blank

SKID ROW: The Gang’s All Here

SKID ROW haben endlich wieder ihren alten Trademark-Sound ausgegraben, um den Epigonen zu zeigen, wer die dicksten Fönfrisuren im Game hat. „The Gang’s All Here“ rotzlöffelt sich durch zehn starke Songs, die alte Glam Metal-Tugenden direkt in der Fresse explodieren lassen. Dabei helfen der neue, exzellente Sänger – und ein Starproduzent.

Leute, geben wir es zu: die Zeiten sind beschissen. Der Blick auf die Gasrechnung treibt vielen Menschen den Angstschweiß auf die Stirn, in Italien stellt eine ultrarechte Mussolini-Nachfolge-Partei die Ministerpräsidentin, und Putin bombt die Ukraine kaputt. Was braucht es da? Richtig. Fetzige Töne, die dazu einladen, wieder einmal die Lederjacke überzustreifen, ins Cabrio zu steigen und der Welt den ausgestreckten Mittelfinger zu zeigen. Natürlich darf das auch gern eine Kunstlederjacke und ein e-Cabrio sein. Hauptsache, die Attitüde stimmt. Noch einmal den jugendlichen Rebell spielen. Die Gang einladen und die Straßen unsicher machen. Youth Gone Wild! Man darf die Revolte nicht den Querdenkern überlassen.

Den passenden Soundtrack zum jugendlichen Übermut liefert ausgerechnet eine Band, die wirklich so keiner mehr auf den Zettel hatte. SKID ROW haben zwei der besten Glam-Metal-Alben aller Zeiten eingespielt, doch das ist über 30 Jahre her. In den letzten Jahren ist die Band vor allem damit aufgefallen, dass sie nicht wusste, was sie wollte. Hier und da mal eine EP veröffentlicht, mehrere Sänger kamen und gingen, das letzte Album aus dem Jahr 2006 erhielt vernichtende Kritiken. Als „sinnlose Ansammlung von Nonsens-Hard-Rock“ wurde „Revolutions per Minute“ unter anderem bezeichnet. Es schien, als würde die Band ewig jene Band bleiben, die mit ihrem Debüt von 1989 und dem exzellenten Nachfolger „Slave to the Grind“ ihre Munition verschossen hatte. Man musizierte fernab jeglicher Relevanz. Nun schreiben wir das Jahr 2022, und so viel sei vorweg genommen – plötzlich ist alles anders. SKID ROW haben ein geiles Geschoss abgeliefert.

Mit dem Heißhunger eines Debüts

Ich gebe zu: Als ich hörte, dass SKID ROW anno 2022 ein neues Album veröffentlichen werden, war ich selbst skeptisch. Nicht, weil ich diesen Sound nicht mag: Ich stehe dazu, dass ich für eventuelle Hair-Metal-Partys (die natürlich zeitgleich eine Bad-Taste-Party sind) mir extra eine Perücke mit wallendem Haar zugelegt habe. Auf meinem Kopf herrscht leider Ebbe, da wächst nichts mehr. Aber was SKID ROW früher auszeichnete, als sie auf MTV in der Heavy Rotation liefen, war auch ihre jugendliche Explosivität. Dieses spontan Rausgerotzte, das man mit Straßenkids verbindet. Wie soll man das im fortgeschrittenen Alter wieder wachrufen? Ich finde es schon albern, wenn Epigonen der Hair-Metal-Bewegung „Ooh, we’re the kids of the underground“ singen. Und die Musiker von CRASHDIET sind 25 Jahre jünger als der Kern der Band.

Zudem schienen SKID ROW den Weggang ihres Aushängeschildes Sebastian Bach nie überwunden zu haben. Der schlacksige Beau mit den Po-langen Haaren war in jungen Jahren nicht nur der ideale Rockstar, sondern einer der exzellentesten Sänger, den die Hardrock-Szene hervorgebracht hat. Tonnenweise Charisma und ein Stimmumfang, der die Konkurrenz nach Luft schnappen ließ. In einem Interview wurde Bach einmal gefragt, ob er eine Fähigkeit hat, über die keiner sonst verfügt. Er antwortete: „´I Remember You´ singen“. Das mag arrogant scheinen. Dumm nur, dass er Recht hat. Man höre sich die unzähligen Cover-Versionen des Songs auf Youtube an. Keiner trifft die hohen Noten ähnlich souverän.

Für letzteres Problem haben SKID ROW nun eine Lösung gefunden, die zunächst billig scheint – und gefährlich. Nach dem überraschenden Weggang des Ex-DRAGONFORCE-Sängers ZP Theart Anfang 2022 hat die Band den Schweden Erik Grönwall für den vakanten Posten hinter dem Mikro verpflichtet. Dieser glänzte einst in der schwedischen Version von „Deutschland sucht den Superstar“ mit einer Interpretation des SKID-ROW-Klassikers ´18 And Life´ und erhielt stehenden Applaus dafür. Mit anderen Worten: seine Stimme ist jener von Sebastian Bach nicht unähnlich.

Doch das sei vorweg genommen: Die Wahl des neuen Sängers entpuppt sich als Glücksgriff. Grönwall, früher in Diensten von H.E.A.T., besitzt genug Selbstbewusstsein und Erfahrung, um einerseits die gute alte Zeit wachzurufen – und andererseits der Platte seinen eigenen Stempel aufzudrücken. Er singt kraftvoll und leidenschaftlich, lässt die Stimme mit rauem Timbre angriffslustig grollen, um im nächsten Moment mit Klargesang in höchste Höhen aufzusteigen. Und obwohl er die Vocal Range voll ausschöpft, agiert er stets songdienlich. Nicht, ohne gelegentlich Ausrufezeichen zu setzen. Man höre sich den Ausklang von „World on Fire“ an: Viele Rocksänger werden vor Neid ihr Mikro fressen.

Überhaupt Leidenschaft: Das ist ein Begriff, der bei diesem Album groß geschrieben werden muss. Plötzlich ist alles wieder da. Der Dreck. Die Spielfreude. Der jugendliche Heißhunger. Der Bass von Rachel Bolan pulsiert. Die Gitarren von Rachel Bolan und Scotti Hill liefern kraftvolle, breitbeinige Riffs. Der Rhythmus treibt die Songs voran. Es gibt Gang-Shouts und eingängige Songs, die sich einprägen.

Schon auf „Slave to the Grind“ präsentierten sich SKID ROW als Hardrock-Band, die in puncto Härte viele Power-Metal-Bands schlicht wegblasen konnte. Nun tönt der Sound wieder satt und druckvoll aus den Boxen. Wimps and posers, leave the hall? Eventuell müssten MANOWAR zeitiger den Saal verlassen. Das ist auch der Verdienst von Starproduzent Nick Raskulinecz. Mit ALICE IN CHAINS oder den FOO FIGHTERS produzierte er ausgerechnet jenen Sound, der dem Hair Metal früher den Garaus machte. Aber auch RUSH und TRIVIUM hat er schon hinter den Reglern betreut. Er verpasst der Band ein transparentes und modernes Soundgewand, das dennoch rau und heavy genug klingt, um auch Traditionalisten zu überzeugen.

Die Experimente gehören der Vergangenheit an

Was man SKID ROW auf dem neuen Album bestenfalls vorwerfen kann: dass sie zu sehr auf Nummer sicher gehen. Die Experimente der letzten Alben gehören der Vergangenheit an, Alternative- und New-Metal-Einflüsse sucht man – bis auf wenige Ausnahmen – vergeblich. Stattdessen haben sie sich auf die Stärken der ersten beiden Alben konzentriert. Einfache Songs mit hymnischen Refrains, die ordentlich Street Credibility bedienen.

Deshalb fällt es auch schwer, einzelne Songs herauszuheben. Nicht, weil sie schlecht wären, im Gegenteil. Das Album klingt wie aus einem Guss, bietet kaum Schwächen. Die Songs sind näher noch am gradlinigen Debüt als am Nachfolger „Slave to the Grind“, auch wenn der sleazige Hardrock – wie oben erwähnt – mit der Härte einer Power-Metal-Band vorgetragen wird.

„Hell or High Water“ ist ein starker Einstieg. Kraftvolle Power-Chords, die klassischen Hard Rock zitieren, beim genauen Hinhören aber auch eine fast funkig groovende Quirligkeit erkennen lassen. Die Attitüde der Lyrics stimmt, auch wenn sie ebenfalls Zitat ist: Straßen werden in Brand gesetzt, Fesseln heruntergerissen und es wird sich inneren Dämonen gestellt. Eine melodische Bridge lockert den Song auf. Grönwall kreischt, singt, seufzt und faucht vorzüglich.

Der zweite Song, „The Gang’s All Here“, ist dann Glam Metal per Exzellenz. Und das Highlight des Albums. Ein treibender Song mit geshoutetem Refrain, der einen Stromstoß direkt ins Herz setzt. „Burnin’ down the city and I’m getting with the gang/ Street fight, car crash, starting with a bang“, shoutet der neue Frontmann. Ein euphorischer Ritt auf der Rasierklinge, der zeigt, was dieses Genre einst auszeichnete: jugendliche Ungestümheit paart sich mit musikalischem Können. Und eine klare Message: wir sind wieder da, um mit Volldampf gegen die Wand zu brettern.

Die Details zeigen durchaus stilistische Variation

Dass man durchaus auch vom Punk gelernt hat, zeigt die Uptempo-Nummer „Not Dead Yet“, bei dem das Gitarren-Duo Dave „The Snake“ Sabo und Scotti Hill seine Äxte ordentlich kreischen und knirschen lässt. Überhaupt war es auch die Gitarren-Arbeit, die SKID ROW vom Rest der Hair-Metal-Bands abgehoben hat. Einfach und wirkungsvoll, aber dennoch raffiniert und mit virtuosen Soli: dabei durchaus auch Genre-typische Standards durchbrechend. Hier kommt die Midtempo-Nummer „Time Bomb“ mit schwer groovenden Power-Riffs und verspieltem Bass daher, sodass sich doch auch moderne Elemente auf der Platte finden lassen. Ähnlich „Nowhere Fast“, das ebenfalls hart schreitende, aber auch leicht disharmonische Griffbrett-Artistik bietet: um in einem infektiösen Mitgröl-Refrain zu münden. Stark!

Es ist ein offenes Geheimnis, dass früher die stärksten Momente von SKID ROW die Balladen waren – und auch die Songs, die zum damaligen Erfolg beitrugen. Auch, weil sie mehr Tiefe besaßen als das Herzschmerz-Allerlei der Konkurrenz. „In A Darkened Room“ behandelte Enttäuschungen und Isolation in starken Bildern, „I Remember You“ ist schon Herzschmerz-Kitsch: lebt aber von seiner Atmosphäre und dem leidenschaftlichen Vortrag Sebastian Bachs. Auch auf dem neuen Album findet sich zumindest eine Ballade, die an diese Momente anknüpfen will. „October’s Song“ ist eine Power-Ballade über Vergänglichkeit und die Enttäuschungen des Lebens, schon auch ein wenig pathetisch, aber ansprechend getextet. „Wie kommen wir den Berg herunter, den wir Tag für Tag erklimmen?“, heißt es im Refrain. Ein schöner Gedanke: Das Verweilen auf dem Gipfel kann kein Dauerzustand sein, der Abstieg ist fast Notwendigkeit. Offene Lebensfragen, adressiert an Vater und Mutter. Eine gute Ballade mit dramatischem Spannungsbogen – auch wenn sie nicht ganz die Klasse der früheren Kompositionen erreicht.

Keine Frage, SKID ROW sind zurück. Mit diesem Album verweisen sie viele Epigonen, die sich in den letzten Jahren auf Sleaze, Glam und Fönfrisuren beriefen, auf ihre Plätze. Das Album macht Spaß, ist fett produziert, klingt ordentlich hungrig. Da stört es auch nicht, dass die Skids von heute fast im Boomer-Alter sind. Hauptsache, die Kutte sitzt und die Faust kann noch ohne Schmerzen in die Höhe gereckt werden.

Veröffentlichungsdatum: 14. Oktober 2022
Label: earMusic
Spielzeit: 41:15 Minuten

Webseite: https://www.skidrow.com/

SKID ROW: The Gang’s All Here Tracklist

1. Hell Or High Water
2. The Gang’s All Here
3. Not Dead Yet
4. Time Bomb (Offizielles Video auf Youtube)
5. Resurrected
6. Nowhere Fast
7. When The Lights Come On
8. Tear It Down (Offizielles Video auf Youtube)
9. October’s Song
10. World On Fire

Cookie Consent mit Real Cookie Banner