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ELUVEITIE, AMORPHIS, DARK TRANQUILLITY, NAILED TO OBSCURITY: Konzertbericht – Zenith, München – 9.12.2022

Warum wir uns selbst trotz Minusgraden und plötzlichem Wintereinbruch aus dem Haus wagen? Im Münchner Zenith locken die Co-Headliner ELUVEITIE und AMORPHIS mit einem Tour-Line-Up der Extraklasse. Nicht nur dank der hochkarätigen DARK TRANQUILLITY und NAILED TO OBSCURITY im Vorprogramm ist der Abend für uns somit allerhöchste Pflicht.

Nun hat der Winter auch in München endgültig Einzug erhalten: Auf dem hiesigen Schotter-Parkplatz stapfen wir tatsächlich durch den ersten Schnee, als wir an diesem frostigen Freitagabend den kurzen Fußmarsch Richtung Konzerthalle auf uns nehmen. Vor dem Zenith scharen sich folglich auch schon die ersten Besucher zitternd um die Sicherheitsschleuse, während man am nahegelegenen Imbissstand dank warmer Verpflegungsoptionen fürs Erste noch den Temperaturen um den Gefrierpunkt zu trotzen vermag. Ehrlich gesagt wünschen wir uns während der kurzen Wartezeit am Einlass mehrfach zurück ins heimische Wohnzimmer, wo wir mit Decke und heißem Tee sicherlich die gemütlicheren Stunden verbracht hätten.

Dass wir uns dennoch bei diesem unwirtlichen Wetter vor die Tür gewagt haben, ist mit einem kurzen Blick auf das Programm schnell erklärt: Mit AMORPHIS und ELUVEITIE haben sich zwei durchaus namhafte Vorreiter ihrer Genres zusammengetan, um dem Konzertjahr zu einem würdigen Abschluss zu verhelfen. Weil die Co-Headliner darüber hinaus mit den schwedischen Melodic Death Metal-Legenden DARK TRANQUILLITY und den ostfriesischen Dauerbrennern NAILED TO OBSCURITY zwei Support-Acts von Format ins Boot geholt haben, ist das Gastspiel in der bayerischen Landeshauptstadt für uns ohnehin oberste Pflicht.

Allein die Wahl der Lokalität lässt uns etwas zweifeln, ob der Sprung in die (nicht ganz) 6000er Halle für das Tour-Paket nicht ein wenig zu früh kommt: Beide Headliner bespielten vor der Pandemie deutlich kleinere Clubs in der Millionenstadt; in der Tat dürfte das Zenith sogar zu den größten Spielorten der aktuellen Europatour zählen. Inwiefern also der erhoffte Synergie-Effekt beim Publikumsandrang zum Tragen kommt, bleibt bei unserer Ankunft um Dreiviertel sechs noch abzuwarten, obgleich es in der geräumigen Werkshalle zu diesem Zeitpunkt recht überschaubar zugeht.


NAILED TO OBSCURITY

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Dementsprechend können wir unseren Platz frei wählen, als NAILED TO OBSCURITY gegen halb sieben die Bretter betreten. Es ist bereits das vierte Mal, dass wir die Ostfriesen im Vorprogramm verschiedenster Szenegrößen erleben; heute allerdings erstmalig seit 2019 mit brandneuem Material im Gepäck. Den Anfang macht dennoch das Titelstück der aktuellen Platte „Black Frost“ (2019), welches mit seinem atmosphärischen Drum-Intro das passende Ambiente in die kühle Halle zaubert.

Der melodische Doom-Death des Quintetts findet derweil in München ein aufmerksames wie aufgeschlossenes Publikum, was Frontmann Raimund in „Protean“ sogar zu einem energischen Aufruf verleiten lässt: „München, wo seid ihr?“, will der Sänger wissen, der in den vergangenen Jahren spürbar an Selbstbewusstsein und Bühnenpräsenz hinzugewonnen hat.

NAILED TO OBSCURITY sind mittlerweile eigentlich zu gut für den Anheizer-Slot

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Und auch, wenn so früh am Abend noch nicht alle Dämme brechen wollen, quittiert die allmählich anwachsende Menge jeden Track mit lautstarkem Beifall. Als Dank präsentieren uns NAILED TO OBSCURITY gleich zwei neue Singles: „Liquid Mourning“ und „Clouded Frame“ sind knackiger arrangiert, als wir es von der Band eigentlich gewohnt sind, machen gerade im Live-Format aber eine gute Figur, auch weil uns der Klargesang in Letzterem – nicht auf Platte, doch zumindest am heutigen Abend – an Mikael Stanne (DARK TRANQUILLITY) denken lässt.

Eigentlich schade, dass es nach nicht ganz 35 Minuten wieder vorbei sein muss: Das abschließende „Desolate Ruin“ begleiten die Münchner nämlich zunächst durch rhythmisches Klatschen, bevor das lange sowie verträumte Instrumental-Outro einen wunderbaren Schlusspunkt setzt und uns schmerzlich daran erinnert, dass wir nach all den Jahren im Vorprogramm immer noch nicht die Gelegenheit hatten, NAILED TO OBSCURITY als Hauptattraktion und in voller Länge zu erleben.

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NAILED TO OBSCURITY Setlist – ca. 35 Minuten

1. Black Frost
2. Protean
3. Liquid Mourning
4. Clouded Frame
5. Desolate Ruin

Fotogalerie: NAILED TO OBSCURITY


DARK TRANQUILLITY

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Gleiches können wir von den schwedischen Altmeistern DARK TRANQUILLITY nicht behaupten: Nach der Headliner-Tour im Frühjahr und der Late-Night-Show auf dem SUMMER BREEZE 2022 ist es bereits unser drittes Aufeinandertreffen im laufenden Jahr – und das erste mit den Skandinaviern im Support-Slot. Wir suchen uns also während des kurzen Umbaus ein Plätzchen weiter vorne, um inmitten der angespannt wartenden Fanschar selbst auf Tuchfühlung zu gehen.

Dass DARK TRANQUILLITY im Münchner Zenith schon sehnsüchtig erwartet werden, ist zumindest direkt vor der Bühne deutlich zu spüren: Auf den Opener „Identical To None“ folgt zunächst enthusiastischer Applaus, nur um im folgenden „Terminus (Where Death Is Most Alive)“ umgehend die Fäuste zu recken. Zwischen aktuellem und älterem Material vergessen die Veteranen dabei keineswegs die Überraschungen: Trotz begrenzter Spielzeit haben Mikael Stanne & Co. ein paar echte Raritäten mitgebracht. Während man „Cathode Ray Sunshine“ vor dieser Tour noch nie live aufgeführt habe, präsentiere man „Nothing To No One“ am heutigen Tag überhaupt das erste Mal mit dem derzeitigen Line-Up.

Kurz vor Jahresende ist auch Gitarrist Christopher Amott wieder aus der Elternzeit zurückgekehrt

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Dieses ist nun übrigens wieder komplett: Christopher Amott, der sich noch während der Frühjahrs- und Festival-Tour als frischgebackener Papa entschuldigen ließ, greift nun wieder höchstpersönlich in die Saiten. Dabei zeigen sich DARK TRANQUILLITY so gut eingespielt und sympathisch wie eh und je, weshalb sich – nicht unweit von uns – bald die ersten Metalheads in einen kleinen, aber feinen Moshpit stürzen. Wir freuen uns in der Zwischenzeit über den seit über anderthalb Dekaden nicht gespielten Klassiker „Hours Passed In Exile“, der nicht ohne Grund zu Stannes persönlichen Lieblingstracks zählt, wie uns der Sänger verrät.

Weder sein Einsatz auf der Bühne noch die einwandfreie stimmliche Leistung lassen derweil vermuten, dass der Frontmann eigentlich seit Anfang des Jahres pausenlos auf Tour ist und zuletzt mit THE HALO EFFECT vor gerade mal zwei Monaten bereits Gast in München war. Weil Stanne dennoch immer noch strahlt wie beim ersten Mal und selbst den fast schon obligatorischen Abschluss „Misery’s Crown“ mit Leidenschaft darzubieten weiß, können wir abschließend einmal mehr nur den Hut ziehen. Stark!

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DARK TRANQUILLITY Setlist – ca. 40 Minuten

1. Identical To None
2. Terminus (Where Death Is Most Alive)
3. What Only You Know
4. Atoma
5. Nothing To No One
6. Cathode Ray Sunshine
7. Hours Passed In Exile
8. Phantom Days
9. Misery’s Crown

Fotogalerie: DARK TRANQUILLITY


AMORPHIS

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Ganz unrecht hatten wir offenbar nicht, als wir im Nachgang der beeindruckenden Show auf dem SUMMER BREEZE 2022 von einer möglichen Generalprobe gesprochen hatten. Tatsächlich lassen AMORPHIS die damalige Setlist mit einer Ausnahme unangetastet, wenngleich das Set-Design auf der großen Bühne nun vergleichsweise schlicht, um nicht zu sagen spartanisch wirkt. Die ehedem eindrucksvollen Visuals haben die Finnen während der laufenden Tour nur in ihrer Heimat mit ins Programm aufgenommen – für heute müssen wir statt Videotafel mit einem einfachen Backdrop vorliebnehmen.

Das ist etwas schade, da im Sommer gerade die zusätzlichen Schauwerte das abwechslungsreiche Material visuell hervorragend und stilsicher ergänzen könnten. Verloren sind AMORPHIS ohne extra Brimborium derweil keineswegs: Allein Frontmann Tomi Joutsen beherrscht selbst große Bühnen, als wären sie sein zweites Zuhause. Obwohl der Sänger die meiste Zeit hinter dem Mikroständer verbringt und sich in „Wrong Direction“ gar in die hintere Bühnenebene begibt, reicht eine einfache Geste oder ein markerschütternder Schrei aus, um die Blicke der grob geschätzt 2000 Zuschauer an sich zu fesseln.

AMORPHIS haben einige Klassiker im Gepäck, die von den Münchner Fans begeistert aufgenommen werden

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Bei so viel Charisma müssen seine Kollegen kein Feuerwerk abbrennen, um den Saal für sich zu gewinnen. Obgleich die Band heute ab und an vielleicht etwas zu routiniert auftritt, finden AMORPHIS schnell und ohne Umwege den Draht zum Publikum. Dem zunächst etwas basslastigen Sound trotzt die Formation durch den starken Auftakt, welcher mit dem frühen „Death of A King“ die Nackenmuskulatur aufzuwärmen vermag. Konsequenterweise rotieren die ersten Haarbüschel, während sich Joutsen zum Ende hin gar als Animateur versucht.

Die Titelzeile brüllen wir in der Folge gerne mit, wenngleich das folgende „Silver Bride“ und die altbewährten „Into Hiding“ sowie „Black Winter Day“ von der Münchner Zuschauerschaft fast noch begeisterter aufgenommen werden. Den Spagat aus alt und neu meistern AMORPHIS insofern, als dass selbst klassische Tracks nicht aus der Zeit gefallen wirken – tatsächlich sucht sich zu „My Kantele“ sogar der eine oder andere Crowdsurfer einen Weg nach vorne.

Vielleicht fehlt AMORPHIS heute ein klein wenig die Magie vergangener Auftritte, souverän bleiben die Finnen dennoch

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Zwischen dem starken „The Moon“ und dem auch live wunderbar funktionierenden „The Bee“ dürfen sich folglich Fans aller Generationen angesprochen fühlen, bis nach nicht ganz 70 Minuten mit dem mittlerweile etwas überspielten „House Of Sleep“ samt obligatorischem Mitsing-Part der Vorhang auch schon wieder fällt. Vielleicht etwas zu früh und ohne das letzte Quäntchen Magie, mit dem uns AMORPHIS in der Vergangenheit so oft schon verzaubert haben, doch insgesamt dennoch souverän wie eh und je.

AMORPHIS Setlist – ca. 70 Minuten

1. Northwards
2. On The Dark Waters
3. Death Of A King
4. Silver Bride
5. Into Hiding
6. Wrong Direction
7. The Moon
8. Seven Roads Come Together
9. Black Winter Day
10. My Kantele
11. The Bee
12. House Of Sleep

Fotogalerie: AMORPHIS


ELUVEITIE

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Dass ELUVEITIE als zweiter Headliner den Abend beenden würden, kommt für uns nicht komplett überraschend, doch ganz so eindeutig ist die Entscheidung zugunsten der Schweizer im Münchner Zenith nicht zu rechtfertigen. Tatsächlich klaffen nun vor dem Mischpult bereits Lücken im Publikum, wo das Areal zuvor noch ordentlich gefüllt war. Dass offenbar bereits nach AMORPHIS einige Besucher den Heimweg antraten, spricht allerdings nicht gegen den Programmablauf – mit den Finnen im zweiten Slot hätte es durchaus ähnlich enden können.

Ein wenig schade ist es dennoch, da ELUVEITIE um Punkt zehn durchaus mit Leidenschaft und Freude bei der Sache sind. Die neue Single „Exile of The Gods“ ist ein entsprechend schmissiger Auftakt, der gerade die vorderen Reihen in Windeseile zum Kochen bringt. Bonuspunkte gehen hierbei an die Person hinter den Reglern, welcher es in der klanglich undankbaren Halle trotz notgedrungen matschiger Rhythmusfraktion gelingt, die zahlreichen Ethnoinstrumente transparent abzumischen.

Sängerin Fabienne Erni leifert eine stimmlich kraftvolle und nicht selten beeindruckende Performance

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Ob Drehleier, Violine, E-Harfe oder eines der zahlreichen Blasinstrumente – das breit aufgestellte Instrumentarium kommt in folkigen Stücken wie „Epona“ ebenso deutlich zum Tragen wie in den härteren Tracks à la „King“. Weil Ersteres selbst in der metallisch dargebotenen Version absolut mitreißend wirkt, hält im Zentrum bald kaum noch jemand still – zumindest, bis das anschließende ‘a cappella’ Solo-Stück „Anu“ inmitten dichter Nebelschwaden zum andächtigen Schwelgen einlädt.

Überhaupt zeigt Sängerin Fabienne Erni auch abseits dieser frühen Zäsur eine stimmlich kraftvolle und nicht selten beeindruckende Performance, egal ob ihre Mitmusiker parallel im flotten „Ambiramus“ zum Mitspringen einladen oder im getragenen „A Rose For Epona“ das Tempo rausnehmen. Während Erni mal am Bühnenrand, mal im Hintergrund an der E-Harfe die roten Haare kreisen lässt, finden wir Mastermind und Frontmann Chrigel Glanzmann zumeist in der Mitte der Bühne, wo er wahlweise mit Mandola, Tin Whistle oder natürlich seinen charakteristischen Growls der Performance seinen Stempel aufdrückt.

Mit “Aidus” bringen ELUVEITIE das Zenith nochmals zum Kochen

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Doch letztlich bleiben ELUVEITIE ein Kollektiv aus neun Personen, das eben gerade deshalb live zu überzeugen weiß, weil sich alle Beteiligten ihrer Rolle im großen Ganzen bewusst sind. Wir verstehen daher den Wunsch nur zu gut, zwischendurch den einzelnen Musiker:innen ein paar Momente im Scheinwerferlicht zu schenken. Bei der knappen Spielzeit von 70 Minuten hätten wir persönlich dennoch gerne auf ein separates Gitarren- und Drum-Solo verzichten können. Auch dass sich ELUVEITIE nach bereits 50 Minuten mit der schweizerdeutschen Fassung von „Call Of The Mountains“ großspurig verabschieden, ist natürlich Quatsch, insbesondere da das Intro zu „Aidus“ sowieso schon startet, bevor die Münchner überhaupt die Gelegenheit haben, den geplanten Zugabe-Block einzufordern.

Zum Ende der Show bringt die starke Nummer dafür das Zenith nochmals zum Kochen – sogar einzelne Crowdsurfer gleiten auf den Händen der Zuschauer nun nach vorne. Da kann nicht einmal das immerwährende „Inis Mona“ mithalten, das auch diesmal wieder den kurzweiligen und über weite Strecken richtig guten Auftritt ELUVEITIEs beschließt.

Und obwohl wir dem Stück mittlerweile durchaus mal eine kleine Live-Pause gönnen würden, ist dieses ritualisierte Finale zugleich auch so etwas wie eine letzte herzliche Umarmung, bevor uns die frostige Münchner Nachtluft nach dem plötzlichen Wintereinbruch einmal mehr zurück in die nasskalte Realität holt. Doch ist es uns das zu diesem Zeitpunkt allemal wert: Denn so gemütlich die alternative Abendgestaltung mit Decke, Tee und Wärmflasche gewesen wäre, das erfüllendere Erlebnis gab es am heutigen Wochenendauftakt eindeutig vor der eigenen Haustür.

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ELUVEITIE Setlist – ca. 70 Minuten

1. Exile Of The Gods
2. Nil
3. Death Walker
4. Epona
5. Anu
6. A Rose For Epona
(Gitarrensolo)
7. Thousandfold
8. Ambiramus
(Schlagzeugsolo)
9. King
10. Breathe
11. De Ruef Vo De Bärge („Call Of The Mountains”)
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12. Aidus
13. Ategnatos
14. Inis Mona

Fotogalerie: ELUVEITIE

Fotos: Tatjana Braun (https://www.instagram.com/tbraun_photography/)

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