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MAGNUM: Here Comes The Rain

Mit dem Tod des MAGNUM-Gitarristen Tony Clarkin verliert der melodische Hardrock einen seiner beständigsten Vertreter. Doch der Schwanengesang in Form des posthum veröffentlichten Albums “Here Comes The Rain” vereint noch einmal alles, wofür MAGNUM geschätzt, geliebt und manchmal auch belächelt wurden: Eleganz, Bombast, düstersüß schwelgende Harmonien. Und die reife Stimme von Sänger Bob Catley über Clarkins Kompositionen.

Bitter: Diese Rezension ist auch ein Nachruf. Am 7. Januar verstarb Tony Clarkin, Gitarrist und alleiniger Songwriter von MAGNUM. Clarkin, der in der Hochphase der Band stets aussah wie eine Figur aus einem Robin-Hood-Film, langer roter Bart und eleganter Hut, halb Waldschrat, halb britischer Gentleman. Dessen Powerchords oft eher zurückhaltend waren, sehr songdienlich, sie konnten in elegante Melodien übergehen, hatten Wiedererkennungswert. So wie man einen MAGNUM-Song heraushörte, zumindest dort, wo sie nicht zu sehr auf den amerikanischen Markt schielten. Clarkin konnte Hardrock-Songs schreiben, die einen hypnotisierenden Sog hatten und ihr Geheimnis nie ganz verrieten. Songs wie das zunächst langsam schreitende „Don’t Wake the Lion“, das sich in einem kraftvollen Finale entlädt. Songs wie „How Far Jerusalem“, eine Hymne für die Verstoßenen dieser Welt, die sich in nächtlichen Gassen und auf Bahndämmen herumtreiben, das heilige Land weit weg. Eine Band, die etwas typisch Britisches hatte, in den Melodien, auch in den Texten: Das Knistern des Kamins. Alte, aus rotem Sandstein erbaute Burgen. Menschen, die sich an schweren Holztischen versammeln, um Geschichten zu lauschen. Die Erhabenheit eines gotischen Minsters.

Wer MAGNUM als Weltflucht-Band bezeichnet, weil sie sich gerne auch progressiven Pompes bedienten, die Keyboards zuweilen aus gehäkelter Spitze bestanden, weil sie Zauberer und Einhörner auf ihren Covern zeigten (legendär: die Grafiken von Rodney Matthews), tut ihnen unrecht. Clarkin war auch ein politischer Beobachter, er schrieb eine Vielzahl von Antikriegssongs, angefangen beim mächtigen Heavyrocker „Soldier of the Line“ von 1982 bis hin zu „Run Into the Shadows“ auf dem jüngsten Album. Er schrieb religionskritische Texte, auch Songs, in denen er sich, manchmal resigniert, über die Sehnsucht vieler Menschen nach einer starken Erlöserfigur wundert und in denen seine Abneigung gegen Populismus zum Ausdruck kommt. Das alles ist oft verklausuliert und allgemein gehalten, mit biblischen und historisierenden Metaphern, aber autoritätsskeptisch und aktuell: „Sie suchen alle nach jemandem, der die Antworten kennt/ Sie werden noch tausend Jahre lang suchen“, heißt es in „The Seventh Darkness“, der ersten Single des neuen Albums. „Ja, ein blinder Mann sieht besser als sie/ In seiner Dunkelheit keine Angst,/ Ja, er lächelt, aber er weiß, wie man weint“. Die Zukunft erscheint als düstere Vision „in Klassenzimmern, wo die Alpträume sich verstecken“.

Auch der Vorwurf des Schmalzes ist und war oft unbegründet. Der Bombastrock der Briten hat bisweilen ein dystopisches Moment und eine dunkle Grundstimmung, auch wenn es immer wieder Mut machende Songs gab wie die Ballade „When the World Comes Down“ von 1986, wo Clarkin einen sentimental in den Arm nimmt. Wer sich in die Biographie der Band vertieft, stößt auf manch düster-schweren Song, in dem es unheimlich wogt und brodelt. Waren vor allem die Alben ab Mitte der 80er Jahre sehr glatt produziert und hielten auch manche AOR-Rock-Banalität bereit, so klangen die Alben ab dem Comeback im Jahr 2002 oft schroffer, waren erdiger in Szene gesetzt – der Bombast wirkte reduzierter. Weniger Chöre, die Keyboards weniger verspielt, und der Gesang von Bob Catley klang schon aufgrund seines fortgeschrittenen Alters rauer. Es gibt schmalzige Momente in der Geschichte von MAGNUM, sogar einige: Es ist nicht ihr Trademark. Am stärksten war die Band da, wo Epik auf progressiv angehauchten Hardrock traf, wo sie ihre Songs in ein mystisches Flimmern tauchten, aber auch in Dreck, wo die Magie ganz bodenständig war. Die Zauberer in MAGNUMs Welten bewegten sich an der Frontlinie des kalten Krieges, in den Industriebaracken britischer Großstädte – in einer verdächtig irdischen Kulisse. All das ist nun nicht mehr, denn hier, im Jahr 2024, wird die Reise der Band wohl enden: mit dem 23. Studioalbum, einem posthumen Geschenk an die Fans, veröffentlicht wenige Tage nach Clarkins Tod.

„Here Comes The Rain“ zeigt MAGNUM in Bestform

Tony Clarkin litt bereits seit längerem an einer Erkrankung der Wirbelsäule, im Dezember wurde festgestellt, dass sie sich verschlimmert hatte – und unheilbar ist. Doch zu diesem Zeitpunkt war „Here Comes The Rain“ bereits im Kasten. Sein Zustand verschlechterte sich schnell und rapide: Noch in der aktuellen Printausgabe des „Hardline“-Magazins erzählt Clarkin in einem Interview, das vermutlich Ende November geführt wurde, er höre gerade oft sein aktuelles Album, um sich die Songs für die anstehende Deutschland-Tour anzueignen. Eine Tour, die wenig später wegen der gesundheitlichen Probleme abgesagt werden musste. Doch an den baldigen Tod des Gitarristen dachte auch da noch niemand.

„Here Comes The Rain“ war folglich nicht als Abschiedsalbum gedacht: und vermutlich hätte die Band noch viele Jahre weitergemacht, wenn es die Gesundheit zugelassen hätte. Ohnehin ist das Durchhaltevermögen der Band beeindruckend. Clarkin war mit seinen 77 Jahren nur drei Jahre jünger als Keith Richards, eines der letzten Fossilien aus der Ursuppe des britischen Rock ’n’ Roll. Trotzdem haben MAGNUM regelmäßig hochwertige Alben aufgenommen und sind ausgedehnt durch die Lande getourt. Als sie „Here Comes The Rain“ eingespielt haben, blickten sie auf 52 Jahre Bandgeschichte zurück.

Dass sich das Album nun dennoch anhört wie ein Querschnitt durch die eigene Historie, liegt auch daran, dass MAGNUM ihre progressiven Elemente wieder etwas ausgebaut haben. In den 70er Jahren war die Band noch deutlich beeinflusst vom Progressive Rock der damaligen Zeit, von Bands wie QUEEN oder KANSAS. Das verspielte Keyboard, der Bombast und der mehrstimmige Gesang waren ein oft genutztes Stilmittel auch später noch, als sie kompaktere, einfachere Songs zwischen Melodic- und Hardrock schrieben. Nun hören wir auf „Here Comes The Rain“ wieder mehr Chorgesang (drei Backgroundsänger*innen sind im Booklet aufgeführt) und in einigen Songs von Klavier und Streichern getragene Strophen, die in einen Refrain mit weiten, schwebenden Melodiebögen münden. Der Titelsong „Here Comes The Rain“ ist hierfür bestes Beispiel.

Der Opener „Run Into The Shadows“ greift die Tradition der Band auf, mit einem kraftvollen Midtempo-Song in die Alben einzusteigen, ein Keyboardmotiv eröffnet, der Klang erinnert fast an ein Spinett. Dann nimmt Clarkins Gitarre die Melodie auf, kraftvoll und doch elegant, leichtfüßig wie eine Turnerin auf dem Schwebebalken. Wahnsinn auch, was Sänger Bob Catley mit seinen 76 Jahren hier stimmlich noch leistet. Ja, seine Stimme ist deutlich gealtert, sie ist rauer, dünner und brüchiger als in früheren Jahren. Aber er meistert die durchaus anspruchsvollen Gesangsharmonien, die ihm Clarkin auf den Leib schneidert, mit Autorität und Charisma. Sollen wir die Stimme mit jener aus jungen Jahren vergleichen, als er klarer und kräftiger sang? Besitzt eine gut gealterte Stimme nicht einen eigenen Reiz? Es ist wie bei einem Menschen, der bereits Falten und Narben trägt: Eine gealterte Stimme erzählt eine eigene Geschichte, ist Zeugnis eines gelebten Lebens.

Umarmung des Feindes im Angesicht der Kugel

Song Numero zwei und drei sind dann das, was man für eine Powerballade halten könnte: vorausgesetzt, man hört nicht so genau hin. Getragene und opulente Songs mit schwelgerischen Melodien, die Strophe des Titelsongs „Here Comes The Rain“ von einer Akustikgitarre begleitet, „Some Kind of Treachery“ von einem Piano. Es sind aber auch Songs über Irrwege und Bedrohungen, düstere Blicke in eine feindselige Welt, in der sich ein angesprochenes Du behaupten muss. „Hier kommt der Regen/ Durch den Mitternachtshimmel/ Ein dunkler Verrat/ Vor deinen Augen“, heißt es im Titelsong, den man als eine Art düsteres Spiegelbild des berühmten BEATLES-Hits „Here Comes The Sun“ lesen kann, das biblische Motiv der Sintflut ist schon im Titel enthalten. Erneut das Bild des Krieges: „Es gibt keine silberne Kugel in der Welt, die uns zusammenbringen wird/ Keine Worte, die clever genug sind/ uns ewige Existenz zu sichern“.

In der zweiten Ballade klingt düster die Suche nach einem heimischen Ort und einer Zuflucht durch, dunkle Gestalten lauern bedrohlich im eigenen Schatten, ein betender Mann fragt sich, ob er überleben wird – und wen es kümmert. “Du suchst nach jemandem, der gut ist/ Nach einem König oder einem Dieb oder einem Bettler/ Du bist auf der Suche nach der ganzen Menschheit“, heißt es im Text. Es ist eine nette Pointe, dass ein solcher Titel in der Blütezeit der Band Ende der 80er Jahre auch auf einem der vielen Balladen-Sampler hätte landen können, die zum Kuscheln einladen. Wer schert sich schon um Nuancen in einer schmachtenden Umarmung? Kuscheln mit MAGNUM ist im Zweifel auch: Kuscheln mit dem Feind im Luftschutzkeller.

“I Wanna Live”: Tony Clarkins fast trotziger Lebenshunger

Aber es gibt auch andere Momente auf dem Album, natürlich. Zum Beispiel die hoffnungsfroheren. „After The Silence“ und „I Wanna Live“ sind diese typischen, sanft groovenden Hardrock-Crooner, die mal dezent Fahrt aufnehmen, dann wieder abbremsen, damit Sänger Bob Catley Anlauf nehmen kann für einen dieser kunstvoll sich auftürmenden Refrains, die -klar- auch irgendwie pathetisch sind. Es ist kein Geheimnis, dass das Keyboard bei MAGNUM fast gleichberechtigt neben der Gitarre steht, mal die Akkorde aufnimmt, mal wieder kontrastiert, mal auch einfach atmosphärische Teppiche legt: Manch Kritiker nahm das der Band übel. Am besten ist Rick Benton, der Mann hinter den Tasten, aber dann, wenn er das E-Piano spielt oder sein Instrument nach Orgel klingen lässt wie am Ende von „I Wanna Live“. Er ist weiß Gott kein schlechter seines Fachs, stand als Sessionmusiker mit Acts wie den EAGLES oder PAUL YOUNG auf der Bühne, das ist nicht jedem vergönnt. „I Wanna Live“ verströmt, rückblickend tragisch angesichts von Clarkins Tod, einen fast trotzigen Lebenshunger, eine Hymne an das Überleben, versehen mit einer düsteren Ahnung: „Der Vorhang ist gefallen/ Macht die Lichter aus/ Tränenreich die Clowns“, textet Clarkin, um dann im Refrain fast flehend zu fordern: „Ich will leben/ Ich will schreien/ Ich will der Welt sagen/ Worum es eigentlich geht/ Ich will leben/ Mein einziger Wunsch…“.

„Blue Tango“ kommt lässig durch die Salontür hereingeschlendert und präsentiert sich mit Boogie-Woogie-Gitarren und Kneipen-Atmosphäre als echte Partynummer. Es ist eine tiefe Verbeugung vor dem Sound von STATUS QUO, der noch älteren britischen Legende, das Piano hämmert im Rhythmus der sich leerenden Bargläser, der Text ist verhalten optimistisch: Eine Aufforderung, im Chaos der Welt nicht den Verstand zu verlieren, keine Tränen zu vergießen. Eine Bitte zum Tanz, textlich wie musikalisch.

Am besten sind MAGNUM auf diesem Album aber wieder dann, wenn sie zur Epik ausholen, zu majestätischen Gesten, den Schulterschluss zu ihrer pompösen Phase Anfang der 80er suchen, wenn die Keyboards sich fanfarenartig auftürmen und trotzdem die Melodien sanft fließen: Dieser Kontrast aus Pomp und Geschmeidigkeit war stets eine Stärke der Band. Ob das feine „The Day He Lied“, mein Highlight des Albums, nun eine Ballade ist oder Epic Metal, liegt im Ohr des Betrachters. Der Text lässt an die Bewältigung eines Traumas denken, das Überstehen einer Lebenskrise, auch häusliche Gewalt schimmert durch: Clarkins Lyrics sind durchaus vieldeutig, zuweilen kryptisch. In der vorab ausgekoppelten Single „The Seventh Darkness“, einem opulenten Rocker, ersetzen Bläser die Keyboards und begleiten die Gitarrenharmonien von Clarkin mit fließender Leichtigkeit: Es ist ein Fest, wie die Gastmusiker hier mit der Band harmonieren, Chris Aldrigde spielt Saxophon, Nick Dewhurst Trompete. Es ist auch ein Statement, wie lebendig diese Band noch immer klingen kann, oder besser: klingen konnte. Schmerzhaft die Worte im letzten Song „Borderline“: „Kannst du die Grenze sehen? Ich finde den Heimweg nicht mehr…Ja, ich habe mein Ziel verloren“. Dann verklingt die Platte mit einer sanften Klaviermelodie, die wie aus dem Jenseits herüberweht.

Veröffentlichung: 12. Januar 2024
Spielzeit: 50:15

Line-Up:
Tony Clarkin – Guitars
Bob Catley – Vocals
Rick Benton – Keyboards
Dennis Ward – Bass
Lee Morris – Drums

Label: SPV/Steamhammer

MAGNUM “Here Comes The Rain” Tracklist

1. Run into the Shadows 5:22
2. Here Comes the Rain 4:37
3. Some Kind of Treachery 4:28
4. After the Silence 4:34
5. Blue Tango 5:26 (Stream)
6. The Day He Lied 4:34
7. The Seventh Darkness 4:41 (Stream)
8. Broken City 4:39
9. I Wanna Live 5:29
10. Borderline 6:16

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