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BRAINSTORM, RAGE, TRI STATE CORNER: Konzertbericht – Backstage Halle, München – 16.10.2022

Zwei Urgesteine der deutschen Metal-Szene üben den Schulterschluss: BRAINSTORM und RAGE holen die verschobenen Termine ihrer “Brainrage over Europe”-Tour nach. Mit zwei starken Alben und den erfahrenen TRI STATE CORNER als Opening Act im Gepäck, verspricht das Paket einen erstklassigen Konzertabend, der jedoch leider selbst nicht vor den gegenwärtigen Herausforderungen der Kulturlandschaft gefeit ist.

Abgesagte Shows und Touren, schlechte Vorverkäufe, spärlich besuchte Konzerte. Beinahe täglich lesen wir in den sozialen Medien über die Nachwirkungen der Pandemie, mit welchen die Veranstaltungsbranche in diesem Herbst zu kämpfen hat. Wie sehr die Kultur unter Personalmangel, Kostenexplosion, Überangebot und der Unsicherheit vieler potenzieller Besucher zu leiden hat, konnten wir erst zwei Tage zuvor mit eigenen Augen sehen, als selbst bei etablierten Acts wie AMON AMARTH und MACHINE HEAD tausende Sitze der Münchner Olympiahalle unbelegt blieben. Dass also selbst gestandene Künstler keine vollen Hallen mehr garantieren können, ist bestes Indiz dieser schwierigen Lage – eine Situation, in der es durchaus Mut erfordert, überhaupt eine Konzertreihe auf die Beine zu stellen.

BRAINSTORM und RAGE wagen sich dennoch einen ganzen Monat lang auf die Straße, um auf einer gemeinsamen Co-Headliner-Tournee die beiden aktuellen Werke „Wall of Skulls“ (2021) sowie „Resurrection Day“ (2021) endlich in die kleinen Clubs zu bringen. Das Backstage in München ist dabei der vierte Halt, den das „Brainrage over Europe“-Tourpaket ansteuert, und für uns natürlich absoluter Pflichttermin, schließlich wollen auch wir endlich wieder in den vollen Live-Genuss beider Bands kommen, nachdem uns zumindest BRAINSTORM auf dem diesjährigen SUMMER BREEZE OPEN AIR in strömendem Regen erfolgreich angefixt hatten.

TRI STATE CORNER

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Den Anfang machen jedoch erstmal TRI STATE CORNER, die aus ihrem multikulturellen Line-Up selbst musikalisch eine Tugend machen. Nicht nur der Name selbst verweist auf die unterschiedlichen Nationalitäten der Musiker, auch der Bandsound reflektiert eben dieses Element, indem das Quartett die Lead-Gitarre kurzerhand gegen eine griechische Bouzouki tauscht.

Das mediterrane Flair des Instruments prägt die rockigen Songs in entscheidender Weise, egal ob nun „Nothing At All“ mit einem feinen Solo hervorsticht oder in der Durchbruchsingle „Sooner Or Later“ leicht nachdenkliche Töne angeschlagen werden. Dass der eingängige Track laut Frontmann Vassilios „Lucky“ Maniatopoulos seinerzeit eine Art Türöffner war, glauben wir gerne, wenngleich er dafür heute in der Mitte des Sets fast zu spät kommt: Denn das noch recht spärlich vertretene Publikum in der Backstage Halle klatscht bereits während „Free Prison“ vorsichtig mit, bevor mit „Schemer“ vom aktuellen Werk „Stereotype“ (2021) das Eis endgültig gebrochen scheint.

Bodenständig und sympathisch – TRI STATE CORNER liefern eine astreine Performance ab

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Es war ohnehin nur eine Frage der Zeit, denn während Gitarrist Christoph Tkocz mit Sonnenbrille und Hut recht abgezockt über die Bühne groovt, liefert Sänger Lucky sowohl am Mikro als auch am Luft-Schlagzeug eine astreine Performance ab. So viel Einsatz steckt an, weshalb ein Paar besonders engagierter Fans in „Hypocrisia“ kurzzeitig ins Mikro singen darf, bis in „Daydreamer“ dann gleich die ganze Halle ran muss. Sympathisch, bodenständig und definitiv mehr als nur ein bloßer Anheizer.

TRI STATE CORNER Setlist – ca. 45 Minuten

1. Faster
2. Nothing At All
3. Free Prison
4. Schemer
5. Sooner or Later
6. Hypocrisia
7. Tomorrow Land
8. Run Away
9. Daydreamer
10. Stereotype

Fotogalerie: TRI STATE CORNER

RAGE

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Dass sich TRI STATE CORNER so sehr ins Zeug gelegt haben, kommt nicht von ungefähr. Denn keine 20 Minuten später entert deren Fronter ein weiteres Mal die Bühne. Für RAGE nimmt Lucky jedoch hinter den Kesseln Platz, um dem gut vorgewärmten Publikum nun so richtig Feuer unterm Hintern zu machen. Ein kurzes Intro später begrüßen dann auch zahlreiche Fäuste das Quartett um Bassist und Sänger Peavy Wagner, welches mit dem flotten „Resurrection Day“ die Münchner schnell einnordet.

Spätestens in „End Of All Days” wird der Refrain lauthals mitgesungen, nachdem „Let Them Rest In Peace“ schon früh jegliche Ketten gesprengt hatte. Eigentlich ist es ja nur logisch, dass in den vorderen Reihen bald niemand mehr still zu stehen vermag: Denn der Energie, die RAGE heute Abend ins Backstage bringen, kann man sich schlicht nicht entziehen. Vor allem Gitarrist Jean stürmt von einem Ende zum anderen, verteilt Tritte in die Luft und begrüßt zwischen den Anschlägen so manchen Fan per Faustschlag. Das ist nicht weniger als gelebte Spielfreude, vor der auch wir schnell kapitulieren.

Das unverwüstliche “Higher Than The Sky” zelebrieren RAGE zusammen mit dem Münchner Publikum

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Dass derweil so mancher Song des Quartetts mehr Jahre auf dem Buckel hat als der Gitarrist selbst, wollen wir erst gar nicht so recht glauben, so frisch bereiten RAGE ihre Klassiker im Live-Format auf. Doch auch die neueren Kompositionen wie „A New Land“ oder „Virginity“ sorgen für ausgelassene Feierlaune, die nur selten Unterbrechung findet. Für einen solchen Moment sorgt „Empty Hollow“ vom Orchester-Album „Strings To A Web“ (2010), dessen Theatralik allerdings als Zäsur wunderbar funktioniert.

Mit dem Klassiker „Don’t Fear The Winter“ verabschieden sich RAGE schließlich kurzzeitig von einer begeisterten Zuschauerschaft, bevor der Zugabenblock nach „Set This World On Fire“ mit dem unverwüstlichen „Higher Than The Sky“ ein würdiges Ende nimmt: Das Finale zelebrieren die vier Musiker gemeinsam mit dem Münchner Publikum, das zahlenmäßig zwar Luft nach oben lässt, doch unter der Führung Peavys den Refrain so leidenschaftlich mitsingt, dass man im Backstage gut und gerne die dreifache Menge an Köpfen vermuten könnte.

RAGE Setlist – ca. 70 Minuten

1. Memento Vitae (Overture) (Intro)
2. Resurrection Day
3. Let Them Rest In Peace
4. End Of All Days
5. My Way
6. A New Land
7. The Price Of War
8. Empty Hollow
9. Black In Mind
10. Virginity
11. Back In Time
12. Don’t Fear The Winter
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13. Set This World On Fire
14. Higher Than The Sky

Fotogalerie: RAGE

BRAINSTORM

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Es ist kurz nach Zehn, als im Backstage ein letztes Mal die Lichter erlöschen und wir realisieren, dass es heute wohl bei der beschaulichen Anzahl an Konzertgängern bleiben wird. Man habe eben nur „erlesene Gäste“ eingeladen, schmunzelt BRAINSTORM-Sänger Andy B. Franck nach dem furiosen Auftakt-Doppel „Where Ravens Fly“ und „Worlds Are Coming Through“. Es sei gerade jetzt in diesen schweren Zeiten umso wichtiger, solche Abende wie heute zu bewahren, fügt der Frontmann hinzu und könnte uns damit nicht stärker aus der Seele sprechen.

Ein Gefühl, das wir augenscheinlich mit jeder einzelnen Person im Club teilen, so überschwänglich wird im folgenden „Devil’s Eye“ geklatscht und gesungen. Die Energie des Publikums, das in der Powerballade „Glory Disappears“ gerne auch die erste Singstimme übernehmen würde, bleibt offenbar auch nicht vor BRAINSTORM verborgen. Es sei letztlich „scheißegal, ob zwei oder 2000 Leute vor der Bühne stehen“, solange man zusammen einen „geilen Abend“ verbringen könne, lässt uns ein grinsender Andy B. Franck wissen.

Der Einsatz, den BRAINSTORM heute auf der Bühne zeigen, ist keine Selbstverständlichkeit

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Die Band revanchiert sich infolgedessen mit dem Klassiker „Highs Without Lows“, in den man ein pointiertes Drum-Solo eingewoben hat, nur um dann mit „The Pyre“ das Tempo anzuziehen. Höhepunkt der Show ist für uns allerdings das epische „Jeanne Boulet (1764)“, das im Backstage für einige gereckte Fäuste sorgt – und am nächsten Tag mutmaßlich heisere Kehlen nach sich ziehen wird.

Ein Opfer, das wir gerne aufbringen, um der engagierten und gut gelaunten Band etwas zurückzugeben, schließlich ist der Einsatz, den das Duo Torsten Ihlenfeld und Milan Loncaric an den Gitarren zeigt, keine Selbstverständlichkeit. Die gleiche Spielfreude ist auch bei Neuzugang Andy Armbruster am Bass zu spüren, welcher mit einem kleinen Solo ebenfalls seinen Moment im Rampenlicht spendiert bekommt.

Auch bei BRAINSTORM jagt ein Höhepunkt den nächsten

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Dass wiederum die Single “Escape The Silence” ohne RAGE-Frontmann Peavy dargeboten wird, ist eine kleine verpasste Chance, ähnlich wie die Gelegenheit, das so passend betitelte „Highs Without Lows“ sozusagen als Fazit ans Ende des Sets zu stellen. Denn tatsächlich jagt ein Höhepunkt den nächsten, weshalb die Spielzeit des zweiten Headliners geradezu wie im Flug verstreicht. Den Überhit „Ravenous Minds“ nehmen wir stattdessen natürlich ebenso gern mit, bevor das Spektakel nach etwas mehr als einer Stunde und dem obligatorischen gemeinsamen Foto ein würdiges, doch etwas zu frühes Ende nimmt.

Und trotzdem erwischen wir uns auf dem Weg zum Parkplatz mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Allein dass das Paket aus RAGE und BRAINSTORM in einer gebeutelten Kultur-Landschaft zwischen abgesagten Touren und schleppenden Vorverkäufen den Mut beweist, sich nach langer Pause wieder auf die Straße zu begeben, ringt uns Respekt ab. Es mag in der bayerischen Landeshauptstadt letzten Endes ein Abend vor – wie BRAINSTORM-Sänger Andy B. Franck feststellte – erlesener Zuschauerschaft gewesen sein, dank des Zusammenspiels aus motivierten Musikern und enthusiastischem Publikum war die „Brainrage Over Europe“-Tour für uns aber dennoch so etwas wie Balsam für die Seele – ein Beleg, wie mitreißend selbst eine intime Show sein kann, und ein familiäres Konzerterlebnis, das wir genau deshalb noch lange in Erinnerung behalten werden.

BRAINSTORM Setlist – ca. 65 Minuten

1. Chamber Thirteen (Intro)
2. Where Ravens Fly
3. Worlds Are Coming Through
4. Devil’s Eye
5. Shiva’s Tears
6. Glory Disappears
7. Highs Without Lows (inkl. Drum Solo)
8. The Pyre
9. Jeanne Boulet (1764)
10. Bass Solo
11. Escape The Silence
12. Turn Off The Light
13. All Those Words
14. Ravenous Minds

Fotogalerie: BRAINSTORM

Fotos: Tatjana Braun (https://www.instagram.com/tbraun_photography/)

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