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INFANT ISLAND: Obsidian Wreath

Das Gute in einem Meer aus Verzweiflung suchen, die Haltung bewahren in einem Sumpf aus Gleichgültigkeit und Elend: ein Lebensthema, auch für die Screamo-Band INFANT ISLAND, die sich mit „Obsidian Wreath“ schlichtweg selbst übertroffen und ein essentielles Meisterwerk geschaffen hat.

„Does it help to stare into your void of misery? Rejecting what you cannot change. Eating away at your own dreams til you shed every part of you. Til you count your endless steps, all of which that you refuse still, always a face of disbelief, always continuous, always incomplete. And my eyes wander upon the skin that crawls with every pointless feeling of indefinite sorrow, drowning in my own fear, or welcoming it, I wish but I cannot save you, within these moments sheltering ourselves from misery.
All darkness, all blood; all cynics, for what?
This world is enough.“
(„Veil“)

Der mit Ganzkörper-Gänsehaut erzeugender Musik unterlegte Gang-Shout am Ende dieser Sequenz in „Veil“, dem Herzstück von INFANT ISLANDs Magnum Opus „Obsidian Wreath“, ist so herzzereißend: Alle rufen, schreien, weinen diesen Satz heraus: Diese Welt ist genug. Was steckt da drin? Erstens das atheistische Glaubensbekenntnis, dass es keiner Metaphysik bedarf, um das Paradies zu schaffen: Diese Welt ist genug, wir haben alles, was wir brauchen. Zweitens der Ausdruck totaler Erschöpfung: Diese Welt macht uns fertig, es ist alles voller Dunkelheit, voller Blut, und alle, alle sind zynische Advokaten ihrer Selbst, selbst dann, wenn sie sich „das Gute“ auf die Fahnen geschrieben haben. Vielleicht gerade dann.

„Imprisoned several thousand years
I have awaited you, oh obsidian seer.
Palm of iniquity
a reliquary withstands
my sincere welcoming
of a voiceless despair.“
(„Another Cycle“)

2024 ist kein einfaches Jahr geworden, und natürlich wussten das INFANT ISLAND schon, als sie im Januar dieses Jahres „Obsidian Wreath“ auf die Menschheit losgelassen haben, einen monumentalen Bastard aus Grind, Emo Violence, Screamo, Black Metal und Shoegaze, und wer jetzt Reißaus nimmt, soll das bitte tun: Ich bleibe. Dieses Album ist ein Meisterwerk der Verzweiflung, ein bombastisches Fanal, aber auch ein triumphales Statement: Wir haben die Schnauze voll, ja, aber wir haben uns, und wir lieben die Schönheit dieser Welt, trotz alledem.

„Obsidian Wreath“ ist Katharsis pur

„Your flames rain bright vermilion
dancing against this frigid obsidian.
And I choose to challenge
what little hope you have.“
(„Unrelenting“)

Aber geht das? Oder bleibt jeder Versuch, in dem Elend, das uns umgibt, Schönheit und Sinn zu finden, letztlich vergeblich? Die Musik auf diesem Album ist für sich genommen bereits eine stichhaltige Gegenthese zur totalen Resignation: Wer so etwas Schönes, Kraftvolles erschaffen kann, ist nicht verloren. Aber er ist auch verdammt wütend, und das völlig zu Recht, und gerade diese Balance ist es ja, die den emotionalen Hardcore seit jeher ausgezeichnet hat: INFANT ISLAND atmen den Geist des alten Screamos um z.B. ORCHID oder die Bands auf React With Protest, emanzipieren sich aber davon, indem Produktion, Artwork und die Integration zahlreicher Elemente aus verwandten Musikstilen einfach insgesamt das Ganze ein paar Klassen höher schrauben. Das hier ist nicht einfach nur ein Hardcore-Album, es ist ein Kunstwerk.

Wut und Ruhe in perfekter Balance

„How do you choose to burn so bright?
How do you kindle a warmer future?
A warm bright light enclosed
Shade of myself indisposed
So I shall fade or rage
Nurtured within your cage
No escaping
All along, I was you
Watching I burn
In the dying of light I burn blinding“
(„Vestygian“)

Und als solches steuert es nach nur 30 Minuten (die sich aber unglaublich erfüllt anfühlen) mit „Vestygian“ auf einen wahnsinnigen, kathartischen Höhepunkt zu, der mich jedesmal sprachlos zurücklässt. Verblassen oder wüten, das ist die Alternative, vor die INFANT ISLAND sich und uns stellen, wenn es darum geht: wie weiter? Denn ohne Wut geht es nicht, aber Wut ist ohne Ruhepol auch nichts wert, auch das weiß die Band und streut melancholische Verschnaufpausen ein, wo sie gebraucht werden, denn die Schönheit ist da, und man muss sie auch sehen und wertschätzen können.

INFANT ISLAND können das – und als ich mir aufgrund meiner Begeisterung für „Obsidian Wreath“ die früheren Alben der Band angehört habe, war ich überrascht, gelten diese zwar in der Szene ebenfalls als Volltreffer, sind aber m.E. noch unausgereift und können mit diesem überwältigend schön ausbalancierten Werk nicht mithalten. Dieses Album ist bei aller Wut so unglaublich warm, es atmet Gemeinschaft (die Liste an Gastmusikern ist lang), und es ist somit die perfekte Begleitung in einer Welt, die täglich kälter zu werden droht.

Spielzeit: 36:07 Min.

Veröffentlichungsdatum: 12.01.2024

Label: Secret Voice

Das Album auf Bandcamp

Tracklist INFANT ISLAND „Obsidian Wreath“

1. Another Cycle
2. Fulfilled
3. Found Hand
4. Clawing, Still
5. Veil
6. Amaranthine
7. With Shadow
8. Unrelenting
9. Kindling
10. Vestygian

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