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WIDOWMAKER: Die Texte sind wichtig geworden! (Dee Snider – 1998)

Ein Klassiker-Interview aus dem Jahre 1998 – also aus einer Zeit, als eine TWISTED SISTER- oder JUDAS PRIEST-Reunion noch nicht mal in Sichtweite war. Ich sprach damals mit Dee Snider und damals wie heute gehörte er zu den charismatischten und angenehmsten Personen, die ich im Rahmen meiner Schreiber-Tätigkeit kennenlernen durfte.

Interviews, die wir euch nicht vorenthalten wollen – ein Klassikerinterview mit Dee Snider aus dem Jahre 1998.

Es gibt wahrlich nicht viele Interviewpartner, die ich in meinem Leben unbedingt vor’s Diktiergerät bekommen muss, aber DEE SNIDER ist einer, den ich interviewwunschpartnertechnisch auf eine Stufe mit OZZY OSBOURNE, ALICE COOPER, DAVID LEE ROTH, GENE SIMMONS, VENOM‘s Cronos und TYPE O NEGATIVE‘s Pete Steele stelle. Nun war es also endlich soweit: Der Ex-Frontmann der legendären wie brillanten TWISTED FUCKIN´SISTER hat mit seiner neuen Band WIDOWMAKER ein neues – das zweite – Album draußen. Doch auch TWISTED SISTER-Jünger dürften momentan mit einer mittelschweren Erektion herumrennen, wurde doch zeitgleich mit dem neuesten Witwenmacher-Opus “Stand by for Pain” die Doppel-Live-CD “Live at Hammersmith” veröffentlicht. Grund genug ein Interview mit DEE SNIDER zu führen, um ihn über beide Releases anständig auszuquetschen. Here we go…

Bevor wir uns in die Gegenwart – sprich WIDOWMAKER – begeben, müssen wir uns natürlich auch über das “neue” TWISTED SISTER-Livealbum unterhalten. Wieso der Release und wieso zeitgleich mit der Veröffentlichung des WIDOWMAKER-Albums?

In erster Linie ist das TWISTED SISTER-Album ein Album für unser Publikum, für unsere Fans. Auf der anderen Seite dient dieses Album natürlich auch der Promotion. Den Leuten soll gezeigt werden, wer DEE SNIDER war und wer er heute ist.

Inwieweit warst du denn in das Projekt eingebunden? Laut Booklet waren Jay Jay French (TWISTED SISTER-Gitarrist) als “Excecutive Producer” und TWISTED SISTER-Bassist Mark “The Animal” Mendoza als Producer sehr in dieses Projekt integriert.

Es ist so, dass “CMC-Music” [das US-Label – der Verf.] nichts vom TWISTED SISTER-Material herausbringen dürfen, wenn ich nicht meine Zustimmung gebe. Sie wissen halt, dass ein TWISTED SISTER-Album ohne die Zustimmung eines DEE SNIDER eben kein TWISTED SISTER-Album ist. Warum ich so wenig in dieses Projekt eingespannt war, hat den Grund, dass es sich um eine zehn Jahre alte Scheibe handelt, wenn du so willst. Ich lebe aber in den Neunzigern und habe WIDOWMAKER, mit denen ich bald auf Tour gehen werde. Doch trotzdem stand ich der Veröffentlichung einer TWISTED SISTER -Livescheibe sehr positiv gegenüber, prüfte das Material und sagte schließlich OK.

Was ich ein bisschen schade finde ist, dass keine Liveversionen der Songs von “Come Out And play” oder der “Love Is For Suckers” zu hören sind. Warum fehlen Stücke dieser Alben?

Glaub’ mir, ich finde es ebenso schade wie du. Das Problem ist oder war, dass es einfach keine Aufnahmen von solcher Qualität gibt, dass man sie hätte veröffentlichen können. Es gibt zwar einige Liveaufnahmen von diesen Stücken, die auch eine gute Qualität haben, nur leider konnte da wohl nicht geklärt werden, wer die Rechte an diesen Aufnahmen besitzt.

Wird denn die Livescheibe das definitiv letzte TWISTED SISTER-Werk sein oder können wir beispielsweise auch ein Live-Video erwarten?

Ich weiß zwar, dass damals einige Shows von uns aufgenommen wurden, ohne das ich jetzt sagen könnte, welche oder welche nicht. Momentan sehe ich auf jeden Fall keinen Grund, noch ein Video zu veröffentlichen, auch wenn Mark und Jay Jay da sicherlich anders denken.

Ich erinnere mich an ein älteres Interview von dir, in dem du davon sprachst, mit WIDOWMAKER ein Livealbum aufzunehmen, dass ausschließlich TWISTED SISTER-Stücke enthält.

Das ist richtig, es bestanden Pläne in diese Richtung. Es ist aber so, dass Mark und Jay Jay die TWISTED SISTER-Company immer noch am Leben erhalten und ich bzw. meine Plattenfirma hätten eine Menge Geld an eben diese Company bezahlen müssen. Sie sagten halt, DEE SNIDER ist kein Teil der Band, kein Teil der Firma mehr, dabei haben sie nie einen Gig ohne mich gespielt. Die Band gibt es vielleicht auch nur noch in ihren Köpfen. Ich wollte bei euch in Deutschland zusammen mit WIDOWMAKER dieses Livealbum aufnehmen. Mark und Jay Ja sagten aber “Nein”, es sei denn, sie würden Geld dafür sehen. Ist so etwas nicht erstaunlich?

Dee Snider
Dee Snider mit gesundem Selbstbewußtsein:
“Die Frontleute der Bands, die heute angesagt sind, starteten doch alle als mein Publikum.”

Ist es. Vor allen Dingen wenn man weiß, dass du das komplette Material der fünf TWISTED SISTER-Alben geschrieben hast und Jay Jay und Mark dagegen nicht mal bei einem Stück irgendwelche Credits erhalten haben. Ähnliche Probleme hattest du ja mit dem WIDOWMAKER-Vorläufer DESPERADO, mit dem du ja bereits ein Album eingespielt hattest. Die Band wurde gefeuert, bevor das Album veröffentlicht werden konnte. Trotzdem musstest du deine eigenen Stücke zurückkaufen, um sie auf “Blood and Bullets” verwenden zu dürfen.

Das stimmt so nicht ganz. Mark und Jay Jay dürfen wie gesagt erstens ohne meine Zustimmung nichts veröffentlichen und müssen zweitens Geld an mich bezahlen, wenn ich einer Veröffentlichung zugestimmt habe. Bei dem DESPERADO-Material war es so, dass die Record-Company das Urheberrecht für diese Songs hatte, und ich für drei Stücke, die später auf “Blood and Bullets” zu hören waren, einhundertzwanzigtausend Dollar zahlen musste, um sie veröffentlichen zu dürfen.

Gibt es eventuell noch mal die Chance, dass das DESPERADO-Album doch veröffentlicht wird, vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt?

Ich würde es begrüßen und es besteht eine richtig gute Chance, wir mir mein Label mitteilte. Es würde auch gar keine große Sache werden, nur ein fehlender Part der DEE SNIDER Karriere gefüllt sein.

Schließen wir für das erste die Kapitel TWISTED SISTER und DESPERADO und kommen zu deiner jetzigen Band WIDOWMAKER. Ihr habt gerade euer zweites Album herausgebracht. Wo siehst du die Hauptunterschiede zwischen den beiden Alben?

Nun, “Blood and Bullets” ist eher ein Album aus der Vergangenheit. Ich schrieb das Material im Jahre 1989, als sich die Band gerade erst zusammenfand. Ein paar Songs entstanden bereits weit vor der Bandgründung. Bei “Stand by for Pain” hört man, dass es ein Album der Neunziger ist. Was wir vermeiden wollten, war, dass die Songs für die Leute nach mehrmaligem Hören langweilig werden. Das war auch ein Problem bei einigen alten TWISTED SISTER-Songs. Die Stücke waren very catchy, man konnte sie mitsingen und hat sie gerne gehört. Doch nach einer Weile war man müde, diese Stücke zu hören. Bei “Stand by for Pain” kann es also sein, dass man länger braucht, um sie zu verstehen. “Stand by for Pain” ist genau das Album, das ich machen wollte. Wir sind enger zusammengewachsen und haben z.B. diese big hooks – diese gigantischen Mitsingteile in der Mitte des Songs – dieses Mal nicht mehr verwandt.

Du hast ja textlich noch nie ein Blatt vor den Mund genommen. Deine Lyrics handelten stets von Rebellion gegen Eltern, Lehrer und andere Autoritäten. Worüber singt DEE SNIDER in den Neunzigern?

Du hast es gerade angesprochen. In den Achtzigern handelten alle Songs von Rebellion oder diesem “Sex, Drugs and Rock’n’ Roll”-Ding. In den Neunzigern ist es so, dass die Leute sehr daran interessiert sind, ob und vor allen Dingen, was du zu sagen hast. Die Texte sind wichtig geworden. Für mich ist das eine ganz neue Erfahrung, dass sich die Leute mit meinen Texten befassen. Ich finde das sehr aufregend. “Protect and Serve” handelt z.B. von der Korruption innerhalb des Polizeiapparates, denn das ist bei uns in Amerika ein großes Problem und ich kann Leute verstehen, die kein Vertrauen mehr in die Polizei haben.

Dee Snider
“Weil all diese Bands versucht haben, in den Neunzigern noch eine Band der Achtziger zu sein.” Die Ursache der Abstürze von RATT oder MÖTLEY CRÜE?

Sozusagen die DEE SNIDER-Antwort auf BODYCOUNTs “Cop Killer”?

Nein, ich möchte nicht missverstanden werden. Wenn man sich den Text durchliest, wird man feststellen, dass es eigentlich ein positiver Song über die Polizei ist, besonders wenn man sich die letzte Strophe anhört. Ich verlange nur, dass sich die Polizisten häufiger an ihren geleisteten Schwur – eben “to protect and serve” – erinnern. Der Song handelt von der Wut, die ich auf korrupte Polizisten habe. Es ist aber kein Anti-Polizei-Song.

Mein Lieblingssong ist “Just Business”.

… und befasst sich dagegen mit den Dingen, die ich seit den ersten Tagen mit TWISTED SISTER erlebt habe, mit Leuten, die mir erst den Arsch geküsst haben und heute schlecht über mich reden.

Du sagtest gerade, dass du und auch die Leute heutzutage keine Lust mehr auf die Texte der Achtziger haben. Nun gehe ich aber davon aus, dass du live auch Stücke von TWISTED SISTER spielen wirst, vielleicht sogar musst, weil die Fans sie eben hören wollen. Stehst du heute noch auf und hinter den Songs oder spielst du sie nur für die Fans?

Wir werden sicherlich pro Gig zwei bis drei Stücke von TWISTED SISTER spielen. Wenn ich nichts von TWISTED SISTER spiele, wäre das in etwa so, als wenn OZZY live auf Stücke von BLACK SABBATH verzichtet. Nein, diese Songs sind ein Teil meiner Karriere, meines Lebens und ich bin stolz auf sie. Außerdem kündige ich einen Song wie meinetwegen “I wanna Rock” ja auch nicht als ein neues Stück an, sondern die Leute wissen, dass es ein Stück aus den Achtzigern ist, an das sie sich ruhig erinnern sollen.

Nun war es so, dass du in der Hochphase deiner Karriere nicht nur jemand warst, der die Leute schocken und provozieren wollte (ich erinnere mich immer noch gerne an den Auftritt im “Musikladen”, wo im kompletten Bühnenoutfit zum “We’re not gonna take it”-Vollplayback abgerockt wurde), sondern du warst auch immer jemand, der etwas zu sagen hatte. Jemand, in dem die Leute so etwas wie ein Idol gesehen haben. Wie ist es heute? Hast du dich verändert, bist du ruhiger geworden, hast du Angst, dass die Leute dich nicht mehr ernst nehmen, wo doch heute miesgelaunte, suizidgefährdete Heulsusen wie Eddie Vedder auf der einen oder Leute wie Hulk Hogan auf der anderen Seite als Poster in den Kinderzimmern hängen?

Glaub mir, es hat sich nichts geändert. Ich tue das, was ich tue, besser als irgendjemand anderes das tun könnte. Die Frontleute der Bands, die heute angesagt sind, starteten doch alle als mein Publikum. Physisch bin ich heute sowieso besser drauf, als jemals zuvor. Ich mache die selbe Show wie damals. Mein Stageacting, also die Aggression und Energie, die ich auf der Bühne rauslasse, ist zeitlos.

Ich bin zwar gerade erst fünfundzwanzig Jahre alt, höre aber seit fünfzehn Jahren Heavy Metal und bin mit Bands wie RATT, QUIET RIOT oder MÖTLEY CRÜE aufgewachsen. Meine Frage: Was ist mit all diesen Bands passiert, warum sind sie so schnell abgestürzt?

Weil all diese Bands versucht haben, in den Neunzigern noch eine Band der Achtziger zu sein. An sowas ist aber niemand interessiert. Die Leute wollen in den Neunzigern auch Neunziger-Sound hören. Deshalb sind JUDAS PRIEST auch weg und FIGHT sind da.

Wie wäre deine Reaktion, wenn sich das TWISTED SISTER-Livealbum besser verkaufen würde, als das neue WIDOMAKER-Album?

(lacht) Ich wäre schockiert …

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