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ANNISOKAY, FIXATION, TO KILL ACHILLES: Konzertbericht – Backstage Werk, München – 25.10.2023

Musste der Start noch krankheitsbedingt verschoben werden, sind ANNISOKAY in der letzten Tourwoche kaum zu bremsen. Auch das Münchner Backstage verwandelt sich nach den beiden Vorbands TO KILL ACHILLES und FIXATION schnell in einen regelrechten Hexenkessel.

„Here’s to being human.”, lassen ANNISOKAY in der Lead-Single ihrer neuen EP “Abyss Pt I” (2023) verlauten; ein mahnender, leicht zynischer Zeigefinger in Richtung der Schattenseiten des Menschseins. Von derlei haben wir dieser Tage leider mehr als genug, wie allein ein flüchtiger Blick auf das weltpolitische Geschehen nahelegt. Warum also nicht für einen Abend dem Positiven die Zügel in die Hand drücken? Denn auch das gemeinsame Feiern könnte menschlicher kaum sein, insbesondere wenn der Anlass die Kreativität ins Zentrum rückt. Samt neuer Platte im Gepäck macht die deutsche Metalcore-Institution auf ihrer diesjährigen Headliner-Tournee auch im Münchner Backstage halt und hat – gemeinsam ist es bekanntlich doch viel schöner – mit FIXATION und TO KILL ACHILLES gleich zwei zusätzliche Ehrengäste geladen.


TO KILL ACHILLES

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Dabei könnten Letztere nur im ersten Moment als Spaßbremsen missverstanden werden: Die Schotten zeigen sich inhaltlich so schonungslos offen wie verletzlich, wenn Frontmann Mark Tindal mit eindringlicher Stimme von Depression, Abhängigkeit oder häuslicher Gewalt erzählt. Dabei wechselt der Shouter je nach Stimmungslage zwischen aggressiven Shouts und packenden Spoken-Word-Passagen, die dank der feinfühligen instrumentalen Untermalung in Stücken wie „No Love Is A Crime” oder „The Cave“ unter die Haut gehen.

Schützenhilfe leistet dabei ab und an Drummer Kieran Smith, dessen Klargesang in „Chemical Counterpart“ und „Rats“ ein wenig Wärme in die oft bedrückenden Soundscapes trägt. Dabei müssen wir nachsehen, wenn solch starker Tobak zum Auftakt auch für das Münchner Publikum nicht immer leicht verdaulich ist: Es dauert ein wenig, bis man im Backstage Werk auftaut und im spritzigen „When The Lights Go Off“ den ersten kleinen Moshpit des Abends startet.

TO KILL ACHILLES tragen ihre Texte mit Authentizität und Leidenschaft vor

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Dass zuvor selbst flotteres Material à la „No Love Is A Crime” oder“…And I’m An Addict“ mehr bewusst aufgesogen denn ungezügelt ausgelebt wurde, liegt wohl in gleichen Teilen an den noch spürbaren Strapazen des langen Arbeitstages sowie der ernsten Grundstimmung, die hier und da schon nachdenklich stimmt. Mit viel Engagement ziehen TO KILL ACHILLES die Halle aber innerhalb einer halben Stunde doch auf ihre Seite, wobei uns an diesem Mittwochabend die atmosphärischen und introspektiven Tracks jedoch noch mehr ergreifen als die straightere, hardcore-beeinflusste Schiene.

Schade sind dagegen die Entscheidung, mit dem abschließenden „Venom“ lediglich einen einzigen Titel des starken Debüts „Something To Remember Me By“ (2021) zum Besten zu geben, sowie der Umstand, die Lead-Gitarre komplett vom Band laufen zu lassen. Dafür leben TO KILL ACHILLES ihre berührenden Botschaften auch auf der Bühne mit Authentizität und Leidenschaft vor: Das Mikrofon liegt schon lange auf dem Boden, als Sänger Mark sich für die letzten Zeilen des Schlusstracks noch einmal die Seele aus dem Leib schreit – nur um kurz darauf selbst für ein paar Augenblicke erschöpft auf den Brettern zusammenzusacken.

TO KILL ACHILLES Setlist – ca. 30 Min.

1. …And I’m An Addict
2. Rats
3. No Love Is A Crime
4. Chemical Counterpart
5. When The Lights Go Off
6. Ghost Town
7. The Cave
8. Venom

Fotogalerie: TO KILL ACHILLES


FIXATION

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Wie beim Opener dreht sich die Live-Performance auch bei FIXATION in erster Linie um ihren Frontmann: Hier ist es allerdings die exzentrische und ausdrucksstarke Körpersprache Jonas W Hansens, welche die Blicke des Backstage auf sich zieht. Während der Sänger zwischen den Stücken zurückhaltend und mit sympathischem Lächeln zu den Münchner:innen spricht, untermalt er seine leidenschaftliche Darbietung ansonsten mit einem ordentlichen Maß an Melodramatik. Ob Hansen nun über die Bühne fegt, in „Bloodline“ einen kurzen Abstecher in den Fotograben wagt oder nahezu unablässig den Blickkontakt zu den Fans in den vorderen Reihen sucht: Die Rolle im Rampenlicht scheint für den Norweger wie geschaffen.

Ihren modernen Alternative Metal präsentieren FIXATION darüber hinaus zugleich kraftvoll wie einfühlsam, wobei uns Arrangements und Melodielinien hin und wieder an die softe Seite der Schweden von IMMINENCE denken lässt. Härtere Ausbrüche bleiben die absolute Ausnahme, wobei die bayerische Landeshauptstadt im geradlinigen „Violent Tendencies“ trotzdem gerne die eigenen Leiber ineinander wirft.

Der detailverliebte Sound FIXATIONs kommt in München gut an

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Doch selbst abseits des Pits scheint die Menge durchaus angetan vom detailverliebten und transparent abgemischten Sound der vier Musiker: Wird in „Neurosis“ noch höflich mitgeklatscht, scheint das hiesige Werk zum Ende der 40-minütigen Show schließlich auf Betriebstemperatur. Den mitunter entrückten Schlussakt „What We Have Done“ entlohnt die Menge schlussendlich jedenfalls mit wertschätzendem Beifall, auch ohne die Halle zuvor auf den Kopf gestellt zu haben.

FIXATION Setlist – ca. 40 Min.

1. Ignore The Disarray
2. Stay Awake
3. More Alive
4. Neurosis
5. Flat Earth
6. Violent Tendencies
7. Bloodline
8. What We Have Done

Fotogalerie: FIXATION


ANNISOKAY

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Um das zu tun, müssen ANNISOKAY wiederum noch nicht einmal die Bühne betreten: Nachdem uns während des arg langen Changeovers bereits eine Auswahl zeitgenössischer Chart-Stürmerinnen das latente Pop-Faible der Formation nähergebracht hatte, zeigt das gut gelaunte Backstage zu Taylor Swifts „Shake It Off“ im Gegenzug, dass auch zu radiotauglichen Hits gemosht werden kann. Die folgenden Zugabe-Rufe bleiben zwar unerfüllt, mit der Alternative nimmt man in München aber natürlich ausgesprochen gerne vorlieb.

Die düsteren Synth-Soundscapes des Intros „Into The Abyss” schüren die Erwartungshaltung im Backstage, bevor mit der einsetzenden Rock-Besetzung unter Stroboskop-Licht auch die Silhouetten der vier Musiker wie von Geisterhand auf der Bühne erscheinen. Inszeniert ist dieser Auftakt jedenfalls fantastisch und trägt seinen Teil dazu bei, dass schon im anschließenden „Throne Of The Sunset“ alle Dämme brechen.

ANNISOKAY versetzen das Münchner Backstage in den Ausnahmezustand

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Mit bisweilen glasklarem Sound und einem stimmigen Setdesign, dessen vier mannshohe LED-Tafeln samt abwechslungsreicher visueller Untermalungen hin und wieder auch bei fehlender Textsicherheit nachhelfen, schnüren ANNISOKAY ein Gesamtpaket, das umgehend mitzureißen weiß. Das beobachten wir auch in der gestuften Arena, wo der Pit schon früh rund zwei Drittel des Innenraums vereinnahmt und nur dann temporär an Intensität verliert, wenn Shouter Rudi Schwarzer die Meute in „What’s Wrong“ zum Mitspringen auffordert.

Natürlich ist es nicht das erste Mal, dass wir die bayerische Landeshauptstadt im Ausnahmezustand erleben, eine Selbstverständlichkeit ist eine derartige Hingabe der eigenen Fanbase aber nicht. Egal, ob im zurückgenommenen „Bonfire Of The Millennials“ nun lauthals mitgesungen wird oder sich der Innenraum in „Fully Automatic“ plötzlich rudernd auf dem Hosenboden wiederfindet, eine Verschnaufpause gönnt sich in der gut gefüllten Location augenscheinlich niemand. Auch und nicht zuletzt zum Leidwesen der Security, möchten wir meinen, denn die Menge an Crowdsurfern, die im Graben vor der Bühne heruntergepickt werden muss, dürfte bis zum Ende des Konzerts im mittleren zweistelligen Bereich gelegen haben.

Auch mit vorwiegend aktuellem Material reißen ANNISOKAY umgehend mit

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An ANNISOKAY selbst geht dieser Wahnsinn natürlich nicht unbemerkt vorüber, weshalb Gitarrist und Sänger Christoph Wieczorek das bewährte „Good Stories“ kurzerhand den Münchner:innen widmet, die dort ebenso großen Einsatz zeigen wie beim inbrünstig mitgesungenen LINKIN PARK-Cover „One Step Closer“. Dort wagt Kollege Rudi Schwarzer höchstpersönlich einen Abstecher in die Menge, um seinen Anteil zu leisten: Immerhin zeigte die Zuschauerschaft zuvor in „Human“ erst eine stattliche Wall of Death, um dann in „Friend Or Enemy“ geschlossen aus der Hocke zu springen. Klare Sache also, dass der Headliner seinerseits nicht einfach nur routiniert sein Set runterzocken kann.

Zwischen Handylichtern in “The Tragedy“ und dem Circle Pit im folgenden „Unaware“ wären ANNISOKAY wohl auch damit davongekommen. Nur ist die Balance aus poppigen Melodien und brachialen Metalcore-Breitseiten im Live-Format ohnehin viel zu aufrüttelnd, um allein teilnahmslos die Pflicht zu erfüllen. Deshalb legt die Formation zum Ende hin mit „Coma Blue“ nochmal eine Schippe drauf, bevor sie die Bretter zumindest zeitweilig räumt. Oben drauf gibt es mit dem Pop-Cover „Calamity“ und dem starken „STFU“ zwei weitere Tracks aktuelleren Datums, für die Band wie Publikum – entgegen des Titels des Closers – stimmlich nochmal alles in die Waagschale werfen.

Die enge Bindung zwischen ANNISOKAY und ihren Fans ist deutlich zu spüren

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Wir nehmen uns diese vier Buchstaben dagegen auf dem Weg zur S-Bahn-Haltestelle tatsächlich für ein paar Minuten zu Herzen: Denn kurzzeitig sprachlos darf man nach dieser Darbietung durchaus sein. Insbesondere das Wechselspiel zwischen ANNISOKAY und ihrer passionierten Anhängerschaft ist lebendiger Ausdruck einer engen Bindung, die sich über viele Jahre hinweg formen konnte. „Here’s to being human.“, heißt es eigentlich leicht zynisch in der düsteren Lead-Single der „Abyss Pt I“-EP, an deren Ende wir nur noch Grabsteine unter der Sonne vorfinden. Ein unausweichliches Schicksal, auf das wir zusteuern? Das gelebte Miteinander an diesem Abend lässt zumindest ein wenig Resthoffnung, dass selbst ANNISOKAY den Glauben an ein versöhnliches Ende noch nicht ganz verloren haben.

ANNISOKAY Setlist – ca. 75 Min.

1. Into The Abyss
2. Throne Of The Sunset
3. What’s Wrong
4. Ultraviolet
5. Bonfire Of The Millennials
6. Like A Parasite
7. Good Stories
8. Fully Automatic
9. Human
10. Friend Or Enemy
11. One Step Closer (LINKIN PARK-Cover)
12. The Tragedy
13. Unaware
14. Under Your Tattoos
15. Coma Blue
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16. Calamity
17. STFU

Fotogalerie: ANNISOKAY

Fotos: Tatjana Braun (https://www.instagram.com/tbraun_photography/)

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