Beide, sowohl SYLVAINE als auch EIVØR, haben pünktlich zur Tour neues Material im Gepäck. Man will ja auch nicht mit leeren Händen quer durchs schöne Europa gurken. Eins steht fest: Die schärfste Location geht an uns Berliner! Das Metropol, mit seinen Säulen und dem prunkvollen theatergleichen Schnitt, seiner Geschichte und dem Kultstatus, dem ihm innewohnt, ist der perfekte Ort, um diesen beiden so außergewöhnlichen Musikerinnen zu lauschen.
Überraschend schnell wird die schier unendliche Schlange an Konzertgästen abgearbeitet. Gefühlt stehen wir anfangs drei Blocks weit entfernt, müssen aber kaum 15 Minuten auf den Einlass warten. Einmal drin, geht’s die Wendeltreppe hoch ins erste Obergeschoss, wo wir auch Stellung beziehen. Für den heutigen Abend wurden sogar die beiden Emporen geöffnet. Besser so, ist das Konzert doch restlos ausverkauft.
Nachdem wir uns mit Getränken versorgt haben (an dieser Stelle ein dickes Lob an die Bar(s), die unserer Meinung nach sehr gut organisiert sind!), warten wir schon gespannt, als pünktlich um 20 Uhr SYLVAINE das Podium betritt. Zwei Flutscheinwerfer sind, einen kühlen, blau-violetten Lichtschein erzeugend, direkt auf die Künstlerin gerichtet, alle im Saal kleben förmlich an ihren Lippen. Und dann stimmt sie den Opener des heutigen Abends an: „Dagsens auga sloknar ut“. Ein Stück, wo es einzig und allein darauf ankommt, SYLVAINEs Stimme auf sich wirken zu lassen. Hier kommt sie gänzlich ohne Instrumente aus – und ausnahmslos jeder im Saal ist gefesselt. Kathrine Shepard, so der bürgerliche Name dieser Ausnahmekünstlerin, kommt am heutigen Abend, wie angekündigt, ganz ohne Band aus. Sie tritt heute als Solokünstlerin auf, was dem ganzen Erscheinungsbild mehr Minimalismus verleiht. Beim dritten Titel „I Close My Eyes So I Can See“ wechselt die Bühnenbeleuchtung auf rot – beinahe bedrohlich. Das Lied ist ein älteres Stück vom Album „Nova“ aus dem Jahre 2022. Eigentlich eher als Blackgaze-Song entworfen, funktioniert er allerdings auch in akustischer Version.
Spätestens als Kathrines schneidende Screams, die typisch für die etwas älteren Werke von ihr sind, einsetzen, erschaudert jeder
Nach nur fünf Stücken ist der Support-Auftritt auch schon vorbei. Einfach umwerfend. Wer SYLVAINE bis heute noch nicht kannte, der hat hiermit einen grandiosen Einblick in ihr Schaffen erhalten.
SYLVAINE Setlist
Dagsens auga sloknar ut
Mørklagt
I Close My Eyes So I Can See
L’Appel du vide
Eg veit i himmelrik ei borg
SYLVAINE Fotogalerie
Nach kaum 20 Minuten Pause schreitet dann EIVØR, zusammen mit drei Gastmusikern, auf die Bühne. Nachdem Shepard gut vorgelegt hat, ist man schon gespannt, was der Headliner des Abends liefern kann und wird. Es wird augenblicklich still, als EIVØR am Mikrofonständer Stellung bezieht und direkt „Ein klóta“ anstimmt. Ein Titel, der als Einstieg in dieses besondere Konzert kaum passender hätte sein können. Beinahe verträumt schafft das Piano eine sanfte Woge der Verträumtheit. Hinzu kommt der liebliche Klargesang, den EIVØR als Sopranistin auszeichnet. Der Song plätschert wie im Traum dahin, nimmt nirgends an Geschwindigkeit zu und steigert sich dennoch in höchste Höhen, in denen Eivør Pálsdóttir das gesamte Klangvolumen ihrer Stimme darbietet. Operngleicher Kehlkopfgesang schmettert bis in die hintersten Ecken der Venue. Unfassbar!
So, der Einstand (btw. auch der Opener zum neuesten Album “ENN“) ist geschafft, weiter geht es mit „Jarðartrá“, passend auch der zweite Track auf dem aktuellen Longplayer.
Ein kurzes Raunen setzt ein, als beinahe an Techno erinnernde langsam-rhythmische Beats für Brummen im Gehörgang sorgen.
Dieser Rhythmus untermalt das gesamte Stück, was die teilweise tanzwillige Gefolgschaft in der Crowd in eine Art Trace zu versetzt.
Auch das dritte Stück ist der Reihenfolge an Liedern aus dem aktuellen Album entnommen. „Hugsi bert um teg“ ist fast schon poppig, ohne penetrant zu werden (tut mir leid, aber Pop ist so gar nicht meins – umso schöner, dieses lebensbejahende Werk live zu hören).
Und, wer hätte es gedacht, auch Titel vier entstammt der Setlist der LP. „Purpurhjarta“ geht viel langsamer zu Werk, als die vorangegangenen Songs, und tut der Atmosphäre dennoch keinen Abbruch. Es ist klar: Da oben steht ein Profi. Zwei Jahrzehnte des künstlerischen Schaffens schleifen auch die letzten Ungereimtheiten aus dem Handwerk einer Künstlerin/eines Künstlers.
Nachdem die ersten vier Stücke ausschließlich in färöischer Sprache vorgetragen wurden, folgen mit „Let it Come“ und „Skyscrapers“ die ersten beiden Werke in Englisch. Mit „Trøllabundin“ folgen wieder nordische Klänge. Tatsächlich schafft es EIVØR von sehr modernen Soundlandschaften urplötzlich zu beinahe mystischen Wikinger-Klängen. Hinzu kommen die schwer zu beschreibenden Geräusche, die sie mittels ihrer Stimme und einer speziellen Atemtechnik erzeugt. Surreal beschreibt das, was da oben ertönt, sehr gut.
Ein weiteres Highlight ist der Titelsong der gleichnamigen Platte „ENN“. Operngleich lässt EIVØR keinen mit ihrem faszinierenden Gesang kalt. Auch hier schaffen tiefe Beats einen donnernd-hypnotischen Rhythmus.
Auch der Auftritt von EIVØR ist, nach knapp eineinhalb Stunden Spielzeit, von Beginn bis zum Schluss ein wahres Erlebnis – und wenn man sich umsieht, so gibt es scheinbar einige, die sich durchaus noch länger in dieser so besonderen Klangwelt hätten dahintreiben lassen wollen.
EIVØR Setlist
Ein klóta
Jarðartrá
Hugsi bert um teg
Purpurhjarta
Let It Come
Skyscrapers
Trøllabundin
True Love
Enn
Lívsandin
Upp Úr Øskuni
Gaia
Salt
Í Tokuni
Gullspunnin
Falling Free