Hi, J.J.! Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zum neuen Album! Gut vier Jahre liegen zwischen dem Release von „Maere“ (2021) und „Scorched Earth“ (2025). Das deutet natürlich nicht auf einen Schnellschuss hin. Auf welchen Aspekt des finalen Werks bist du denn am meisten stolz?
Am meisten stolz bin ich darauf, dass das Album ein sehr vielseitiges geworden ist, und natürlich auf meine Texte. Es ist schön, wenn sich von Album zu Album ein gewisser Fortschritt erkennen lässt und man sich als Musiker und/oder Texter weiterentwickelt und nicht auf der Stelle tritt. Auch bin ich stolz auf uns, dass wir, wenn es um das Komponieren von Musik geht, keine Scheuklappen haben und immer schon auch Einflüsse aus anderen Rock-Genres zugelassen haben, was sich, denke ich, auf „Scorched Earth“ bisher am besten erkennen lässt.
Ist die Freiheit, sich alle Zeit der Welt zu nehmen, für euch eher Segen oder Fluch? Manchmal wecken ja gerade gewisse Einschränkungen oder sogar Deadlines das kreative Potenzial.
So ist es. Ein gesunder Stress ist immer gut, soll aber nicht zu Schnellschüssen verleiten. Aber so nach zwei bis drei Jahren Arbeit an den neuen Songs kann man sich durchaus eine Deadline setzen oder einen Studiotermin buchen, sonst kann es passieren, dass man gewisse Dinge hinauszögert. Wir machen unsere Sache sehr gerne, aber trotzdem braucht man manchmal einen Arschtritt, damit man ein Stück oder einen Text soweit fertig stellt, dass man sich sicher ist, daran nichts mehr, oder höchstens Kleinigkeiten im Studio, ändern zu wollen.
Seinerzeit hat MS im Gespräch mit uns gemutmaßt, dass man die Auswirkungen der damals noch vorherrschenden Pandemie wohl erst auf dem Nachfolger hören dürfte. Nun ist die Welt in den vergangenen Monaten allerdings von einer Krise in die nächste geschlittert. Welche Gefühlslagen und Gemütszustände gaben beim Songwriting schlussendlich den Ton an?
Das trifft durchaus zu. Und Matthias hat recht damit, wenn er das sagt. Für ihn war es fast unmöglich, während der Zeit im Lockdown kreativ zu werden. Denn wenn man nur alleine zu Hause sitzt, gibt es auch keinen Input. Und wo kein Input, da auch kein Output. Ich persönlich habe aber viele Erlebnisse der Pandemie-Jahre in meinen Texten verarbeitet. Generell ist sogar der Titel „Scorched Earth“ sowohl eine Anspielung auf meine eigene (jüngere) Vergangenheit, wie man zwischen den Zeilen der Texte lesen kann, als auch das momentane Weltgeschehen.
Wo wir bei dem Thema wären, dass eine Krise der nächsten folgt. Ungefähr seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine und spätestens seit dem 7. Oktober 2023 hat sich etwas in mir verändert. Denn obwohl ich auch schon schlechtere Zeiten hatte, merke ich, dass mich diese Geschehnisse und die Richtung, in die die Welt sich bewegt, extra nervös und wütend machen. Und obwohl die Texte keinesfalls als politisch zu betrachten sind, so hat die momentane Situation und die Grundstimmung, die diese Zeit geißelt, sie jedoch durchaus mitbeeinflusst, wenn sie auch nicht von diesen Themen, sondern meiner eigenen Geschichte handeln.
„[…] ohne Melancholie und Sehnsucht wäre dieses Leben nicht viel wert, weil es sich nur durch diese Gefühle so richtig spüren lässt.“

„With Autumn I’ll Surrender“ ist textlich eine emotional aufwühlende Offenlegung zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Darin heißt es mit Verweis auf van Goghs Gemälde: „Cause some days I’m the ‚Starry Night‘ / Then other days I’m the suicide letter“.
Hinter dem Bild verbirgt sich nicht allein Ruhe und Gelassenheit, sondern eine Geschichte: Van Gogh fertigte es während seines Aufenthalts in einer Nervenheilanstalt an und war mit dem Ergebnis offenbar nicht wirklich zufrieden. Eine versteckte Metapher, dass sich das Lyrische Ich selbst in vermeintlich guten Zeiten nie zu Einhundertprozent mit sich im Reinen ist?
Ich war mir erst nicht sicher, ob die Leute diese Anspielung verstehen würden. Deine Interpretation trifft den Nagel so ziemlich auf den Kopf, denn natürlich lässt es sich leichter kreativ sein, wenn man eine gewisse Melancholie mit sich herumträgt. Generell geht es in der Textzeile aber darum, dass man als manisch depressiver Mensch, wo ich mich eigentlich den Großteil meines Lebens dazugezählt habe, halt wirklich oft von einer extremen Stimmungslage in die nächste kippt.
An einem Tag fühlt man sich hell erleuchtet wie der Sternenhimmel und am nächsten Tag plagen einen wieder negative Gedanken, die bis zu Selbstmordgedanken gehen. Das ist nicht immer einfach und manchmal wünscht man sich, dass man einfach „normal“ wäre. Aber ohne Melancholie und Sehnsucht wäre dieses Leben nicht viel wert, weil es sich nur durch diese Gefühle so richtig spüren lässt.
Auch musikalisch ist die bandtypische Zerrissenheit noch immer zu spüren, wobei ich das Gefühl habe, dass die Melodieführung, insbesondere durch die Leadgitarre, auf „Scorched Earth“ ein wenig mehr Präsenz genießt. Waren diese Melodien beim Songwriting häufig der Ausgangspunkt oder kommen sie für gewöhnlich erst später hinzu?
Die Musik ist immer zuerst da, auch wenn die Texte dazu parallel entstehen und an den Song und die Rhythmik angepasst werden. Ich finde aber, dass die Leadgitarre bei HARAKIRI FOR THE SKY schon immer ein tragendes Element war, wenn nicht sogar auf sie das Hauptaugenmerk gelegt wurde. Ich finde, das ist ein dominantes Merkmal, dass sich durch all unsere Alben zieht.
Klar, ich finde sie eben diesmal – möglicherweise im Mix – nur noch prominenter platziert. Spannend finde ich außerdem die Art und Weise, wie sich das Piano in „Without You I’m Just A Sad Song“ immer wieder rastlos und aufwühlend zu Wort meldet. Stand der Gedanke, hier mit anderen Klangfarben zu arbeiten, schon früh oder stellt man irgendwann fest, dass einem Stück wie diesem noch etwas fehlt?
Ich denke, dass kommt immer sehr auf die eigene Experimentierfreudigkeit an. Irgendwann wird es langweilig nur mit Schlagzeug, Bass und E-Gitarren zu arbeiten. Und so beginnt man zu überlegen, was sonst noch ins Bild eines Songs passen könnte. Klavier und Keyboards sind dabei Instrumente, die im Black Metal und Post Rock schon seit jeher Verwendung fanden, und sich auch sehr gut ins Soundgewand fügen.
Dabei muss es aber nicht bleiben. Mit meiner anderen Band KARG haben wir auch schon mit Trompeten, Xylophon, Geigen, Mundharmonika etc. gearbeitet, und auch das kann sehr gut funktionieren, wenn man diese, eigentlich genrefremden Instrumente, richtig einsetzt. Was nicht heißt, dass ich das habe, aber zumindest glaube ich das. Vielleicht kommt bei HARAKIRI FOR THE SKY auch irgendwann der Moment, wo wir uns diesbezüglich weiter öffnen werden. Zum jetzigen Zeitpunkt sind wir aber mit den jetzigen Soundelementen recht zufrieden.
„Mit Helden aus der Jugend zusammenzuarbeiten ist für mich auch nach all den Jahren noch immer etwas Besonderes.“

Wie entscheidet ihr, welcher Song ein zusätzliches Instrument braucht und vor allem welches? Ist vorwiegend die Atmosphäre entscheidend?
Ja, die Atmosphäre ist das Ausschlaggebende. Dies kann unterschiedlichen Ansätzen dienlich sein. Manchmal möchte man die Atmosphäre, jetzt nur als Beispiel, mit ein paar Klaviertönen auflockern, vor allem dann, wenn die Instrumentierung sonst eher minimalistisch gehalten wird, und manchmal möchte man sie verdichten, was zum Beispiel mit einem leichten Keyboard- oder Synthie-Teppich sehr gut funktioniert. Grundsätzlich ist es aber einfach eine Frage der Intention und passiert oft aus dem Bauch heraus.
Wie schon in der Vergangenheit arbeitet ihr auch auf „Scorched Earth“ wieder mit einigen anderen Künstler:innen zusammen. Führt ihr eine Art Wunschliste, wen ihr gerne mal dabeihättet, oder lasst ihr euch womöglich von einer bestimmten Atmosphäre inspirieren? Ich habe mich beispielsweise sehr über Serena Cherrys (SVALBARD) Beitrag in „Too Late For Goodbyes“ gefreut. Ich finde, ihre Stimme passt sehr gut zu eurem Sound, sowohl ihre sanfte, getragene Seite als auch die energischen Screams.
Das finde ich auch, Serena ist großartig. Ich würde dir darum an dieser Stelle gerne eine kurze Beschreibung liefern, warum wir uns für die jeweiligen Gäste entschieden haben:
Tim Yatras, der auf „Heal Me“ mitgewirkt hat, war für mich schon immer ein großartiger Künstler. AUSTERE haben damals Ende der 00er Jahre einiges ins Rollen gebracht und waren neben Bands wie LIFELOVER damals fast schon eine Religion für mich. Als ich Tim dann vor 1,5 Jahren auf einer Tour durch Großbritannien persönlich kennengelernt habe, hat es direkt gematcht und als wir etwaige Features für das neue Album besprochen haben, habe ich ihn gleich ins Spiel gebracht. Mit Helden aus der Jugend zusammenzuarbeiten ist für mich auch nach all den Jahren noch immer etwas Besonderes. Eine meiner größten Traumkooperationen wäre etwa mit Jochen von DORNENREICH. Es bleibt zu hoffen, dass sich das eines Tages ergibt.
Das zweite Feature, mit Serena von SVALBARD, hat sich ebenso natürlich ergeben. Ich glaube, ich habe die Band das erste Mal 2015 in einem besetzten Haus in Wien gesehen, als die Band gerade am Anfang stand. Serenas Vocals, sowohl die cleanen als auch die geschrienen habe mich schon damals sehr beeindruckt. Und da ich schon immer mit einer Frau zusammenarbeiten wollte, die zu beidem fähig ist, war Serena sowohl diesbezüglich als auch menschlich die erste Wahl.
„Elysian Fields“, der als Bonus Track auf den Spezialausgaben des Albums zu finden ist, entstand mit Daniel Lang: Daniel ist ein alter Freund von mir. Wir haben seit 2013 zusammen in der Modern Hardcore-Band FIVE MINUTE FALL gespielt und nun spielt er seit 2018 auch bei meiner anderen Band KARG. Generell sind wir aber alle, bei HARAKIRI FOR THE SKY als auch bei KARG, genretechnisch sehr aufgeschlossen, wie sich eben bei den Gastbeiträgen oder mittlerweile auch musikalischen Einflüssen gut erkennen lässt. Daniel als Freund zu haben hat uns die Möglichkeit gegeben, unsere Möglichkeiten und Grenzen erneut etwas auszuloten, und ich halte den Song für sehr gelungen.
„Musik und Lyrik sind die Realitätsflucht schlechthin.“

Das finde ich auch! Außerdem ist im RADIOHEAD-Cover „Street Spirit” im Bonusteil der Platte GROZA-Frontmann P.G. zu hören. Für viele vermutlich nicht der erste Name, der einem für ein solches Feature einfallen würde, und doch passt er wie die Faust aufs Auge. Wie seid ihr denn auf sein Gesangstalent aufmerksam geworden?
Die Kooperation mit P.G. von GROZA war tatsächlich auf lange Hand geplant. Was dabei rausgekommen ist, war aber eher ein glücklicher Zufall und ist seiner Experimentierfreude zu verdanken. Die cleanen Vocals waren erst nicht geplant, aber als wir dann seine erste Version des Songs zu hören bekamen, wussten wir: Genau so und nicht anders. Ich finde vor allem deshalb ist unsere Version ein wunderbarer Kompromiss zwischen dem Stil von HARAKIRI FOR THE SKY und der Ursprungsversion von RADIOHEAD.
GROZA-Drummer Tim wiederum führte bei eurem Clip zu „Keep Me Longing“ Regie. Ruhige Naturaufnahmen wechseln sich hier mit teils verstörenden Bildern ab. Die weit angelegten Bilder der Berglandschaft setzen einen harten Kontrast zu den Nahaufnahmen, die oft einen zerstörerischen Aspekt einfangen – sei es der Prozess selbst oder das Resultat im Nachgang. Kam das Konzept komplett von ihm oder habt ihr für eure Musikvideos in der Regel eine klare Vorstellung?
Das Konzept kam zu weiten Teilen von uns allen. Auch unser Bassist hat hier einiges beigetragen. Das Grundkonzept war aber, wie du gut erkannt hast, einen starken Kontrast zu erzeugen, wie die jeweiligen Protagonisten mit dem Gefühl des Verlustes oder ihrem Weltschmerz umgehen. Der eine flüchtet sich in Einsamkeit und Selbstzerstörung, während der andere sein Heil in destruktivem Verhalten gegen seine Umwelt findet. Der Rest ist, denke ich, selbsterklärend. Die Naturaufnahmen stammen dabei aus der Gegend, wo ich aufgewachsen bin, was für mich einen wichtigen Bezug zu meinem Charakter im Video darstellt.
Wie viel Spaß hat es gemacht, das Auto zu demolieren und die Vasen zu zerschlagen? Fühlt es sich so befreiend an, wie man es sich vorstellt?
Ich selbst war an diesen Szenen leider nicht beteiligt, ich kann mir aber vorstellen, dass es durchaus befriedigend war.
Der Titel „Scorched Earth“ lässt vermuten, dass die Musik auch Mittel ist, all das, was euch aktuell in irgendeiner Weise bedrückt, auf kreativer, emotionaler Ebene zu verarbeiten. Nutzt du Musik denn privat auch mal zur Realitätsflucht? Falls ja, welche Bands bzw. Künstler helfen dir momentan dabei, abzuschalten?
Ja, klar, Musik und Lyrik sind die Realitätsflucht schlechthin. Auch wenn sie durch ihre kathartische Wirkung natürlich auch wiederum einen Bezug zur eigenen Realität herstellen, je nachdem, ob man sich mit fremder oder der selbstgeschaffen Musik auseinandersetzt. Was Musik von anderen Bands betrifft, so muss ich zugeben, dass ich in den letzten Jahren etwas faul geworden bin, wenn es darum geht, mich mit neu erschienenen Alben auseinanderzusetzen, auch wenn 2024 ein echt starkes Jahr für neue Musik war. Mein Lieblingsalben des letzten Jahres wären dabei in etwa folgende:
• PLANES MISTAKEN FOR STARS: Do You Still Love Me
• COUNTERPARTS: Heaven Let Them Die
• AARA: Eiger
• SUNRISE PATRIOT MOTION: My Father Took Me Hunting in the Snow
• FRAIL BODY: Artificial Bouquet
• INFANT ISLAND: Obsidian Wrath
• ELLENDE: Totbringerin
• GROZA: Nadir
• ALCEST: Les Chants de l’Aurore
• FIRTAN: Ethos
• WELTENBRANDT: Transzendenz Schatten Romantik
• SPECTRAL WOUND: Songs of Blood and Mire
Ich habe wahrscheinlich die Hälfte vergessen, aber das hier ist ein kurzer Überblick.
„Generell muss einem als Fan […] klar sein, dass Musikern nach dem Erscheinen eines neuen Albums die neuen Songs am meisten am Herzen liegen.“

Durchaus abwechslungsreich und doch mit rotem Faden – ein wirklich schöner Querschnitt. Ihr bezeichnet „Scorched Earth“ als Schlussfolgerung eures bisherigen Schaffens, was sich ja auch in Form der Tiere im Artwork Bruno Gonzalez‘ spiegelt. Deutet sich damit auch ein Auf- bzw. Umbruch an? Was bringt die Zukunft für HARAKIRI FOR THE SKY?
Das lässt sich schwer sagen, wo die weitere Reise hingeht. Ich denke aber, dass gewisse Elemente, wie jene des Post Black Metals bei HARAKIRI FOR THE SKY immer eine tragende Rolle spielen werden, deshalb rechne ich nicht mit einem musikalischen Quantensprung. Aber wer weiß? (grinst)
Im Frühjahr steht ein Headline-Tour durch Europa an und im Sommer folgen dann einige Festival-Shows. Mit sechs Alben und größtenteils ausladenden Stücken im Repertoire dürfte die Songauswahl immer schwieriger werden. Habt ihr dafür ein erprobtes Rezept? ALESTORM-Sänger Christopher Bowes etwa nimmt laut eigener Aussage meist einfach die 15 beliebtesten Songs seiner Band auf Spotify.
Das ist natürlich ein wichtiges und teils schwieriges Thema, da die Fanlieblinge meist andere sind als die eigenen, da man die einfach oft nach dem 100. Konzert mit ähnlicher Setlist schlicht nicht mehr hören kann. Man versucht aber dabei immer einen guten Kompromiss zu finden. Generell muss einem als Fan aber auch klar sein, dass Musikern nach dem Erscheinen eines neuen Albums die neuen Songs am meisten am Herzen liegen und der Fokus darauf gesetzt wird. Wir haben aber auch schon extra angesetzte Konzertabende gemacht, wo wir nur Songs der ersten beiden Alben gespielt haben, damit auch die Fans der Anfangsphase nicht zu kurz kommen.
Das ist eigentlich auch eine schöne Idee, um der Zwickmühle zu entkommen, wie ich finde. Bleibt euer Live-Line-up voraussichtlich konstant oder sollten wir uns auf Veränderungen einstellen?
Ich glaube, das Live Line-Up wird auch auf längere Sicht so bleiben. Ich wüsste nicht, warum nicht. Es passt gerade sehr gut so.
Zum Abschluss noch eine Frage, die nicht unbeantwortet bleiben darf: Was ist dein Lieblingsdinosaurier?
Pteranodon.
Endlich mal keiner der üblichen Verdächtigen! Vielen Dank für deine Zeit, J.J.! Natürlich gehören die letzten Worte dir!
Danke für das interessante Interview und die interessanten Fragen – vor allem keine zu unseren Erfahrungen im Studio, denn ich hasse sowas. (lacht)