Es gab eine Zeit, da wurde der Vokuhila noch mit Stolz getragen. Die Kutte saß wie ein Maßanzug, weil der Bierbauch noch nicht so im Weg stand, auf Metal-Konzerten waren vergleichsweise wenig Rollatoren zu sehen, und in Wimbledon gewann ein damals 17-jähriger, rothaariger Teenager das wichtigste Tennis-Turnier der Welt (Es war Boris Becker). Just in dem Moment machte sich im baden-württembergischen Witten eine Band auf, ebenfalls die Welt zu erobern. Mit stampfendem Teutonen-Metal.
Wir schreiben also das Jahr 1986. MP hieß die Band, die damals ihr Debüt „Bursting Out“ vorgelegt hat. Welches nun wieder zu haben ist, weil das Label Dying Victims das Album neu auflegt. Spoiler: Das mit der Welteroberung hat nicht so ganz geklappt. Und das liegt durchaus auch an der Musik.
Schon im Jahr der Veröffentlichung waren die Reviews sensationell schlecht: Notenschnitt 1,9 von 7 Punkten im Metal-Hammer. Tatsächlich taucht das Machwerk in einer Liste der größten Soundcheck-Flops aller Zeiten auf. Wer jetzt bereits aussteigen will, den bitte ich, dran zu bleiben: Das Album ist, möglicherweise, besser als sein Ruf. Ob die Band vieles richtig oder alles falsch macht, ist nämlich schlicht eine Frage der Perspektive: und des richtigen Alkoholpegels.
MP bieten auf „Bursting Out“ stampfenden Teutonen-Stahl
MP boten auf ihrem Debüt stampfenden Teutonic-Stahl, der gelegentlich Ausflüge in Thrash und Speed Metal unternimmt. Nein, originell war das damals schon nicht. Ganz viel ACCEPT klingen durch, aber auch deutsche Kult-Kapellen der Marke LIVING DEATH und die – leider fast vergessenen – TRANCE. Sehe ich hier schon das Leuchten in den Augen einiger Leser*innen? Dann striegelt mal den Pornobart und holt Euch eine Palette Kumpel-Bier aus dem Keller. Ihr werdet es brauchen.
Denn man muss es ja zugeben: kompositorisch spielen die vier Jungs nicht gerade in der Champions League. Die Songs sind super simpel, lassen wirklich kein Klischee aus. Und sie kennen nur ein Ziel: dass Ihr Eure Faust in die Luft reckt und lautstark mitgrölt. Die Texte sind so herrlich grenzdebil, dass sie an dieser Stelle unbedingt zitiert werden müssen. Damit es so richtig weh tut, geschieht es in deutscher Übersetzung: „Seht, die Klinge brennt/ Jetzt kann sie losschlagen/ Wir sind die Metal-Priester/ Wir sind die ersten/ Seht, die Klinge brennt/ Sie tötet die Ratten/ Und wir spalten Eure Köpfe!/ Wir sind die Metal-Priester!“ Autsch!
Aufgeweckte Zeitgenossen werden erkannt haben, dass der Bandname MP für besagte „Metal Priests“ stehen könnte, denen im gleichnamigen Titel gehuldigt wird. Und ich muss es zugeben: auch bei Vampster wurde das Songmaterial schon ordentlich verrissen, als es vor rund 20 Jahren ein Live-Album der Rumpelkombo gab. Kollege Fierce bemängelte damals, dass die Refrains bis zum Erbrechen wiederholt werden: und super einfach, deshalb nervig sind. Alles richtig. Tatsächlich werden die Refrains ein paarmal zu oft dargeboten. Seid Ihr noch da? Dann macht Euch mal ein zweites Dosenbier auf. Denn ich versuche jetzt zu erklären, warum Genre-Fans trotzdem ein Ohr riskieren sollten.
Naive Ungestümheit, unbändige Spielfreude
Es gibt nämlich durchaus etwas, was die Jungs für sich verbuchen konnten, als sie im jugendlichen Alter ihr Debüt auf die Welt losließen. Punkten können sie ausgerechnet mit der naiven Ungestümheit, mit der sie an die Sache herangingen. Ich schwöre: Man hört der Platte an, mit welch unverfälschtem Idealismus hier die Welt erobert werden sollte. Im aktuellen Promo-Text von Dying Victims ist von einem „völligen Mangel an Selbstbewusstsein, stattdessen einer Fülle an Enthusiasmus und Energie“ die Rede. Kann man so stehen lassen.
Schon wie der Opener „Bursting Out“ ungestüm losprescht und lospoltert, ist wirklich aller Ehren wert. Und auch, wenn der Refrain gefühlt zweihundertdrölfzig mal wiederholt wird: Es ist nur ein schmaler Grat, hierin ziemlichen Crap zu sehen oder eine amtliche Metal-Hymne. Sänger Thomas Zeller bellt und krächzt wie eine Mischung aus Udo Dirkschneider (in seinen tieferen Stimmlagen) und LIVING DEATHs früherem Shouter Thorsten Bergmann. Daumen nach oben! Solltet Ihr hier versehentlich mitgrölen wollen, und sei es, weil das billige Bier dreht: Ich habe dafür vollstes Verständnis.
In eine ähnliche Richtung gehen die Speed-Granaten „On The Loose Again“ und „Hellglow“. Rumpeldipumpel, weg ist der Kumpel. Doch meistens wird hier im Midtempo musiziert. Und so wahr mir der Metalgott helfe: Bei Stampfern wie „World of Tears“, „Out For Love“ oder dem bereits zitierten „Metal Priests“ könnte so mancher ACCEPT-Fan Freudenflecken in der zu eng sitzenden Leoparden-Leggins bemerken. Das ist halt wirklich nicht so verkehrt. Und nicht so schlecht, wie mancher Verriss vermuten lässt. Die Riffs – wenn auch einfach – grooven wirkungsvoll und schneidend. Über kompositorische Unzulänglichkeiten hilft im Zweifel das Dosenbier hinweg.
Alles eine Frage des richtigen Pegels
Für MP war nach vier Alben Schluss: 1993 haben sie sich aufgelöst. Das Debüt war ihre beste Platte. Ich glaube, sie ist ihnen mittlerweile selbst ein wenig peinlich. Und mögen auch die Kritiker – völlig zu Recht! – auf die Schwachstellen hinweisen: Ey, das ist alles eine Frage des richtigen Pegels. Euch ist schon bewusst, dass man nach sieben Bier sich häufig wiederholende Refrains braucht, weil es schwer ist, mit drei Promille die Texte im Kopf zu behalten? Man kann das auch sehr pragmatisch sehen. Und apropos Welteroberung: Kult sollen die Wittener, ausgerechnet, in Südamerika und Osteuropa sein, wo das Album oft als Raubkopie getauscht wird. Als Bonus gibt es hier fünf Live-Tracks: die auch ordentlich rumpeln.
Und jetzt bei drei bitte alle mitgrölen:
„FIGHT FOR YOUR LIVE!“
„FIGHT! FIGHT! FIGHT!“
„FIGHT FOR YOUR LIVE!“
„FIGHT! FIGHT! FIGHT!“
Yo, das klappt doch schon sehr super.
Ich vergebe – schon wegen des Kultfaktors – sieben Paletten Dortmunder Hansa von 10 Edelpils
Label: Dying Victims Productions / RELICS FROM THE CRYPT
Release Date: 26. März. 2021
Mehr im Netz: Bandcamp
MP „Bursting Out (The Beast Became Human)“ Tracklist:
1. Bursting Out
2. MP Metal Priests
3. Startide Rising
4. Paromania
5. Out For Love
6. On The Loose Again
7. Fight For Your Life
8. Hellglow
9. No More Heroes
10. World Of Tears
11. Bursting Out – Live
12. Driver – Live
13. Hawk Of May – Live
14. Not For The Innocent – Live
15. Get It Now – Live