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IHSAHN: Ihsahn

Von der Muße geküsst, bis hin zur Hybris: IHSAHN scheitert am eigenen Anspruch mit seinem achten Soloalbum „Ihsahn“, ohne jedoch große Momente missen zu lassen.

Nein, in Vegar Sverre Tveitans Haut möchte ich wahrlich nicht stecken, aller Bewunderung für sein Schaffen in den vergangenen 33 Jahren zum Trotz – oder vielleicht genau deshalb. IHSAHN hat mit EMPEROR in den Neunzigern der Barbarei des Black Metal um eine intellektuelle Komponente bereichert und schließlich, als Solokünstler sein Œuvre in Richtung Progressive Metal erweitert, ohne von seiner Relevanz zu verlieren – nun ja, bis vor ein paar Jahren. „Ámr“ war der Moment, in dem ich persönlich spürte, dass seine kreativen Säfte begannen nachzulassen. Als Hörer jammert man hier noch auf hohem Niveau, die Nebelkerzen, die IHSAHN in der Folge als EPs um sich herausbrachte, ließen dann fast schon Zähne knirschen. Und jetzt, vier Jahre nach „Telemark“ und „Pharos“? Nein, da möchte ich nicht in IHSAHNs Haut stecken.

IHSAHNs erstes Album in sechs Jahren will den Wesenskern des Musikers festlegen – und hat fast nebenbei eine rein symphonische Seite.

Doch der Norweger gibt sich äußerlich unbeeindruckt von Erwartungen, mehr noch: Sein achtes Studioalbum ist schlicht „Ihsahn“ benannt – traditionell ein Zeichen dafür, dass ein Künstler es wissen und den eigenen Wesenskern freilegen will. Und in der Tat, IHSAHN schafft das Kunststück, von (fast) allem etwas zu liefern, den opulenten und extremen Progressive Metal aus seiner jüngeren Solokarriere ebenso, wie symphonische Raserei der ganz späten EMPEROR-Phase – und fügt noch eine rein symphonische Seite hinzu. „Ihsahn“ spannt sich weit auf, will nichts von „Understatement“ wissen und ist ein einziges „Hier bin ich wieder!“

„Ihsahn“ gelingt das Kunststück, stilistisch breit aufgestellt zu sein und doch recht kompakt zu klingen, auch wenn einige der Songs, gerade in der ersten Hälfte etwas fragmentiert wirken. „The Promethean Spark“ ist gleich zweifache Selbstreferenz – einmal natürlich in Richtung „Prometheus – The Discipline Of Fire And Demise“, und andererseits ein IHSAHN-Nummer-Sicher-Song. Wirklich mitreißend und berührend ist dieser Auftakt nicht, und außerdem schnell vergessen, da „Pilgrimmage To Oblivion“ am ehesten den rasenden EMPEROR-Spirit wieder aufleben lässt. Das kurze „Twice Born“ beginnt ebenfalls aggressiv und mausert sich zu einem kleinen Hit, während „A Taste Of The Ambrosia“ dann zahn- und richtungslos vor sich hin plätschert.

„Ihsahn“ pendelt zwischen ruhigen Progressive Metal-Songs und Spät-EMPEROR-Furor – lediglich die Experimentierfreude lässt IHSAHN außen vor.

Diese Attitüde, ein großes, karriereübergreifendes Album zu schaffen, überschattet die Kreativität an manch weiterer Stelle. IHSAHN will das Beste aus sich und seinen Fähigkeiten herausholen, dabei waren es doch unperfekte, aber umso lebendigere Alben wie „After“, „Eremita“ und „Das Seelenbrechen“, die der Experimentierfreude wegen groß wurden und unter die Haut gingen. IHSAHN scheint zu versessen darauf zu sein, ein Opus Magnum erreichen zu wollen, und gerade in der zweiten Hälfte von „Ihsahn“ strebt er weiter danach. „Blood Trails To Love“ lässt sich nochmal Zeit mit einem großen Chorus und einer gewissen Melancholie, bevor er in „Hubris And Blue Devils“ wieder die sprichwörtliche Handbremse löst. Das knapp achtminütige Stück ist wild, verspielt, rhythmisch anspruchsvoll, hat starke Riffs und einen beeindruckenden Aufbau. Auch das abschließende, neunminütige und überaus kurzweilige „At The Heart Of All Things Broken“ zeigt IHSAHN voll in seiner Kraft: Ein dramatisches, episches und dynamisch sehr geschickt arrangiertes Stück, das mehr eine Geschichte erzählt als profanes Songwriting – und das erste und leider auch einzige Stück, das auch emotional berührt.

Die stilistische Bandbreite ist Segen und Fluch zugleich auf „Ihsahn“. Denn einerseits ist IHSAHN ein kurzweiliges und sehr abwechslungsreiches Album gelungen, andererseits klingt die Musik stellenweise doch wie Dienst nach Vorschrift. Die richtig guten Songs stechen allerdings umso deutlicher heraus. IHSAHN selbst ist als Gitarrist und Sänger so souverän, wie man es von ihm seit jeher kennt – sein Niveau ist so hoch, dass es fast schon langweilig ist. Das Drumming von Tobias Solbakk und Tobias Andersen passt sich den Kompositionen gut an, sticht aber auch nicht besonders heraus.

IHSAHN will alles, und sogar noch mehr – scheitert aber am eigenen Anspruch.

Und dann ist da noch die orchestrale Seite von „Ihsahn“. Die Metal-Version von „Ihsahn“ ist nämlich schon reichlich symphonisch geprägt, was nicht wundert, bedenkt man, dass IHSAHN die Musik hauptsächlich am Klavier schrieb. Die Orchester-Arrangements sind in die Metal-Version der Musik außerordentlich gut eingewoben: Sie erweitern die Songs, ohne prätentiös zu wirken. Stehen die Stücke auf der Orchester-Seite allein da, wirkt das Ergebnis tatsächlich überraschend cineastisch und Namen wie Bernard Herrmann und Jerry Goldsmith drängen sich förmlich auf. Dass IHSAHN die Musik so geschrieben und arrangiert hat, ist durchaus beeindruckend, und an mancher Stelle ist „Ihsahn“ in seiner rein orchestralen Fassung spannender als in der Metal-Version. Ironischerweise sind die spannenden Metalsongs aber die weniger mitreißenden Orchesterstücke.

Sechs Jahre nach seinem letzten vollen Album fährt IHSAHN alle Register auf. Die Muße hat ihn geküsst, bis hin zur Hybris. „Ihsahn“ will alles, und sogar noch mehr. Somit ist das achte Soloalbum des Norwegers ein Großereignis im extremen Metal, scheitert aber dennoch am eigenen Anspruch. Neben einer Reihe spannender Songs, haben sich Stücke eingeschlichen, die Dienst nach Vorschrift erahnen lassen. Wirklich berühren will IHSAHN sein Publikum dieses Mal nicht, und staunen lässt er es auch zu selten. All der Pomp kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Vegard Sverre Tveitan auch dieses Mal nicht zu voller Form aufläuft.

Wertung: 7 von 11 Mausoleen

VÖ: 16. Februar 2024

Spielzeit: 48:41 x 2

Line-Up:
IHSAHN – Bass, Guitars, Keyboards, Vocals
Tobias Ørnes Andersen – Drums
Tobias Solbakk – Drums
Angell Solberg Tveitan – Percussions
Chris Baum – Violinen

Label: Candlelight Records

IHSAHN „Ihsahn“ Tracklist:

1. Cervus Venator
2. The Promethean Spark
3. Pilgrimmage To Oblivion (Official Video bei Youtube)
4. Twice Born (Official Video bei Youtube)
5. A Taste Of The Ambrosia
6. Anima Extraneae
7. Blood Trails To Love
8. Hubris And Blue Devils
9. The Distance Between Us (Official Video bei Youtube)  (Orchestral Version bei Youtube)
10. At The Heart Of All Things Broken
11. Sonata Profana

Mehr im Netz:

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