Das Labeldebüt der französischen Band WORMFOOD hielt sich mit Kritik an der französischen Gesellschaft keineswegs zurück. Dass Gesellschaftskritik ein probates Mittel darstellt, um auf sich aufmkersam zu machen, ist bekannt, doch die Formation aus Rouen belässt es nicht bloß bei Kritik, sondern packt den Mob am Schopf und lässt ihn auf France zu Wort kommen. Herausgekommen ist dabei ein provokatives Album, das ebensoviele Tabus anspricht wie Fragen offenlässt. Zur Beantwortung dieser half uns Romain, Bassist und Mitbegründer der Band, aus.
Ich will euch nicht zu nahe treten, aber nach eingängigem Studium eures aktuellen Albums France brennt mir die Frage auf den Lippen, ob ihr noch auf freiem Fuß seid oder ob man euch schon in Zwangsjacken gesteckt hat?
Nun, ich muss schon zugeben, dass die Aufnahmen zu France etwas schweißtreibend waren und dass der nervliche Zusammenbruch schon gefährlich nahe war…
Das Album polarisiert. Hier im deutschsprachigen Raum reichen die Rezensionen von sehr bescheidenen Urteilen bis hin zum überschwänglichen Abfeiern. Kommt ihr in eurer französischen Heimat grundsätzlich besser weg?
Zu unserer Überraschung und natürlich zu unserer Freude sind die meisten Reviews sehr positiv. Die große Mehrheit sogar. Ich konnte aber nicht feststellen, dass die französischen Rezensionen besser als die anderen wären. Aber ich habe bemerkt, dass das Album in den osteuropäischen Ländern wie Tschechien und Deutschland sehr enthusiastisch aufgenommen wurde, und das ist für uns wirklich von Bedeutung, da wir unsere Musik auch in anderen Staaten und nicht nur in Frankreich bekannt machen wollen.
Um in Frankreich zu bleiben: euer Album erschien ja ziemlich zur selben Zeit, als es die Unruhen in den diversen Vorstädten gegeben hat. Gibt das einem gesellschaftskritischen Album wie France neue Impulse oder Sichtweisen?
Viele Leute fragen uns danach, aber das Konzept des Albums und auch der Titel waren schon festgelegt, bevor es zu diesen Unruhen kam. Also ist es purer Zufall. Natürlich hatte das Album schon von Vornherein eine kritische Dimension – das können wir nicht bestreiten; aber die Aufstände in den Vororten scheinen diesen Aspekt gesteigert zu haben. Vielleicht zeigt das auch auf, dass wir nicht vollkommen falsch gelegen sind mit unseren Sichtweisen bezüglich der französischen Gesellschaft…
Wie habt ihr im Allgemeinen diese Geschehnisse mitverfolgt und was haltet ihr davon?
Wie alle Franzosen: wir vergruben uns in einen unterirdischen Bunker, ausgerüstet mit Nahrung und Waffen und die Augen auf die Fernsehnachrichten gerichtet… Was die Geschehnisse an sich anbelangt, so kann ich nicht sagen, dass sie für uns überraschend kamen. Aber mir scheint, dass die Medien das Ganze etwas aufgebauscht haben. Unser Land befand sich also nicht in einem bürgerkriegsähnlichen Zustand. Trotzdem, diese Geschehnisse sind ein Symptom für alle sozialen Probleme hier in Frankreich gewesen.
Ein Prädikat, das ich ohne Zweifel mit dem Album verbinden kann, ist provokativ. Wen wollt ihr mit euren Provokationen aus der Reserve locken?
Die Kritik im Album richtet sich an jeden und niemanden – der Tonfall ist dabei jeweils äußerst provokativ: Der überzogene Ton des Albums kam uns ganz natürlich über die Lippen. |
Niemanden und jeden, wir haben kein bevorzugtes Ziel. Unsere Songs erzählen in gewisser Weise von Alltagsproblemen, eine Art von modern sickness. Auf dem Album sind Dinge, die uns schockieren, und somit kann jeder von France provoziert werden.
Hätte es nicht genügt, mit normaler Gesellschaftskritik auf die Missstände im Land aufmerksam zu machen?
Tatsache ist, dass wir nicht dazu in der Lage sind, Dinge zu tun, die du als normal bezeichnest. Wir wüssten einfach nicht, wie… Der überzogene Ton des Albums kam uns ganz natürlich über die Lippen.
Du wirst die Frage sicherlich schon erwartet haben: Was hat euch veranlasst einen Song wie Vieux Pédophile zu schreiben und diesen dann noch dazu so theatralisch zu inszenieren?
Pädophilie ist eines der größten Tabus in unserer Gesellschaft, deshalb erschien es uns nur logisch, darüber zu reden. Aber wir wollten dazu nicht einfach einen klassischen Metal-Song machen, sondern wir wollten einen richtigen Albtraum erschaffen, etwas vollkommen Bizarres. Darum haben wir die Perspektive des inzestuösen Vaters und eine übertriebene Darstellung gewählt.
Habt ihr für diesen Song schon Kritik einstecken müssen?
Bislang noch nicht. Jeder scheint es richtig einschätzen zu wissen, was mich manchmal etwas stutzig werden lässt…
Ein weiterer Track, der bei mir immer wieder Fragen aufwirft, ist Ecce Homo. Mit Nietzsche hat der Song wohl weniger zu tun, oder? Vielmehr wird hier – wie in einem großen römischen Kolosseum – der Einzug der Sodomie abgefeiert. Was steckt hinter dieser einen Minute?
Der einzige Bezugspunkt zu Nietzsche ist die ironische Verwendung des Bibelzitats (Johannes, 19,5). Ecce Homo ist einfach der Vorspann zu T.E.G.B.M und bereitet die Atmosphäre für diesen Track vor; also ist da nicht wirklich eine besondere Interpretation dafür vonnöten.
Bei Ω = Ø (Death Equal To Nothing) stellte ich mir die Frage, ob die abgehackten Soundelemente gegen Ende des Songs Teil einer Labelpolitik seien, die das Raubkopieren von Promo-CDs einschränken sollte. Welchen Sinn erfüllen diese Elemente wirklich?
Nein, das hat nicht das Geringste mit Labelpolitik zu tun! Der Song handelt von Todesqualen und die abgehackten Sounds sind dazu da, Gefühle der Konfusion und der Angst mit Nachdruck geltend zu machen, wenn der Erzähler stirbt. Es ist also Teil des Songkonzeptes.
Ist es überhaupt zielführend, nach Sinn und Unsinn in eurer Musik zu suchen?
Ich denke das Wesentliche an der Arbeit eines Künstlers ist es, Interpretationsansätze vorzuschlagen und nicht Meinungen aufzudrücken. Auch wenn wir also viel über die Themen und die Konzepte unserer Songs nachdenken, so wollen wir doch, dass die Zuhörer insofern frei bleiben, damit sie unsere Arbeit nach ihren eigenen Wünschen und Vorstellungen interpretieren können.
WORMFOOD wollen den Konsumenten ihrer Musik genügend Freiraum lassen, sich selbst eine Meinung zu bilden: Ich denke das Wesentliche an der Arbeit eines Künstlers ist es, Interpretationsansätze vorzuschlagen und nicht Meinungen aufzudrücken. |
Musikalisch sind die Tracks ein ziemlich bunter Haufen: wie von euch selbst beschrieben, handelt es sich dabei um einen melting pot of Doom, Thrash, Death, Gothic, Punk, Pop, Classic, Baroque, Jazz and black humour. Welche Art von Hörern könnt ihr mit dieser Mixtur erreichen?
Diejenigen, die stark genug sind, alles davon zu unterstützen… Im Ernst, ich habe festgestellt, dass die wesentliche Charakteristik der Leute, die unsere Musik mögen, folgender ist: sie sind alle sehr aufgeschlossen – und ich glaube, das ist die beste Antwort auf die Frage.
Wird es zu dem einen oder anderen Song einmal ein Video geben? Mich würde ziemlich interessieren, wie ihr so manchen Song visuell umsetzen würdet.
Darüber kann ich im Moment nicht allzu viel sagen, da es ein bedeutsamer Teil in unserem aktuellen Projekt ist. Wir haben jede Menge Ideen, aber wir müssen untereinander einverstanden sein, was oftmals schwierig ist…
France basiert auf eurer Promo-CD Jeux d´Enfants. Nach dem Unterzeichnen des Labelvertrags mit Code666 habt ihr die CD erweitert und auf France umbenannt. Welche Elemente und Songs sind hier hinzugekommen?
Die Songs Daguerrotype, Miroir de Chair und Ω = Ø sind hinzugekommen und Comptine wurde erneut vom französischen Sänger François Corbier aufgenommen. Wir haben auch zwei Cover-Versionen gemacht, die auf der Import-Version von France zu finden sind. Zum einen TYPE O NEGATIVEs Christian Woman, das zu Femme Chrétienne wurde, und zum anderen eine Cover-Version zu Serge Gainsbourgs La Décadanse.
Handelt es sich bei diesen um neue, eigens für das Labeldebüt neu aufgenommene Songs?
Die Cover-Songs sind neu, aber Miroir de Chair und Ω = Ø sind in der Tat alte Songs, die vom Album stammen, das wir vor Jeux d´Enfants gemacht haben. Aber wir haben sie komplett neu arrangiert und aufgenommen, so dass sie nur wenig mit den alten Versionen gemein haben.
Lass uns etwas in der Bandgeschichte stöbern. WORMFOOD wurde 2001 gegründet. Was waren bislang die einschneidenden Wegpunkte in eurer Karriere?
Alleine schon das Bandlogo mit Käfer, Pflanzenranken und Spaten ist unüblich |
Wir haben mit der Band als Duo gestartet (El Worm – Gitarre und ich (Romain) – Bass). Wir haben schnell ein Demo gemacht und Alex (Drums) stieß hinzu. Wir haben dann ein Album (Wormfood) aufgenommen – dasjenige, wo die alten Versionen zu Miroir de Chair und O = Ø zu finden sind – und daraufhin schloss sich uns Tim (Keyboards, Orchestration und andere unglaubliche Sachen) an. Mit diesem Line-Up haben wir Jeux d´Enfants aufgenommen. Und letztes Jahr komplettierte Fred (Gitarre) unser Line-Up und France wurde geboren.
Kommen wir zu den Einflüssen: diesmal frage ich aber nicht bezüglich eurer musikalischen Einflüsse, sondern ich will wissen, welche Bücher, Filme und Theaterstücke auf euch bzw. auf eure Musikstücke Einfluss gehabt haben könnten?
Wir lesen alle ziemlich viel und sind begeistert vom Kino, demnach ist es unmöglich, hier alles zu nennen. Filme von Gaspard Noé, insbesondere Irreversible, inspirierten uns für einige Songs, zum Beispiel für Love At Last. Was die Bücher anbelangt, so kann ich für meinen Teil sagen, dass Autoren wie Céline, Artaud, Kafka, Gaiman, Burroughs oder zynische Philosophen sehr wichtig für die Identität WORMFOODs sind.
Müssten bei euch – als Kinder von Rouen – auch Leute wie Flaubert, Corneille oder Rivette in dieser Liste vertreten sein?
Ich habe La Belle Noiseuse vor vielen Jahren gesehen, aber ich kann nicht behaupten, dass es uns beeinflusst hätte. Was die Schriftsteller aus Rouen und der Normandie betrifft, finde ich, dass Maupassant uns näher steht: etwa mit dem Zynismus eines Bel-Ami oder mit der Verworrenheit seiner Kurzgeschichten wie Apparition.
Werdet ihr auch in Hinkunft versuchen, eure Musik dazu zu nutzen, die Missstände in der französischen Gesellschaft an den Pranger zu stellen? Oder werdet ihr mit eurer Kritik quasi auf Reisen gehen, eventuell mit einem Album, das dann auf den Namen Europe hört?
Europa als ersten Schritt, ja. Aber unser Ziel ist natürlich die Weltherrschaft… Ich kann nicht sagen, was die Zukunft für uns bereit hält, aber ich kann sagen, dass wir uns nicht wiederholen möchten.
Gibt es für euch eigentlich auch so etwas wie ein Tabu-Thema?
Wenn du damit ein Thema meinst, über das wir nicht sprechen könnten, so sehe ich keines… Aber die Schwierigkeit besteht für uns darin, einen guten Weg zu finden, wie wir über etwas sprechen.
Die französische Metal-Szene erscheint mir oft sehr verschlossen. Nur wenige französische Bands feiern im restlichen Europa ähnliche Erfolge wie zu Hause. Woran liegt das?
Da stimme ich dir nicht ganz zu. Es scheint, als würden manche französische Bands, wie GOJIRA oder ANOREXIA NERVOSA, damit anfangen, guten Erfolg auch in anderen Ländern zu feiern. Die Dinge ändern sich diesbezüglich gerade; aber es stimmt schon, dass die Metal-Szene in Frankreich spät mit ihrer Entwicklung dran war.
Gibt es eigentlich Tourpläne, die euch auch außerhalb Frankreichs führen werden?
Im Februar sind wir in den Niederlanden. Ansonsten suchen wir gerade nach einem Tourmanager. Denn wir würden wirklich gerne auch im Ausland spielen.
Wie werdet ihr eure Live-Sets handhaben? Werden da die diversen Samples eingespielt oder macht ihr aus eurem Live-Gig ein Varieté-Theater?
Zur Zeit verwenden wir noch Samples, aber wir haben große Visionen für zukünftige Auftritte geplant. Da kann man auf einige visuelle Überraschungen gespannt sein…