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DRITTE WAHL: Interview mit Gunnar Schröder

Wenn ihr Name auch nicht immer sofort und als Erstes fällt, so werden sie in Fachkreisen doch als eine der besten Punkbands der Republik gehandelt. Zuletzt lief es auch richtig gut für DRITTE WAHL aus Rostock, die 2023 ihr 35. Bandjubiläum feiern. Ein Schwatz mit Sänger und Gitarrist Gunnar Schroeder über Punk, Metal, Fußball, die Liebe zu Vinyl und Kassetten und was sonst noch so wichtig ist im Leben.

Hey Gunnar! 2008 habe ich Euch auf Euerer “20 Jahre Geburtstagstour” im Kunstverein hier in Nürnberg gesehen, zusammen mit FLIEHENDE STÜRME, und das war ein feiner Abend. Gut 15 Jahre später sind die DRITTE WAHL im renommierten Musikclub Hirsch angekommen. Gab es einen Moment in Euerer Karriere, wo Ihr gemerkt habt: Jetzt nimmt das Ding Fahrt auf?
Nicht so richtig, das ging immer Stufe für Stufe. Es wurde immer größer, kam Jahr für Jahr immer mehr in Schwung. Da kam man gar nicht in die Versuchung, sich irgendetwas einzureden. Wir sind stetig dabei geblieben, und es ist immer größer geworden.

Wo seht Ihr Euch heute in der deutschen Punkszene stehen?
Keine Ahnung, das müssen andere sagen. Ich bezeichne uns ja immer noch als Punkrockformation, und da fühlen wir uns nach wie vor zuhause, auch wenn wir inzwischen in den meisten Städten in den etablierten Clubs angekommen sind. Klar, die Leute hängen oft an den alten Sachen, wo es eng und klein und alles familiär war. Aber für uns ist das schon cool, dass das so gewachsen ist. Clubs wie der Hirsch in Nürnberg oder das Backstage in München haben meistens auch bessere Anlagen. Da klingt es meist geiler.

Ey, bitte nicht falsch verstehen: Ich freue mich riesig für Euch, dass es so gut läuft. Alles gut. Der Hirsch ist ein prima Laden.
Genau. Für mich von außen betrachtet ist das in Nürnberg der Rockladen, und da freuen wir uns, dass wir da jetzt angekommen sind.

Geht außerhalb von Deutschland was mit so einem Sound, wie Ihr ihn macht?
Naja, nicht viel. Österreich/Schweiz natürlich, wir waren gestern in Zürich, das war auch gut und ausverkauft dort. Österreich machen wir noch ein bisschen, Wien und so. Ab und zu starten wir mal einen Exotentrip und spielen etwa in Polen, aber mit deutschen Texten funktioniert das nie so richtig. Außer bei RAMMSTEIN.

Ihr seid mit jedem Album und mit jeder Tour gewachsen – im Gegensatz zu Euren Kollegen von FEINE SAHNE FISCHFILET, die ziemlich schnell ziemlich steil durch die Decke gegangen sind …
Naja, das sehe ich nicht so. Die gibt es auch schon seit fast 20 Jahren. Aber klar: Seit die bei den TOTEN HOSEN angedockt haben, sind die riesengroß geworden.

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Habt Ihr Kontakt?
Klar, man kennt sich. Manchmal gehen wir mit Monchi zu Hansa. Wir haben ja erst neulich gegen Nürnberg gespielt… Interessierst Du Dich für Fußball?

Nicht mehr wirklich. Als Kind schlug mein Herz für den Club (1. FC Nürnberg), aber das hält man ja auf Dauer nicht aus. Wenn es mich heute mal ins Stadion verschlägt, dann meistens bei den Fürthern, wo schon diverse meiner Bekannten hin abgewandert sind. Der Fußball ist da nicht zwingend besser, aber es ist total entspannt und nett im Ronhof. Und die Fürther haben zumindest Humor.
Von außen betrachtet sehe ich Nürnberg eigentlich schon eher in der ersten Liga. Ich würde denen echt wünschen, dass es für die mal wieder hoch geht, aber man sieht ja beim HSV, wie schwer das ist, wieder zurückzukommen.

Puh, kein Mensch hier bei uns im Süden vermisst den HSV in der Bundesliga! Als die 2018 abstiegen und ihre Bundesliga-Uhr abschalten mussten (bis zum Abstieg 2018 war der HSV das letzte Bundesliga-Gründungsmitglied, das noch nie abgestiegen war – an diese Leistung erinnerte im Volksparkstadion eine riesige Uhr, die live anzeigte, wie lange der HSV schon in der ersten Liga spielte), haben wir uns ein Bier aufgemacht.
Ja, aber damit war der HSV der einzige, der noch etwas hatte, was Bayern München nicht hatte. Das fand ich immer gut. Seit die Uhr abgeschaltet ist, sind die Bayern überall führend. Am längsten in der Bundesliga, am meisten hier, am öftesten da… Das nervt ja auch.

Da hast Du natürlich auch wieder recht. Aber nochmal kurz zu Hamburg: Dein Herz schlägt echt mehr für den HSV als für St. Pauli?
Ich kann mit beiden ganz gut. Ich komm’ ja auch nicht aus Hamburg, aber ich hab natürlich mega-viele Freunde und Bekannte, die St.-Pauli-Fans sind. Aber zu Ostzeiten, da hatte jeder immer auch einen Westverein, den er cool fand, und für mich war das damals der HSV. Weil die auch blau-weiß waren wie Hansa. Damals waren die aber auch noch erfolgreich. Deshalb habe ich heute immer auch noch ein paar Sympathien für den HSV und wünsche denen ehrlich, dass sie den Wiederaufstieg mal wieder schaffen. Ist mir lieber als Paderborn oder Darmstadt.

Was ist mit Leipzig – aus alter Ost-Verbundenheit?
Ach, ich kann mit diesem ganzen Ost-West-Ding nix mehr anfangen. Nach 30 Jahren bin ich das Thema echt leid. Das muss irgendwann auch mal wieder gut und eins sein. Insoweit ist RB Leizig für mich erst mal ein deutscher Club. Hab’ ich keine großen Sympathien mit, find’s aber auch nicht mega-scheiße. Die haben halt das Geld von dem Typen genommen. Hätte fast jeder andere Verein auch gemacht. Schalke und Gazprom, das ist ja auch nicht gerade sympathisch. Hey, jetzt sind wir tatsächlich beim Fußball gelandet … (lacht)

Ihr habt mit DRITTE WAHL eine DDR-Vergangenheit, wenngleich auch keine lange …
Wir sind 1988 das erste mal aufgetreten, ab da läuft unsere Zeitrechnung. Dieses Jahr werden wir 35. Ach, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, wie das war. Erstmal konnte man nirgendwo Instrumente kaufen, Gitarrensaiten und sowas, das war ja alles knapp. Und dann durfte man ja eigentlich auch gar nicht spielen, dafür brauchte man eine Auftrittsgenehmigung vom Staat.

Hattet Ihr die?
Nö. Es gab Privatleute, die heimlich Konzerte gemacht haben, aber da wusste man auch nie, ob man nach dem Konzert nach Hause geht oder irgendwo mit einer Lampe im Gesicht sitzt und Fragen beantworten muss. Naja. Irgendwie war es auch eine spannende Zeit, aber wenn man heute so zurückdenkt, dann wirkt das ganz schön surreal, dass es so etwas hier mal gegeben hat. Das ist alles ganz weit weg.

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War 1988, als ihr mit DRITTE WAHL angefangen habt, schon zu spüren, dass sich das ganze System auflöst, dass die alte DDR an die Wand fährt?
Ich glaube schon. Deshalb haben wir auch nie richtig Stress gehabt mit der Stasi, weil die hatten damals ganz andere Sorgen als so ‘ne kleine Punkband aus Rostock, die keine Sau kennt. Das fiel schon alles auseinander, war überall marode. Trotzdem konnte sich auch 1989 keiner vorstellen, dass wenig später die Grenzen offen sind und dass es die DDR nicht mehr gibt. Es war auch nicht abzusehen, dass das so schnell geht.

Als die Mauer fiel, war alles, was im Osten angesagt war, erst mal für mindestens zehn Jahre total out. Die Menschen wollten endlich all das Westzeug haben, an das sie so lange nicht oder nur sehr schwer herangekommen sind. Alles aus dem Osten – auch die Musik – war mit einem Schlag nicht mehr interessant. Hat Euch das auch getroffen?
Wir waren zu wenig Osten. Und eh erst im Kommen. Wir sind dann aber relativ schnell rüber in den Westen und haben dort überall gespielt, das war kein Problem. Aber klar, für die großen Bands wie die PUHDYS, CITY und wie sie alle hießen, waren das echt schlimme Jahre. Das hat gedauert, bis sich die Leute an ihre alten Helden erinnert haben und daran, dass damals nicht alles schlecht war. Und dann ging das auch wieder bergauf für die.

Wir haben hier in Nürnberg das Eisenblatt, ein total liebevoll gemachtes Fanzine, dass sich verdienstvoll dem Themenkomplex “Heavy Metal aus der DDR” annimmt. Daran angeschlossen ist die rührige kleine Plattenfirma German Democratic Recordings, die Ostmetal-Raritäten pflegt und neu auflegt.
Das ist wie überall anders auch: Es gab so viel, was damals unterm Radar lief, was aber total interessant war und heute vergessen ist. Ist halt so.

Stichwort Metal: Das „Deaf Forever“-Magazin liebt Euch abgöttisch, feiert euch als Deutschlands beste Punkband. Woher rührt diese tiefe Liebe von Götz Kühnemund zu Euch?
Das weiß ich auch nicht so genau. Wir kennen uns schon ewig. Als wir vor ein paar Wochen in Berlin gespielt haben, war er mit seiner Frau da. Wir mögen uns, reden auch viel über private Sachen.

Habt Ihr bei DRITTE WAHL eine Metalvergangenheit oder seid Ihr komplett punk-sozialisiert?
Nee, nee, wir waren früher alle Metaller. Punkrock war im Osten gar nicht so verbreitet und in Rostock schon gleich gar nicht. Die Stadt war ja ganz weit weg von allem. Von vielen Bands, die in Berlin oder Leizig waren, habe ich erst nach der Wende erfahren. Rostock war am Arsch der Welt damals, keiner hatte ein Auto. Wenn man irgendwann mal nach Berlin gefahren ist, was ganz selten vorkam, dann war das wie eine andere Welt – wie wenn man vom Dorf in die große Stadt kommt. Wir sind aufgewachsen mit AC/DC, JUDAS PRIEST, IRON MAIDEN, ACCEPT, MOTÖRHEAD. Eigentlich wollten wir auch sowas machen, aber dann habe ich im Radio zwei alte Lieder von den TOTEN HOSEN gehört: „Willi muß ins Heim“ und „Reisefieber“. Und da habe ich mir gedacht “Okay, man kann auch sowas machen”. Und dann sind wir umgeschwenkt auf Punkrock.

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Im Deaf Forever hast Du sogar eine eigene Kolume: „Schröders Treppe“ …
Ja, aber die pausiert gerade. Ich hab ‘ne Blockade, mir ist zuletzt nix mehr eingefallen. Aber das kommt wieder.

In einer Deiner Kolumnen hast Du mit ganz viel Herz über Deine Liebe zum Format Kompaktkassette geschrieben. Und diese Liebe lebst Du ja gerade mit DRITTE WAHL so richtig aus …
Unser Debütalbum „Fasching in Bonn“ ist 2022 30 Jahre alt geworden. Da gab es eine Jubiläumsausgabe als Kassette. Jetzt haben wir unser neues Live-Album als Kassette aufgelegt – das Dreifach-Album als Dreifach-Kassette (lacht). Der Plan ist, das beizubehalten und jedes Mal, wenn ein Album von uns Geburtstag feiert, das als Jubiläumsedition auf Tape neu rauszubringen. Ist natürlich relativ teuer, aber ist halt so ein Hobbyding. Aber ich hab’ neulich was gelesen von einer Metalband, die hat einen Livemitschnitt auf VHS rausgebracht. So einen VHS-Videorecorder hat ja nun echt keiner mehr. Aber: Lustige Idee. Sieht sicher geil aus.

DRITTE WAHL haben eh ein Faible für verlorene Formate. Zuletzt habt Ihr einen ganzen Schwung 7-Inch-Singles veröffentlicht …
Wir machen das regelmäßig. Immer, wenn wir eine Single veröffentlichen, wollen wir auch Vinyl davon. Von uns gibt es eigentlich keine Single, die nur digital etwa bei Spotify rauskommt – wir machen die immer auch als Schallplatte. Das sind dann keine Riesenauflagen, aber die 1000 Stück gehen dann trotzdem immer relativ schnell weg. Das sind so Sammler-Sachen, die wir selbst auch lieben.

Macht Ihr alles selbst?
Wir sind total autark – bis aufs Booking. Das habe ich auch lange alleine gemacht, aber da stößt man dann doch irgendwann an Grenzen, gerade was Festivals angeht. Deshalb haben wir seit zehn Jahren eine Agentur, die die Konzerte für uns bucht. Aber sonst machen wir alles komplett selbst.

Habt Ihr mal überlegt, was in Mundart zu machen?
Haben wir doch schon: Von „Hoch im Norden“ gibt es eine Version auf Plattdeutsch. Den Text hat damals mein Vater übersetzt, der konnte das richtig gut. Aber der lebt nicht mehr, jetzt wird das schwierig. Plattdeutsch is’ ‘ne tote Sprache, das spricht ja keiner mehr.

Du sprichst auch nach der Schrift, wie meine Oma immer zu sagen pflegte.
Genau. Rostock ist weitgehend dialektfrei. Aber ich mag das an Bayern: Bands wie HAINDLING, die in ihrer Sprache singen. Finde ich schön, dass es sowas gibt.

Gunnar, stell dir vor, Du feierst eine Gartenparty. Leichen willkommen: Bands, die es nicht mehr gibt und Musiker, die schon tot sind, dürfen für diesen Tag zurückkommen. Wer spielt auf Gunnar Schroeders Gartenparty?
AC/DC mit Bon Scott und Malcolm Young. PINK FLOYD hätte ich gerne mal gesehen in ihrer klassischen Phase … und die DEAD KENNEDYS mit Jello Biafra am Gesang.

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