WITT: Eisenherz

Nein, ich schreibe NICHT, daß der "Goldene Reiter" zurück ist. Ist er nämlich nicht. Joachim Witt ist zurück, und das schon ein bisschen länger. Hier mit seinem neuen Album "Eisenherz"

Joachim Witt polarisiert mit seinen Alben. Einerseits (wiederholt) „Arschbombe des Monats“ bei den Kollegen vom Rock Hard, andererseits ein Chart-Entry auf Platz Sieben. Auf der einen Seite als „DJ Ötzi der Kuttenträger“ beschimpft, andererseits mit vielen Super-Kritiken bedacht. Er selbst bezeichnet sich als „linker Kosmopolit, was andere wiederum nicht daran hindert, den am 22. Februar 1949 geborenen Witt und bekennenden Wagner-Fan – der sich durchaus zu seiner Heimat bekennt – ihn in die rechte Ecke zu drängen. Einig sein kann/darf man sich aber, daß Joachim Witt ein wirklich interessanter Künstler mit Ecken und Kanten ist, oder? Nicht absprechen kann man Joachim eine gewissen Unverkennbarkeit und ein Charisma, was angesichts der unzähligen gesichts- und identitätlosen Produkte und Trendzug-Aufspringer, die es in JEDEM Genre (egal ob Metal oder Pop, Volksmusik oder Gangster-Rap) gibt, schon eine tiefe Verbeugung rechtfertigen würde. „Eisenherz“ ist zwar der Titel des neuen Album der „Werkreihe Bayreuth“, hätte aber auch als „Bayreuth Drei“ durchgehen können. Zwölf neue Songs (51:53 Min.) hat Joachim produziert und mit Leuten wie seinem langjährigern Kumpel Harry Gutowski (der u.a. für Juliane Werding und Frl. Menke arbeitete und mit Joachim bereits Mitte/Ende der Siebziger bei einer Band namens Duesenberg spielte), Bernd Aufermann (Gitarrist von Running Wild und/oder Angel Dust) oder den beiden Silly-Musikern Richie Barton (Streicher und additional Keyboards) und Uwe Hassbecker (Gitarren) eingespielt. Es fällt auf, daß sich textlich etwas in der Hinsicht getan hat, daß Joachim (der 1974 unter dem Namen Julian seine erste – und wohl auch einzige – Single „Ich bin ein Mann“ veröffentlichte) immer häufiger auf die Texte Dritter zurückgreift. Waren es nämlich auf „Bayreuth 2“ noch neun von elf und auf „Bayreuth Eins“ gar zehn von elf Texten, stammen auf „Eisenherz“ gerade mal die Hälfte aller Texte aus der Feder Witts. Nicht dass mich das ernsthaft stört, aber verwunderlich ist das schon. Doch nun zu den Stücken des mittlerweile zehnten Witt-Albums, das – soviel vorweg – ein sehr abwechslungsreiches geworden ist. Wer den leichten Rammstein-Touch eines Songs wie „Und… ich lauf“ (von „Bayreuth Eins“) mochte, kann mit dem Opener/Titelsong (s)einen Albumfavoriten hören. Ich hätte übrigens gerne noch ein oder zwei Stücke dieser Machart mehr gehört. Wer auf die NDW-Alben „Silberblick“ und „Edelweiss“ steht, dürfte sich am ehesten mit den im abgehackten Stakkatogesang vorgetragenen Stücken wie „Du Teufel“ oder „Supergestört und superversaut“ anfreunden können. Wer Witt aber erst mit den beiden „Bayreuth“-Alben mit all ihren kitschig-pathetischen, bombastisch-balladesken Elementen kennen- und schätzen lernte, dürfte mit „Wie oft muss ich noch sterben?“, „Fliegen“ oder „Du wirst niemals meine Tränen in dir seh’n“ seinen „Soundtrack zur Schwermut“ bestücken können und bei Textzeilen wie „Ich verbrenne in dem Feuer Deiner Eitelkeit oder Und die Zeit heilt keine Wunden, sie ist mit dem Tod vereint“ dahinschmelzen. Man kann sowieso feststellen, daß „Eisenherz“ nicht mehr ganz so erdrückend und mächtig wirkt wie „Bayreuth“-Scheiben, da einfach nicht mehr mit so einer starken Orchestrierung gearbeitet wird. „Back to Basics“ sozusagen oder anders ausgedrückt: Das Album wird von eher sanfteren, einfacheren und auch eingänigeren Klängen beherrscht, wobei ein gewisse Detailverliebtheit (hier ertönt eine Gitarre im Flamenco-Stil, dort tutet ’ne Pan-Flöte oder erklingt ein Streichinstrument) durchaus zu hören ist. Etwas befremdlich mögen nach dem ersten Hören zwar die „versauten“ Songs „Supergestört und Superversaut“, „Ich bin schwul“ und „Steif“ wirken, doch wer sich darüber ernsthaft aufregt, konnte auch über Rammsteins Rein Raus (von „Mutter“) nicht lachen. Ich hab’ mich – nach einem ersten „Was soll das denn jetzt? – auf jeden Fall köstlich über die Stücke amüsiert. Ich glaube auch, daß der erstgenannte Song eher eine Abrechnung mit der Jet Set-Society und Yuppie-Generation ist, als das man wirklich einen sexuellen Hintergrund hinter diesem Stück vermuten sollte. Oder wie deutet Ihr Textzeilen wie „Er hat den Masterplan: Er wird reich, der Rest bleibt arm. Er scheißt in Mamortoiletten, andere müssen ihren Kot verstecken?? Für mich ist „Eisenherz“ ein gutes und abwechslungsreiches Album, bei dem ich aber im Moment noch nicht weiß, wo an welcher Stelle ich es meiner Hitliste der besten Witt-Alben einordnen soll.

Spielzeit: 51:53 Min.

Line-Up:
Joachim Witt – Gesang, Flächen/Klänge/Atmosphären, additional guitars

and a lot of friends

Produziert von Witt im Zimmer der Sehnsucht
Label: Sony Music / Columbia

Homepage: http://joachimwitt.de

Tracklist:
Eisenherz

Du Teufel

Wie Oft Muß Ich Noch Sterben?

Freundschaft

Supergestört Und Superversaut

Ich Bin Schwul

Steif

Du Wirst Niemals Meine Tränen In Dir Seh´n

Fliegen

Wie Ein Schrei

Schwingenschlag

Trauer Liegt Über´m See

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