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BEFORE THE DAWN: Musik als Fluchthelfer

Was macht man, wenn man morgens früh um 4:17 Uhr wach ist und nicht einschlafen kann? Tuomas Saukkonen, seines Zeichens Sänger und Gitarrist der finnischen Düstermetaller BEFORE THE DAWN, hat eine äußerst begeisternde Methode gefunden, die Schlaflosigkeit produktiv zu nützen. Er schreibt einfach hervorragende Songs wie die auf “4:17 a.m.” und erfreut damit alle Freunde dunkler Musizierkunst. Vampster gab er einen Einblick in die Gedankenwelt, die hinter der überaus eigenständigen und faszinierenden Musik der Band steht.

Was macht man, wenn man morgens früh um 4:17 Uhr wach ist und nicht einschlafen kann? Tuomas Saukkonen, seines Zeichens Sänger und Gitarrist der finnischen Düstermetaller BEFORE THE DAWN, hat eine äußerst begeisternde Methode gefunden, die Schlaflosigkeit produktiv zu nutzen. Er schreibt einfach hervorragende Songs wie die auf “4:17 a.m.” und erfreut damit alle Freunde dunkler Musizierkunst. Vampster gab er einen Einblick in die Gedankenwelt, die hinter der überaus eigenständigen und faszinierenden Musik der Band steht.



Was genau passiert denn um 4:17 Uhr morgens, Tuomas?

Wenn du auf den Albumtitel anspielst: etwas Schlimmes. Man muss sich das Album genau anhören, um dahinter zu kommen. Wenn ich im normalen Leben um diese Uhrzeit wach bin, schaue ich mir den Sonnenaufgang an und spiele ein wenig Gitarre. Ich würde mir vielleicht auch überlegen, ins Bett zu gehen, aber schlafen könnte ich eh nicht, wegen den tausend Ideen und Gedanken, die in meinem Kopf rumspuken.

Was hat dich denn zu diesem eher ungewöhnlichen Plattentitel inspiriert?

Der Abschlusstrack von “My Darkness” trug den Titel “4:16”. Wir wollten mit dem Albumtitel “4:17 a.m.” ausdrücken, dass wir die aktuelle Scheibe als natürliche Fortsetzung von “My Darkness” betrachten. Der Titel stand schon früh fest, und unser Ziel war eine Weiterführung und Verfeinerung des Vorgängeralbums. Außerdem gefällt mir an diesem Albumtitel, dass er ein wenig anders ist und die Neugier der Leute darauf, was dahinter steckt, weckt.

Was mir an eurer neuen Platte besonders gefällt, ist, dass ihr euren eigenen Stil fernab vieler Gothic-Klischees etabliert habt. Welchen musikalischen Weg habt ihr hinter euch?

Als Gothic-Band hab´ ich uns eh nie gesehen. Mein Ziel war es schlicht, melodische Metal-Songs zu schreiben. Über stilistische Ausrichtungen habe ich mir nie groß den Kopf zerbrochen. Wichtiger war da als Einfluss für mich die Inspiration durch meine negativen, düsteren Emotionen.

Begonnen hast du BEFORE THE DAWN als Soloprojekt. Wie kam es zu der Entwicklung hin zu einer kompletten fünfköpfigen Band, die auch live auftritt?

Die Livegigs waren der Hauptgrund für mich, ein erstes Line-up zu suchen. Nach einer Weile fühlte sich die stabile Bandsituation mit wöchentlichen Proben und Gigs jeden Monat wie das Normalste von der Welt an. Daher verspüre ich keinerlei Bedürfnis, zu einem Soloprojekt zurückzukehren mit BEFORE THE DAWN. Ich beschäftige mich nebenbei ab und zu mit einigen Soloprojektideen, da kann ich mich in der Richtung auch so schon ausreichend ausleben.

Tuomas: Wichtiger war für mich die Inspiration durch meine negativen, düsteren Emotionen.
Tuomas: Wichtiger war für mich die Inspiration durch meine negativen, düsteren Emotionen.

Wo siehst du denn nun, nachdem du beide Arbeitsweisen ausprobiert hast, die Vor- und Nachteile des Arbeitens in einer Band und alleine für dich?

Alleine an Musik zu arbeiten besitzt schon einigen Reiz für mich, wie gesagt habe ich ein paar Soloprojekte nebenbei laufen. Das gibt einem komplette Freiheit bei allen Entscheidungen, man muss keine frustrierenden Kompromisse eingehen. Ich spiele allerdings auch Schlagzeug bei BONEGRINDER und bin eben bei BEFORE THE DAWN aktiv. Dabei schätze ich vor allem die Möglichkeit, als Band auf die Bühne zu steigen. Andererseits kann man zur Not ein Soloprojekt mit Sessionmusikern ebenfalls auf die Bühne bringen, daher würde ich mich im Ernstfall zu einem Soloprojekt entschließen, wenn ich mich entscheiden müsste. Ich brauche einfach die kreative Freiheit.

Wieviel Gruppenbewusstsein herrscht überhaupt bei euch, wenn ihr Songs schreibt? Die Credits weisen lediglich dich und euren anderen Gitarristen und für die Growls zuständigen Sänger Panu als Songwriter aus.

Wir sind die einzigen, die die Musik für BEFORE THE DAWN schreiben. Dabei fallen mir etwa 90 Prozent zu. Ich spiele Schlagzeug, schon seit ich 15 bin, und seit sechs Jahren kann ich auch Klavier spielen. Daher kann ich die Lieder bereits in meinem Kopf in ihre nahezu endgültige Form bringen. Das Schlagzeug und die Gitarren sind meistens schon komplett ausarrangiert, wenn ich im Proberaum den anderen ein neues Lied vorstelle, ebenso mein Gesang. Da Panu und ich finden, dass es ehrlicher ist, seine eigenen Texte zu singen, verfassen wir jeweils die Lyrics für unsere Parts selbst.

Woher kommt bei dir das Selbstvertrauen, dass man haben muss, um daran zu glauben, Musik zu schreiben, die etwas Besonderes ist und sich vom Gros der restlichen Szene unterscheidet?

Das Hauptkriterium beim Schreiben von Musik ist für mich, dass sie mich selber beeindruckt. Wenn man für sich selbst schreibt, hat man einen höheren Anspruch an die Musik, als wenn man nur für´s breite Publikum schreibt und letzten Endes genauso klingt wie die Bands, die momentan in den Top Ten sind. Jeder von uns ist ein einzigartiges Individium mit ganz speziellen Bedürfnissen und Vorstellungen. Wenn man diesen gegenüber ehrlich bleibt, kann man etwas ganz Eigenes erschaffen.

BEFORE THE DAWN (von links nach rechts): Dani Miettinen (Drums), Panu Willman (Gitarre, rauer Gesang), Toni Broman (Bass), Tuomas Saukkonen (Gitarre, cleaner Gesang) und Mika Ojala (Keyboard)
BEFORE THE DAWN (von links nach rechts): Dani Miettinen (Drums), Panu Willman (Gitarre, rauer Gesang), Toni Broman (Bass), Tuomas Saukkonen (Gitarre, cleaner Gesang) und Mika Ojala (Keyboard)

Wo würdest du die Hauptunterschiede zwischen euch und anderen innovativen Gothic Metal-Bands wie beispielsweise KATATONIA ausmachen?

Naja, am deutlichsten heben wir uns vielleicht dadurch ab, dass wir gar keine Gothic Metal-Band sind. Wir haben unseren eigenen Stil, der aus uns selbst entspringt, weshalb ich mir auch keine Sorgen mache, dass wir in Zukunft einmal nicht mehr unseren eigenen Sound finden könnten.

Auf alle Fälle seid ihr mit KATATONIA letztes Jahr auf Tour gewesen. Lief es für euch befriedigend?

Sehr sogar. Es war eine wundervolle Erfahrung. Die Jungs von KATATONIA waren großartig, und auch ihre Crew war absolut fantastisch. Wir gerieten in ein paar Geldprobleme unterwegs, aber sie haben uns jederzeit geholfen, wo sie nur konnten, obwohl sie uns vorher nicht gekannt haben und wir letztlich ja auch Nobodies waren. Wir verbinden ausschließlich angenehme Erinnerungen mit der Tour. Ich kann es kaum erwarten, wieder auf Tour zu gehen. Ich liebe es, herumzureisen und ständig neue Leute kennen zu lernen. Wenn man dann noch jeden Abend einen Liveauftritt spielen kann, kann es eigentlich gar nicht mehr besser werden!

Eurem sehr klar definierten musikalischen Profil stehen sehr unterschiedliche Einflüsse und Vorlieben der einzelnen BEFORE THE DAWN-Mitglieder gegenüber. Wie verhindert ihr, dass stilfremde Einflüsse wie z.B. Alternative, Power Metal oder Black Metal BEFORE THE DAWN vom eingeschlagenen Weg abbringen?

Ich habe von Anfang an eine sehr klare Vorstellung davon gehabt, wie BEFORE THE DAWN klingen soll. Daher mache ich mir keine Sorgen, dass wir in eine falsche Richtung abdriften könnten. Mir gefällt so ziemlich alles zwischen MADONNA und CANNIBAL CORPSE. Auch alle anderen Bandmitglieder hören unterschiedliche Musik, aber da ja nur Panu und ich die Songs schreiben und dabei eine klare Vision haben, besteht keine Gefahr, dass diese anderen Einflüsse die Oberhand gewinnen könnten. Man kann sie höchstens in der Art, wie die anderen ihre Instrumente spielen, raushören.

Nun war immer wieder zu lesen, dass ihr typisch finnisch klingen würdet. Kannst du das nachvollziehen?

Ja, schon.

Was ist denn das typisch Finnische in Metal-Musik? Woher kommt das? Besitzt ihr Finnen eine spezielle Mentalität?

Wer weiß, vielleicht sind die langen, kalten Winternächte und die schöne Natur hier oben dafür verantwortlich? Du solltest Finnland mal bereisen, dann würdest du sicher verstehen, was ich meine. Wenn man von so viel schöner Natur umgeben ist, kann man eigentlich gar nicht anders, als schöne Musik zu schreiben.

Wie kamt ihr als finnische Band mit einem spanischen Label, nämlich Locomotive Music, in Kontakt und ins Geschäft?

Ich habe Promos von uns über die ganze Welt verschickt, und das Angebot von Locomotive, das zurückkam, war das Beste, weshalb wir bei ihnen unterschrieben haben. Klar ist es eine etwas exotische Wahl, aber Locomotive haben ja auch Büros in Deutschland und den USA, weshalb die Firma schon globaler agiert, als man von ihrer Herkunft her meinen könnte.

Was erhofft ihr euch von der Zusammenarbeit mit Locomotive?

Ich wünsche mir einfach, dass sie ihre Arbeit zuverlässig machen, so dass wir uns voll und ganz auf die Musik konzentrieren können. Natürlich hoffe ich, dass es Locomotive gelingt, unsere Karriere weiterzubringen, so dass sich uns die Möglichkeit eröffnet, von der Musik zu leben. Alles weitere hängt von uns selber ab, wir müssen “nur” dafür sorgen, immer wieder immer bessere Alben abzuliefern.

Lass uns auf die Texte eures neuen Albums zu sprechen kommen. Vor was versteckst du dich in “Hiding”?

Vor euch allen.

Was fasziniert dich an der Dunkelheit? Sie ist ein immer wiederkehrendes Motiv in euren Texten, mal ganz von dem Titel “The Black”, eurem Album “My Darkness” und eurem Bandnamen abgesehen…

Ich bin ein absoluter Nachtmensch. Die Nacht ist für mich die kreativste Tageszeit. Ich liebe die Nacht einfach, sie ist so wunderbar ruhig. Mich interessiert aber auch die innere Dunkelheit, das Tier im Menschen. Dieser ständige Kampf zwischen Gut und Böse im Menschen übt schon immer eine große Faszination auf mich aus. Ich bin selbst zwar auf der guten Seite, aber ich will einfach alles über die gegnerische Mannschaft wissen, wenn man so will. Ich will alles über die Schwächen lernen, die zum Bösen führen, und herausfinden, wie man sie besiegen kann.

Wie sieht denn deine persönliche Dunkelheit aus, die du in “My Darkness” ansprichst?

Jeder von uns hat seine Dämonen, mit denen er fertig werden muss, und meine sind sicherlich nicht die Hübschesten. Einiges davon findet seinen Weg in unsere Texte, aber vieles lässt man besser ruhen und rührt nicht dran, um es nicht aufzuwecken. Das “My Darkness”-Album ist sehr ehrlich, da alle Texte ihren Bezug zu meinem eigenen Leben haben. Da stecken auch viele ehrliche Geschichten dahinter, die aber vermutlich keiner außer mir herauslesen kann.

In einem Interview hast du erwähnt, dass es unmöglich sei, die Welt, die für dich kein sehr positiver Ort zum Leben ist, zu ändern. Schreibst du Musik, um mit diesem Gefühl der Ohnmacht umzugehen?

Das Cover von '4:17 a.m.'
Das Cover von ‘4:17 a.m.’

Musik ist quasi mein Fluchthelfer. Durch sie vergesse ich die schlechten Seiten des Lebens. In den Texten kann ich mich mit der Dunkelheit in meiner Seele und in meiner Umgebung auseinandersetzen, wobei “My Darkness” eher auf mein Innenleben bezogen war, während das neue Album “4:17 a.m.” sich mehr mit der Außenwelt beschäftigt. Unsere Mini-CD “Gehenna” hatte damals wiederum zum Thema, wie sich die Welt für manche Menschen in eine Hölle verwandeln kann. Das Schreiben von Texten lässt mich meine Gedanken und meine Eindrücke von dieser Welt reflektieren. Die Kernfrage, die ich mir stelle, kommt vielleicht in “Seed” vom neuen Album am deutlichsten zur Sprache:

“Was the same poison in the air,
disease without a cure infected as we inhale,
or was it all along,
like a thorn
inside when we were born?”

[War dieses Gift in der Luft,
eine unheilbare Krankheit, mit der wir uns beim Einatmen ansteckten,
oder steckte es schon
wie ein Dorn
in uns von Geburt an?]

Ich meine, schalte einfach nur die Nachrichten ein und du kannst die Hölle auf Erden aus erster Hand sehen. Und trotzdem: Jeder holt sich einfach in der Zeit was zu Essen aus dem Kühlschrank und schaut sich danach ein nettes Filmchen an, um später am Abend dann friedlich einzuschlafen. Wenn zwei Flugzeuge mitten in New York in zwei Hochhäuser krachen, ist jeder gleich dabei, Schuldige zu suchen und zu fordern, dass etwas unternommen wird. Doch wenn unzählige Mütter in Afrika ihre verhungerten Kinder oder irakische Väter ihre bei Bombardierungen umgekommene Familie begraben müssen, haben wir kein Problem damit, einfach weiterzuzappen. Wie kann es sein, dass deren Leben weniger wert ist als die der in New York Umgekommenen? Ich bin kein Aktivist, aber mich beschäftigen solche Fragen trotzdem sehr.

Wieso glaubst du, dass man dagegen nichts mehr unternehmen kann?

Nun, sicher kann man etwas tun, aber meistens sieht die ganze Realität so verdammt hoffnungslos aus. Die Menschen sind einfach zu habgierig und selbstsüchtig. Ich will mich da gar nicht ausnehmen, ich bin selber sicher kein Heiliger in der Hinsicht.

Ist deine Musik allgemein ein Prozess der Selbstreinigung?

Würde ich nicht sagen. Musik kommt aus meinem Herzen, sie ist die Luft, die ich atme, das Blut in meinen Adern. Ich erschaffe sie nicht, ich lasse sie lediglich aus mir herausströmen. Das ist schwer zu erklären, ist eine komplizierte Angelegenheit. Eher ist das Verfassen von Lyrics ein seelischer Reinigungsprozess für mich, wenn ich über mich selbst und meine Traurigkeit schreibe. Wenn ich über allgemeinere Themen schreibe, funktioniert das weniger, ich bin danach noch tagelang eher wütend und angepisst als gereinigt.

Wäre es für dich vorstellbar, einmal positive Lyrics zu einem BEFORE THE DAWN-Lied zu schreiben?

Das habe ich schon getan. Auf “My Darkness” gibt es einen Song namens “Father and Son”, er handelt von mir und meinem Vater, der mich stets bei allem, was ich getan habe, voll und ganz unterstützt hat. Er kommt nach wie vor zu jeder Show von uns, wenn er kann. Der Text zu “Father and Son” ist sehr positiv, er ist quasi meine Art, ihm dafür zu danken, dass er einfach da ist für mich.

Bislang kennt man euch hauptsächlich in Finnland. Glaubt ihr, dass sich das mit “4:17 a.m.” ändern wird?

Ich hoffe es sehr! Aber das muss die Zeit zeigen. An uns ist es, einfach ein gutes Album nach dem anderen zu schreiben.

Layout: Uwe

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