Klytaimnestra oder Der Fluch der Atriden

‘Die erste Metal-Oper der Welt’ kann als gelungenes Experiment angesehen werden und die Musik von David DeFeis überrascht mit unerwarteter Härte.

KLYTAIMNESTRA am 05.06.99 im Stadttheater in Memmingen

KLYTAIMNESTRA – Ein wichtiger Name für die Metal-Geschichte. Viele werden mit diesem Begriff momentan nichts anfangen können, da die Werbekampagne im Metalbereich für dieses Ereignis recht zurückhaltend war. KLYTAIMNESTRA ist die erste Metal-Oper in der Geschichte unserer geliebten Musik, komponiert von VIRIN STEELE – Bandkopf David DeFeis. ‚Moment mal‘, werden einige sagen, ‚da gab es doch schon das ein oder andere Werk, das in diese Richtung ging!‘….Richtig, aber KLYTAIMNESTRA ist tatsächlich das erste Werk, das auch durch ein professionelles Theaterteam in entsprechenden Ambiente präsentiert wird.
Ich bin wirklich erstaunt über den Medienrummel, den es um die Premiere am Montag zuvor gab, und so kann man u.a. im Spiegel einen Bericht über das Ereignis finden und auch der Kultursender Arte berichtete positiv in deren Nachrichtensendung am Sonntag (06.06.99) über KLYTAIMNESTRA.

Wir waren gespannt, aus welchen Leuten sich das Publikum im Stadttheater Memmingen zusammensetzten würde und um so erfreulicher war der Anblick beim Eintritt in das Foyer: Kutten, Bandshirts, Lack & Leder! Vor allem fand ich es klasse, daß doch viele jüngere Metal-Fans Interesse an diesem ‚Experiment‘ zeigten und beim genauen Hinhören konnte man feststellen, daß auch so mancher Nichtdeutsche den Weg nach Memmingen gefunden hat, um sich das Stück anzusehen. Den Hauptteil des Publikums machte letztendlich aber dann doch das ‚normale‘ Theaterpublikum aus, und so konnte man sehr gespannt auf die Reaktionen gegenüber dieser Art von Musik sein.
KLYTAIMNESTRA ist wirklich schwer einzuordnen. Handelt es sich hier nun tatsächlich um eine Oper oder wie soll man das Stück, das von Walter Weyers in Szene gesetzt wurde, bezeichnen?
Nun, für mich war KLYTAIMNESTRA eine moderne Theateraufführung, die durch die Musik von David DeFeis umrahmt und im Gewand einer Oper dargeboten wurde.

Thematisch behandelt KLYTAIMNESTRA die dramatische Geschichte um die gleichnamige Frau Agamemnons, den sie mit Hilfe von Aigisthos ermordet, da Agamemnon die gemeinsame Tochter Iphigenie dem Krieg opferte. Aigisthos ist der Sohn von Thyestes, seine Geschwister wurden durch das Atridenhaus ermordet dem Vater als Speise vorgesetzt.

Die zweite Tochter Elektra, die von jeher stark mit ihrem Vater verbunden war, zu ihrer Mutter jedoch ein schlechtes Verhältnis hatte, plant mit ihrem Bruder Orest, der von seiner Mutter in die Verbannung geschickt wurde und seit dieser Zeit von seiner Familie getrennt lebt, die Blutrache an der Mutter und dem Mörder des Vaters. Tatsächlich ist aber Orest allein der Mörder seiner Mutter, er wird durch diese Schuld zum Spielball der Götter. Apollon und die Erynnen streiten um das Schicksal, das den Verdammten treffen soll. Schließlich richtet Athene über ihn: Sie gibt Orest frei, damit er selbst über sein Schicksal, Leben oder Tod, bestimmen soll.

Soweit eine knappe Zusammenfassung der Handlung.
Da das Stück schon in vielen verschiedenen Inszenierungen aufgeführt wurde, interessiert natürlich in erster Linie die Umsetzung des Stoffes, und die ist für meine Laienkenntnisse sehr interessant und ansprechend ausgefallen. Sicher tut sich so mancher mit dieser Form des modernen Theaters schwer, da sowohl die Kulisse nicht gerade den Vorstellungen entspricht, die man bei dieser Geschichte hat, als auch die Art der Darstellung durchaus gewöhnungsbedürftig ist.

Die Kulisse von KLYTAIMNESTRA ist eine Art Baustelle mehrere Gerüste, Stangengebilde und in der Mitte ein riesiger nach oben schauender Kopf, dessen Mund der Eingang zum Königshaus der Atriden darstellt. Auf der Bühne stehen drei Fernsehgeräte, in denen immer wieder die Schauspieler in bestimmten Szenen in Großaufnahme gezeigt werden.


Die Darsteller sind stark geschminkt, bunte Perücken und Haartrachten ergänzen das bizarre Auftreten der Figuren. Interessante Lederoutfits tun ihr übriges und passend zur Musik tragen die Darsteller die Farbe Schwarz.
Für echte Theaterfreunde ist diese Form der Darstellung sicher schon lange nichts neues oder ungewohntes mehr. Auf den unbedarften Laien könnte diese Art des Schauspiels aber sicher eine abschreckende Wirkung haben. Dasselbe gilt für die Bewegungen der Schauspieler, die sehr betont und ausschweifend waren.
Doch was beschreibe ich noch lange? Mich hat die Darbietung absolut angesprochen und konnte mich auch wirklich fesseln. Langeweile kam nie auf, wenn ich auch durchaus ab und zu durch die harten Theatersessel abgelenkt wurde . Für mich nach wie vor unverständlich sind jedoch extrem übertriebene, zugespitzte Momente, besonders in der Szene, als Athene über Orest richtet. Sicher verfolgen auch solche Darbietungen einen gewissen Zweck und haben ihre ‚tiefere‘ Bedeutung, auf mich wirkt sowas jedoch mehr gewollt als tatsächlich tiefgründig.

Kommen wir also endlich mal zu dem, was euch hier am meisten interessieren dürfte: Die Musik von David DeFeis. Und ich muß sagen, ich war überrascht! Ich war sehr überrascht! Erwartete ich doch gemäßigteren Metal, ja sogar eher Rockmusik, so mußte ich bereits bei den ersten Songs feststellen, daß hier durchaus auch mal ein Brett gefahren wird. Die Macher von KLYTAIMNESTRA muten ihren nichtmetallischen Zuschauern einiges zu und so dürfte so manche Double-Bass-Attacke dem ein oder anderen das Entsetzen ins Gesicht treiben, genauso die Lautstärke der dargebotenen Stücke.

Man kann eindeutig erkennen, daß die Musik zu KLYTAIMNESTRA aus David DeFeis Feder stammt. So manches Deja-Vu zum Meisterwerk ‚Marriage of Heaven and Hell‘ drängt sich auf. Das, was im Stadttheater von Memmingen aus den Boxen kommt, ist eindeutig VIRGIN STEELE!
Ich fragte mich im Vorfeld der Aufführung, wie die Macher des Stücks die zugehörige Musik auf die Bühne bringen wollen. So rätselte ich schon, ob denn da nun evtl. eine Band am Bühnenrand stehen würde oder gar ein kleines Orchester. Wie ich aber bereits oben andeutete, kommt die Musik von Band, lediglich die Darsteller singen live zur Musik. Und in diesem Punkt liegt auch mein größter Kritikpunkt an der Aufführung. Es ist eindeutig zu erkennen, wie sich David DeFeis die Gesangsparts vorgestellt hat und an manch einer Stelle kann man innerlich seinen Gesang vernehmen. Doch nicht immer können die Darsteller die Anforderungen des Komponisten erfüllen.


Wirklich grandios ist die Hauptdarstellerin Joséphine Weyers als KLYTAIMNESTRA, die mir beim Song ihrer Ermordung so manchen Schauer über den Rücken laufen ließ und auch sonst als großartige Rocksängerin überzeugen kann (lediglich mit der englischen Aussprache gibt es einige Schwierigkeiten ). Und auch ‚die grinsende Maske‘ Ralf Weikinger, bringt das richtige Metal-Feeling mit, erinnerte mich so manches mal gar an Jon Oliva (SAVATAGE). Und zu dieser Meinung stehe ich, auch wenn Ralf Weikinger die höheren Töne einfach nicht mehr so richtig erwischte, wobei ich eher das Gefühl hatte, daß dies an den zurückliegenden Anstrengungen lag.
Doch was von den anderen Schauspielern kommt, ist teilweise schon fast nicht mehr erträglich. Okay, bei einfachen Parts ist es kein Problem, aber wenn es dann mal schwieriger wird, wünscht man sich doch einen echten Metal-Shouter auf die Bühne, womit mal wieder bewiesen wäre, daß es zum Metal-Sänger eben doch etwas mehr braucht, als einfach nur schreien zu können. Genauso hat so manche Tanzeinlage eher komödiantischen denn künstlerischen Charakter.

Doch auch hiervon ließ sich mein positiver Gesamteindruck nicht verderben. KLYTAIMNESTRA war für mich ein einzigartiges Erlebnis und ich bin froh, daß ich die Gelegenheit hatte, mir dieses Schauspiel ansehen zu können.
Und was soll ich sagen, nicht nur mir schien es so zu gehen. Das Publikum wollte fast nicht mehr aufhören zu applaudieren und besonders die beiden Stars der Vorführung, KLYTAIMNESTRA und ‚DIE GRINSENDE MASKE‘ wurden ein ums andere Mal abgefeiert. ‚Exzellent‘ und ‚Hervorragend‘ waren häufige Äußerungen im Publikum und auch, wenn es die ein oder andere Person nach dem ersten Akt nicht mehr zurück in den Theaterraum zog, hatte ich doch das Gefühl, daß das Stück vom Publikum wirklich angenommen wurde und nicht nur für einen Metal-Fan wie mich etwas besonderes darstellte.

Fierce

(Bilder mit freundlicher Genehmigung von Karl Forster, Bad Grönenbach)

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