fans, die zur Vereinnahmung ihrer Idole neigen, vor den Kopf gestoßen. Und damit dürfte das Schicksal von “Sub” denn auch besiegelt sein. Denn: Wie viele eingefleischte Metaller interessieren sich schon für einen dunklen Bastard aus Industrial à la NINE INCH NAILS, Düster-Ambient im Stile alter David Bowie-Alben, allerhand elektronischen Spielereien und einer Hand voll Loops und Breakbeats? Richtig, herzlich wenig. Die große Mehrheit wird “Sub” mit Freuden hassen und voll Inbrunst den tragischen Verlust einer weiteren Ikone beklagen können, die ihrer Musik den Rücken gekehrt hat. Und sich einmal mehr um neue Hörerfahrungen bringen.

Auf “Sub” gibt es keine Grenzen und keine Maximen

Erfahrung ist das Stichwort im Umgang mit diesem Album: “Sub” fordert die Auseinandersetzung und verweigert sich dem Hörer schlicht und einfach so lange, bis dieser endlich seine Waffen streckt respektive sich und seine Erwartungen so weit zurücknimmt, bis er endlich DEN Status der Unvoreingenommenheit erlangt, der ihm schließlich Zugang zum Kern APOLLYON SUNs gewährt. Und der lautet wie schon bei CELTIC FROST: Keine Grenzen und keine Maximen. Erlaubt ist, was aus Herz und Geist des Künstlers um Ausdruck ringt. Ob leise, ob laut, ob brachial oder fragil, ob kalt und unnahbar oder voll finsterer Leidenschaft: Was raus muss, muss raus. Und so geriet “Sub” extrem, ohne verzweifelt Prädikaten der Marke lauteste, härteste, depressivste oder kränkste Veröffentlichung des Jahres nachzujagen. Wer dergleichen erwartet, wird nicht weniger enttäuscht sein als uverbesserliche 80er-Fetischisten.

Ja doch, APOLLYON SUN sind mitunter laut, sie sind auch oft genug hart, und depressiv und krank klingen sie ohnehin. Aber sie müssen’s nicht zwanghaft und immerfort unter Beweis stellen. An Brachial-Riffs mit Industrial-Attitüde darf sich in “Messiah” ebenso natürlich ein entspannter Chill-Out-Part anschließen wie sich in “Messiah” (das pikanterweise (?) durch ein vertraut klingendes UH! eingeleitet wird) verspielte House-Klänge neben Techno-Effekten, Drum’n’Bass-Rhythmen, modernen Dröhnriffs und finsterem Sprechgesang tummeln. Und plötzlich, gänzlich überraschend, kehrt Ruhe ein: “Slender”, ein stilles, atmosphärisches Stück, erinnert an die PINK FLOYD-nahen Momente TIAMATs. Umrahmt wird es von zwei weiteren Highlights des Albums: “Naked Underground” und “Human III”, die klingen, als würden Brian Eno und David Bowie ihre inspirierte und intensive Zusammenarbeit der 70er Jahre noch einmal aufleben lassen und die entstandenen Song in ein modernes Soundgewand stecken. Ebenso grandios: Das harte, von atmosphärischen Klangflächen durchbrochene “Mother Displaced”.

Letztlich aber entfaltet jeder einzelne Song auf Sub seine ganz eigenen Reize – intensive und wiederholte Auseinandersetzung mit dem Album, darauf sei noch einmal hingewiesen, vorausgesetzt. Und der vermeintliche Hit, das MARILYN MANSON-nahe “Dweller”, bildet gemeinsam mit “Reefer Boy” gar noch das Schlusslicht der geordneten Qualitätskette.

Spielzeit: 45:53 Min.

Line-Up:

Tom Gabriel Fischer – Voice, Guitars
Donovan John Szypura – Programming
Erol Unala – Guitars, Grooves
Dany Zingg – Bass
Marky Edelmann – Drums, Synth

Produziert von Roli Mosimann & APOLLYON SUN
Label: Mayan Records

APOLLYON SUN “Sub” Tracklist

  1. Dweller (Subhuman Remix)
  2. Reefer Boy (John Fryer Remix)
  3. Feeder
  4. Messiah (Second Coming)
  5. Naked Underground
  6. Slender
  7. Human III
  8. R.U.M.
  9. Mother Misplaced
  10. Concrete Satan
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