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INFECTED RAIN, ALL HAIL THE YETI, ANCHORAGE: Konzertbericht – Backstage Halle, München – 26.07.2023

Trotz neuer Besetzung lassen sich INFECTED RAIN kaum bremsen: Im Rahmen der “Heyday”-Tour macht das Moldauer Quartett gemeinsam mit ALL HAIL THE YETI und ANCHORAGE auch in München Halt, wo im Rahmen des “Free&Easy”-Festivals bei freiem Eintritt volles Haus garantiert ist.

Sommerzeit ist Festivalzeit; eigentlich logisch, dass man in den warmen Monaten lieber unter freiem Himmel feiert. Eigentlich. Denn zumindest in der bayerischen Landeshauptstadt zieht es die Musik-Liebhaber:innen ab Mitte Juli jedes Jahr für rund zweieinhalb Wochen ins hiesige Backstage, wo mit überdachter Open-Air-Stage und Biergarten zwar auch einige Freiluftangebote locken, der Großteil des Programms aber in die drei Indoor-Areale einlädt.

Der Clou am sogenannten „Free&Easy“-Festival? Trotz attraktiver und etablierter Acts ist der Eintritt frei, was als angenehmen Nebeneffekt eigentlich schon im Voraus volles Haus garantiert – insbesondere, wenn sich mit INFECTED RAIN eine der momentan angesagtesten Modern / Nu Metal-Acts angekündigt hat. Als stille Profiteure können zudem weder ALL HAIL THE YETI noch ANCHORAGE klagen, die sich angesichts der Umstände schon zu vergleichsweise früher Stunde über dicht gedrängte Reihen vor der Bühne freuen dürfen.


ANCHORAGE

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Gerade Sänger Iulian dürfte dieser Anblick besonders lange in Erinnerung bleiben, schließlich handele es sich heute Abend um die erste Show außerhalb Österreichs seit seinem Einstieg während der Pandemie. Dementsprechend motiviert agieren ANCHORAGE von der ersten Sekunde an, wobei die Energie zunächst im arg basslastigen Mix zu versickern droht. Die Probleme sind glücklicherweise bald behoben, sodass sich die Münchner:innen voll und ganz auf die Feinheiten der abwechslungsreichen Songs konzentrieren können.

Zwar finden ANCHORAGE für ihren Metalcore kaum neues Vokabular, stellen aber doch ihren beachtlichen Wortschatz zur Schau: Den Thrash-Anleihen in „Serpentines“ stellt das Quartett einen punkigen Refrain entgegen, wohingegen das packende „Overthrow“ dank seines rifforientierten Ansatzes ein wenig BLEED FROM WITHIN in sich trägt. Beste Voraussetzungen für einen schweißtreibenden Gig also, obschon es in der Backstage Halle zunächst noch gemächlich zugeht.

ANCHORAGE dürfen eine unverhoffte Zugabe anstimmen

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Zwar singt man zeitweise gerne mit oder reckt auch mal entschlossen die Fäuste, in puncto Bewegung muss es aber in diesen Minuten Gitarrist Chris selbst richten, der erst ein wenig Two-Step andeutet, um sich kurz darauf wild um die eigene Achse zu drehen, wenn sein Kollege Rafael gerade die Leadgitarre streichelt. Dass bei so viel Einsatz ausgerechnet die leisen Töne nicht immer so perfekt sitzen wie die sonst kraftvoll dargebotenen Cleanvocals, trübt den Auftritt nicht im Geringsten. Deshalb werden ANCHORAGE nach dem enthusiastisch aufgenommenen „Karma“ zunächst gebührend verabschiedet, bis die Band doch noch einmal zurück auf die Bühne kommt.

Man habe offenbar noch Zeit übrig, lässt uns das sympathische Quartett in seiner Überraschung wissen, bevor es mit dem eingängigen „Uncontrolled“ doch noch die Ketten zu sprengen vermag. Den Einsatz beim geforderten Sprung aus der Hocke verpassen die Münchner:innen zwar, dafür ist die Stimmung im Anschluss umso ausgelassener. Ein versöhnlich stimmendes Finale eines guten Auftritts, dem heute allein ein Quäntchen mehr Biss gutgetan hätte.

Fotogalerie: ANCHORAGE


ALL HAIL THE YETI

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Daran mangelt es ALL HAIL THE YETI um kurz nach neun sicherlich nicht. Für die Kalifornier ist es heute die erste Show ihrer bevorstehenden Sommer-Tour und entsprechend hungrig legen die vier Musiker mit dem thrashigen „Suicide Woods“ los. Dass es im Anschluss mit „Headless Valley“ lediglich einen Song vom aktuellen Werk „Within The Hollow Earth“, aber ganze drei Tracks des selbstbetitelten Debüts (2012) geben soll, überrascht, ist vielleicht aber auch der Abwesenheit Nick Diltz’ geschuldet, dessen Klargesang weder sein Ersatz am Tieftöner Sandy MacKinnon (ROYAL TUSK) noch Gitarrist Dave Vanderlinde zu Einhundertprozent auffangen können.

Dass sich in „Slow Season” der eine oder andere Wackler einschleicht, sei daher gerne verziehen, zumal die ansonsten vergleichsweise harte Songauswahl die Intensität meist am Anschlag hält. Lediglich der eingängige Hitsong „Highway Crosses“ verliert dank der zwischenzeitlich zu leisen Gitarre an Elan, profitiert aber ansonsten wie das restliche Set von Connor Garrittys unerbittlicher Performance. Dessen Haarpracht mag seit unserem letzten Aufeinandertreffen im Jahr 2019 ein Stück länger geworden sein, ansonsten aber ist der Frontmann weiterhin der Alte geblieben.

Nicht einmal kleinere technische Probleme können ALL HAIL THE YETI ausbremsen

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Energisch und kraftvoll fegt der Shouter über die Bühne, posiert zwischendurch aber auch mal für die Smartphone-Kamera eines glücklichen Fans. Übertroffen wird dieser Einsatz eigentlich nur von Schlagzeuger Ryan Kittlitz, der heute Abend seine Nackenmuskulatur 40 Minuten lang so ausgiebig trainiert wie die vorderen Reihen der Backstage Halle während des groovenden „Headless Valley“. So viel Einsatz steckt an, weshalb ALL HAIL THE YETI während „The Art Of Mourning“ mit dem ersten richtigen Moshpit des Abends entlohnt werden.

Ab diesem Moment können nicht einmal die kurzen technischen Probleme die US-Amerikaner ausbremsen: Mit treibendem Material wie „Witch Is Dead“ und dem fast schon obligatorischen „Mr. Murder“ bringen die US-Amerikaner bei ihrem Tour-Debüt auch uns gehörig ins Schwitzen.

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ALL HAIL THE YETI Setlist – ca. 37 Minuten

1. Suicide Woods
2. Headless Valley
3. Highway Crosses
4. Deep Creek
5. The Art of Mourning
6. Witch Is Dead
7. Slow Season
8. Mr. Murder

Fotogalerie: ALL HAIL THE YETI


INFECTED RAIN

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Eine gute halbe Stunde später platzt das Backstage schlussendlich aus allen Nähten, als erwartungsvoller Jubel das atmosphärische Intro begleitet. Keine Frage, die angereisten Fans sind offenbar voller Begeisterung, obwohl der Opener „Pendulum“ zunächst von technischen Komplikationen geplagt ist: Die Gitarrenspur findet erst zur Hälfte des Stücks den Weg aus der Lautsprecheranlage, lässt die ohnehin schon fantastische Stimmung in der Halle aber dann unmittelbar explodieren. Während auf der Bühne die Dreadlocks von Gitarrist Vidick und Sängerin Lena Scissorhands durch die Luft wirbeln, tun es ihnen zahlreiche Haarbüschel zu ihren Füßen gleich.

Zumindest dort, wo nicht gerade der Moshpit für erhöhte Kollisionsgefahr verantwortlich zeichnet: Ab „Longing“ gibt es jedenfalls im Zentrum kein Halten mehr, selbst wenn INFECTED RAIN im Verlaufe des Sets immer wieder mit ihrem Equipment zu kämpfen haben. So gestaltet sich manche Pause zwischen den einzelnen Stücken länger als geplant, wohingegen der abgefallene Gitarrengurt Vidicks dank des aufmerksamen Band-Roadies ohne Unterbrechung wieder eingehängt werden kann.

Die Resonanz spricht eine deutliche Sprache: Die überwältigende Mehrheit ist heute für INFECTED RAIN angereist

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Die Spielfreude der Moldauer zeigt sich derweil in einer nahezu ungezügelten Stage-Performance, welche sich jeden Zentimeter der Bühne zunutze macht und hier und da durch eine Reihe von Crowdsurfern erwidert wird. Selbigen hält Lena Scissorhands höchstpersönlich zum Gruß die Faust entgegen, wobei sich die Sängerin keineswegs zu schade ist, den ankommenden Fans auf dem letzten Meter höchstpersönlich unter die Arme zu greifen.

Den überwältigenden Applaus im Anschluss genießt die Frontfrau gerne für ein paar Augenblicke, bevor sie in „These Walls“ zur Kamera greift, um die eifrig klatschende Meute in einer kurzen Videoaufnahme zu verewigen. Wir sind uns mittlerweile sicher: Die überwältigende Mehrheit der Münchner:innen hat heute primär wegen INFECTED RAIN den Weg ins Backstage auf sich genommen, wo es mit dem brandneuen „Dying Light“ auch einen kleinen Ausblick auf die Zukunft des Quartetts gibt. Die dezenten Djent-Anleihen machen den groovenden Track zu einem absoluten Live-Hit, bei dem sich die Fanschar nicht zweimal bitten lassen muss, bevor sie im Takt auf und ab springt.

INFECTED RAIN haben den Titel ihrer “Heyday”-Tour nicht ohne Grund gewählt

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Steigern kann man das wohl nur mit einer Wall of Death, für welche Lena Scissorhands selbst einen Ausflug in den Pit wagt, um sich vorab von dessen Abmessungen zu überzeugen. Der anschließende Tumult reicht dann auch fast bis unter die Galerie mit dem Mischpult, was selbst Bassistin Alice Lane ein zufriedenes Grinsen ins Gesicht zaubert. Wahrscheinlich ist es unter diesen Gesichtspunkten sogar besser, dass sich INFECTED RAIN nach zwei Zugaben und rund 70 Minuten Spielzeit unter frenetischem Beifall verabschieden. Nach dem massiven Circle Pit in „Sweet, Sweet Lies“, der nur durch die Säulen in der Hallenmitte eingebremst wurde, und dem Stagediving-Intermezzo Vidicks, hätten wir uns eine Steigerung des Spektakels nur mit viel Fantasie ausmalen können.

Gleichzeitig aber untermauert dieses Finale die Namensgebung der aktuellen „Heyday“-Europatour: Denn was wir soeben erlebt haben, war eine Band, die tatsächlich und ohne Übertreibung in ihrer Blütezeit steht. Daran können weder die Besetzungswechsel der jüngsten Vergangenheit noch die einzigartigen Umstände in der bayerischen Landeshauptstadt rütteln, wo INFECTED RAIN wohl in Zukunft auch ohne „Free&Easy Festival“ vor vollem Haus spielen dürften.

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INFECTED RAIN Setlist – ca. 70 Minuten

1. Pendulum
2. Longing
3. Passerby
4. Fighter
5. These Walls
6. The Realm Of Chaos
7. Dying Light
8. Orphan Soul
9. Lure
10. The Walking Dead
11. The Earth Mantra
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12. Black Gold
13. Sweet, Sweet Lies

Fotogalerie: INFECTED RAIN

Fotos: Tatjana Braun (https://www.instagram.com/tbraun_photography/)

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