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SIGUR RÓS: Valtari

Ein wunderschönes Album, das vielleicht nicht auf einer Ebene mit "Takk", aber eben doch außerhalb jeglicher Konkurrenz steht.

Es sind schon einige Monate ins Land gezogen, seitdem SIGUR RÓS mit Valtari wieder auf der Bildfläche erschienen – weniger gewaltig als von vielen erhofft, aber eben wieder sich selbst definierend wie eh und je. Wie um alles in der Welt ich jetzt noch dazu komme, diese Zeilen zu schreiben? Valtari ist einer der steten Begleiter in diesem Jahr, ich erinnere mich genau an diesen Tag im Frühsommer, als ich nach dem Lernen an der Sandbank am Fluss durch den Wald mit dem Fahrrad heimfuhr, Ekki Múkk im Ohr, und einfach nur Glück empfand. Eine tiefe, pure, ungetrübte Freude, die durch nichts zerstört werden konnte. Sieben perfekte Minuten. Ebenso das erste Hören, das über so vieles Schlimmes, das in diesem Jahr bis zu diesem Zeitpunkt schon passierte, hinweg tröstete. So als würde jemand über mich wachen, damit der Kummer nicht Überhand gewinnt. Oder diese schönsten Szenen meiner letztjährigen Hochzeitsreise nach Island, die wie Szenen aus einem friedvollen Roadmovie am inneren Auge erneut vorbei streiften.

Und an diesem Morgen vor einer Woche, da saß ich bei einer Tasse Kaffee vor der Arbeit zu Hause am Rechner, als plötzlich ein Stromausfall einen Großteil von München und weiterer Orte lahmlegte. Diese plötzlich eintretende Stille ließ sofort Töne von Valtari im Kopf erklingen, mich mahnend, es mir von der Seele zu schreiben, was das doch eigentlich für mich bedeutet. Vier Jahre nach dem etwas unentschlossenen und überraschend leichtfüßigen Með suð í eyrum við spilum endalaust geben sich die vier Isländer so entweltlicht, so ätherisch, wie zuletzt bei ( ), aber ein wenig harmonischer und hermetischer. Valtari mag das Album von SIGUR RÓS sein, das am schwersten zugänglich ist, weil es eben so unglaublich reduziert ist, kein Wunder, dass manche der Band vorwerfen, langweilig zu sein. Wer sich jedoch mit JONSI & ALEX, dem Ambient-Projekt von Sänger Jonsi und dessen Lebensgefährten Alex Somers befasst hat, der wird hier – selbstverständlich – seelenverwandte Musik finden.

Natürlich sind SIGUR RÓS keine Ambient-Band, Valtari ist dafür zu ausladend und wird zwischen den flächigen Klangwolken zu episch. Es ist aber keine Untertreibung, bei Valtari vom ruhigsten Album zu sprechen, das Jonsi Birgisson und seine Mannen bisher veröffentlicht haben. Nur: So ziemlich jeder Song hat seine ganz persönlichen kleinen Highlights, von der üblichen Dynamiksteigerung im Post Rock sprechen wir jetzt nicht, denn das trifft auf SIGUR RÓS´ Musik nur noch sehr bedingt zu. Es erheben sich aus den in warme Farben getauchten Tönen immer wieder Melodien, Jonsis Gesänge, Rhythmen, die – ich werfe hiermit all mein Erspartes in das Phrasenschwein – engelsgleich klingen. Ég Anda lässt erst nach einigen Minuten zu, dass man es Song nennt, Ekki Múkk, Varðeldur und das Titellied graben sich so sanft und zart langsam in die Seele des Hörers, dass man sich kaum traut zu atmen, um sie nicht zu zerbrechen. Ähnlich ist es mit Dauðalogn, das allerdings mehr Variation vertragen hätte.

Varúð und Rembihnútur zeigen dann ein etwas anderes Gesicht, hier beginnen SIGUR RÓS geheimnisvoll und nehmen jeweils eine andere Abzweigung. Während das erstgenannte Stück unheimlich und vergleichsweise heftig endet, wird aus dem zweiten Stück die pure Harmonie. Gegen Ende von Valtari verlieren sich die Isländer ein wenig in ihren rauschhaften Klängen, Fjögur Píanó ist nicht der große, epische Schlusspunkt, sondern eine leise, etwas träge Nummer. Aber wer weiß, vielleicht wollen SIGUR RÓS nach all der Tagträumerei den Hörer auch nur in einen friedlichen, tiefen Schlaf zu begleiten. Der Frieden strömt bei Valtari aus allen Poren, er ist fühlbar, er springt auf den Hörer über. So ein Gesamtbild kann natürlich nur entstehen, wenn die gesamte Band an einem Strang zieht, wenn das Ego verblasst. So gibt es eine Fülle an Instrumenten zu hören, die klassische Rock-Besetzung tritt praktisch gar nicht auf.

Valtari ist eine Flut von Bildern und Klängen. Somit trifft der Titel irgendwie doch zu, Valtari heißt Walze, und irgendwie muss diesen Titel jeder verstehen können, der dieses Album hört. Dieses Album verströmt Liebe, es strahlt eine Wärme aus, es bewirkt, dass wir entschleunigt werden, eine Stunde lang abschalten können, uns vom Alltag entfernen. SIGUR RÓS haben ein wunderschönes Album veröffentlicht, eines das vielleicht nicht auf einer Stufe mit dem Überalbum Takk, aber eben doch außer Konkurrenz steht. Vor allem Freunde von ( ) werden sich in diesem Kleinod verlieren und Freunde von analog klingender, liebevoll zusammengeflickter, nordischer Musik mit Hang zu Melancholie werden dieses Album bedingungslos lieben.

Veröffentlichungstermin: 25. Mai 2012

Spielzeit: 54:16 Min.

Line-Up:
Jón Þór Jónsi Birgisson – Vocals, Guitar
Georg Goggi Hólm – Bass
Orri Páll Dýrason – Drums
Kjartan Kjarri Sveinsson – Keyboards

Produziert von SIGUR RÓS und Alex Somers
Label: XL Recordings / EMI

Homepage: http://www.sigur-ros.co.uk

Mehr im Netz: http://www.facebook.com/sigurros

Tracklist:
1. Ég Anda
2. Ekki Múkk
3. Varúð
4. Rembihnútur
5. Dauðalogn
6. Varðeldur
7. Valtari
8. Fjögur Píanó

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