Sagt mal, kann es sein, dass wir es bisher mit einem nicht ganz so starken Jahrgang in Sachen traditioneller Metal zu tun haben? Klar, da gab es die mächtigen Alben von TOWER und SANHEDRIN, Girls rule the world. Mir hat auch das sensationell unoriginelle Album der Spanier LÖANSHARK (Mitgröhl-Glam-Powertrio!) auf dem Weg zum Badesee viel Freude bereitet. Und wahrscheinlich ziehen mir meine Kollegen die Löffel lang, wenn ich nicht auch PAGAN ALTAR, ANIMALIZE oder LADY BEAST erwähne. Trotzdem habe ich fast den Verdacht, dass die neue Welle des traditionellen Metals langsam am Abebben ist – aber bitte, belehrt mich eines Besseren!
Ein Blick zurück: 2023 war ein starker Jahrgang – und damals schaffte es eine kleine Band aus Kaiserslautern auf Platz eins meiner Metal-Jahreswertung. ADORNED GRAVES vertonten auf „The Earth Hath Opened Her Mouth“ eine Pilgerreise, die so wild wie abenteuerlich war. Sie führte uns durch Stromschnellen und an Sirenen vorbei, ließ uns auf einem Geisterschiff mit zerrissenen Segeln mitfahren. Ihre Mischung aus progressivem Thrash, epischem Doom und oft schnell reitenden Gitarren war innerhalb der Grenzen des traditionellen Metals tatsächlich eigenständig – und hielt mit Zitaten von Irish Folk bis zu arabisch gefärbten Harmonien so manche Überraschung bereit. Ich erwähne das noch einmal, weil ich nachgeschaut habe: Bis heute sind die Jungs – oder besser gesagt, die Männer – nicht für die Hauptbühne auf Wacken gebucht. Skandal!
ADORNED GRAVES gehen zurück zu den musikalischen Wurzeln
Umso erfreulicher, dass die vier Musiker rund um die Graever-Brüder Cailen Leif (Gitarre) und Deafon (Schlagzeug), Produzent und Leadgitarrist Andreas Wormser sowie Lupus Veruta am Bass nun mit neuem Material zurück sind. Die aktuelle EP kommt mit fünf Songs und rund 22 Minuten Spielzeit daher. Auch wenn es diesmal kein textliches Konzept gibt, lässt sich musikalisch ein übergreifender Ansatz erkennen: Zum zehnjährigen Bandjubiläum huldigt die Band ihren musikalischen Wurzeln. Die Songs sollten klingen, als hätten sie genauso 1985 veröffentlicht werden können.
Das führt dazu, dass die Songs diesmal deutlich kompakter ausfallen – und der Fokus mehr auf eingängigen Refrains liegt. Ein Zehn-Minuten-Opus wie auf dem letzten Album sucht man hier vergebens. Und die Komponente des technischen Thrash wurde spürbar zurückgefahren. Im Flyer der Plattenfirma werden Bands wie JUDAS PRIEST, IRON MAIDEN, DIO und HELLOWEEN als Einfluss genannt. Das stimmt einerseits, und kann doch täuschen – zumindest ich höre hier noch andere Einflüsse heraus. Dazu später mehr, und Vorsicht: Dies wird eine Review mit Tendenz zum Namedropping.
Und eine weitere Neuerung gibt es: Während der Vorgänger noch von einem ganzen Ensemble an Gastsängern eingesungen wurde, ist auf der aktuellen Platte nun durchgehend die Stimme des Briten Craig Cairns zu hören, bekannt unter anderem von TAILGUNNER. Sein raues, voluminöses Timbre und das rauchige Vibrato in höheren Lagen passen perfekt zum Sound – und sind für die Band ein Gewinn. Zumal Cairns nicht nur Wucht und Präsenz mitbringt, sondern auch ein beachtliches Repertoire an Tonfarben – von kehliger Härte bis zu melodischem Feingefühl.
…aber zu welchen Wurzeln eigentlich?
Der Opener ‚Argument from Reason‘ startet mit schwer groovenden, doomigen Gitarren, die mich unweigerlich an TROUBLE erinnern – aber auch an die frühen METALLICA, wenn sie mal das Tempo drosselten. Eine melodische Leadgitarre setzt ein, dazu eine düstere Spoken-Word-Passage. Dann zieht der Song das Tempo an und reitet mit schweren Riffs im schnelleren mittleren Tempo über einen hinweg.
Gleich zum Auftakt servieren die Pfälzer einen amtlichen Headbanger – und es fällt gar nicht so leicht, das stilistisch zu verorten. Für meine Ohren bewegt sich die Band ziemlich genau an der Schnittstelle zwischen europäischem und US-Metal. Ein ganzes Referenz-Karussell setzt sich in Bewegung: BLACK SABBATH zu ‚Dehumanizer‘-Zeiten (wegen des harten, fast thrashigen Sounds), die bereits erwähnten TROUBLE, dazu US-Metal der RIOT-/JAG PANZER-Schule – und schließlich schauen auch METALLICA und IRON MAIDEN kurz im Proberaum vorbei. All das wird komprimiert und songdienlich auf den Punkt gebracht. So eingängig klang die Band noch nie.
Das Schöne ist: Trotz all der stilistischen Referenzen klingen ADORNED GRAVES ganz nach sich selbst. Die Trademarks ihres letzten Albums sind auch hier klar erkennbar. Schon ‚The Earth…‘ hatte sich vom früheren Thrash-Fokus gelöst und sich in Richtung epischeres, vielseitigeres Klangbild geöffnet. Typisch bleibt das Wechselspiel aus schroffen Riffs und melodischen, oft folkig eingefärbten Leads. Auch die thrashige Härte schimmert noch durch – wenn auch subtiler als früher. Und obwohl das Songwriting kompakter ausfällt, bleiben Soli, Breaks, Tempowechsel und eine beachtliche Riff-Vielfalt ein Markenzeichen.
Verneigung vor HELLOWEEN und DIO
Das folgende ‚Dream I‘ ist der schnellste Song des Albums, eine dieser speedigen Nummern, bei der man sich wahlweise auf dem Rücken eines feuerspeienden Drachens fühlt oder am Steuer eines Speedcars sitzt. ADORNED GRAVES greifen nicht nur motivisch immer wieder das Bild der Reise auf – sie sind trotz ihrer Doom-Einflüsse eine Band, die nach Bewegung klingt, sehr dynamisch, eher Fregatte als Festung.
Die Gitarren verneigen sich hörbar vor der frühen Phase von HELLOWEEN und IRON MAIDEN mit mehrstimmigem Stakkato – inklusive Kai-Hansen-Gedächtnissolo. Der Refrain weist dann wieder auf hymnischen US-Metal hin: Cairns bewegt sich in den höchsten Stimmlagen, wird im Gesang von der Leadgitarre als zweiter Stimme begleitet, und die sich langsam aufbauenden Harmonien mit sich wiederholenden Motiven steigen stufenweise nach oben – ein klassischer Hymnenaufbau. Stark! Auch diese Nummer ist ideales Kraftfutter für ein Nackenmuskel-Workout.
Der Text ist sozialkritisch mit einer deutlichen White-Metal-Note – denn wie auch auf früheren Alben greifen ADORNED GRAVES biblische Motive auf. Zunächst werden Bilder von Chaos, Zerstörung und Orientierungslosigkeit in der heutigen Welt gezeichnet, ehe der Text in eine Art spirituelle Kampfansage übergeht: ‚Zieh dein Schwert und deine Rüstung an – und ändere noch heute deine Haltung. / Zeig deine Stärke und steh fest, wenn das Böse an den Fäden zieht. / Am Ende blutet der Drache – und die Liebe hat alle Sünden ausgelöscht.‘ Dazu passt eine weitere musikalische Referenz: Mehr als einmal klingen in den epischen Momenten dieser EP die schwedischen White-Metaller VENI DOMINE durch.
Genau dieses religiöse Moment wird anschließend konterkariert – denn das folgende ‚Mourning Town‘ zeichnet die Geschichte eines Kreuzzugs nach, wirkt aber wie ein Abgesang auf religiösen Fanatismus und Barbarei im Namen des Glaubens. ‚Eure Märtyrer sterben umsonst, / hier gibt es nur den Tod zu ernten. / Kein heiliger Pfad im Gefecht, / keine Religion, der man folgen könnte. / Wer wird der König sein – / König der trauernden Stadt?‘, singt Cairns.
In dieser Stadt des Trauerns lässt sich dann auch einmal eine eindeutige Referenz ausmachen – denn ‚Mourning Town‘ lässt Ronnie James Dio aus dem Grab steigen. Die Gesangslinien und Harmonien sind hörbar vom Meister geprägt, das reicht bis in die Phrasierung und zu den typischen Interjektionen: dieses melodische „Mmmmh Mmmmh“, das Dio so gern einstreute. Und auch thematisch – Könige, Kreuzzüge, Kampf und Sinnsuche – verneigt man sich spürbar vor dem legendären Sänger. Man muss das können: Hier gelingt diese Widmung eindrucksvoll.
ADORNED GRAVES servieren erneut Edelkost
Das anschließende ‚Legacy of Worms‘ ist ein supermelodischer Banger, dessen Gitarren deutlich von der mittleren Phase der Eisernen Jungfrauen beeinflusst sind – bis hin zu jenem markanten Rhythmusgitarrensound, den Martin Birch der Band auf Alben wie ‚Powerslave‘ gezimmert hat. Doch auch das hier ist kein bloßer Abklatsch: Die Gesangsharmonien verweisen klar in Richtung progressiven US-Metal, und in den Soli lassen sich sogar melodische Hard-Rock-Elemente ausmachen.
Und zum Abschluss zaubern die Jungs eine Hymne, die wie eine offizielle Bewerbung fürs ‚Keep It True‘-Festival klingt: epische, leicht doomige Gitarren zum Einstieg, dazu eine Hammond-Orgel – und dann entwickelt sich der Song zur mitreißenden Mitgröhl-Nummer mit elegant geschwungenen Melodiebögen und „Faust in die Luft“-Momenten. Wer den Refrain nicht spätestens beim zweiten Durchlauf mitsingt, war vermutlich gar nicht im Raum, als der Song lief.
Das alles kommt in einer angenehm erdigen Produktion daher, die gekonnt zwischen Rauheit und Differenziertheit balanciert – und empfiehlt sich für alle, die ihren Metal nicht zu glattgebügelt mögen, aber hymnische Momente und ausgefeilte Arrangements zu schätzen wissen. Auch wer den Vorgänger mitunter als sperrig empfand, könnte an dieser EP seine Freude haben. ADORNED GRAVES bleiben ein Qualitätsgarant – oder, um meinen Kollegen Daniel zu zitieren: ein „Highlight für Underground-Trüffelschweine“. Im klassischen Metal darf man die Pfälzer längst zur Spitzenklasse zählen – auch wenn das noch nicht alle mitbekommen haben.
Veröffentlichungsdatum: 27.06.2025
Spielzeit: 22:19
Line Up:
Craig Cairns: lead vocals
Cailen Leif Graever: rhythm guitars, vocals, lyrics, design
Deafon Graever: drums, vocals, lyrics
Lupus Veruta: bass
Wout Wormser: lead guitars, guitars, production
ADORNED GRAVES „Dream I“-Tracklist
1. Argument From Reason
2. Dream I
3. Mourning Town
4. Legacy Of Worms
5. The Abyss
Label: Soundmass Records
Homepage: http://www.adorned-graves.de
Facebook: https://www.facebook.com/AdornedGraves
Bandcamp: http://adornedgraves.bandcamp.com