Kalt ist’s heute, Mitte November. Passend zum eisigen Norden. Mystisch anmutende atmopshärische Klänge die nordische Vergangenheit behandelnd sind es, die uns Grund geben, uns auf den Weg quer durch die City Berlins zu begeben. Am imposanten Tempodrom angekommen, fallen sofort die Scharen an Menschen auf, die sich vor der besagten Venue versammelt haben. Normal gekleidete Passanten gesellen sich zu schwarz gekleideten, jung und alt und hin und wieder Gewandete. Und überall: Undercuts! Uff, dass die Serie Vikings so einen Modebohei auslöst, hätte man sich damals kaum vorstellen können. Mit einem Zwinkern stelle ich erneut fest, dass Ragnar Lothbrok Inspirationsquelle für viele Männer zu sein scheint.
Das Tempodrom betreten und unsere Plätze bezogen bleiben uns noch knapp eineinhalb Stunden Zeit, um uns ein Getränk zu holen, den Merch zu begutachten und vor allem die Architektur zu bestaunen. Zwar sind wir nicht erstmalig hier, wohl aber ist’s heute das erste Mal, dass wir das Tempodrom bei guter Ausleuchtung bestaunen können. Die hohe Decke, einem Zelt gleich, mit Holz verkleidet. Trotz der Größe des Konzertsaals und der Menge an Menschen, die sich zuweilen lautstark unterhalten, gibt’s weder Hall noch Echos. Einfach toll!
Die Bühne selbst ist mit langen netzartigen Tüchern verziert. Man vernimmt Vogelgezwitscher, im Hintergrund läuft ganz leise neofolkloristische Musik.
Als dann, 20:30Uhr, pünktlich wie die Maurer, WARDRUNA die Bühne betreten, erbebt der Boden und das Gemäuer vor tosendem Applaus. Alle haben diesem Moment entgegengefiebert. Der Beifall verstummt, Gespräche verstummen zuleisem Gemurmel. Es folgt Stille. Ein leichtes Krächzen kündigt einen Raben an. Auf der großen Leinwand im Hintergrund erscheint er. Riesig und weiß. Das Symboltier des Albums “Kvitravn” (“Weißer Rabe”), was zugleich der Künstlername von Einar Selvik, Vater des Projektes WARDRUNA, ist. Dieses Synonym kommt aus einer Zeit vor WARDRUNA, als Einar noch in einer der einflussreichtes Black Metal Bands Norwegens als Drummer zugegen war: GORGOROTH. Dort zeigte er in den Jahren von 2000 bis 2004, dass er ein gutes Gespür für Rhythmen hat. Heute also stellt er, mit seiner Band, erneut sein Können unter Beweis.
So steigt die Kapelle sogleich, eingeleitet von John Stenersen’s Spiel auf der Moraharpa, mit dem Titel “Kvitravn” ein und sofort ist jeder im Saal gefesselt. Die Verbindung aus vermeintlich uralten, ungemein rhythmischen Klängen, vorgetragen in altnordischer Sprache ist es, die den Zuschauer und -hörer direkt in ihren Bann zieht. Beim Titel „Skugge“ legt Einar sein ganzes Stimmrepertoire dar. Angetrieben von durch Mark und Bein dringenden Trommeln sind die ersten Zuschauer auf den seitlichen, unverkauften Rängen, geneigt, sich im Tanz zu verlieren.
Auch Lindy Fay Hella, die Sängerin zu Einars Rechten, bringt Bewegung auf die Bühne und beginnt beinahe ekstatisch zu tanzen. Bei „Solringen“ wird auf die Leinwand hinter den Musikern ein Kreis aus Licht gezeigt, der sich langsam schließt und optisch an eine totale Sonnenfinsternis erinnert. So schaffen es die Künstler auf dem Podium stets, Spannung aufrecht zu erhalten. Immer wieder gibt es neue Elemente und kuriose, aus früher Vorzeit stammende Instrumente zu bestaunen. So bringen Rahmentrommeln den Boden zum Erzittern. Moraharpa, Talharpa (Geigen alter Bauart) und Kraviklyra (eine Art Harfe) wirken so fern unserer Zeit. Luren klingen wie Alphörner, erinnern mich persönlich ein wenig an die Carnyx der eisenzeitlichen Kelten. Die Show ist einfach nur perfekt. Perfekt im Sinne von “weniger ist mehr”.
Beim Song „Lyfjyberg“ (“Berg der Heilung”) wird der Boden mit wahren Unmengen von Kunstnebel geflutet. Der Boden verschwindet, die Band steht wie auf Wolken. Es regt sich kein Lufthauch, so wabert der Nebel einem Wasserfall gleich von der Bühne und strömt durch die Reihen der Sitzplätze. Man arbeitet mit einer unaufdringlichen Lichtshow. Zuweilen werden die Schatten der Musiker mittels Flutlichtern abwechselnd auf die Wände geworfen, was dem Ganzen eine gewisse Surrealität verleiht. Es gibt kein Stroboskop oder bunte grelle Scheinwerfer.
Es ist der Klang, der zählt. Und dieser kommt hier und heute, einfach nur umwerfend direkt und klar zur Geltung.
Minimalismus ist es auch, der beim Lied „Voluspá“ (vom Album „Skald“) ungemein passend ist. So verlässt der Rest der Musiker die Bühne, um Einar “seinen Moment” zu gönnen. Hier ist er eins mit seiner Kraviklyra. Gänsehaut pur.
Natürlich darf bei einem Konzert von WARDRUNA ein Lied nicht fehlen. Als Finisher wird uns allen „Helvegen“ serviert. Ein Song, der davon handelt, was es bedeutet, ins Totenreich hinüberzutreten. Einar selbst beschreibt es bei seiner einleitenden Ansage ans Publikum gerichtet so:
“Uns alle verbindet eins: Dieser Weg, den wir alle einst gehen werden. Nichts ist so sicher, wie der Tod.”
Tief berührt ersehnt sich ein jeder im Publikum noch eine letzte Zugabe, welche wir auch bekommen. „Snake Pit Poetry“ ist es. Von Selvik schmunzelnd angekündigt als ein Lied über den “Star” Ragnar Lothbrok und dessen Ende in der Schlangengrube. Tja, am Soundtrack zur eingangs erwähnten Serie Vikings war WARDRUNA schließlich nicht ganz unbeteiligt.
Und so geht ein grandioser Abend zu Ende. Ein weiteres Mal zeigt die Band und das Projekt WARDRUNA, dass sie/es nicht zu Unrecht als Begründer einer eigenen Musik-Subkultur gehandelt wird.
Abschließend möchte ich noch eine von Einar Selvik’s Ansprachen betonen, welche ihm tosenden Applaus bescherte. Aus dem Gedächtnis kann ich sie nicht wortwörtlich wiedergeben, wohl aber verteufelte er den Konflikt zwischen den Kulturen. Keine Kultur ist besser oder schlechter, als die Andere. Gingen wir noch viel weiter in der Zeit zurück, so würden wir feststellen, dass wir doch alle gleich sind. WARDRUNA soll alle Kulturen und Völker berühren. Alle sollen sie singen und tanzen und leben. Miteinander.
Fotogalerie: WARDRUNA
WARDRUNA Setlist
- Kvitravn
- Hertan
- Skugge
- Solringen
- Kvit hjort
- Runaljod
- Lyfjaberg
- Voluspá
- Tyr
- Isa
- Grá
- Himinndotter
- Rotlaust tre fell
- Fehu
- Helvegen
- Snake Pit Poetry