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AMARANTHE, DRAGONFORCE, INFECTED RAIN: Konzertbericht – TonHalle, München – 09.03.2024

Ein vielseitiges Tour-Line-up, das auf den zweiten Blick doch ein paar Gemeinsamkeiten offenbart: Nicht nur haben sowohl AMARANTHE als auch DRAGONFORCE ein neues Album in den Startlöchern, auch das enthusiastische Live-Publikum teilen sich die beiden Formation in der ausverkauften Münchner TonHalle. Und am Ende passen sogar INFECTED RAIN als Dritte im Bunde doch irgendwie ganz gut ins Programm.

Kauzige Nerd-Kultur trifft auf elegante SciFi-Ästhetik, High-Speed-Frickelei auf catchy Dance-Rhythmen. Zumindest auf den ersten Blick ist die Kluft zwischen den beiden Co-Headline-Acts nicht so ohne Weiteres zu überbrücken. Warum es auf der gemeinsamen Tour dennoch ausgezeichnet läuft, ist keineswegs im bloßen Zufall begründet, wie ein genaueres Hinsehen an den Tag legt. Dann offenbaren sich nämlich erst die zahlreichen Berührungspunkte, die plötzlich vieles verständlicher erscheinen lassen: So haben neben DRAGONFORCE auch AMARANTHE mit „PvP“ eine Gaming-Hymne im Repertoire, während erstere auf ihrer neuen Platte „Warp Speed Warriors“ ihrerseits mit futuristischer Ästhetik und Party-Vibes kokettieren. Zwei Seiten einer Medaille möchten wir fast sagen: eine gemeinsame Philosophie, die sich aber individuell im künstlerischen Ausdruck manifestiert.

Eine gewisse Schnittmenge ist somit nicht nur gegeben, sondern größer als vielleicht ursprünglich angenommen. Immerhin ist auch die Show in der Münchner TonHalle restlos ausverkauft, wo die Warteschlange vor den Toren schon um kurz nach sechs das normalerweise übliche Maß mit Leichtigkeit sprengt. Ein Anblick, der sich auch innerhalb der Location im Kleinformat spiegelt: Dass auch das Merchandise derart umringt ist, kommt nicht von ungefähr. Schließlich haben zumindest DRAGONFORCE jede Menge tourexklusive Artikel im Gepäck, wie die quadratischen LED-Tafeln auf der Bühne proklamieren.


INFECTED RAIN

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Ist der Shopping-Trip vielerorts festes Konzert-Ritual, hat sich zum selben Zeitpunkt eine gar nicht so kleine Meute schon geduldig wartend im vorderen Hallendrittel versammelt und lässt vergessen, wie sehr INFECTED RAIN musikalisch eigentlich aus dem Rahmen fallen. Der moderne Nu / Alternative Metal-Mix der Moldauer ist mit seinen tief gestimmten Gitarren nicht nur ungleich härter als das restliche musikalische Aufgebot. Auch der Fokus auf zuvorderst groovende Rhythmen und harsche Vocals ist beim ersten Aufeinandertreffen nicht zwangsläufig leicht verdaulich, da Sängerin Lena Scissorhands die offensichtlichste Gesangslinie gerne für eine kreativere Lösung eintauscht.

Wie es scheint, stehen INFECTED RAIN heute aber glücklicherweise vor größtenteils bekannten Gesichtern: Mit euphorischem Applaus und schweißtreibendem Einsatz zollt die Menge während dieser knappen Dreiviertelstunde ihren Respekt, reckt zu „Fighter“ scharenweise die Fäuste und lässt sich im starken „Dying Light“ sogar zu einem Sprung aus der Hocke hinreißen. Dass sich selbst Neulinge bereitwillig mitreißen lassen, ist mit einem kurzen Blick in Richtung Bühne schnell erklärt.

INFECTED RAIN rücken das aktuelle Album “Time” in den Fokus

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Der Ruf als ausgezeichnete Live-Band bestätigt sich auch in der heutigen Support-Rolle, wo nicht nur Fronterin Lenas orange-goldene Mähne über die Bühne wirbelt. Da Gitarrist Vidick und Kollegin Alice Lane am Bass ebenso eifrig mitziehen, zeichnet sich bald ein Bild pausenlos fliegender Dreadlocks und Haarbüschel, welches durch die abwechslungsreiche Lightshow entsprechend in Szene gesetzt wird. In den ruhigen Momenten von „Pandemonium“ rücken etwa Spotlights die Shouterin ins rechte Licht, die auch sonst mit Charisma und Selbstbewusstsein zum Fixpunkt des Auftritts wird.

Ein zweiter dieser Art ist derweil das aktuelle Album „Time“ (2024), dem INFECTED RAIN mehr als die Hälfte ihrer Spielzeit schenken. Schade ist das nur, weil wir in der Folge auf einige bewährte Live-Kracher verzichten müssen, welche durch Stücke à la „Never To Return“ oder „Because I Let You“ allerdings adäquat abgelöst werden. Zurück in die Vergangenheit geht es erst mit dem abschließenden „Sweet, Sweet Lies“, wo im Zentrum der Circle Pit seine Kreise zieht und dem Quartett so das Feedback beschert, von dem ein jeder Opening Act träumt: Mission Anheizer erfüllt.

INFECTED RAIN Setlist – ca. 45 Minuten

1. A Second Or A Thousand Years (Intro)
2. The Realm Of Chaos
3. Pandemonium
4. Vivarium
5. Fighter
6. Dying Light
7. Never To Return
8. Because I Let You
9. Sweet, Sweet Lies

Fotogalerie: INFECTED RAIN


DRAGONFORCE

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Kein gänzlich neues Bühnenbild, aber ein kleines Upgrade des altbekannten haben DRAGONFORCE im Anschluss im Gepäck. Zwischen den beiden LED-Tafeln sorgen die zusätzlichen Panels an der Bassdrum für visuelles Spektakel, während das farbenfrohe Set weiterhin von überdimensionalen Arcade-Maschinen eingerahmt wird. Die dort abgespielten Videospielklassiker à la „Outrun“ lenken jedoch nicht von der eigentlichen Attraktion ab. Wie gewohnt entert der erste Headliner mit futuristisch anmutenden Neon-Brillen die Bühne, um diesmal aber mit dem Klassiker „Revolution Deathsquad“ gleichermaßen schnell und furios loszulegen.

Mit zusätzlichem Live-Gitarristen für die Rhythmus-Sektion sind die Voraussetzungen von Beginn an bestens, wenngleich es einige Minuten dauert, bis die optimale Soundbalance gefunden ist. Bremsen kann das DRAGONFORCE natürlich nicht, die während ihrer ausladenden und pfeilschnellen Soli das Rampenlicht genießen und auch sonst gerne das lange Haupthaar im Wind wehen lassen – der Ventilator auf der Bühne macht’s möglich.

Für DRAGONFORCE gilt auch heute wieder: höher, schneller, weiter

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Zwar verzichten die Briten heute auf Spezialeffekte und müssen auch die aufblasbaren Drachenköpfe aus Platzgründen im Gepäck lassen, dafür sorgen Flitterkanonen für die Extraportion Glamour, um den Höher-Schneller-Weiter-Ansatz des Gespanns standesgemäß zu untermalen. Wäre dieser Aufwand nötig? Natürlich nicht, schließlich ist die eigene Fanschar nicht nur zahlenmäßig stark vertreten, sondern hüpft zu Klassikern wie „Cry Thunder“ mit schierer Begeisterung auf und ab. Weil DRAGONFORCE in „The Last Dragonborn“ auch mal das Tempo reduzieren, darf die TonHalle wenig später auch mal die Handflächen ineinander schlagen.

Zeit zu klatschen war bislang nämlich kaum, immerhin ließ Sänger Marc Hudson, der heute gewohnt gut aufgelegt scheint, kurz zuvor in der „Zelda“-Hommage „Power Of The Triforce“ ein Plüsch-Huhn auf die Menge los – ein netter Insidergag für Kenner der Vorlage, welcher zudem auf den Displays von Spielszenen und – kurioserweise – entsprechenden Tieraufnahmen untermalt wird.

Gleich zwei Pop-Cover geben DRAGONFORCE zum Besten

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Spätestens hier dürfte auch den letzten Anwesenden klar sein, dass DRAGONFORCE dieser Tage noch mehr als früher mit einem Augenzwinkern unterwegs sind. Was der Stimmung bei Hits wie dem beliebten „Fury Of The Storm“ sichtlich guttut, kann aber auch nach hinten losgehen. Die mit kunterbunten Farben untermalte „Disco Metal“-Nummer „Doomsday“ ist nicht nur im Studio, sondern auch live ein echter Rohrkrepierer, wohingegen das Quintett kurz darauf mit „My Heart Will Go On“ (Céline Dion) und „Wildest Dreams“ (Taylor Swift) gleich zwei Pop-Cover zum Besten gibt. Was beide Male dank DRAGONFORCE-typischer Geschwindigkeitsrekorde in munteren Circle Pits resultiert, verliert in der Folgerunde aber seinen Charme – als würde man ein und denselben Witz zweimal hintereinander erzählen.

Nimmt die fehlende Punchline dem bis dahin routiniert-spaßigen Gig etwas den Schwung, versammelt die Band zum Finale die ausverkaufte TonHalle in Sekundenschnelle wieder hinter sich: Ihren mittlerweile wohl unsterblichen Hit „Through The Fire And Flames“ singen nicht nur tausend Kehlen mit, auch die verspielten Soli begleiten die Luftgitarren im Publikum bald dutzendfach, während sich unter dem Luftschlangenregen bald der eine oder andere Crowdsurfer nach vorne begibt. Es ist ein Finale so laut und pompös, wie wir es von DRAGONFORCE erwarten würden – imitierte Herman Lis Gitarre im Solo von Celine Dions „Titanic“-Hit noch Katzenschreie, verknotet der gute Mann zum Abschluss nun unsere Gehirnwindungen, nicht aber seine Finger.

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DRAGONFORCE Setlist – ca. 70 Minuten

1. Revolution Deathsquad
2. Cry Thunder
3. Power Of The Triforce
4. Soldiers Of The Wasteland
5. The Last Dragonborn
6. Fury Of The Storm
7. Doomsday Party
8. My Heart Will Go On
9. Wildest Dreams
10. Through The Fire And Flames

Fotogalerie: DRAGONFORCE


AMARANTHE

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Nach dem hohen Tempo sowohl auf als auch vor der Bühne müssen wir uns nun etwas in Geduld üben. Obwohl die fleißige Crew die zahlreichen DRAGONFORCE-Requisiten nach rund 20 Minuten durch ein vergleichsweise schlichtes Set ersetzen konnte, dauert es im Anschluss noch einmal so lang, bis auch der finale Act des Tages endlich startklar ist. Wobei wir selbst ein paar Augenblicke länger brauchen, um uns entsprechend einzunorden: Nach der visuellen Reizüberflutung zuvor sind die kniehohen Aufsteller AMARANTHEs fast schon ernüchternd spartanisch.

Daher liegt es ganz in den Händen der sechsköpfigen Band, sowohl uns als auch die 2000 weiteren Köpfe in der bayerischen Landeshauptstadt mitzunehmen. Das gelingt auf Anhieb auch mehr als ordentlich, da die Schweden ihren tanzbaren Modern Metal ganz offensichtlich leben. Gitarrist und Mastermind Olof Mörck ist in den Anfangsminuten in jeder Ecke der Bühne zu finden, erklimmt auch mal die zweite Etage, um Drummer Morten Løwe Sørensen Gesellschaft zu leisten und lässt zwischendrin die aschblonden Haare fliegen.

AMARANTHE können auf ihre treue Fanbasis zählen

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In der ersten Reihe wiederum teilt sich das Dreiergespann um Sängerin Elize Ryd die Aufgabe am Mikro, wobei Shouter Mikael Sehlin mit kehligen Screams die Portion Rohheit liefert, welche die arg in den Hintergrund gemischte Gitarre nicht heraufbeschwören kann. Ein zweiter Sechssaiter wäre sicherlich gewinnbringend, obwohl AMARANTHE auch mit dem derzeitigen Line-up ihre Fanbasis spielend unter Kontrolle hält.

Wie selbstverständlich zücken die Müncher:innen in der Ballade „Amaranthine“ die Smartphone-Leuchten, nachdem Olof Mörck im Piano-Intro noch verschmitzt das „Sound Of The Shire“-Thema aus den „Der Herr der Ringe“-Filmen angestimmt hatte. Den Hit vor dem Finale singen die Anhänger:innen textsicher mit, nachdem sie in der eSports-Hymne „PvP“ zuvor schon einmal die Stimmbänder aufwärmen durften.

Sogar ein wenig Disney-Magie können AMARANTHE heraufbeschwören

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Glücklicherweise stimmt nicht nur die Chemie zwischen Band und Publikum, sondern auch die in den eigenen Reihen: Sängerin Elize Ryd, die in der neuen Single „Damnation Flame“ zwischendurch einen kleinen Walzer aufs Parkett legt, harmoniert prächtig mit Kollege Nils Molin (DYNAZTY), welcher heute fast durchgehend mit Souveränität und Power zu überzeugen weiß. Besonders deutlich wird die Harmonie zwischen dem Frontgespann im Duett „Crystalline“, wo AMARANTHE einen Hauch der typischen Disney-Magie heraufbeschwören können.

Ohne große Pausen oder Ansagen lassen die Skandinavier auf diese Weise einen potenziellen Hit auf den anderen folgen, wenngleich sich der Fokus auf das vorherige Album „Manifest“ (2020) nicht immer auszahlt: In Erinnerung bleibt das vergleichsweise harte „Boom!1“ wohl eher wegen des peinlichsten Breakdown-Callouts aller Zeiten und weniger aufgrund der souveränen Performance Mikael Sehlins. Da es in der TonHalle aber Schlag auf Schlag geht, ist auch dieser Ausrutscher schnell vergessen, zumal AMARANTHE dank des Evergreens „The Nexus“ ihr reguläres Set mit einem vielgefeierten Höhepunkt beschließen.

AMARANTHE und DRAGONFORCE: ein Tour-Paket mit Ohrwurm-Garantie

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Drei Songs und eine minutenlange Ansage später entlässt uns das Sextett schließlich in die kühle, aber nach den soeben noch kochenden Temperaturen durchaus angenehme Münchner Nacht. Im Gepäck haben wir unweigerlich auch den einen oder anderen Ohrwurm, denn was dieses unwahrscheinliche Headliner-Duo ebenfalls gemein hat, ist ein umfangreiches Repertoire an eingängigen und dabei nicht minder hartnäckigen Melodien, die uns wohl noch eine Weile in den Alltag begleiten werden.

AMARANTHE Setlist – ca. 75 Min.

1. Fearless
2. Viral
3. Digital World
4. Damnation Flame
5. Maximize
6. Strong
7. PvP
8. Interference
9. Crystalline
10. Re-Vision
11. BOOM!1
12. Amaranthine
13. The Nexus
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14. Archangel
15. That Song
16. Drop Dead Cynical

Fotogalerie: AMARANTHE

Fotos: Tatjana Braun (https://www.instagram.com/tbraun_photography/)

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