Spricht es nun für oder gegen HIRAES, dass unsere zweite Begegnung bereits das Gefühl heraufbeschwört, die Osnabrücker Band eigentlich ein halbes Leben lang zu kennen? Obwohl zwischen „Dormant“ und dem Debüt „Solitary“ (2021) nur drei Jahre liegen, klingt das Zweitwerk wie die Essenz aus mindestens zwei Dekaden gemeinsamen musikalischen Schaffens. Ein Eindruck, der genauer betrachtet gar nicht so abwegig klingt, immerhin reichen die Wurzeln der ehemaligen DAWN OF DISEASE-Musiker ein ganzes Stück zurück.
Dass HIRAES als Quasi-Nachfolgeprojekt seine Inspiration mit breiter Brust zur Schau stellt, soll dabei nicht stören, wenngleich die Nähe zur ersten Garde des schwedischen Melodic Death Metals nicht von der Hand zu weisen ist. Mit der offensichtlichsten Referenz ARCH ENEMY teilt sich das Quintett derweil neben Aggression und Drive eine weitere Stärke: Auch Sängerin Britta Görtz verleiht dem Album durch eine sagenhafte Performance genau den Biss, der die Skandinavier während der Gussow-Ära zu Weltruhm verhalf.
HIRAES erweitern auf “Dormant” ihr Spektrum in dezenter Weise
Davon profitiert natürlich auch das Songmaterial selbst, dem die ungezügelte Performance der Shouterin ein kantiges Gegengewicht spendiert, so dass sich etwa die klare Melodieführung in „We Owe No One“ nicht allzu schnell abnutzt. Dosierte Synthesizer und Beats erweitern darüber hinaus das Spektrum in unaufgeregter Weise, ohne „Dormant“ zu viel auf einmal aufzubürden. Das funktioniert dank der klaren Produktion genauso wunderbar wie die enorm spärlich eingestreuten Clean-Vocals in „Undercurrent“, wo die klagende Leadgitarre im Refrain in Richtung INSOMNIUM schielen darf.
Das fast siebenminütige „About Lies“ bedient sich dagegen einer ähnlich unterkühlten Atmosphäre wie DARK TRANQUILLITY zu „We Are The Void“-Zeiten (2010), was sich deutlich in der Gitarrenarbeit und dem recht vorwärtsgewandten Drumming bemerkbar macht. All das könnten wir HIRAES natürlich genauso gut zum Vorwurf machen, immerhin ist der nächste Querverweis zu einem der großen Melodic-Death-Metal-Künstler meist nur ein Riff weit entfernt.
Qualität und Bandbreite von “Dormant” ermöglichen HIRAES den nächsten Schritt
Andererseits würde dies der Qualität und Bandbreite des Materials kaum gerecht. „Dormant“ vereint aggressive Thrash-Anleihen in „Nightflight“ mit Melodeath-Hymnen à la „Ocean Child“; packende Hits wie “Through The Storm” mit entsprechend düsterem Kontrastprogramm in der Gestalt eines „Red Soil“. Dass auch hier ab und an ARCH ENEMY durchblitzen, ist daher wohl mehr Kompliment als Vorwurf. Genauso übrigens das eingangs erwähnte Bauchgefühl, das mehr über die Songwriting-Qualitäten HIRAES‘ ausdrückt als alles andere – wie sonst könnte man bereits mit dem zweiten Album die Genre-Essenz der letzten 20 Jahre in eine Dreiviertelstunde Musik destillieren?
Veröffentlichungstermin: 26.01.2024
Spielzeit: 45:44
Line-Up
Britta Görtz – Vocals
Lukas Kerk – Guitars
Oliver Kirchner – Guitars
Christian Wösten – Bass
Mathias Blässe – Drums
Produziert von Jens Bogren (Mix, Mastering) und Ricardo Borges (Mix)
Label: Napalm Records
Homepage: https://www.hiraes.com/
Facebook: https://www.facebook.com/hiraes.official/
HIRAES “Dormant” Tracklist
1. Through The Storm (Video bei YouTube)
2. We Owe No One (Video bei YouTube)
3. Undercurrent
4. Chance To Fail
5. About Lies
6. Come Alive
7. Ocean Child
8. Nightflight
9. Red Soil
10. Dormant