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STIER: Reden!

Als aufgeschlossener (Deutsch) Rocker sollte man STIER unbedingt eine Chance geben und die Platte mal antesten.

STIER, die laut Promoflyer “älteste Newcomer-Band dieser Lande” (zusammen kommt man immerhin auf knapp 250 Lenze) hat mit “Reden!” ein derart vitales Album an den Start gebracht, dass wohl kaum jemand auf das fortgeschrittene Alter der Protagonisten dahinter kommen würde. Bandleader und Sänger Hans Martin Stier, vielen wohl eher bekannt als Film- und Fernsehschauspieler, z.B. aus Tristan & Isolde, Neue Vahr Süd, SOKO Köln, Hausmeister Krause, versprüht nicht nur auf der Leinwand Charisma. Auch auf Tonträger bewegt sich der Koloss mit der markanten Stimme souverän. Ältere Semester denken beim Namen H. Martin Stier vielleicht noch an die TÖRNER STIER CREW, mit der er 1979 den Nachwuchspreis der deutschen Phonoakademie als beste Rockband gewann und an zwei Alben mitwirkte. Anfang der 80er Jahre verließ er die Band, die sich kurze Zeit später auflöste. Erst danach kam die große Schauspielkarriere. Unkenrufe à la “Filmsternchen–will-Rockstar-werden”, sind hier also absolut fehl am Platz.

Mit Charlie Steinberg (der Mann, der die Musiksoftware Cubase entwickelt hat) und Walter Stoever hat H. Martin Stier nicht nur zwei seiner alten Musikerkollegen, sondern auch junges Blut um sich geschart. In dieser Besetzung wird bereits seit 2007 zusammen musiziert. Allerdings hat man den alten Bandnamen KAHLE MÖNCHE abgelegt und nennt sich nun schlicht STIER. Der Chef hat kein Interesse daran an die Erfolge vergangener Tage anzuknüpfen und sich auf die Fahnen geschrieben, einen Tacken härtere Musik zu machen.  

Mission geglückt: STIER spielen betont harten, technisch versierten Deutschrock im modernen Soundgewand und klingen dabei nicht nur erfreulich frisch, sondern auch eigenständig. Weitere Pluspunkte: die Herrschaften nehmen sich nicht so bierernst wie viele andere Bands dieses Genres, haben hörbar Spaß an dem was sie machen, ohne auf dem Niveau einer heruntergelassenen Hose zu agieren, und rocken dabei erstaunlich viele Bands in Grund und Boden!
 
Textpassagen wie “Ich will Dich küssen / Aber lass den Fernseher an” oder “Den Abwasch hab´ ich / Heut´ schon selbstgemacht / War das wirklich Gottes Plan?” (“Ich will Dich küssen”) sind einfach nur herrlich. Die meisten Songs auf “Reden!” handeln von Liebe und Sehnsucht. Man hat sich aber auch anderen Themen wie Stalking, soziale Isolation und Geltungssucht angenommen. Dabei ist das Augenzwinkern der Protagonisten nahezu allgegenwärtig. Musikalisch bewegt man sich auf “Reden!” stets im Spannungsfeld von bretthart bis rockig. Dank dem Drive der Rhythmussektion, dem stets geschmackvollen wie songdienlichen Gitarrenspiel und den abwechslungsreichen Arrangements (die Palette reicht von Barpiano- bis NDW-Sounds) von Mr. Steinberg kommt auch keine Langeweile auf. Nicht nur in den vom Riffing an Bands wie OOMPH! oder RAMMSTEIN erinnernden Songs “Tanzen” und “Gier”, dem von einem coolen Reggae-Vibe aufgelockerten “Es ist Winter” und “Stalker”, das mit witzigem Happy Tree Friends-Gedächtnisgequietsche versehenen wurde, erreicht man locker den Härtegrad einer Metalband. Ein Highlight der Platte ist mit Sicherheit “Online macht süchtig”, das neben seinem kritischen wie witzigen Text mit einem gelungen Wechselspiel aus harten Riffs und entspannten Heimorgelsounds zu begeistern weiß. Düster wird es auf “Reden!” nur bei der Halbballade “Übers Meer”, die zu den abwechslungsreichsten Songs des Albums zählt und mit steigender Spielzeit immer mehr Knoten aufnimmt. H. Martin Stier besingt hier seine Seefahrervergangenheit in jungen Jahren, ja der Mann hat so einiges erlebt. Das Stück liefert darüber hinaus ein weiteres gutes Beispiel dafür, dass sich Gitarrero Lee C. Pinsky insbesondere im Hardrock der 80er pudelwohl fühlt. Die einzige Nummer, die abfällt, ist “Alles über Dich”, das trotz guter Einfälle einfach nicht richtig zünden will.

Als aufgeschlossener Rocker sollte man STIER unbedingt eine Chance geben und die Platte mal antesten. Der an sich gute Sound könnte zwar ruhig noch etwas mehr Live-Feeling vertragen, aber das können die Herren ja auf ihrer nächsten Platte berücksichtigen. STIER sollten uns schließlich noch einige Jahre erhalten bleiben.

GASTREVIEW VON JÖRG KÖLBL

Veröffentlichungstermin: 01.10.2010

Spielzeit: 45:27 Min.

Line-Up:
Hans Martin Stier – Vocals
Lee C. Pinsky – Guitars, Vocals
Charlie Steinberg – Synthesizer, Vocals
Walter Stoever – Bass
Tom Guenzel – Drums

Produziert von Siggi Bemm
Label: Fastball Music / Sony Music

Homepage: http://www.stierrocks.de

MySpace-Seite: http://www.myspace.com/stierrocks

Tracklist:
1. Diesesmal
2. Ich will Dich küssen
3. Tanzen
4. Übers Meer
5. Gier
6. Reden!
7. Du tust uns weh
8. Online macht süchtig
9. Auf der Flucht
10. Es ist Winter
11. Alles über Dich
12. Stalker
13. Warum
+ Video: Tanzen

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