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CALIBAN: Die Band der kleinen Egos

Ein offenes Gespräch über Aufnahmen, Songwriting, die Wall of Death und die Tatsache, dass große Egos immer auch große Fehler sind.

CALIBAN waren für mich ja bisher eher eine etwas zwiespältige Band. Gute Musik, aber komisches Image, zuviel Emo aber trotzdem zu gut zum Überhören…irgendwie konnte ich mich nie so recht durchringen, sie wirklich zu mögen. Das hat sich allerdings mit der letzten, fantastischen Platte The Awakening grundlegend geändert. Denn nach dem Schwächeln der internationalen Konkurrenz haben die Deutschen ein wahres Feuerwerk an modernem Metal gezündet und bewiesen, dass Härte und Gefühl sich nicht ausschließen müssen. Sogar für mich. Und das will schon was heißen. Grund genug also, der Band auf den Zahn zu fühlen und in den mondänen, neuen Büroräumen von Roadrunner Records das Gespräch unter vier Augen zu suchen. Und der gute Eindruck der Platte bestätigt sich auch dort, denn man trifft unter Musikern selten auf Gesprächspartner, die mit entwaffnender Ehrlichkeit auch über eigene Fehler oder Schwächen reden können. Dass man als Band ein Team oder gar verbrüdert sein muss, erzählen alle und nicht wenige gehen mit der Brothers-forever-Sache ja permanent hausieren, nur um sich wenig später unter langwierigen Schlammschlachten aufzulösen, aber es gibt offenbar auch Bands, die ohne großes Tamtam diese Qualitäten einfach haben und leben. CALIBAN sind eine solche. Und quasi als lebender Beweis, dass man mehr Sein als Scheinen immer noch der bessere Weg ist, erzählt Gitarrist und Songwriter MARC GÖRTZ über Aufnahme-Prozesse, Kreativität auf Knopfdruck, Realismus und Effiziens und die Tatsache, dass große Egos jeder Band nur im Weg stehen können…


Es drängt sich beim Plattentitel natürlich die Frage auf, warum erst jetzt das Erwachen, pünktlich zum 10jährigen Bandjubiläum?

Wir haben versucht, das Beste aus den letzten Platten zusammen zu packen, aus allen Experimenten und allen Sachen, die wir ausprobiert hatten. Es war an der Zeit, das alles auf einem Album zusammen zu fassen. Ausserdem sind auch die Texte nicht mehr so depressiv, sondern bieten viele Auswege und daher war es einfach eine gute Überschrift für diese Platte.

Es klingt eher nach dem Titel eines Debutalbums…

…oder Comeback. Irgendwie ist das Album ja auch beides.

Ihr habt dieses Mal auch etwas anders gearbeitet, nämlich mit einer ausgiebigen Vorproduktion von dir und Produzent Benny Richter. Wie kam es denn dazu?

Teilweise gab es das auch schon vorher. Die Geschwindigkeit, mit der ein Album geschrieben wurde, war immer dieselbe. Es gab so zwei bis drei Monate, in denen sehr fokussiert an den Songs gearbeitet wurde. Dass der Produzent dieses Mal schon involviert war, hat sich eher zufällig ergeben. Wir wollten mit jemand anderem arbeiten als Anders Friden, der die letzten beiden Platten produziert hatte und uns währenddessen sehr viel beigebracht hatte. Beim letzten Album, war der Schritt, den er uns nach vorne bringen konnte schon wesentlich kleiner und daher fanden wir es wenig sinnvoll, noch ein Album mit ihm zu machen. Wir haben nach nach einem anderen Produzenten gesucht, während ich schon anfing die Songs zu schreiben. Mit Benny wollte ich eigentlich nur an den Samples und Keyboards arbeiten, aber als wir dann anfingen, an den von mir vorproduzierten und programmierten Sachen zu arbeiten, hat sich so viel ergeben, so viele Ideen für Gitarre und Arrangement, dass wir irgendwann dachten: Wofür sollen wir jetzt noch einen teuren super-bekannten Produzenten suchen? Mit Benny klappte es hervorragend. Er hat einen klassischen Background, er spielt Klavier, seit er ein Kind war, kann Noten lesen und hat Harmonie-Verständnis und ausserdem wohnt er auch noch in der Nähe von mir. Er hat viele Sachen vom Klavier auf die Gitarre umgesetzte und mir Akkorde gezeigt, auf die ich nie allein gekommen wäre. Man hängt dann zum Teil sehr merkwürdig über der Gitarre, aber es klingt einfach irgendwie gut. Vor allem war er auch den ganzen Schreibprozess über dabei und deswegen hatte die Zusammenarbeit auch eine andere Intensität. Normalerweise kommt ein Produzent zwei, drei Tage vor den Aufnahmen vorbei, aber dieses Mal hatten wir einfach mehr Zeit, Dinge auszuprobieren und auch mal sacken zu lassen. Im Studio waren die Songs dann für unseren Geschmack einfach schon fast perfekt. So wie sie für uns sein sollen. Für diese Platte war das der beste Weg.

Wie involviert sind die anderen Band-Mitglieder in diesen Prozess? Oder welche anderen Instanzen gibt es? Alleine neigt man ja eher dazu, nie fertig zu werden, weil man immer noch verbessern möchte…

Da neige ich eigentlich nicht zu. Für mich muss jeder Part eine bestimmte Amtosphäre erzeugen, sei es Traurigkeit oder Depression und ich muss in jedem Song irgend etwas für mich spezielles wahrnehmen. Das kann nur eine winzig kleine Stelle sein, aber diese Stelle macht den Songs dann besonders und unterscheidet ihn von irgendwelchen anderen Songs. Das brauche ich in jedem Song. Und wenn ich das erreicht habe, wenn der Song einen bestimmten Fluß, Gefühle, Höhen und Tiefen und eben eine solche Stelle hat, dann ist er für mich fertig. Und die anderen in der Band haben dasselbe Empfinden. Ich habe ihnen die Songs natürlich immer geschickt und es kamen von keinem irgendwelche Änderungswünsche.

CALIBAN:
Das The Awakening-Cover … Mark zum Aufnahmeprozess: Man kann nicht auf Knopfdruck kreativ sein.Um Fünf fängt die Probe an, und von Fünf bis Zehn bin ich dann kreativ. Das funktioniert nicht.

Das klingt jetzt hart, aber im Songwriting haben sie dann auch keine wirkliche Rolle…

Andy schreibt natürlich die Texte auf die fertige Musik. Dennis (Schmidt – Gitarre) und Marco (Schüller – bass) in dem Sinne nicht. Patrick (Grün – Drums) schon, da ich zwar Drums programmiere, aber keine großartigen Fills oder Tom-Läufe mache, weil mir das echt zuviel Arbeit ist. Da hat er noch sehr viel Freiheiten.

Das widerspricht natürlich dem klassischen Rockband-Gedanken, von Jammen, gemeinsamer Inspiration oder so…

Ich kenne aber keine Band, bei der das anders läuft. Bei HEAVEN SALL BURN macht der Gitarrist Mike ja sogar noch die Texte, also komplett alles. Und sogar noch die Produktion. Wenn wir unsere Songs nachher proben, kommt es natürlich vor, dass man zusammen noch das ein oder andere ändert, aber das grobe Gerüst bleibt bestehen. Es würde bei uns aber auch nicht anders funktionieren, da dann einfach zu viele Stilrichtungen in jedem Song wären. Zu viele Köche verderben eben den Brei, da ist schon was dran. Und so geht es auch am schnellsten.

Du machst also die ganzen Try and Error-Phasen, die es im Songwriting gibt, alleine durch und die Band kann effektiv die Songs proben…

Genau. Manchmal gibt es aber auch zwei Versionen eines Songs, die mir beide gefallen und dann kann man einfach eine Mehrheitseintscheidung in der Band machen. Aber das gibt es eher selten. Natürlich heisst das jetzt nicht, dass ich jedem seinen Part komplett vorschreibe, eigene Ideen sind immer willkommen, wenn sie gut sind und funktionieren. Ich kann auch nicht im Proberaum Songs schreiben, das hat in den ganzen 10 Jahren nicht einmal funktioniert. man kann nicht auf Knopfdruck kreativ sein. Um Fünf fängt die Probe und von Fünf bis Zehn bin ich dann kreativ. Das funktioniert nicht. Ich habe zuhause ein Aufnahme-Programm und da wir uns momentan nur auf die Musik konzentrieren und ich keine anderen Verpflichtungen habe, kann ich eben dann etwas schreiben, wenn es mir einfällt. Und wenn es mitten in der Nacht ist. Dann habe ich zum Teil bis sechs Uhr morgens am Computer gesessen und es war ein ganzer Song fertig. Das ist einfach besser so.

Es ist erstaunlich, wenn man das mit den Klischees der 70er vergleicht, mit stundenlangen Jam-Session und plötzlichen Genie-Bllitzen, die die Bands dann trafen und aus denen plötzlich ein Konzept-Doppel-Album entstand. Euer Ansatz ist ein ganz anderer. Ist das einfach die Moderne?

Sicher. Es hat auch schlicht mit der Technik zu tun. Man kann heute halt ein anständiges Schlagzeug zuhause programmieren und vernünftige Gitarren aufnehmen. Manchmal hat man Ideen für die Gitarre und stellt fest, dass es mit Drums nicht funktioniert. Dieses Auschlußverfahren führt ja sonst dazu, das der Schlagzeuger im Proberaum ewig warten muss, bis man feststellt, dass die Idee eigentlich Mist ist. So kann man das schon zuhause merken.

Auf diese Weise kann man auch verhindern, dass einer in der Band an irgendwelchen Liedern hängt, nur weil sein eigener Part eben so toll ist, obwohl alle anderen das Lied miserabel finden…

Das ist sowieso ein Fehler, den viele Bands machen. Diese ganzen Ego-Sachen gibt es bei uns nicht. Keiner in der Band hat so ein Ego, auch ich nicht. Die Band steht im Vordergrund. Ein gutes Beispiel dafür ist, dass Dennis auf der neuen Platte keine Gitarren eingespielt hat. Er hat gesagt, da ich ja die ganzen Songs über Monate immer wieder gespielt hatte und er sie sich erst aneignen müsste, sollte ich sie auch einspielen. Er konnte sich dafür auf voll auf den cleanen Gesang konzentrieren und den üben. Es kam keine Ego-Sache wie: Ich will aber auf der Platte auch was spielen! Und das ist sehr wichtig für eine Band, dass keiner denkt, er müsse irgendetwas machen, nur um nachher sagen zu können: Ich war´s! Im Endeffekt kam es ihm sogar sehr gelegen, da er eben an seinem Gesang arbeiten konnte.

Die Generation meines Vaters fände diese Vorgehensweise sicher etwas seelenlos, auch wenn ich es vollkommen verstehen kann…

Vielleicht. Aber uns ist nur wichtig, was wir als Band am Ende für Songs haben, nicht was jeder einzelne an Parts gespielt hat. Wir sehen uns nicht als einzelne Musiker, sondern wir wollen zu fünft gute Songs schreiben und spielen. Welche Rolle jeder auf dem Weg dahin spielt, ist egal. Wenn irgendwann mal Patrick eine Stelle besser singen könnte als die anderen, dann würde er diese Stelle singen. Seelenlos würde es für mich erst, wenn man nur noch Gastmusiker hat. Ich kann einen Part auf der Gitarre nicht spielen, also ruf ich mal den und den an und für Drums dann den und Bass und so weiter. Das geht für mich zu weit.

Spätestens auf der Bühne wäre es damit ja sowieso vorbei. Bei der ein oder anderen Band macht man ja auch diese Erfahrung. Überproduzierte Platten können live nicht gespielt oder klanglich wiedergegeben werden. Eure Platte klingt dagegen sehr natürlich, trotz der sehr digitalen Herangehensweise…

Das stimmt. Das liegt aber auch an der Spielweise. Benny hatte die Idee, bei vielen Liedern die Grundtöne etwas höher anzusetzen. Normalerweise ist ja immer die leere, tiefe Saite der Gitarre, also der tiefste Spielbar Ton, Grundlage für die meisten Riffs. Bei I will never let you down war das eigentlich auch so, aber Benny hatte die Idee, den Rest des Songs einen Halbton höher zu spielen und nur den Moshpart tief zu lassen. Dadurch gewinnt dieser Part eine ungeheure Aggressivität und Überaschung. Diesen Effekt haben wir öfter eingebaut.

Auf welchen Ton habt ihr runtergestimmt?

Auf H oder Ais oder B-flat. Es gibt einen Part in diesem Song, auf dem ein krummer Akkord ausklingt und dann während des Klingens gerade gestimmt wird, um dann noch tiefer weiter zu spielen. Das ist sicher ein witziger Effekt. auf der Bühne. So etwas fällt einem ein, wenn man genug Zeit in der Produktion hat.

Es ist erstaunlich, dass die Platte trotz dieser zum Teil sehr theoretischen Herangehensweise viel rockiger klingt als die vorherigen Platten…

Ja, ich weiß, was du meinst. Obwohl diese Sachen auch eher in den melodischeren Parts zum tragen kommen. Zum Beispiel im Refrain vom Opener. Im Hintergrund sind da mehrere Gitarren zu hören, die live kein Mensch brauchen würde. Man würde sie sowieso nicht hören. man bemerkt sie auch auf den Aufnahmen nur dann, wenn sie weg, also ausgeschaltet sind. Das ist klassische, harmonie-orentierte Herangehensweise, neben den üblichen Gitarren noch ein paar Stimmen zu haben, die die Harmonien ergänzen.

Das klingt ja richtig nach Quintenzirkel und General-Bass.

Oh ja! Der Benny kam ständig mit so Sachen wie: Da spielste dann noch die Septime rein und dann hier noch die Drittel-Note von der 18. Umkehrung und so. Ich saß dann da, hab mir den Kopf gekratzt und meinte nur: Mach ma, dat wird schon gut! Dem Rest der Band ging es nicht anders. Wenn der Benny einmal mit so etwas anfängt, gibt es kein Halten mehr. Uns hat das aber im Endeffekt einen großen Schritt weiter gebracht.

CALIBAN:
Seelenlos würde es für mich erst, wenn man nur noch Gastmusiker hat.

Da wir vorhin von Gastmusikern sprachen, einen hattet ihr doch, nämlich Bony Fertigmensch von JAPANISCHE KAMPFHÖRSPIELE. Und dann noch am für Gastauftritte eher unübliche Bass. Wie kam es denn dazu?

Der hat ein paar Stellen eingespielt, die für unseren Bassisten in der Kürze der Zeit nicht mehr zu lernen waren. Gerade die etwas Mathematischen, MESHUGGAH-mäßigen Parts. Vieles davon war erst kurz vor dem Studio-Termin fertig und Marco hätte es nicht auf Knopfdruck so gut abrufen können, wie es im Studio nötig ist. Manches wurde auch noch im Studio geändert und man sollte sich da nicht den Druck machen. Bony ist eh ein Kumpel und vom Typ her, wie der Benny. Der spielt auch jedes Instrument perfekt.
Und der hört soche Parts, übt 10 Sekunden und im zweiten Take hat er es. Andere müssen dafür ein paar Tage üben, aber der Typ hat es sofort. Ich hab auch ein paar Parts Bass eingespielt, weil ich eben wußte, wie sie letzendlich klingen sollten. Das ist eben auch eine Zeitfrage.

Immerhin schreibt ihr es dann konsequent auf die Platte drauf, dass er mitgespielt hat.

Klar, warum auch nicht. Das ist wieder dieses Ego-Ding. Die Leute wissen schon, dass wir das auch alles selber können. Manchmal macht es einfach keinen Sinn, auf Biegen und Brechen alles selber machen zu wollen und warum soll man sich nicht helfen lassen. Marco kommt auch von weiter weg und konnte nicht die ganze Zeit bei den Proben dabei sein. Und Bony, dem muss noch nicht mal sagen, was er spielen soll. Der hört das und kann es spielen. Fertig! Mittlerweile kann Marco auch alles spielen, aber im Studio steht man eben unter Zeitdruck, da klappt es dann auch mal nicht so gut. Ich halte aber nichts davon, geplant Studio-Musiker einzusetzen, die dann alles spielen. Das geht einfach zu weit. Es kann immer passieren, dass jemand krank wird, der Drummer sich das Bein bricht, aber trotzdem Studio-Termine gehalten werden müssen. Dann spielt es halt mal jemand anders. Da geht es ja auch um Kosten. Aber von vorne herein so planen sollte man das nicht. Auf der Bühne müssen wir sowieso alles wieder selber spielen.

Richtig. Mit der heutigen Studio-Technik und genügend Zeit, kann sicherlich jeder eine gute Platte einspielen. Auch wenn es bei manchen sicher Jahre dauern würde. Aber das auf der Bühne umzusetzen ist die eigentlich wichtige Qualität und das kann beileibe nicht jeder.

Das finde ich auch. Bei manchen Bands merkt man halt, dass sie im Studio alles zurechtrücken, Schlagzeug programmieren und gar nichts mehr selber machen. Hier noch ein paar Hi-Hats rein und dann schön kopieren, das funktioniert live nicht. Ausser bei der ein oder anderen großen Hard-Rock-Band, wo dann eben der Ghostsinger unter der Bühne weitersingt, wenn der Sänger nicht mehr kann.

OZZY

Das wollte ich jetzt so nicht sagen. (lacht – der Verf.)

Ich glaube das ist ein offenes Geheimnis. Aber bei ihm reicht ja seine Präsenz auf der Bühne auch schon aus. Und er ist auch alt genug für so etwas. Viel schlimmer finde ich das bei neuen, jungen Bands.

Da gibt es das aber auch. Da kommen die kompletten Gitarren vom Band oder so. Bei uns kommen ab und zu Keyboards vom Band, aber das ist insofern etwas anderes, weil das ja kein Instrument ist, was einer von uns in dem Moment nicht spielt, obwohl er so tut, als würde er es spielen. Es ist offensichtlich, dass die Keyboards vom Band kommen und wir unsere Instrumente dazu spielen.

Würde Benny sich jetzt nicht als Keyboarder anbieten?

Wir überlegen das auch für ein paar Shows. Aber es sind dafür auch nicht genug Songs mit Keyboards im Set. Die halbe Zeit würde er dann nur rumstehen und das macht ja dann auch keinen Spaß.

Da Andy ja alle Texte schreibt und du die Musik, hast du denn nie Ideen für Texte oder Songtitel, wenn du die Musik schreibst?

Ne, überhaupt nicht. Von mit kommen noch nicht mal Songtitel aber komischerweise immer der Albumtitel. Zumindestens bei den letzten vier Alben. Ich lese dann die Texte und überlege einfach eine Überschrift. Aber ich kann mich über Texte überhaupt nicht ausdrücken, sondern nur musikalisch.

Noch eine Frage zu dieser Wall of Death-Geschichte, auch wenn das vermutlich jeder fragt…

Ne, komischerweise nicht.

Erstaunlich. Schließlich gab es eine offizielle Abschaffung diese Phänomens bei euren Konzerten. War das eine Reaktion auf die damit verbundenen Unglücksfälle? Und jetzte gibt es eine Umfrage auf eurer Homepage zur Wiedereinführung.

Auch. Aber in der Hauptsache haben wir es einfach zu lange gemacht und die Shows wurden einfach immer größer und damit auch die Verletzungsgefahr. Aber letzendlich muss ja keiner mitmachen, dem das zu gefährlich ist. Wir hatten den Gedanken, dass es den Leuten einfach langweilig wird, so nach dem Motto: Och ne, Schon wieder ´ne Wall of Death. Oh Mann ich geh nach hinten. Das dachten wir zumindestens. Das hat aber nur ein zwei Mal funktioniert, dann haben die Leute in Sprechchören danach gerufen oder sie von alleine gemacht. Dann kamen E-Mails und Anfragen, das sei doch unser Markenzeichen und wir sollten es doch wieder einführen. Also dachten wir, dann fragen wir die Leute halt, damit auch die, die tendenziell eher hinten stehen ihre Meinung sagen können, denn auf Konzerten ist natürlich der vordere Teil dominater. Dann haben wir also diese Voting gestartet und über 90% Ja-Stimmen bekommen. Und seitdem gibt es die Wall of Death wieder. Wir haben letztens in Moskau gespielt und dachten schon, der Veranstalter würde uns das bestimmt verbieten, aber im Gegenteil, wir wurden vorher gefragt, wann die Wall kommen würde, damit die Security informiert wird und wir sagten: Dritter Song. Dann kam die Frage:Ja und wo noch? – Nirgendwo. Nur einmal – Ja, aber das könnt ihr doch nicht nur einmal machen! Da wollte der Veranstalter, dass wir die Wall sogar öfter machen! Ausserdem sollte das Konzert möglich lang sein. Im Endeffekt haben wir dann 21 Songs gespielt und hätten sogar noch länger spielen sollen. Die Leute sind durchgedreht bis zum letzten Song. Wir hatten überhaupt keine Songs mehr am Schluß, denn wir haben ja auch nicht alle Songs immer bühnenreif präsent.

CALIBAN:
CALIBAN in Moskau: Da wollte der Veranstalter, dass wir die Wall sogar öfter machen! Ausserdem sollte das Konzert möglich lang sein. Im Endeffekt haben wir dann 21 Songs gespielt und hätten sogar noch länger spielen sollen. Die Leute sind durchgedreht bis zum letzten Song. Wir hatten überhaupt keine Songs mehr am Schluß, denn wir haben ja auch nicht alle Songs immer bühnenreif parat.

Habt ihr denn das Gefühl, über so ein Publikum von der Bühne noch Kontrolle ausüben zu können?

Nicht wirklich. Aber im Endeffekt kann immer etwas passieren. Das geht schon beim Stagediven los, wenn du da nicht gefangen wirst und knallst mit dem Kopf auf, hast du auch einen Schädelbruch. Oder du knickst auf dem Weg zum Klo um oder so etwas. Bisher ist in 10 Jahren Bandgeschichte noch nichts größeres passiert. Auf der Bühne denkt man da aber auch nicht darüber nach. Deswegen lassen wir ja die Leute selber entscheiden, wie weit sie gehen möchten. Der Andy versucht auch von der Bühne immer die Leute zu sensibilisieren, einander zu helfen und aufzupassen, wenn einer hinfällt. Wenn wir etwas sehen, was uns zu weit gehen, hören wir auch auf zu spielen, bis sich die Leute beruhigt haben. Auch wenn es Schlägereien gibt, was in den USA öfter passiert. Dafür haben die Leute auch Verständnis, dass Typen, die nur Ärger machen wollen, nicht geduldet werden.

Ihr habt ja auch schon in Südamerika gespielt. Wie sieht denn da die Wall of Death aus?.

Das gibt es dort eher weniger. Die Leute sind auf eine andere Art wild. Die wollen alle mitsingen und kommen auf die Bühne. Bei den cleanen Gesangsparts haben die sogar die PA übertönt. Selbst auf der Bühne hat man nichts anderes mehr gehört. Und das obwohl viele gar kein Englisch können. Da wird man ständig erkannt und die Leute zerren an dir und deinen Klamotten, eben richtig fanatische Fans. Eine wirklich krasse Erfahrung.

Ihr zieht ja auch hier in Deutschland ein eher junges Publikum, dass sich doch etwas vom klassischen Metal-Publikum unterscheidet, auch in Kleidung und Aussehen. Die gesamte Warteschlange vor dem letzten Konzert hier in der LMH in Köln, war komplett in Schwarz, mit Baggies und Tattoos.

Das stimmt, aber das ist hier in Köln und auch im Ruhrgebiet sehr extrem. In Frankfurt ist das zum Beispiel nicht so. Unser Altersdurchschnitt liegt in etwa bei 18 jahren, würde ich schätzen. Hier fangen die Leute sehr früh mit heftiger Musik an. Ich bin aber auch so früh auf Konzerte gegangen. Vielleicht fällt es einem erst jetzt so auf, weil man selber älter wird und der Abstand größer ist. Ein Generationswechsel eben. Nur dieses mal sind wir die Älteren.

An dieser Stelle sieht der Interviewplan leider schon das Ende des Gespräches vor, denn gerade zu dem Thema Generationenwechsel gäbe sicher noch vieles zu sagen. Mein Generation, die in den 80ern ihre musikalische Sozialisation erfahren hat, sollte sich mit Urteilen über Nachwachsende ohnehin zurückhalten, dass belegt alleine die Kleidungsfrage. Jedes Foto aus dieser Zeit zählt als Beweis für frühere Verirrungen und grausame Enstellungen. Das sieht heute deutlich besser aus. Und wer beschwert sich schon ernsthaft über die Tatsache, dass heute viel mehr Frauen und Mädchen als damals auch zu härtester Musik ihre Mähnen schütteln wollen? Witzigerweise gibt es aber auch in der ganz jungen Generation wieder eine gewisse Tendenz zur Uniformierung. Heute sind es eben schwarze Haare, schwarze Klamotten, Key-Chains, Tattoos was früher eher Stretch-Jeans, Kutte und weiße Turnschuhe mit Klett-Verschluß waren. Es hat sich zwar alles geändert, bleibt aber trotzdem das gleiche. Und CALIBAN sind das Role-Model. Es könnte schlimmer kommen

Alle Fotos von calibanmetal.com

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