NEVERMORE: Live in der Rockfabrik Ludwigsburg, 02. Oktober 2003

Trotz stimmlicher Probleme einer der besten NEVERMORE-Gigs seit langem.

NEVERMORE haben sich über die vielen Jahre, die sie inzwischen im Metalbusiness aktiv sind, einen beachtlichen Fankreis erspielt und das obwohl die Band alles andere als einen leicht verdaulichen Sound auffährt. Umso erstaunlicher dafür, dass die Truppe auf ihrer ersten Headlinertour seit langem wohl Probleme hatte die Hallen zu füllen, zumal man mit ARCH ENEMY einen Support am Start hatte, der zusätzlich Fans zog – für viele war der Ausfall der Band bei verschiedenen Konzerten Grund genug daheim zu bleiben. Dennoch konnte der eigentliche Publikumsbereich der Rofa an diesem Abend gut gefüllt werden, so dass die Menge groß genug war um echtes Konzertfeeling aufkommen zu lassen, man fühlte sich – wie oft in dieser Location erlebt – aber auch nicht wie eine Sardine, was die Sache sehr angenehm machte.

Dass Warrel Dane an diesem Abend nicht unbedingt bestens bei Stimme sein sollte, das konnte man schon erahnen als man erfuhr, dass der Frontmann zur Schonung seiner Stimmbänder sämtliche Interviews vor dem Gig absagte und mit Schal um den Hals durch die Gegend marschierte. Und tatsächlich, besonders stimmgewaltig zeigte sich der Inbegriff des Metalsängers wirklich nicht und dennoch sollte es eines der besten NEVERMORE-Konzerte der letzten Zeit werden. Ja, es tat einfach mal wieder gut die Band in einer Halle zu sehen anstatt auf einer Festivalbühne, denn endlich konnte man die Truppe mal wieder hautnah erleben, in intimerer Atmosphäre und mit deutlich mehr Tiefgang.

Zudem boten NEVERMORE eine interessante und auf gewisse Art überraschende Setlist, die ganz klar deutlich machte, dass nur die Band selbst bestimmt, welche Songs gespielt werden und welche nicht. Jeder, der auf den ein oder anderen SANCTUARY-Klassiker nicht verzichten wollte wurde jedenfalls enttäuscht zurückgelassen – es gab keinen einzigen! Genausowenig spielte das inzwischen fast schon unterbewertete Debüt eine Rolle, immerhin hatte man mit In Memory den größten Song der gleichnamigen EP am Start und den brachte die Band mit einer derartigen Intensität, dass einem fast schon schmerzlich bewusst wurde, was man zum Teil inzwischen bei der Band vermisst – Melodien mit Eingängigkeit und Überraschungsmomenten, die durchdacht sind, den Song aber dadurch nicht zerstören und mit griffigeren und doch intelligenten Texten (mit denen man sich eher identifizieren kann als mit den neuen – nicht weniger guten, aber halt abstruseren – Lyrics) perfekt begleitet werden. Im romantisierenden Rückblick hat man zumindest das Gefühl, als hätten NEVERMORE da zum Teil diese anspruchsvolle Griffigkeit zu Gunsten eines bestimmten Sounderlebnisses in den Hintergrund gedrängt. Gleichzeitig war aber auf der anderen Seite festzustellen, dass gerade die Songs vom neuen Album live eine enorme Aufwertung erfahren und so richtig knallen aber auch ergreifen – auf eine andere Art eben.

Viele Alben bleiben nach diesen Ausführungen letzten Endes nicht mehr übrig und wer eins und eins zusammen zählen kann, dem dürfte klar sein, dass drei Eckpfeiler den Abend bestimmten: Politics of Ecstasy, Dead Heart in a Dead World und die Symbiose aus den beiden Werken – Enemies of Reality. Diese wurden instrumental verdammt tight dargeboten, TESTAMENT-Gitarrist Steve Smyth, der NEVERMORE auf dieser Tour begleitete machte einen richtig guten Job, Höhepunkte waren aber wieder einmal die großartigen Gitarrensoli von Jeff Loomis.

Warrel Dane konnte da an diesem Abend ganz klar nicht mithalten, was aber weniger daran lag, dass er vor lauter Begeisterung auch mal mit dem Gesang zu früh einsetzte (sehr sympathisch!), sondern einfach an seiner Stimme. Die klaren Melodieteile wollten ihm so gar nicht gelingen und seine Schreiparts wirkten eher gepresst als gekonnt. Wobei er sich aber zum Beispiel beim Bass/Gesangsintro Dead Heart in a Dead World verdammt gut aus der Affäre zog, ja sogar für Gänsehaut sorgte, das dann fast nahtlos in Heart Collector überging. Und gerade bei solchen Stücken konnte sich der Sänger blind auf das Publikum verlassen, dass begeistert mitsang und Warrel so die notwendige Stütze verlieh – und das schon beim Opener Inside four Walls an! Die Menge war heiß und das machte sich auch durch immer stärker aufkommendes Stagediven und Crowdsurfen bemerkbar, das vor allem Warrel Dane gnadenlos unterstützte, ja sogar darauf Bestand jedem einzelnen der auf der Bühne erschien die Hand zu geben und evtl. auch mit demjenigen ein paar Noten zu singen, bevors wieder ab in die Menge ging – manchmal freiwillig, manchmal weniger freiwillig mit Unterstützung der Security oder eines Arschtritts von Jim Shepard (was aber weniger bösartig gemeint war). Warrel Dane zeigte sich tatsächlich sehr nahbar und dennoch durchgeknallt und so verwundert es nicht, dass am Ende des Zugabenteils bestehend aus Who Decides, Engines of Hate und Sound of Silence plötzlich wieder die ganze Bühne voller ausrastender Fans stand. Ja, jetzt ist mir wieder klar warum NEVERMORE eine lange Zeit mein ganz großer Favorit war.

Was sonst noch gespielt wurde: Lost, Narcosynthesis, Ambivalent, Enemies of Reality, River Dragon hast Come, Seven Tongues of god, tomorrow turned into Yesterday.

Total
0
Shares
WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner