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THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA: Aeromantic

Du bist jung, du bist Student, und du hast mal wieder alles richtig gemacht: Das Semester war voller Erkenntnis, insbesondere darüber, wer wann die geilsten Partys klarmacht, denn die geilsten Partys, das ist dir klar, finden in Wohngemeinschaften statt; ihr seid jung und ihr seid wild und frei, und ihr wollt es allen zeigen, insbesondere den Leuten, die das Glück haben, bis sechs Uhr morgens in Zimmerlautstärke den Ausdruck eurer Lebenslust in ihren Schlafzimmern genießen zu dürfen. Zu feiern gibt es nämlich einiges: Es ist eine Woche vor Semesterende, und die vier Hausarbeiten, die du für die Legitimation von Papas finanzieller Zuwendung noch schreiben musst, reißt du doch auf der linken Arschbacke ab, wenn du dann irgendwann mal mit ihnen anfängst, am Montag, ganz bestimmt! Denn heute ist erstmal Party angesagt.

Die Wohngemeinschaft, in der es so richtig rund gehen soll, liegt mitten im Szenebezirk, und schon drei Blöcke vorher schallt dir TOTOs “Africa” entgegen. Geil, so richtig schön ironisch zu den 80ern abrocken mal wieder! Du wirfst die dritte leere Wegbierflasche ins Gebüsch, sollen die Pfandsammler sich mal schön bücken, haha, das kommt halt davon, wenn man keinen richtigen Beruf erlernt hat, geil, ist das “Don’t Stop Believin'”? Papas Lieblingslied. Die Nacht wird der Hammer.

Das haben die 80er nicht verdient

Ich muss es einfach mal schreiben: Es gehört zur großen Tragik unserer Zeit, dass wundervolle Lieder wie die beiden genannten und zahllose andere zur Belustigung solcher Zeitgenossinnen und Zeitgenossen dienen müssen. Sie sind dadurch, wenn schon nicht zerstört, so doch immerhin mit einem gewissen Makel behaftet, und man schafft es als dezent lebender Kämpfer für das Wahre, Gute und Schöne kaum noch, sie sich anzuhören, ohne direkt den Geruch einer von Marlboro-, Bier- und Schweiß-Schwaden durchzogenen Altbauwohnung, in der sich etwa dreihundert Menschen zuviel aufhalten, in der Nase zu haben.

“Aeromantic” hingegen schon!

Deshalb: Danke, liebes NIGHT FLIGHT ORCHESTRA, für eure Bemühungen um frischen Nachschub klassischen Rocks. Die unermüdlichen Herrschaften werfen nun schon ihr drittes Album innerhalb von drei Jahren für Nuclear Blast auf den Markt, und es ist fast genauso geil wie die andern beiden. Besser als “Sometimes The World Ain’t Enough“, das ich gerne nachträglich in meine Top 15 des entsprechenden Jahres einordnen würde, ist es zwar nicht, und ich suche auch nach 15 Durchläufen immer noch den einen, großen Hit, aber langweilig wird “Aeromantic” zu keiner Sekunde: Wieder werden vor allem die 80er brilliant durchexerziert, es gibt Stampfer, Banger und Schmachtfetzen in Form einer “Seifenoper über den unvermeidlichen Herzschmerz, die vergebliche Nostalgie und die flüchtigen Momente der Euphorie, die du erlebst, wenn du immer dann bleibst, wenn du eigentlich hättest gehen sollen”, wie es im Promoschreiben so schön heißt.

Und da heißt es auch, dass THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA es geschafft hätten, entgegen aller Unkenrufe, die Massen auf den Metal-Festivals Polonaise und Disco tanzen zu lassen. Nun ist das nicht die schwierigste aller Übungen – schon in den 90ern gab es MAMBO KURT und ELÄKELÄISET, und wenn mich meine Wacken-Besuche eines gelehrt haben, dann, dass Metaller einfach alles mitmachen, wenn sie genug getankt haben -, aber lustig ist die Vorstellung schon; außerdem kann ich einfach niemandem böse sein, wenn ich THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA höre, und das ist halt auch schon eine Leistung.

Veröffentlichung am 28.2.2020 auf Nuclear Blast

Spielzeit: 59:05 Min.

THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA „Aeromantic“ Tracklist

01. Servants Of The Air
02. Divinyls (Video bei YouTube)
03. If Tonight Is Our Only Chance
04. This Boy’s Last Summer
05. Curves
06. Transmissions (Video bei YouTube)
07. Aeromantic
08. Golden Swansdown
09. Taurus
10. Carmencita Seven
11. Sister Mercurial
12. Dead Of Winter

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