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VIRGIN STEELE: The Passion of Dionysus

VIRGIN STEELE sind nach acht Jahren mit einer neuen Platte zurück. Mittlerweile eher das Soloprojekt von Bandkopf David DeFeis, will er mit seinem neuesten Opus Magnum -Zitat Plattenfirma- “das Konzept der Dualität, in der etwas gleichzeitig das eine, aber auch das Gegenteil ist” einfangen. Passenderweise fanden sich Engel und Teufel ein, um für VAMPSTER die Platte probezuhören. Denn unser eigentlicher Rezensent ließ sich ohne Begründung entschuldigen.

Unser Rezensent Mirko Wenig war früher ein leidenschaftlicher VIRGIN STEELE-Fan. In den 90er Jahren, als die Band – wie er sagt – „unsterbliche Göttergaben“ wie die „Marriage of Heaven and Hell“-Alben veröffentlichte, fiel er oft dadurch auf, dass er ins Schwärmen geriet. Ungefragt erzählte er dann jedem, der es nicht hören wollte, dass VIRGIN STEELE wohl die beste Heroic Metal Band der Welt seien, viel besser als MANOWAR. Denn wo MANOWAR nur unbeholfen stampfende Midtempo-Nummern mit Mitgröl-Refrains oder seltsam saftlose Uptempo-Ärgernisse ablieferten, so erzählte er, würden VIRGIN STEELE auf einem ganz anderen Niveau komponieren: elegant fließende und variable Songs, die verschiedenste Stimmungen ineinander weben. Außerdem würden VIRGIN STEELE etwas beherrschen, was MANOWAR nie beherrscht hätten: Sinnlichkeit und Subtilität. So schwärmte und schwärmte er, bis alle am Tisch eingeschlafen waren, während er wild mit einem Plastikschwert herumfuchtelte. Doch für die Rezension des aktuellen Albums „The Passion of Dionysus“ ließ sich Mirko ohne Angabe von Gründen entschuldigen. Stattdessen schickte er den Engel und den Teufel, die auf seiner Schulter wohnen. Sie sollten das neue Album probehören. Beschwingt kam der Engel zur Tür herein, der Teufel hingegen machte ein genervtes, missmutiges Gesicht.

Engel: „Endlich ein neues VIRGIN STEELE-Album! Das erste seit acht Jahren! Wie freue ich mich! Ich kann es kaum erwarten!“ (Nimmt sich die Fernbedienung und macht die Anlage an)

Teufel: „Ganz ehrlich, ich habe jetzt schon keinen Bock! Hast du dir die letzten beiden Alben mal angehört? Es wäre untertrieben, das als Grauen zu bezeichnen! In der Hölle läuft viel grausame Musik, um die armen Seelen zu quälen. Aber den Vorgänger abzuspielen, hat der Betriebsrat aus Gründen des Arbeitsschutzes untersagt. Und außerdem, welch seltsame Misstöne dringen da an mein Ohr? War das soeben ein Knurren? Wirkt da ein Hund auf der Platte mit?“

Engel: „Nein, das war David DeFeis! Er knurrt! Ich bin sehr angetan! Ich zitiere: When the sun sets/ I will seal your fate with mine! Toller Einstieg! Endlich wieder ein Konzeptalbum mit einer heroischen Story! Und es geht schon einmal sehr flott los!“

Teufel: „Es geht flott los? Ich höre einen David DeFeis, der in der Höhe verdächtig neben der Spur singt! Der in der Tiefe keine Kraft mehr hat! Und überhaupt, warum ist die Stimme so komisch gedoppelt? Was sind das für merkwürdige Effekte? Ich gestehe zu, es sind ein paar nette Ideen zu erkennen. Wäre da nicht David DeFeis, der zu klimpern und zu klirren beginnt, um alles wieder zunichte zu machen! Engel, wie lange geht denn der erste Song jetzt schon? Ist der etwa endlos?” (Teufel schaut nervös auf die Uhr) „Ich bekomme Zahnschmerzen!“

Engel: „Aber jetzt höre dir doch mal den Beginn von „You Will Never See the Sun Again“ an. Eine tolle Melodie: und DeFeis übertreibt es mal nicht mit dem Gesang! Kein Jauchzen, kein Kicksen! Eine schöne Melodie! Das hätte so ähnlich auch auf seinen besten Alben stehen können!“

Teufel: „Ja, wenn es nicht so superscheiße produziert wäre! Alles wirkt künstlich! Sind das denn überhaupt richtige Instrumente? Wirken da auch andere Musiker mit? Hört sich an, als ob die ganze Musik aus der Konserve käme! Und jetzt erkläre mir mal bitte, was DeFeis nach drei Minuten da macht! Er säuselt! Er SÄUSELT! Warum zur Hölle säuselt er den Song kaputt? Und er säuselt ständig, wirklich STÄNDIG!“

Engel: „Aber was kann man denn gegen Säuseln haben? Auch der Wind säuselt! Es ist so schön, wenn er sanft durch die Blätter der Bäume fährt…“

Teufel: „Sanft durch die Blätter fährt? Was hast du denn genommen! Kein Wunder, dass dir dieser Sound gefällt. Ihr seid im Himmel doch alle ständig bekifft! Und außerdem säuselt DeFeis nicht sanft: ER NERVT! Ständig reitet er die hohen Töne, in Verkennung seiner Fähigkeiten, heult wie ein angeschossener Kojote. Seine Gesangsparts hätte er auch mit einer Blockflöte einspielen können!“

Engel: „Blockflöte, Drogen: Das dionysische Prinzip! Rausch und Ekstase! Nun rate mal, warum Dionysus im Albumtitel auftaucht! Ich sag es ja: DeFeis ist ein Elf, der nackt unterm Lindenbaum tanzt! Ein Ritter der Sinnlichkeit! Man muss sich nur darauf einlassen, damit die Musik die Seele streichelt! Man muss das Herz weit öffnen und…“

Teufel: „Herz weit öffnen! Bei mir öffnen sich ganz andere Organe! Siehst du nicht, wie meine Ohren bluten? Wie die Hirnzellen platzen? Engel, dass du das ohne Schaden aushalten kannst, nötigt mir Respekt ab! Es spricht für deine Widerstandskraft! Offenbar hast auch du eine teuflische Seite!“

Engel: „Still, ich will die Musik genießen! Ich bin besessen! Wir sind nämlich schon bei „A Song of Possession“ angekommen! Endlich wieder ein schneller Metalsong! So einen hat DeFeis auf seinen letzten beiden Alben selten abgeliefert. Was für eine Kraft und Wucht! Ein hübsch galoppierendes Riff! Wollen wir eine Runde headbangen, Teufel?“

Teufel: „Ich headbange bestimmt nicht zu einem Song, der zu 90 Prozent aus billigen Keyboard-Sounds besteht! Was nützt denn das flotte Tempo? Da kann ich mich auch neben eine Waschmaschine setzen und zuhören, wie die Trommel ihre Runden dreht! Das ist doch nur ein mechanisches Rumpeln! Und wo bitte hörst du da ein flottes Riff? Ich höre dumpfes Gedröhne!“

Engel: „Ich finde den Mittelteil so schön!“
(Singt:) „You and I, together in misery!“
„Teufel, ist es nicht schön, wie DeFeis immer wieder das Tempo variiert? Wie er mit überraschenden Wendungen arbeitet?“

Teufel: „Wo bitte hörst du da einen Mittelteil heraus? Ich höre viele Teile, die irgendwie wirr aneinandergeklatscht wurden! Das macht doch alles keinen Sinn! Und überhaupt, warum ist der Song so lang? Wo will der Song denn hin? Ich kann hier kein Konzept und keine Struktur erkennen! Wollen die Songs denn nie enden? Bitte, ich kann das alles nicht mehr ertragen!“

Engel: „Schweig! Hast du denn keinen Sinn dafür, dich in Musik zu verlieren? In den Tönen umherzuspazieren wie in einem dicht verwachsenen Wald? Man muss auch mal ausgetretene Pfade verlassen, über Äste steigen, Schluchten erklimmen und durch Flüsse schwimmen! Man muss auch mal Umwege gehen! Du aber willst immer auf den fest markierten Wanderwegen bleiben! Die entlegensten Orte sind oft die schönsten!“

Teufel: „Verlieren? Hast du verlieren gesagt? Nein, ich möchte mich lieber nicht im Gehirn von David DeFeis verlieren! Was dort lauert, macht mir Angst! Und das will was heißen, denn ich bin der Teufel! Ich sollte furchtlos sein! Die Menschen sollten MICH fürchten! Aber ich habe Angst, dass mich irgendwo ein hoher, disharmonischer Schrei anspringt, dass ich eine Tonleiter hinunterstürze, dass ich in einer dunklen Höhle aus wirren Gedanken verunglücke! Engel, du Sadist, ich will das alles nicht!“

Engel: „Wie findest du den Spoken-Word-Part in „Spiritual Warfare“? Müsste dir doch gefallen! Da singt er nicht! Ich finde es grandios, wie DeFeis die einzelnen Teile seiner Story mit Zwischenspielen verknüpft!“

Teufel: „Wenn ich mir ein Hörspiel anhören will, dann höre ich mir ein verdammtes Hörspiel an! Schon MANOWAR haben mich auf ihren letzten Platten mit diesem komischen Spoken-Word-Quatsch genervt! Jetzt fängt DeFeis auch noch damit an! Wieder die Frage: Warum macht man das, wenn nicht aus dem Grund, um Zeit zu schinden? Engel, im Fußball gibt es für Zeitspiel die gelbe Karte! Das sollten wir auch im Metal einführen! Zeitspiel! Zeitspiel! DeFeis will damit nur verbergen, dass er keine Ideen hatte, und er will trotzdem irgendwie über die Zeit kommen!“

Engel: „Keine Ideen? Ich bitte dich! Wie wunderbar der Mittelteil von Spiritual Warfare seine progressiven Parts entfaltet! Hier ist er wieder, der alte David DeFeis, der uns auf den letzten Alben so oft enttäuscht hat! Hier zeigt er wieder, wie man progressive Strukturen und barocke Klassik in einen Song einstreuen kann, ohne den Song zu zerstören!“

Teufel: „Song? Ich bitte dich! Ich höre keinen Song! Nicht einen einzigen! Was ich höre, ist Stückwerk! Eine Sammlung von Ideen, die nicht zu Ende gedacht sind und nicht ausgearbeitet wurden! Kaum hat DeFeis mal eine hübsche Idee gefunden, kaum hat man das Gefühl, das könnte eine flotte Nummer werden, bricht er wieder ab, tötet die Melodie und macht etwas ganz anderes! Ganz ehrlich, auch wenn ich mich wiederhole: Ich kann da keinen Sinn und keine Struktur drin erkennen! Das alles ist eine große, schlecht verrührte Grütze!“

Engel: „Teufel, du enttäuschst mich! Wer ist denn der Lord des Chaos? Hast du nicht immer behauptet, der Zerstörer von Welten zu sein? Und nun bärmelst du hier rum, nur weil nicht jeder Part zueinander passt! Und nur deshalb kannst du die Musik nicht genießen! Ich aber sage dir: Das Album hier ist eine Rückkehr zu alter Form! Haben mich die letzten beiden Alben auch enttäuscht, so sehe ich nun einen hellen Silberstreif am Horizont!“

Teufel (zu sich selbst): „…Silberstreif am Horizont! Mein Gott, wie nervt das alles! Der Engel nervt! Die Musik nervt! Ich möchte zurück in die Hölle, selbst dort ist es gemütlicher. Lieber höre ich mir im Fegefeuer die Misstöne gescheiterter Schlagersänger an als noch einen schiefen Ton von dieser angeblichen Metalplatte hier!“ (schreit:) „Engel, mach das aus! Mach das BITTE AUS!“

Engel (gerät ins Schwärmen): „Manchmal, wenn ich so auf einer Wolke im Himmel sitze, stelle ich mir vor, wie ich mit meiner Harfe einen Song von VIRGIN STEELE performe. Dann kommt die ganze Engelschar, setzt sich nieder und lauscht den lieblichen Klängen. Ich stelle mir vor, wie dann ein Regenbogen erscheint und den Hoffnungslosen auf der Erde wieder Hoffnung macht. Auch sie sind ganz durchdrungen von den lieblichen Klängen und alle sind glückselig und umarmen sich. Dann stelle ich mir vor…“

(Der Teufel rennt schreiend und weinend aus dem Raum)

Veröffentlicht am 30. Juni 2023

Spielzeit: gefühlt unendlich

Label: Steamhammer

Homepage: https://www.virgin-steele.com/

Lineup:
David DeFeis – Gesang, Keyboards, Bass, Drums und Orchestrationen
Edward Pursino – 6-saitige Gitarren
Josh Block – 7-saitige Gitarren

VIRGIN STEELE “The Passion Of Dionysus” Tracklist:

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