blank

JANET GARDNER / JUSTIN JAMES: No Strings

Was macht eigentlich die ehemalige VIXEN-Frontfrau Janet Gardner? Die Antwort ist schnell gegeben: noch immer sehr amtliche Musik zwischen Hard Rock, Glam Metal und Blues. Zusammen mit ihrem Gitarristen-Gatten Justin James liefert sie ein selbstbewusstes Album ab, das mit guten Hooklines, kraftvollen Riffs und Muskeln überzeugt.

Die Temperaturen steigen, die Cabrios werden geputzt, die Fönfrisuren wehen im Wind. Gepunktete Kleider mit Puffärmeln sind wieder in, die Frauen tragen auch hautenge Spandex Shorts und Tank-Tops, die Männer oversized Blazer wie Sonny Crocket in „Miami Vice“. Und Otto Waalkes ist mit einem Blödelsong in den Charts. Wir schreiben das Jahr 1988? Nee, Leute, kommt mal raus aus der Zeitmaschine. Wir schreiben das Jahr 2023! Alles kommt ja irgendwie zurück.

Aber 1988 veröffentlichten VIXEN ihr Debütalbum. Als reine Frauenband waren sie eine Ausnahme in der von Machismo geprägten Glam-Metal-Szene von Los Angeles, wo sie sich niedergelassen hatten, um Karriere zu machen. Und man hatte den Eindruck, sie konnten nie wirklich zeigen, wozu sie in der Lage sind. Die Songs klangen super catchy, die Produktion war enorm glatt poliert, man stellte ihnen die bekanntesten Songwriter der Zeit an die Seite: Richard Marx, Jeff Paris. Schnell bekamen sie das Label „die weiblichen BON JOVI“ aufgedrückt. Zumindest das Debüt war ein Millionenseller, und unter der glatten Oberfläche glänzten so manches tolle Riff und überdurchschnittliches Können. Der feine Nachfolger „Rev It Up“ fiel in eine Zeit, in der Grunge sich anschickte, dieser Art des Pop-Metal ein unbequemes Grab zu schaufeln. 1991 löste sich die Band schließlich im Streit auf, es folgten mehrere Stilwechsel und Comeback-Versuche. Und schließlich der Tod von Jan Kuehnemund, Gitarren-Virtuosin und Bandchefin, die 2013 den Kampf gegen den Krebs verlor.

JANET GARDNER: noch immer gut bei Stimme

Da sind wir nun doch ein wenig schnell über die Geschichte von VIXEN drüber gehoppelt. Und man könnte das Kapitel an dieser Stelle schließen. Aber halt! Wer sich in den einschlägigen Hardrock- und Metal-Foren umschaut, wird feststellen, dass die Band noch immer eine große Fanschar hat und ihre Songs millionenfach gestreamt werden: Spotify zählt knapp 215.600 Hörerinnen und Hörer pro Monat. Und es gibt noch einen Grund, VIXEN nicht als Episode aus der Vergangenheit abzutun. JANET GARDNER ist noch da, Frontfrau und Reibeisenstimme, ohnehin das Aushängeschild der Band. Sie ist aktiv wie eh und je. Und falls jemand ihr Schaffen aus den Augen verloren haben sollte: Vielleicht war sie noch nie so gut wie heute.

„No Strings“ ist das zweite Album, das die mittlerweile 61-jährige mit ihrem jüngeren Gatten Justin James aufgenommen hat, als Gitarrist, Co-Songwriter und Produzent brachte er sich gleichberechtigt ein. Und wie schon der Vorgänger „Synergy“ von 2020 bietet das Album feinsten, kraftvoll arrangierten Hard Rock, der sich immer wieder auch in Richtung Glam Metal und Blues verneigt. Der Schwerpunkt liegt auf Hooklines, eingängigen Songs mit hymnischen Refrains: vielleicht ist dies die größte Reminiszenz an die 80er Jahre. Aber die Songs sind ausgefeilt und detailverliebt genug, um nicht als bloßes Retrowerk durchzugehen. Im Gegenteil: Das Paar zeigt überzeugend, wie diese Musik heute klingen kann.

Schon der Opener „I’m Living Free“ ist ein schwer rockendes Statement der Selbstermächtigung, das einleitende Bluesriff klingt gritty und staubig, der Pre-Chorus ist geprägt von „Ooohoo“-Gesängen, wie man sie aus dem Glam Metal der 80er kennt. Zwar merkt man Gardner in den tieferen Stimmlagen an, dass ihr Organ etwas gealtert ist – oder, wenn man es positiv ausdrücken will: gereift. Nur schadet das der Sache nicht, denn schon immer klang ihre Stimme rau und kratzig, und es ist beeindruckend, wie sie gerade in den höheren Lagen noch kraftvoll röhrt und shoutet. Was sie hier darbietet, ist souverän und selbstbewusst. Ihre Stimme hat Wiedererkennungswert.

Gardner und James bedienen sich aus der Trickkiste der 80s-Hitschreiber

Der zweite Song „Turn The Page“ dürfte dann den Freunden des 80s-Hardrock die Freudentränen in die Augen treiben. Ein kraftvoll rockendes und zugleich abgehangenes Riff, ein hymnischer Refrain, ein flinkes und virtuoses Solo. Überhaupt ist die Gitarrenarbeit zu loben. Einerseits fest im Hardrock und Blues verwurzelt, gibt sich Justin James nicht damit zufrieden, stumpf rockende Hausmannskost zu bieten. Immer wieder lockern virtuose Licks und elegant fließende Patterns sein Spiel auf, das oft hochmelodisch ist, auch mal Rhythmus- und Lead-Motive ineinander blendet.

Überraschenderweise sind es gerade diese Pop-Metal-Elemente aus den 80er Jahren, die die Musik frisch klingen lassen. Gardner und James bedienen sich ausgiebig aus der Trickkiste der damaligen Hitschreiber, und manches mag in anderen Zusammenhängen grenzwertig wirken. Oooohoo- und Aaaaha-Gesänge sowie euphorisierende, sich langsam steigernde Bridges, die den Übergang von der Strophe zum Refrain bilden. Es gehört zum Genre, dass der Refrain dann nicht immer das einlöst, was vorher mit viel Schwung und Anlauf angekündigt wurde. Aber oft funktioniert es. Kritisieren könnte man lediglich, dass dieses Muster zu selten durchbrochen wird, auch wenn die Songs insgesamt stark und gelungen sind.

So ist auch der dritte Song „85“ ein gelungener Trip zum Sunset Strip mit dem DeLorian, und wenn man die Flügeltüren öffnet, sieht man Girls in knallbunten Tops und zerrissenen Jeans: und Boys, die mit ihrem exorbitanten Haarspray-Verbrauch ganz sicher zur Entstehung des Ozonlochs beigetragen haben. Schon der Titel verrät, dass Gardner der guten alten Zeit huldigt: Zurück ins Jahr 1985, man sei seitdem nicht gealtert, auch wenn man damals jung und naiv gewesen sei, von den Eindrücken der hedonistischen Großstadt überwältigt. Trotz aller schmerzhaften Erfahrungen müsse man an dem Gefühl von damals festhalten. Ein Highlight der Platte und ganz sicher keinen Deut schlechter als die gefeierte Retro-Hymne „1989“ der Schweden NESTOR: mit dem Unterschied, dass Gardner sich damals mitten in der Szene bewegte, ein Teil von ihr war.

“Don’t Turn Me Away“ kommt in der Strophe mit einer virtuosen Akustikgitarre daher, bäumt sich dann im Pre-Chorus und im Refrain zu einer klassischen 80s-Pop-Metal-Ballade auf. Auch das folgende „Set Me Free“ bietet Hardrock mit einem so süßen Refrain, wie er wohl nur in den 80ern erlaubt war, heute aber wegen des hohen Zuckergehalts mit einem roten Nutri-Score versehen werden müsste. Macht nichts, denn wer löffelt nicht gerne aus einem Nutellaglas? Das Keyboard ist schon leicht grenzwertig – und erinnert ebenfalls an eine Zeit, in der dieses Instrument vor allem die Funktion hatte, den Songs einen ordentlichen Zuckerguss zu verpassen. Genau deshalb wird es die Zielgruppe lieben. Um nicht missverstanden zu werden: Nein, das hier ist kein zuckriges Album, im Gegenteil, auch wenn Catchyness vorhanden ist. Oft tönt die Musik sehr kraftvoll und erdwarm, sogar leicht dreckig, was auch am Blues-Fundament einiger Songs liegt. Ebenfalls ein Highlight: das trocken pumpende und swingende „Into The Night“.

Gardner/James bieten keine reine Retro-Platte

Trotz aller Rückverweise in die Hochzeit von Bands wie VIXEN, DOKKEN und BON JOVI haben Gardner und James aber keine reine Retroscheibe aufgenommen. Zwar dehnen sie nicht ähnlich weit die Genregrenzen wie die skandinavischen Vertreter der Retro-Glam-Welle, die sich auch bei Punk, Garage und Alternative bedienen. Die Wurzeln bleiben der Hard Rock und Glam der 80er. Aber Verweise zu Blues, zu Rock der Marke FLEETWOOD MAC und gelegentlich auch zu Singer-Songwriter zeigen einen offenen Ansatz. So kommt „She Floats Away“ mit Tribal Drums und 70s-Atmosphäre daher, das abschließende „Drink“ ist eine fröhliche Fun-Pop-Nummer, in denen Gardner besingt, dass sie einfach nur ihre Alltagssorgen wegtrinken will.

Weil das Album von James auch noch gut und organisch produziert wurde, die Gitarren einen dominanten Part spielen, das Schlagzeugspiel variabel ist und alles schön erdig tönt, hat das Album auch einen deutlichen Vorteil gegenüber den früheren VIXEN-Platten, die doch ein wenig über- und kaputtproduziert waren. Gardner schreibt autobiographisch gefärbte Texte: Sie sind einfach gehalten, aber doch deutlich ehrlicher als die oft formelhaften Lyrics des 80er-Pop-Metal. Und sind ein selbstbewusstes Statement einer Frau, die sich im -noch immer- männlich geprägten Rock-Business durchgeboxt hat, über einiges an Lebenserfahrung verfügt. So ist dieses Album wie das Wiedersehen mit einer alten Freundin, die viele Jahre verschollen war, aber plötzlich an deiner Tür klingelt: an Charakter und Lebenserfahrung gereift, aber noch immer mit einem liebenswerten Spleen und grenzwertigen Klamotten. Eine tolle Platte, die vielen Epigonen ordentlich in den Allerwertesten kickt – und die Hard-Rock-Fans unbedingt auf ihre Einkaufsliste setzen sollten!

Veröffentlicht am 09.06.2023

Spielzeit: 49 Minuten 56 Sekunden

Lineup:
Janet Gardner: Gesang und Gitarre
Justin James: Gitarre

Label: Frontiers Records / Pavement (USA)

Homepage: https://www.janetgardnermusic.com/

Gardner/James “No Strings”-Tracklist

01 I’m Living Free (offizielles Video bei Youtube)
02 Turn The Page
03 85 (offizielles Video bei Youtube)
04 No Strings
05 Don’t Turn Me Away
06 Set Me Free
07 Hold On To You
08 Into The Night
09 I’m Not Sorry
10 You’ll See

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner